| Titel: | Die Weltausstellung in Lüttich 1905. | 
| Autor: | M. Richter | 
| Fundstelle: | Band 321, Jahrgang 1906, S. 113 | 
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                        Die Weltausstellung in Lüttich 1905.
                        Das Eisenbahnwesen, mit besonderer
                           								Berücksichtigung der Lokomotiven.
                        Von Ingenieur M.
                                 									Richter, Bingen.
                        (Fortsetzung von S. 88 d. Bd.)
                        Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in Lüttich
                           
                           								1905.
                        
                     
                        
                           Von der auf S. 87 besprochenen Gattung sind neuerdings einzelne Lokomotiven mit
                              
                              									Ueberhitzer ausgestattet worden; eine derselben war ausgestellt, nämlich:
                           4. 2/4
                              									gek. Schnellzuglokomotive mit
                              									Zwillings-Heissdampfmaschine, gebaut von der Soc. An.
                                 											„Cie. Centrale de Constructions“, Haine-St. Pierre (Belgien)
                              									1905, Fabrik-No. 912, Betriebs-No. 3190 (Fig. 6a,
                              										6b).
                           Die durch den Einbau des Schmidtschen
                              									Langkesselüberhitzers und der Heissdampfmaschine bedingten, das Aeussere durchaus
                              									nicht beeinflussenden Aenderungen in der Anordnung der Grundzüge entsprechen genau
                              									denjenigen bei der Güterzuglokomotive, so dass auf nochmalige Aufzählung, besonders
                              									bei Zuhilfenahme der Zeichnung, verzichtet werden darf. Die Abänderungen in den
                              									Hauptmassen sind: Die Rohrheizfläche ist von 115,5 auf 89,9 qm, die
                              									Gesamtheizfläche, einschliesslich des Ueberhitzers von 27,5 qm Fläche, von 127,6 auf
                              									126,6 qm verkleinert; das Dienstgewicht ist aber von 53,4 auf 55,1 t gestiegen, das
                              
                              									Reibungsgewicht jedoch von 36,3 auf 35,1 t gefallen. Der Gesamtradstand ist um 0,34
                              									m verlängert; der Zylinderdurchmesser von 483 auf 500 mm vergrössert.
                           Die Ausstattung war ebenfalls identisch; der Aufputz jedoch gewährte ein anderes
                              									Bild: Kessel grün, mit blanken Messingbändern, Gestell und Räder ziegelrot. (Im
                              									Betrieb kann man tatsächlich die Beibehaltung dieser verschiedenartigen Gewandungen
                              									beobachten.)
                           Diese beiden 2/4
                              									gekuppelten Zwillingslokomotiven für Schnellzüge haben folgende
                              									Hauptabmessungen:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 321, S. 113
                              Nassdampf; Heissdampf;
                                 										Zylinderdurchmesser; Kolbenhub; Triebraddurchmesser; Kesselüberdruck; Heizrothe;
                                 										Länge (im Ganzen); Anzahl; Durchmesser; Heizfläche; Rohre (innen); Feuerbüchse;
                                 										Ueberhitzer (auss.); Heizfläche im Ganzen; Rostfläche; Achslasten; erste Achse;
                                 										zweite; dritte; vierte; (Gestell) (Triebachsen)
                              
                           
                           
                              
                                 
                                 
                                 Nasdampf
                                 Heissdampf
                                 
                              
                                 Dienstgewicht
                                 t
                                 53,35
                                 55,1
                                 
                              
                                 Zugkraft (α = 0,5)
                                 kg
                                 5100
                                 5400
                                 
                              
                                 Grösste Geschwindigkeit
                                 km/St.
                                 120.
                                 
                                 
                              
