| Titel: | Allgemeines von der Verwendung der Dampfüberhitzung bei Land- und Schiffsbetrieben. | 
| Autor: | Jens Rude | 
| Fundstelle: | Band 320, Jahrgang 1905, S. 755 | 
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                        Allgemeines von der Verwendung der
                           								Dampfüberhitzung bei Land- und Schiffsbetrieben.
                        Von Ingenieur Jens Rude,
                           								Chemnitz.
                        Allgemeines von der Verwendung der Dampfüberhitzung bei Land- und
                           								Schiffsbetrieben.
                        
                     
                        
                           Als vor nunmehr schon 50 Jahren Hirn die Vorteile
                              									der Ueberhitzung des Dampfes erkannte, stand der Maschinenbau noch nicht auf einer
                              
                              									Höhe, um diese Vorteile verwirklichen zu können. Die ersten Versuche, die
                              									Dampfüberhitzung in die Praxis einzuführen, waren daher ohne Erfolg. Später wandte
                              									sich zunächst das Interesse der Dampfmaschinenkonstrukteure anderen Aufgaben zu, zu
                              									denen vornehmlich die Verteilung der Expansion des Dampfes auf mehrere Zylinder
                              									gehört. Erst nach der endgültigen Lösung dieser Aufgaben entsann man sich wieder der
                              									Anregung Hirns. Inzwischen waren durch die Konstruktion
                              									der Stopfbüchsen mit Metalliederung und durch die Einführung der hohen Temperaturen
                              									widerstehenden Mineralöle auch die Schwierigkeiten beseitigt, welche sich
                              									ursprünglich der Verwendung der Dampfüberhitzung in den Weg stellten.
                           Als Vorteile des überhitzten Dampfes gegenüber dem gesättigten sind hauptsächlich
                              									zwei zu bezeichnen, die hier kurz erwähnt sein mögen. Zunächst besitzt der
                              									überhitzte Dampf ein geringeres spezifisches Gewicht als der gesättigte Dampf, so
                              									dass die Gewichtseinheit der ersteren Dampfart ein grösseres Volumen hat und deshalb
                              									eine grössere mechanische Arbeit zu leisten vermag als die gleiche Gewichtsmenge
                              
                              									gesättigten Dampfes. Den grösseren Nutzen gewährt aber der überhitzte Dampf infolge
                              									des Umstandes, dass durch die Ueberhitzung die Niederschläge beim Eintritt des
                              									Dampfes in den Zylinder der Dampfmaschine erheblich vermindert werden.
                           Für Dampfturbinen kommt von den ersten beiden vorerwähnten Vorteilen durch
                              									Ueberhitzung nur der erstere in Betracht. An Stelle des zweiten Vorteiles, die
                              
                              									Verminderung der Eintrittkondensation, tritt bei Dampfturbinen die vorteilhafte
                              									Eigenschaft, dass der Arbeitsverlust, welcher durch die Reibung zwischen dem mit
                              									enormer Geschwindigkeit sich drehenden Turbinenrad und dem umgebenden Dampf
                              									entsteht, die sogenannte Leerlaufarbeit der Turbine, durch die Vergasung d.h. die
                              									Ueberhitzung des Dampfes eine beträchtliche Verminderung erfährt.
                           Was die Höhe der Ueberhitzung betrifft, so gilt sowohl für Kolbendampfmaschinen als
                              									für Dampfturbinen, dass der günstige Einfluss der Ueberhitzung auf den
                              									Kohlenverbrauch um so grösser wird, je höher die Dampftemperatur ist. Die Grenze,
                              									die hier durch die Rücksicht auf die Sicherheit der Betriebes gesetzt wird, liegt
                              									für Dampfturbinen und für Kolbenmaschinen verschieden hoch. Für die Dampfturbinen,
                              									die keine auf einander gleitenden Teile besitzen, kann die Temperatur zu jeder
                              									erreichbaren Höhe gesteigert werden. Eine Grenze wird hier nur durch den Ueberhitzer
                              									selbst geboten und seine Fähigkeit, ohne Gefährdung des Betriebes die hohen
                              									Temperaturen zu erzeugen. Bei den Kolbenmaschinen ist hinsichtlich des
                              									Ueberhitzungsgrades zu unterscheiden zwischen Maschinen, die ursprünglich mit
                              									gesättigtem Dampf gearbeitet haben, und solchen, die von vornherein für den Betrieb
                              									mit überhitztem Dampf bestimmt sind. Bei jenen können naturgemäss aus Rücksicht auf
                              									die Kesselanlage und auf die Maschine selbst nur massige Ueberhitzung in Frage
                              									kommen, also Temperaturen bis etwa 250°, während bei Anlagen, wo sowohl bei der
                              									Konstruktion des Kessels und vor allem der der Maschine auf die hohen Temperaturen
                              									gebührende Rücksicht genommen wurde, weit höhere Ueberhitzungsgrade angewendet
                              									werden können. Für Dampfanlagen letzterer Art sind erfahrungsgemäss Temperaturen von
                              									300° bis 360° an der Maschine ohne Zweifel noch zulässig.
                           Wenn auch die zuletzt genannten Temperaturen sachgemässe und zuverlässige
                              									Ueberwachung vorausgesetzt, als vollkommen betriebssicher gelten können, so ist die
                              									Zahl der neu angelegten Betriebe, welche mit diesen hohen Ueberhitzungsgraden
                              
