| Titel: | Der Wettstreit zwischen Geschütz und Panzer. | 
| Autor: | W. Treptow | 
| Fundstelle: | Band 321, Jahrgang 1906, S. 276 | 
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                        Der Wettstreit zwischen Geschütz und
                           								Panzer.
                        Von W. Treptow,
                           								Charlottenburg.
                        (Fortsetzung von S. 249 d. Bd.)
                        Der Wettstreit zwischen Geschütz und Panzer.
                        
                     
                        
                           Die Leistungsfähigkeit der Geschütze ist in den letzten Jahren in ganz
                              									ungeahnter Weise gestiegen. Das liegt vor allen Dingen an der richtigen Ausnutzung
                              
                              									der modernen Treibmittel. Was diese selbst anbelangt, sei auf den späteren Abschnitt
                              										„Munition“ verwiesen. Hier sei nur ihre Einwirkung auf die Ausbildung der
                              									Rohre, die vor allem in einer ganz ausserordentlichen Verlängerung besteht, an Hand
                              									des Diagramms (Fig. 7) besprochen. Ein schnell
                              									aufflammendes Pulver gibt sehr hohen, aber mit Fortschreiten der Bewegung des
                              
                              									Geschosses stark fallenden Druck. Die Wirkung auf das Geschoss und auf die
                              									Rohrwandungen ist sehr heftig stossweise. Das Rohr wird also sehr ungünstig
                              									beansprucht und trotz der geringen Länge l1 nicht genügend ausgenutzt. (Linie 1 in Fig. 7.) Wird
                              									dagegen ein (relativ) langsam brennendes Treibmittel benutzt, so ist die
                              									Beanspruchung des Rohres niedriger; auch nachdem das Geschoss sich in Bewegung
                              									gesetzt hat, werden soviel Gasmengen entwickelt, dass der Gasdruck bedeutend
                              									langsamer fällt (Linie 2). Es ist einleuchtend, dass
                              									ein Rohr von der Länge l1 die Triebkraft der Gase, die durch Linie 2
                              									dargestellt ist, nicht genügend ausnutzen würde, aber selbst bei dieser nicht
                              									passenden Länge wäre die Arbeit der Gase, dargestellt durch die Fläche, welche die
                              									Linie 2 mit der wagerechten und der senkrechten
                              									Längenbegrenzung einschliesst, mindestens ebenso gross wie das Arbeitsdiagramm der
                              									Kurve 1.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 321, S. 276
                              Fig. 7. Drucklinien der Pulvergase.
                              
                           Naturgemäss drängt die Betrachtung der Drucklinie 2 zur
                              									Verlängerung des Rohres, z.B. auf die Länge l2. Damit ist bei wesentlich günstigerer
                              
