| Titel: | Die Weltausstellung in Lüttich 1905. | 
| Autor: | M. Richter | 
| Fundstelle: | Band 321, Jahrgang 1906, S. 244 | 
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                        Die Weltausstellung in Lüttich 1905.
                        Das Eisenbahnwesen, mit besonderer
                           								Berücksichtigung der Lokomotiven.
                        Von Ingenieur M.
                                 									Richter, Bingen.
                        (Fortsetzung von S. 230 d. Bd.)
                        Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in Lüttich
                           								1905.
                        
                     
                        
                           7. ⅖ gek. Schnellzuglokomotive der belgischen
                                 										Staatsbahnen, mit vierzylindriger Verbund-Nassdampfmaschine, gebaut von der
                              										Société Anonyme John Cockerill, Seraing
                              									(Belgien) 1905, Fabrik-No. 2480, Betriebs-No. 3312 (F-g. 12a und b).
                           Diese Maschine unterscheidet sich nur unwesentlich von dem französischen
                              									Vorbild, der „Orléans Type“. Dienstgewicht, Heizfläche, Rostfläche, äusserer
                              									Aufbau sind ziemlich genau dieselben. Belgischer Behandlungsweise entstammen nur
                              									folgende Eigentümlichkeiten:
                           Auf der Feuerkiste (Belpaire) sitzen hintereinander zwei Paar Wilson-Klotzsche Sicherheitsventile; die Hinterwand des Stehkessels ist
                              									geneigt, um im oberen Teil an Raum zu sparen. Das Drehgestell ist mit Westinghouse-Bremse versehen, in derselben Anordnung,
                              									wie alle neueren belgischen Bauarten; ein Gestell dieser Art ist für sich in der
                              
                              									Eisenbahnhalle ausgestellt (Hallenplan [Fig. 1] zwischen 2 . 1 und 4 . 1
                              									auf Gleise 3); es ähnelt sehr dem bei den sächsischen Schnellzuglokomotiven
                              									üblichen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 321, S. 244
                              Fig. 12a. Vierzylindrige Verbund-Schnellzuglokomotive der belgischen
                                 										Staatbahnen.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 321, S. 244
                              Fig. 12b.
                              
                           Dieses Gestell kennzeichnet sich durch inneren Rahmen mit unabhängigen Längsfedern
                              									über jeder Achsbüchse. Die Druckauflage geschieht genau in der Mitte mit Hilfe eines
                              									grösseren Halbkugelzapfens, der sich in eine mit Pendeln aufgehängte Wiege des
                              									Drehgestells legt, so dass Seitenverschiebung, nach jeder Seite 55 mm, möglich ist
                              									und die Rückstellung durch die von der verschiedenen Neigung der Pendel herrührenden
                              									Kräfte ohne weitere Hilfsmittel bewirkt wird. Zur Begrenzung des seitlichen
                              									Ausschlags und des Wankens (Pendelns um die Längsachse der Lokomotive) sind auf der
                              									Gestellquerplatte zu beiden Seiten der Wiege seitlich verschiebbare senkrechte
                              									Puffer vorgesehen, bestehend aus Hülse mit Gegenhülse und Wickelfeder als Einlage.
                              									Zwischen den beiden Rädern einer Seite liegt am Rahmen der zweikolbige
                              									Bremszylinder, der auf beide Räder wirkt. – Die Stützung der Lokomotive geschieht in
                              