                              									arbeiten, verhältnismässig gering. Forscht man nach den Gründen zu dieser
                              									Erscheinung, so sind sie wohl hauptsächlich in der Befürchtung zu erblicken, dass
                              									die Sicherheit des Betriebes durch die hohen Temperaturen leichter gefährdet werden
                              									könne. Es sind tatsächlich im Laufe der Jahre verschiedene Fälle vorgekommen, die
                              									diese Auffassung als berechtigt erscheinen lassen, und die wenig geeignet sind, der
                              									starken Dampfüberhitzung Freunde zu gewinnen. Es ist nicht in Abrede zu stellen,
                              									dass die Ueberhitzeranlage an sich, namentlich aber, wenn hohe Ueberhitzungsgrade in
                              									Frage kommen, ein neues Glied bedeutet, welches unter den vielen anderen eines
                              									Dampfbetriebes ganz besonders der Ueberwachung bedarf und unter Umständen zu
                              									unliebsamen Störungen Anlass geben kann. Durch eine Unachtsamkeit seitens des
                              									Personals kann es leicht geschehen, dass die Temperatur des Dampfes die für die
                              									Maschine betriebssichere Grenze überschreitet. Und es ist nicht zu leugnen, dass die
                              									Möglichkeit solcher Fälle, die für den Betrieb höchst verhängnisvoll werden können,
                              									vorliegt, solange man in dieser Hinsicht nur auf die Umsicht und Achtsamkeit des
                              									Ueberwachungspersonals angewiesen ist.
                           Hieraus erklärt sich die vorsichtige Haltung der interessierten Kreise der Praxis
                              									gegenüber der hohen Ueberhitzung, eine Haltung, in der sie dadurch noch bestärkt
                              									werden, dass selbst ausführende Firmen davon abraten, Temperaturen zu wählen, die in
                              									der Nähe der betriebssicheren Grenze liegen.
                           Es wird seitens der Freunde der starken Ueberhitzung hiergegen geltend gemacht,
                              									dass Temperaturschwankungen bei Ueberhitzern während des Betriebes nur in geringem
                              									Masse möglich sind. Es besitzen nämlich die Ueberhitzer wie bekannt die Eigenschaft,
                              									dass sie in bezug auf Dampftemperatur im regelmässigen Betrieb bis zum gewissen
                              									Grade selbstregulierend sind. Diese Eigenschaft rührt daher, dass bei allen
                              
