| Titel: | Die Kraftmaschinen und Dampfkessel auf der Weltausstellung in Lüttich 1905. | 
| Autor: | Fr. Freytag | 
| Fundstelle: | Band 320, Jahrgang 1905, S. 785 | 
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                        Die Kraftmaschinen und Dampfkessel auf der
                           								Weltausstellung in Lüttich 1905.
                        Von Fr. Freytag,
                           								Chemnitz.
                        (Fortsetzung von S. 772 d. Bd.)
                        Die Kraftmaschinen und Dampfkessel auf der Weltausstellung in
                           								Lüttich 1905.
                        
                     
                        
                           
                              15. Vve. Lachaussee
                                 										in Lüttich.
                              
                           Die ausgestellte liegende Einzylindermaschine mit Kondensation hat 325 mm
                              									Zylinderdurchmesser und 500 mm Hub; sie leistet mit 9 kg/qcm anfänglicher Dampfspannung und
                              									160 minutlichen Umdrehungen 70 PS.
                           Bemerkenswert ist zunächst die von dem Ingenieur Bonjour
                              									herrührende Steuerung, die mittels einfacher, unter Wirkung zweier Exzenter
                              									stehender Kolbenschieber veränderliche Füllungen bei sonst gleichbleibender Dampfverteilung
                              									gestattet.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 786
                              Fig. 73. Steuerung der Dampfmaschine von Vve. Lachaussée in Lüttich.
                              
                           Die beiden Exzenter, von denen das eine – das Verteilungsexzenter – auf der
                              									Schwungradwelle festgekeilt ist, das andere – das Expansionsexzenter – von einem
                              									Flachregler auf veränderlichen Hub und Voreilwinkel eingestellt wird, betätigen die
                              									um den Bolzen g (Fig.
                                 
                                 										73) freischwingenden beiden Hebel a und b, deren Enden mit einer Kulisse c in Verbindung stehen, welche die empfangenen
                              									Bewegungen mittels der Kurbel f sowie Hebel d und e auf die Stange der
                              									unterhalb des Zylinders angeordneten Schieber überträgt (s. Fig. 75).
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 786
                              Fig. 74. Dampfdiagramm einer Maschine mit Bonjour-Steuerung.
                              
                           Zufolge des kinematischen Zusammenhanges in der Bewegung usw. der genannten
                              									Einzelteile lassen sich unter Mitwirkung des Flachreglers veränderliche Füllungen
                              									zwischen 0 und 0,7 bis 0,8 des Kolbenhubes bei stets gleibleibender Vorein- bezw.
                              									Vorausströmung und Kompression des Dampfes mit Hilfe nur eines einzigen – im
                              									vorliegenden Falle geteilten – Schiebers erreichen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 786
                              Fig. 75. Kolben- und Mantelheizung der Dampfmaschine Vve. Lachaussée in
                                 										Lüttich.
                              
                           Das in Fig. 74 ersichtliche Dampfdiagramm, welches an
                              									einer Lachausséeschen Maschine mit Steuerung Bonjour unter verschiedenen Belastungsverhältnissen
                              									abgenommen wurde, lässt dies deutlich erkennen.Armand Duchesne hat das Zusammenwirken der
                                    											Einzelteile bei der Bonjour-Steuerung
                                    											eingehender untersucht und in der „Revue industrielle des mines“
                                    											1904, Bd. VI, S. 147 veröffentlicht.
                           Eine weitere Eigentümlichkeit der ausgestellten Maschine besteht in der – gleichwie
                              
                              									bei der vorbesprochenen 300 PS-Zwillings-Verbundmaschine der Société Cockerill – angeordneten Kolben- und
                              									Mantelheizung mit Dampf von hoher Spannung zur Verminderung bezw. nahezu gänzlichen
                              									Vermeidung der Eintrittskondensation,
                           Die zu dem Zwecke von Georg Duchesne an der Lachausséeschen Maschine getroffene Vorrichtung zeigt
                              										Fig. 75; sie besteht aus einem mit dem
                              									Dampfmantel des hinteren Zylinderdeckels verbundenen, mit entsprechenden Hohlräumen
                              									versehenen Gusstück, in dem die verlängerte hohle Kolbenstange gleitet. Man heizt
                              									damit die obere Hälfte des Kolbens unmittelbar und ferner auch einen grösseren Teil
                              									der untern Hälfte desselben durch Wärmeleitung. Das sich bildende
                              									Kondensationswasser fliesst durch die hohle Kolbenstange ab.
                           Um die Heizwirkung des Kolbens wie auch diejenige der Dampfmäntel des Zylinders und
                              									der Deckel noch zu erhöhen, wird der Heizdampf in einem besonderen, von den
                              									Heizgasen des Hauptkessels bespülten, kleinen Kessel erzeugt, so dass er eine um
                              									etwa 10 bis 15° höhere Temperatur als der in den Zylinder tretende Arbeitsdampf
                              									besitzt. Infolgedessen bleiben die Innenwandungen des Zylinders trocken und es soll
                              									der Dampfverbrauch gegenüber einer Maschine, die mit gewöhnlichem Arbeitsdampf
                              									geheizt wird, um etwa 15 v. H. geringer ausfallen. G.
                                 										Duchesne berichtet in der Revue industrielle des mines 1904, Band VII, S.
                              									221 über Versuche, die Dwelshauvers-Déry, der bekannte
                              									Wärmetheoretiker, in seinem Laboratorium zu Lüttich an einer mit Mantel- und
                              									Kolbenheizung versehenen kleinen Kondensationsdampfmaschine der besprochenen Bauart
                              									anstellte.
                           Die hierbei abgenommenen Dampfdiagramme zeigten einen genau adiabatischen Verlauf der
                              									Expansionslinie und es soll sich ferner eine nahezu vollständige Uebereinstimmung
                              									zwischen dem aus dem Diagramm berechneten nutzbaren Dampfverbrauch und demjenigen,
                              									welcher durch Speisewassermessung ermittelt wurde, ergeben haben; derselbe stellte
                              									sich auf 4050 WE für 1 PSi/Std, entsprechend 6.18 kg gesättigtem Dampf bei 6
                              									Atm anfänglicher Spannung und 9 Atm Spannung im Mantel. Der Kondensationsverlust in
                              									letzterem wurde zu nur 0,610 kg für 1 PSi/Std ermittelt.
                           Es wird angegeben, dass die Einzylindermaschine mit Duchesne scher Kolben- und Mantelheizung in bezug auf Wirtschaftlichkeit
                              