                              									drei Punkten.
                           Bei der Ausbildung des grossen Versteifungskastens zwischen den
                              									Hochdruckzylindern ist auf die bequeme Zugänglichkeit zu der Kröpfwelle und dem
                              									inneren Triebwerk Rücksicht genommen worden. In der Behandlung des Federgehänges und
                              									anderer Elemente sind ebenfalls erprobte belgische Eigentümlichkeiten beibehalten.
                              									Der Sandstreuer geht nur vor die hintere Triebachse. Luftschneideflächen sind nicht
                              									vorgesehen.
                           Bei der eigentlichen Steuerung ist zu bemerken, dass für die Niederdruckmaschine an
                              									Stelle der sonst üblichen Geradführung für den Aufhängepunkt des Kreuzkopfhebels
                           eine Kreisbogenführung angewendet ist, welche von aussen hinter dem Rauchkammersattel
                              									bequem zu sehen ist.
                           Der Führer steht links. Die Umsteuerung ist eine für die Hoch- und
                              									Niederdruckmaschine gemeinsame Vereinigung von Hebel, Schraube und Dampftrieb,
                              									Bauart Flamme-Rongy, welche besondere Besprechung
                              									verdient. (Fig. 13a und b.) Quelle: „Les locomotives de l'État beige à l'Exposition de
                                 										Liège, von F. Matthei, Auszug aus dem
                              										„Bulletin du Congrès international des Ch. d. f.“ Sept. 1905.
                           In paralleler Anlage befinden sich hintereinander zwei Steuerhebel, H für die Hochdruckmaschine, N für die Niederdruckmaschine, an einem gemeinsamen Steuerbock, welcher
                              									aus zwei zusammenstossenden bogenförmigen Klinkensperren besteht; hinter diesen
                              									läuft die gemeinsame Steuerschraube mit Handrad und Sperrad durch, mit welcher je
                              									nach Belieben die beiden Hebel getrennt oder gleichzeitig durch Einschalten des
                              									verschiebbaren und drehbaren Gewindebackens mittelbar zum Eingriff gebracht werden
                              									können, unabhängig von der augenblicklichen Stellung der Hebel, – übrigens die
                              									klassische Einrichtung aller belgischen Lokomotiven, nur hier eben doppelt.
                           Nun sind aber die Stützpunkte Sh und Sn der Schalthebel H und
                              										N selbst nicht fest, sondern als Endpunkte zweier
                              									zweiarmiger Hebel Hl
                              									und N1 beweglich, und
                              									zwar sind sie als Zapfen ausgebildet. Erst die Stützpunkte Fh und Fn dieser letzteren Hebel sind an der senkrechten
                              									Steuerbockwand fest. Die oberen Arme der Hebel H1 und N1 sind zweifach; am kürzeren Arm greifen die
                              									Steuerzugstangen Zh und
                              										Zn an, welche durch
                              									die beiden zweiseitig wirkenden Dampfzylinder Dh und Dn hindurchführen; mit dem längeren Arm dagegen
                              									erfolgt die Führung des Gewindebackens (für den Spindeleingriff) am Steuerbock.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 321, S. 245
                              Fig. 13a. Umsteuerung Flamme-Rongy, ausgelegt.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 321, S. 245
                              Fig. 13b. Umsteuerung Flamme-Rongy beim Auslegen.
                              
                           Zur Bedienung der Dampfzylinder Dh und Dn befindet sich am Fuss der Steuerbockwand vorn und
                              									hinten je ein Dreiwegehahn Vh und Vn,
                              									welcher an eine Dampfleitung angeschlossen ist. Vh wird durch eine Zugstange bewegt, welche am
                              									Schalthebel H grade gegenüber dem Drehpunkt Dn angreift im Punkt
                              										Ph. Ebenso wird Vn durch den Hebel N betätigt von einem Punkt Pn aus, welcher dem Drehpunkt Fn gegenüber liegt.
                           Auf den Zapfen Sn ist
                              									noch ein zum Steuerhebel H parallel gelegter Hilfshebel
                              										Hl aufgesteckt,
                              