                              									Dampfkesseln innerhalb der gebräuchlichen Anstrengungsgrade angenäherte
                              									Proportionalität zwischen Rostbeanspruchung und Kesselleistung, beziehungsweise
                              									zwischen Rauchgasmenge und Dampfmenge besteht. Für die Selbstregulierung des
                              									Ueberhitzers ist allerdings dabei Voraussetzung, dass sämtliche Rauchgase an dem
                              									Ueberhitzer vorüberströmen. Es wird daher eine Kesselanlage mit Ueberhitzer bei
                              									geringer und bei hoher Beanspruchung nur wenig verschiedene Dampftemperaturen
                              									erzeugen. Unerwartete Temperatursteigerungen können aber trotzdem bei plötzlichen
                              									Betriebsschwankungen oder während des Anheizens des Kessels entstehen.
                           Es liegt nahe, dass man unter diesen Umständen versucht hat, mechanische
                              									Vorrichtungen zu erfinden, welche die Temperatur des Dampfes selbsttätig regulieren,
                              									oder welche wie eine Art Sicherheitsvorrichtung übermässige Temperatursteigerungen
                              									verhindern. Solche Apparate sind wohl konstruiert und auch ausgeführt worden, ohne
                              									dass indessen von ihnen gesagt werden kann, dass sie bisher die ihnen gestellte
                              									Aufgabe befriedigend gelöst haben. Es hat fast den Anschein, als ob die Verwendung
                              									der hohen Ueberhitzungsgrade in der Praxis nicht eher allgemein werden wird, bis
                              									solche zuverlässig wirkende Sicherheitsvorrichtungen zur Verhütung
                              									betriebsgefährlicher Temperatursteigerungen vorliegen. Einstweilen werden deshalb
                              									die meisten, welche in die Lage kommen, sich Ueberhitzer anzulegen, es sich mit
                              									massigen und mittleren Ueberhitzungsgraden genügen lassen.
                           Die Feststellung der betriebssicheren Grenztemperatur geschah bisher hauptsächlich
                              									mit Rücksicht auf die Dampfmaschine. Ob aber diese Grenze auch für die
                              									Ueberhitzeranlage selbst massgebend ist, ist noch nicht ganz entschieden. Diese
                              									Frage wird Bedeutung erlangen, wenn man beginnt, Dampfturbinen mit Dampf von hoher
                              									Ueberhitzung zu betreiben. Da die Dampfturbinen, wie erwähnt, im Dampfraume keine
                              									auf einander gleitenden Teile besitzen, so wird in diesem Falle nur die Rücksicht
                              									auf den Ueberhitzer selbst und die Temperaturen, die er ohne vorzeitige Schäden zu
                              									erleiden, vertragen kann, massgebend sein.
                           Es ist in diesem Zusammenhang nicht ohne Interesse auf die Erfahrungen zu verweisen,
                              									die in dieser Hinsicht mit dem bekannten Dampfmotorwagen von Serpollet gemacht worden sind. Bei dem Kessel dieses Motorwagens wird
                              									bekanntlich das Speisewasser in ein System von engen Rohren eingespritzt, welches
                              									unmittelbar über dem Feuerherd liegt, und in dem Dampf von einem Druck von über 50
                              									at und von einer Temperatur von mehr als 400° erzeugt wird. Obgleich dabei die Rohre
                              									bis zur Glut erhitzt sind, soll sich dieser Dampferzeuger unter den schwierigen
                              									Betriebsverhältnissen eines Motorwagens ausgezeichnet bewährt haben.
                           Während bei ortsfesten Anlagen und bei Lokomotiven die Ueberhitzung des Dampfes
                              									festen Fuss gefasst hat, ist dies dagegen bei Schiffsanlagen nicht der Fall. Wohl
                              									hat es an Versuchen, die Vorteile der Dampfüberhitzung auch den Schiffsbetrieben
                              									dienstbar zu machen, nicht gefehlt. Aber bislang ohne rechten Erfolg. Dabei handelt
                              									es sich für die Schiffsbetriebe um eine Sache von sehr grosser Wichtigkeit, da ja
                              									die Schiffe, wie die Lokomotiven, ihre Kohle selbst mit sich führen müssen. Die
                              									Gründe, die gegen die Einführung der Ueberhitzung sprechen, müssen also
                              									schwerwiegend sein. Sie sind verschiedene und zumeist in den eigenartigen
                              									Betriebsverhältnissen an Bord begründet.
                           Der wichtigste Einwand, der gegen die Ueberhitzung im Schiffsbetrieb erhoben
                              									wird, ist der, dass eine Dampfmaschine, wenn mit überhitztem Dampf betrieben, in der
                              									Regel eine reichlichere Schmierung der Zylinder erfordert, als beim Betrieb mit
                              									Sattdampf. Für den Schiffsbetrieb aber, wo das im Oberflächenkondensator erhaltene
                              									Niederschlagwasser wieder zur Speisung der Kessel verwendet wird, ist es aus
                              									Rücksicht auf die Erhaltung der Kessel eine Sache von grösster Wichtigkeit, dass das
                              									Kondensat so rein gewonnen wird wie möglich und vor allem frei von Oel ist. Denn,
                              									wie bekannt, kann ölhaltiges Speisewasser sehr leicht zu Zerstörung der Kessel
                              									führen. Untersuchungen über diesen Punkt haben ergeben, dass selbst eine dünne
                              									Oelhaut auf der Heizfläche über dem Feuerraum genügen kann, um gefährliche
                              									Wärmestauungen, beziehungsweise Temperaturerhöhungen in der Blechwand hervorzurufen.
                              									Der Vorschlag, zur Reinigung des Kondensates Dampfentöler zu verwenden, dürfte auf