                              									günstiger als die besten bisher gebauten Zwei- und Dreifach-Expansionsmaschinen
                              									arbeite; dies bedarf jedenfalls noch weiterer Untersuchungen, um es mit Sicherheit
                              									behaupten zu können!
                           Eine 100pferdige Dampfmaschine der vorbesprochenen Bauart ist für die belgische
                              									Steinkohlengrube zu Ressaix geliefert worden, eine Zwillingsmaschine von 600 PS noch
                              									in Bau begriffen. Die Patente, welche auf die charakterischen Einzeilteile der
                              									Maschine erteilt wurden, sind in Händen der Société anonyme
                                 										d'Etudes techniques in Lüttich. (s. auch „The Engineer“ vom 28. Juli
                              									1905, S. 84).
                           
                        
                           
                              16. Société anonyme du Phönix in Gent.
                              
                           Ausser einer 80pferdigen Einzylindermaschine hat die Firma zwei
                              									Tandem-Verbundmaschinen mit freifallender Corlisssteuerung und mit Kondensation für Leistungen von 400 und 500 PS
                              									ausgestellt.
                           Der einzige Unterschied in der Bauart der zum Betreiben von Dynamos dienenden beiden
                              
                              									Verbundmaschinen besteht darin, dass die grössere mit Zahnrädern, die andere mit
                              									Riemenantrieb für den Regulator versehen ist.
                           Die grössere, in Fig. 76 dargestellte Verbundmaschine
                              									hat 450 bezw. 710 mm Zylinderdurchmesser und 900 mm Hub; sie soll mit 12 Atm
                              									anfänglicher Dampfspannung und 130 minutlichen Umdrehungen eine Leistung von 488
                              										PSe bei einem mechanischen Wirkungsgrade von
                              									0,92 (!) entwickeln.
                           
                           
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 787
                              Fig. 76. Tandem-Verbundmaschine der Société Phönix in Gent.
                              
                           Die in ihrer ganzen Länge auf dem Fundament liegende Grundplatte ist mit den
                              									Hauptlagern in einem Stück gegossen und die Maschine mit Rücksicht auf die bei hohen
                              									Geschwindigkeiten besonders erwünschte Standfestigkeit sehr niedrig gelegt. Die
                              									Lagerschalen sind aus Stahl gefertigt und mit Weissmetall ausgegossen. Der
                              									Niederdruck-Zylinder ist am vorderen Ende mit der Grundplatte verschraubt; sein
                              									hinteres Ende stützt sich gleichwie das vordere Ende des Hochdruckzylinders auf eine
                              									gemeinsame gehobelte Platte, die das Zusammenfallen der geometrischen Achsen beider
                              									Zylinder sichert. Mit seinem hinteren Ende ist der kleine Zylinder derart auf einer
                              									anderen gehobelten Platte befestigt, dass er den jeweiligen Temperaturen
                              									entsprechende Bewegungen ausführen kann. Die zwischen den beiden Zylindern
                              									angeordnete Laterne ist zweiteilig ausgeführt; ihre Teilfugen liegen in der
                              									Vertikalebene.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 787
                              Fig. 77. Kolben und Schieber zur Verbundmaschine der Société Phönix in
                                 										Gent.
                              