                              									welcher mittels Parallelogramm die Sperrklinke von H
                              									bewegen lässt und im übrigen nur den Zweck hat, H zu
                              									ersetzen, d.h. beide Hebel dem Führer gleich gut zugänglich zu machen.
                           Die Wirkungsweise und Behandlung dieser scheinbar sehr verwickelten Konstruktion ist
                              									in Wirklichkeit sehr einfach. Sobald der Führer z.B. den Hebel N ergreift, um ihn vorwärts zu stossen, öffnet sich
                              									infolge der Drehung des Hebels um Sn sofort der Hahn Vn; der Dampf strömt nach dem Zylindern Dn, und die Zugstange Zn bewegt sich vorwärts; dadurch dreht sich aber der
                              									Hebel SnFn um den Festpunkt Fn vorwärts, das untere
                              									Ende Sn geht also
                              									rückwärts, (denn nun ist für den Hebel N der Zahn in
                              									der Sperre der Drehpunkt); infolgedessen verschwindet der relative Ausschlag der
                              									Punkte Pn und Fn wieder, d.h. der
                              									Hahn Vn wird wieder
                              									geschlossen und deshalb die Steuerung festgestellt. Jedem von Hand hervorgebrachten
                              									Ausschlag entspricht somit sofort eine Bewegung der Steuerung, durch welche der
                              									Ausschlag wieder verschwindet und die Steuerung sich stellt. – Genau derselbe
                              									Vorgang findet natürlich auch statt, wenn vom Hilfshebel H1 aus der Hebel H betätigt wird.
                           Für die gegenseitige Aenderung der Füllungen, also für die Aenderung des
                              									Füllungsverhältnisses der beiden Maschinen, sowie für das Anfahren und besonders für
                              									das eigentliche Umsteuern wird die Vorrichtung in der besprochenen Weise bedient.
                              									Ist aber das Füllungsverhältnis eingestellt, und soll es bei einer Aenderung der
                              									Füllung sich selbst nicht ändern, so wird durch Einschalten der Spindelbacken die
                              									Steuerschraube gebrauchsfertig, welche durch die beiden Dampfzylinder ebenfalls
                              
                              									unterstützt wird. Geradezu spielend gehorcht das ganze Steuerungsgetriebe dem
                              									geringsten Befehl, und führt denselben augenblicklich aus, sogar wenn es sich darum
                              									handelt, die beiden Maschinen in voller Fahrt plötzlich umzusteuern; trotzdem ist
                              									aber die Selbsthemmung bezw. Sicherheit der Sperrung eine unbedingte.
                           Von dieser ⅖ gek. belgischen Schnellzuglokomotive bestehen bis jetzt nur wenige
                              									Stück; es ist überhaupt das erste Beispiel dieser Bauart in Belgien, wo die
                              									ungünstigen Längenprofile und immer schwereren Züge mehr zu der steigenden Anwendung
                              									der ⅗ gek. Lokomotive drängen. Von dieser besteht eine grössere Zahl verschiedener
                              									Bauarten, die teilweise ausgestellt waren. Hier zu erwähnen ist bei dieser
                              									Gelegenheit nur der Umstand, dass in grösserer Zahl die de
                                 										Glehnsche vierzylindrige Verbundmaschine bei der ⅗ gek. Gattung eingeführt
                              									worden ist als „Gattung 8“ der balgischen Staatsbahnen. Dieselbe ist jedoch
                              									nicht ausgestellt worden, da sie der beschriebenen ⅖ gek. Lokomotive beinahe
                              									gleicht; an Stelle der hinteren Laufachse ist eine Triebachse angebracht, und der
                              									Triebraddurchmesser beträgt statt 1,98 nur 1,80 m. –
                           Die Lokomotive war nicht in der Eisenbahnhalle, sondern in der Cockerillschen Maschinenabteilung ausgestellt, und zwar
                              									ohne ihren (dreiachsigen) Tender. Die Ausführung war mustergültig, die Ausstattung
                              									sehr schön. Zu dem vorzüglichen Eindruck trug nicht nur, von der konstruktiven
                              									Vollendung abgesehen, die Formgebung, sondern auch das Ausstellungsgewand, welches
                              									übrigens mit demjenigen des Betriebes übereinstimmte, bei: Kessel spiegelglänzend
                              									schwarzbraun, mit blanken Messingreifen und roten Einfassungen, Räder und Gestell
                              									dunkelbraun, – eine vornehme Einfachheit.
                           Zum Vergleich mögen hier die Hauptabmessungen der beiden
                              									„Atlantic“-Lokomotiven der Ausstellung zusammengestellt sein.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 321, S. 245
                              Franz. Nordbahn; Belg. Staatsbahn;
                                 										Zylinderdurchmesser; Kolbenhub; Zylinderraumverhältnis; Triebraddurchmesser;
                                 										Kesselüberdruck; Heizrohre (Serve); Anzahl; Länge (zw. Wänden); Durchmesser;
                                 
                                 										Heifläche; Rohre; Feuerbüchse; im Ganzen; Rostfläche; Dienstgewicht;
                                 										Reibungsgewicht; Zugkraft (α = 0,38); Grösste Geschwindigkeit
                              
                           
                              
                                 (Fortsetzung folgt.)