                              									wenig Beifall rechnen, da es schwerlich derartige Apparate geben kann, welche auf
                              									die Dauer und ohne Unterbrechungen die Dampfmengen, welche hier in Frage kommen, zur
                              									Zufriedenheit reinigen könnten.
                           Als ein weiteres Moment gegen die Einführung wenigstens von hoher Ueberhitzung in die
                              									Schiffsbetriebe dürften noch die plötzlichen Belastungsschwankungen angesehen
                              									werden, die während der Manöverierung des Schiffes, unvermeidlich sind.
                           Während das Vorstehende sich auf alle seegehenden Schiffe beziehen dürfte, machen
                              									sich bei grösseren Schiffen mit modernen Maschin- und Kesselanlagen und namentlich
                              									bei Kriegsschiffen bezüglich der Dampfüberhitzung besondere Umstände geltend. Man
                              									hat es sich in solchen modernen Schiffsbetrieben von jeher angelegen sein lassen,
                              									mit möglichst trockenem Dampf zu arbeiten. Als geeignetes Mittel hat sich hierzu die
                              									Drosselung des Dampfes erwiesen. Man erzeugt den Dampf in den Kesseln unter sehr
                              									hohem Druck, etwa 20 at, und lässt ihn unterwegs zur Maschine mittels
                              									Reduzierventile auf den Druck im Schieberkasten, etwa 13 bis 15 at, drosseln. Bei
                              									der Drosselung findet erstens eine sehr wirksame Abscheidung des mitgerissenen
                              									Kesselwassers statt und wahrscheinlich ausserdem noch eine geringe Ueberhitzung.
                              									Dieses Mittel zur Erlangung von trocknem Dampf hat sich in bezug auf die
                              									Dampfökonomie als sehr wirksam erwiesen. Es ist als eine Art Notbehelf an Stelle der
                              									Ueberhitzung anzusehen und hat den Vorteil, der namentlich bei Schiffsbetrieben ins
                              									Gewicht fällt, dass es mit weit einfacheren Mitteln als jene zu erreichen ist.Die Drosselung des Dampfes hat aus den
                                    											gleichen Gründen früher, ehe noch die Dampfüberhitzung allgemein wurde, wie
                                    											bekannt, auch bei Landbetrieben Verwendung gefunden und ist, nebenbei
                                    											bemerkt, oft das Rettungsmittel bei Abnahmeversuchen an Dampfmaschinen
                                    											gewesen, um geleistete Dampfverbrauchsgarantien einzuhalten.
                           Es kommt hier noch hinzu, dass eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich des Wertes der
                              									Dampfüberhitzung bei Verwendung von den in modernen Schiffsbetrieben üblichen hohen
                              									Dampfspannungen noch besteht. Obgleich die gegenwärtige Kenntnis hierüber kein
                              									bestimmtes Urteil zulässt, scheint doch in den interessierten Kreisen zur Zeit noch
                              									die Ansicht vorzuherrschen, dass die Dampfüberhitzung bei Verwendung hoher
                              									Spannungen eher entbehrlich ist.
                           Die vorstehenden Ausführungen über die Anwendung der Dampfüberhitzung in
                              									Schiffsbetrieben hat nur für Betriebe mit Kolbendampfmaschinen Geltung. Bei
                              									Dampf-turbinenbetrieben liegen die Verhältnisse für die Ueberhitzung wesentlich
                              									günstiger. Infolge des Fehlens von aufeinander gleitenden Teilen im Inneren der
                              									Turbine fällt das Schmieren und folglich auch die Verunreinigung des Dampfes durch das Schmieröl
                              									weg; der Dampfniederschlag kommt also hier unter allen Umständen vollständig ölfrei
                              									in den Kessel zurück. Bei Schiffsbetrieben mit Dampfturbinen steht daher in dieser
                              									Hinsicht der Dampfüberhitzung nichts entgegen.
                           Dieser Vorzug der Dampfturbine gegenüber der Kolbenmaschine wird bei dem
                              									gegenwärtigen Ringen dieser beiden Maschinengattungen um die Vorherrschaft im
                              									modernen Schiffsbetrieb besonders dann von Bedeutung sein, wenn es gelingen sollte,
                              									den Nachweis zu erbringen, dass die hohe Ueberhitzung für die Oekonomie der
                              									Dampfturbine von dem gleichen günstigen Einfluss ist, wie bei der
                              									Kolbenmaschine.
                           Zum Schluss soll noch bemerkt werden, dass im Schiffsbetrieb, wo das Gewicht von
                              									Maschine und Kessel eine so bedeutsame Rolle spielt, durch die Anwendung der
                              									Dampfüberhitzung auch an Gewicht gespart wird, dadurch nämlich, dass infolge
                              									des geringeren Dampf Verbrauches weniger Kessel gebraucht werden.
                           In Anbetracht der unbestrittenen Vorteile der Dampfüberhitzung verdient daher die
                              									Frage nach der Verwendung derselben wenigstens in Schiffsbetrieben mit Dampfturbinen
                              									ernstlich in den Kreis der Erwägung gezogen zu werden. Nach der Kenntnis des
                              									Verfassers ist für die bisher erbauten und in Auftrag gegebenen englischen
                              									Turbinenschiffe allerdings keine Dampfüberhitzung vorgesehen. Dieser Umstand allein
                              									dürfte aber, da die Ueberhitzung für englische Verhältnisse im allgemeinen nicht den
                              									Wert hat wie für deutsche, die deutschen Erbauer davon nicht abhalten, ihre
                              									Turbinendampfer mit Dampfüberhitzung auszustatten.