                           5. 2/4
                              									gek. Schnellzuglokomotive „Boursay“ der französischen Staatsbahnen, gebaut als
                              									Zwillingsmaschine von Schneider & Cie., Creusot
                              									1897, Fabrik-No. 2646, umgebaut von den Bahnwerkstätten zu
                                 										Saintes 1904 zur Zweizylinder-Verbundmaschine, Betriebs-No. 2754, (Fig. 7a, 7b).
                           Diese Lokomotive war bereits 1900 in Paris ausgestellt, damals noch in ihrer
                              									ursprünglichen Form mit Zwillingsmaschine (D. p. J. 1903, 318, S. 164). Die damals durch Versuchs- und Betriebsfahrten in
                              									ausreichender Zuverlässigkeit gefundenen Ergebnisse, welche überraschenderweise
                              									sowohl hinsichtlich der Leistungsfähigkeit als auch hinsichtlich der Sparsamkeit zu
                              									ungunsten der Verbundmaschine ausfielen, scheinen auf die Dauer denn doch nicht
                              									stichhaltig geblieben zu sein – oder sollte es sich vielleicht nur um eine
                              									Versuchsausführung zum Zwecke der Erzielung von vergleichsfähigen Zahlen handeln?
                              									Wie dem auch sei, der Umbau ist in interessanter Form vollzogen worden und die neue
                              									Verbundmaschine ist der Beachtung wert, da die Steuerung neuartig ist. In diesem
                              									Gebiet haben sich die französischen Bahnen bekanntlich wiederholt hervorgetan:
                              									Schieber von Ricour, Steuerung von Durant-Lenchauchez, von Bonnefond usw.
                           Die hier in Rede stehende Maschine zeichnet sich aus durch die Steuerung von Nadal (Oberingenieur der französischen Staatsbahn).
                              									Durch getrennte Ein- und Ausströmung sollen die bekannten Fehler der
                              									Exzentersteuerung, herrührend aus der gegenseitigen Abhängigkeit dev Abschnitte der
                              									Dampfverteilung und besonders unangenehm durch die Zunahme der Kompression bei
                              									Abnahme der Füllung, vermieden werden. Gerade wie bei der Bonnefond-Steuerung, welche ebenfalls auf der französischen Staatsbahn zur
                              									Anwendung gelangt ist, und zwar bei den älteren 2/4 gek. Lokomotiven, sind auch jetzt
                              									wieder zwei Verteilungsorgane vorhanden, eines für die Einströmung, das andere für
                              									die Ausströmung; nur ist die Anordnung eine andere und der Antrieb glücklicher
                              									gewählt in kinematischer Beziehung. Es sind nämlich nebeneinander auf dem Rücken
                              									jedes Dampfzylinders zwei Kolbenschieber vorhanden, wovon der äussere die
                              									Einströmung bedient und von der Heusinger-Steuerung
                              									unmittelbar angetrieben wird. Das Ende des Kreuzkopfhebels ist mittels schwingenden
                              
                              									Hebels an einer kurzen Zwischenwelle
                           
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 321, S. 114
                              Fig. 6a. Heissdampf-Schnellzuglokomotive der belgischen Staatsbahnen.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 321, S. 114
                              Fig. 6b. Heissdampf-Schnellzuglokomotive der belgischen Staatsbannen.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 321, S. 114
                              Fig. 7a. Verbund-Schnellzuglokomotive der französischen Staatsbahnen.
                              
                           
                           aufgehängt, welche in einer parallelen Ebene wieder
                              
                              									mittels Hebels den Ausströmschieber antreibt. Die Schieber sind also miteinander
                              									steif gekuppelt, aber unabhängig voneinander so entworfen, dass ein bestimmtes
                              									Verhältnis der Dampfabschnitte für die verschiedenen Füllungen sich herstellt.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 321, S. 115
                              Fig. 7b. Verbund-Schnellzuglokomotive der franzosischen Staatsbahnen.
                              
                           Die Einströmung geschieht innerhalb, die Ausströmung ausserhalb der Schieber. Die
                              									Ausströmöffnungen sind so gelegt, dass Kompression und Voreinströmung zusammen den
                              									unveränderlichen Betrag von 12 v. H. des Kolbenhubes ausmachen; anderseits beträgt
                              
                              									das lineare Voreilen für Ausströmung unveränderlich 9 mm. Dem
                           
                              
                                 
                                 Zylin-der
                                 Fahrstellung
                                 
                              
                                 3
                                 4
                                 5
                                 voll
                                 
                              
                                 Abschnitte
                                 Füllung
                                 v. H.
                                 H. D. Z.N. D. Z.
                                 3242
                                 41,553
                                   53 63
                                   73  81
                                 
                              
                                 Lineares Voreilen   für Ausströmung
                                 mm
                                 H. D. Z.N. D. Z.
                                   9  9
                                   9  9
                                     9    9
                                     9    9
                                 
                              
                                 Kompression
                                 v. H.
                                 H. D. Z.N. D. Z.
                                 10  8,5
                                 10,5  9,5
                                   11  10,5
                                   11,75  11,75
                                 
                              
                                 Lineares Voreilen   für Einströmung
                                 mm
                                 H. D. Z.N. D. Z.
                                   6  9
                                   6  9
                                     6    9
                                     6    9
                                 
                              
                                 Voreinströmung
                                 v. H.
                                 H. D. Z.N. D. Z.
                                   3  3,5
                                   1,5  2,5
                                     1    1,5
                                     0,25    0,25
                                 
                              
                                 Hübe
                                 Einströmschieber
                                 mm
                                 H. D. Z.N. D. Z.
                                 7679
                                 8387
                                   91  98,5
                                 121140
                                 
                              
                                 Ausströmschieber
                                 mm
                                 H. D. Z.N. D. Z.
                                 4959
                                 6881
                                   87104
                                 148181
                                 
                              
                                 GrössteOeffnung
                                 Einströmschieber
                                 mm
                                 H. D. Z.N. D. Z.
                                 1014,75
                                 1329
                                   17  25,5
                                   33  45,5
                                 