                           Die zur Steuerung dienenden Einström- und Ausströmschieber, System Corliss, liegen, wie Fig.
                                 										77 erkennen lässt, zur Verminderung der Wirkung der schädlichen Räume und
                              									ihrer Oberflächen in den Zylinderdeckeln. Von den beiden auf der Kurbelwelle
                              									befestigten Exzentern bewegt das eine die vier Einström-, das andere die vier
                              									Ausströmschieber der Maschine. Der Regulator verändert die Dauer der
                              									Dampfeinströmung bei stets konstantem linearen Voreilen; man lässt ihn zu dem Zwecke
                              									auf die betreffenden Steuerorgane beider Zylinder oder
                              									aber nur auf diejenigen des Hochdruckzylinders einwirken.
                           Die Exzenterstangen sind gezogene Stahlrohre von geringer Wandstärke mit hydraulisch
                              									eingepressten Kopfstücken,
                           Die zur Steuerung gehörigen Hebel sind sämtlich einarmig ausgeführt. Die Schieber
                              									haben kleine Durchmesser und grosse Längen, so dass sie nur geringe Kraftäusserungen
                              									zu ihrer Bewegung erfordern.
                           Die Stopfbüchsen sind mit Metallpackungen – aus Ringen in einem Stück bestehend –
                              									ausgeführt. Schieber und Zylinder werden von einem Zentralschmierbehälter aus mit
                              									Oel versorgt, der sich aus einer Anzahl von kleinen Pumpen – z.B. 6 oder 7 –
                              									zusammensetzt.
                           Was die Dampfverteilung im übrigen anbetrifft, so ist der Einströmkanal schon
                              									vollständig geöffnet, wenn der Kolben 0,11 seines Hubes zurückgelegt hat; von diesem
                              									Augenblicke an strömt der Dampf mit einer Geschwindigkeit von 35 m/Sek. – gemäss
                              									der mittleren Kolbengeschwindigkeit – in den Zylinder.
                           Eine der vorbesprochenen ähnliche Maschine – 450 bezw. 710 mm
                              									Zylinderdurchmesser und 900 mm Hub –, die mit gesättigtem
                                 										Dampf von 9,09 Atm Spannung betrieben wurde, entwickelte bei Versuchen des
                              									Direktors R. Vinçotte der belgischen
                              									Dampfkessel-Ueberwachungsgesellschaft mit etwa 123 minutlichen Umdrehungen eine
                              									Leistung von 379,07 PS und brauchte hierbei an Dampf – einschliesslich des
                              									Kondenswassers der Mäntel – 5,380 kg für 1 PSi/Std.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 788
                              Fig. 78. Tandem-Verbundmaschine der Société Weyher & Richemond in
                                 										Pantin.
                              
                           Versuche, die der Vorgenannte an einer Einzylinder-Auspuffmaschine von 350 mm
                              									Zylinderdurchmesser und 700 mm Hub mit hoch überhitztem
                                 										Dampf von 6,26 Atm Spannung und einer Temperatur von 378°, zeitweise sogar
                              									von 410° C anstellte, ergaben bei 87 minutlichen Umdrehungen eine Leistung von 55 PS
                              									und einen Dampfverbrauch von 6,443 kg für 1 PSi/Std. Die Auspufftemperatur betrug
                              									hierbei 147° C.
                           
                        
                           17. Société des etablissements Weyher
                                 										& Richemond in Pantin (Seine).
                           Die ausgestellte liegende Tandem-Verbundmaschine (Fig.
                                 										78) mit einfachem, kettenschlüssigen Antrieb der Niederdruckventile hat
                              									Zylinder von 370 bezw. 640 mm Durchmesser und 1050 mm Hub; die normale Umlaufzahl
                              									beträgt 110 in der Minute, die anfängliche Dampfspannung im Hochruckzylinder 10 kg/qcm.
                           Das eigenartige Steuerorgan der Maschine ist in Fig.
                                 										79 dargestellt; es besteht aus einem aufgeschnittenen, nach Art der
                              									Ledermanschetten bei Presspumpen ∩-förmig gestalteten Schieber, dessen äusserer
                              									Schenkel a in die engere Bohrung des Schiebergehäuses
                              									eingesetzt ist, so dass der Schieber zufolge der eigenen Federung wie auch durch den
                              									Dampfdruck fest gegen die Gehäusewandung gepresst wird und damit den ringförmigen
                              									Einströmkanal dampfdicht abschliesst. Um bei der Aufwärtsbewegung des Schiebers die
                              									bedeutende Pressung zu überwinden, ist sein innerer Schenkel b kegelförmig gestaltet und der mit der Schieberspindel verbundene
                              									Mitnehmer c entsprechend ausgebildet. Infolgedessen
                              									zieht bei der Aufwärtsbewegung der Spindel der Mitnehmer den federnden Schieber
                              									zusammen, so dass dieser sich nunmehr frei von Reibungen in seinem Sitze
                              									bewegen kann.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 320, S. 788
                              Fig. 79. Steuerorgan zur Verbundmaschine der Société Weyher & Richemond in
                                 
                                 										Pantin.
                              
                           Bei der Abwärtsbewegung der Spindel gelangt der Schieber bei Vermeidung jeglichen
                              									Stosses auf seinen Site zurück.
                           
                              
                                 (Fortsetzung folgt.)