                              
                                 Ausströmschieber
                                 mm
                                 H. D. Z.N. D. Z.
                                 33,7538
                                 42,548
                                   50  50
                                   50  50
                                 
                              
                           nur vom Schwingenstein aus erfolgenden Antrieb des
                              									Ausströmschiebers entsprechend, welcher durch ein veränderliches Exzenter mit dem
                              									Voreilwinkel Null ersetzt werden könnte, bleibt der Ausströmschieber in völliger
                              									Ruhe, wenn die Steuerung auf Mitte gestellt wird. Für eine Zwillingsmaschine würde
                              									sich eine solche Anordnung nicht eignen, wohl aber ist sie für eine Verbundmaschine
                              									sehr brauchbar, weil bei dieser die Hochdruckfüllung nicht unter 30 v. H.
                              									heruntergeht; auf einfachste Weise wird dadurch unveränderliche Kompression
                              									erreicht. Ueber die Steuerungsverhältnisse gibt vorstehende Tabelle eine Uebersicht;
                              									die Zahlen geben die Mittel aus den Beträgen für beide Kolbenseiten an.
                           Bei einem Zylinderraumverhältnis von 1 : 2,25 erhält der Niederdruckzylinder um 10 v.
                              									H. höhere Füllungen als der Hochdruckzylinder, etwas wenig für vorteilhaftes Fahren
                              									– der Niederdruckzylinder dürfte dauernd Vollfüllung erhalten nach den Ermittlungen
                              									von Kuhn (Z. d. V. d. I. 1902, S. 1108). Dieser
                              									Unterschied ist erreicht durch verschiedene Länge der Aufhängung des Steins: 575 mm
                              									N. D. Z. gegen 475 mm H. D. Z., und durch verschiedene Dekkungen: 25 mm N. D. Z.
                              									gegen 29 mm H. D. Z.
                           Für das Anfahren ist ein einfaches, vom Führer willkürlich zu bedienendes
                              									Umschaltventil vorgesehen.
                           Von der Lokomotive selbst ist zu erwähnen: Kessel mit tiefer Belpaire-Büchse zwischen den Triebachsen; Feuergewölbe und Kipprost;
                              									Rippen röhre. Englisches Drehgestell mit Seitenverschiebung. Rauchkammer und
                              									Führerstand als Luftschneiden.
                           Nach russischem Vorbild ist, wie auch bei den von den Baldwin
                                 										Locomotive Works für die französische Staatsbahn gelieferten 2/4 und ⅖
                              									gekuppelten Schnellzuglokomotiven, das Laufbrett (zur Begehung während der Fahrt?)
                              									mit einem Geländer versehen, und die ehemals hoch tönende kleine Pfeife (mit kleiner
                              									Glocke) durch die tief tönende (mit hoher weiter Glocke) ersetzt worden.
                              									Angestrichen war die Lokomotive in dunkel olivgrün, verziert mit schwarzen Streifen
                              									und mit vielen blanken Messingbändern. Die Räder waren schwarz gestrichen. In den
                              									Einzelheiten war die Ausführung sehr gut und sorgfältig. Die Hauptabmessungen
                              									sind:
                           
                              
                                 Zylinderdurchmesser
                                 mm
                                 440/660
                                 
                              
                                 Zylinderraumverhältnis
                                 
                                 1 : 2,25
                                 
                              
                                 Kolbenhub
                                 mm
                                 650
                                 
                              
                                 Triebraddurchmesser
                                 „
                                 2000
                                 
                              
                                 Kesselüberdruck
                                 at
                                 15
                                 
                              
                                 Heizfläche
                                 FeuerbüchseRohre (Serve)
                                 qm„
                                 11,1147,0
                                 
                              
                                 Heizfläche im Ganzen
                                 „
                                 158,1
                                 
                              
                                 Rostfläche
                                 „
                                 2,0
                                 
                              
                                 Achslasten
                                 GestellTriebachseKuppelachse
                                 t„„
                                 23,215,615,5
                                 
                              
                                 Dienstgewicht
                                 „
                                 54,3
                                 
                              
                                 Zugkraft (α =
                                    											0,42)
                                 kg
                                 4420
                                 
                              
                                 Grösste Geschwindigkeit
                                 km/St.
                                 100
                                 
                              
                           Die ausgestellte Lokomotive (Fig. 7b) ist versehen
                              									mit einem vom Kreuzkopflenker abgenommenen Antrieb der Schreibtrommel des Wattschen Indikators, eine von dem Zeichner Merry der französischen Staatsbahn entworfene
                              									Anordnung. Ferner ist sie mit dem registrierenden Geschwindigkeitsmesser von Flaman ausgerüstet. Beide Apparate sollen an anderer
                              
                              									Stelle noch besonders beschrieben werden.
                           
                              
                                 (Fortsetzung folgt.)