                              									Beanspruchung des Rohrmaterials infolge besserer Druckverteilung die Arbeit, die im
                              									zweiten Fall auf das Geschoss übertragen wird, ganz erheblich grösser als im ersten
                              									Fall. So ist es denn natürlich, wenn die Rohrlängen bis zur Grenze der Möglichkeit
                              									anwachsen, da die modernen Treibmittel an sich die Ausnutzung jeder denkbaren Länge
                              									gestatten würden, so dass die Länge nur durch Gründe der Handlichkeit begrenzt wird,
                              									wozu allerdings noch Rücksichten auf das Gewicht und auf die Durchbiegung zu langer
                              									Rohre kommen. Im übrigen kann bei richtiger Wahl des Treibmittels die
                              									Anfangsgeschwindigkeit, die dem Geschoss erteilt wird, als Funktion der Länge des
                              									Geschützrohres hingestellt werden. Die Bedeutung aber der hohen
                              									Anfangsgeschwindigkeit braucht nur angedeutet zu werden, um sich der Wurfparabel und
                              									der Formel für die „lebendige Kraft“ zu entsinnen. Aber die Geschwindigkeit
                              									ist ja nicht allein massgebend. Vor allem bedingt die starke Einwirkung des
                              									Luftwiderstandes ein nicht zu leichtes Geschoss, das bei angenähert gleicher
                              									Rohranstrengung eine grössere Anfangsgeschwindigkeit erhalten könnte, da die
                              									heutigen sehr grossen Kampfentfernungen auch noch Wirkung auf Schussweiten
                              									verlangen, die man früher für ausgeschlossen erachtet hätte. Dies ist aber nur mit
                              									genügend schweren Geschossen bei richtig gewählter Anfangsgeschwindigkeit
                              									erreichbar. Wie wichtig das sachgemässe Abwägen der beiden Faktoren ist, wird wohl
                              									am einfachsten durch einen Hinblick auf die Zeit der achtziger Jahre erläutert, wo
                              									man alles durch die Masse erreichen wollte und demnach das Kaliber bis zu
                              									Ungeheuerlichkeiten wie 41,3 cm in England und gar 43 und 45 cm in Italien
                              									steigerte, so dass ein einziges Rohr 106 ja 110 t und das Geschoss bis 900 kg wog!
                              									Für die besprochene Entwicklung der Geschütze bezüglich der Mündungsgeschwindigkeit,
                              									der Länge des Rohres und der Mündungsarbeit möge folgendes angeführt werden (vergl.
                              										Wille, Waffenlehre, 1901 und die ausführlichen
                              									Tabellen für Schiffsgeschütze in den letzten Jahrgängen von Weyers
                              									„Taschenbuch der Kriegsflotten“):
                           Die Länge der schweren Geschütze betrug um 1880 22–25 Kaliber, also für ein 30
                              									cm-Geschütz 6,60–7,50 m. Diese Länge stieg bis 1890 auf etwa 30–35 Kaliber, das sind
                              									9–10,5 m. Heute beträgt die Länge solcher Geschütze in der Regel 40, oft 45 Kaliber,
                              									d.h. 12 bis 13,5 m. Für leichte Geschütze (5,2 cm-Schnellfeuergeschütz) sind nach
                              									der „Marine-Rundschau“ Januar 1906 neuerdings sogar 55 Kaliber Länge in
                              									Aussicht genommen! Wille gibt für die Entwicklung des
                              										Kruppschen 24 cm-Geschützes die Zahlen der Tabelle
                              									S. 277.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 321, S. 276
                              Fig. 8. Trefferbild, (aus einem 30,5 cm-Geschutz auf 2500 m
                                 
                                 										erschossen).
                              
                           Mit der Leistungsfähigkeit des einzelnen Schusses ging das Bedürfnis nach Erhöhung
                              									der Feuerschnelligkeit – gestatteten doch die 100 t-Riesengeschütze nur alle 4–5
                              									Minuten einen Scluss, während die heutigen schweren Geschütze in der Minute ein bis
                              									zwei Schuss abgeben können – und naturgemäss auch nach Treffsicherheit Hand in Hand.
                              									Für die jetzige Treffsicherheit dürfte ein Bild (Fig.
                                 
                                 										8) genügen, das am 6. November 1900 auf dem Kruppschen Schiessplatz Meppen mit einem 30,5 cm-Küstengeschülz auf die
                              									Entfernung von 2500 m gegen
                           
                              
                                 Jahr
                                 RohrlängeKaliber
                                 Gewichtd. Rohres
                                 Geschoss-geschwindigkeit
                                 Mündungs-arbeit
                                 
                              
                                 
                                 
                                 t
                                 m
                                 mt.
                                 
                              
                                 1868
                                 20
                                 14,65
                                 350
                                 978
                                 
                              
                                 1878
                                 25
                                 18
                                 600
                                 2540
                                 
                              
                                 1884
                                 30
                                 19
                                 549(schweres Geschoss)
                                 3303
                                 
                              
                                 1890
                                 40
                                 31
                                 700
                                 5370
                                 
                              
                                 1899
                                 50
                                 28–31(leichte u. schwereRohre)
                                 1012–900(leichte u. schwereGeschosse)
                                 8490–8880
                                 
                              
                           eine senkrechte Scheibe erschossen ist. Die mittlere
                              									Höhenabweichung beträgt nur 28,9 cm, die mittlere Seitenabweichung 12,3 cm.
                           
                        
                           2. Die Verschlüsse.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 321, S. 277
                              Fig. 9. Keilverschluss.
                              
                           Die Feuergeschwindigkeit, oder richtiger gesagt die Bereitstellung des Geschützes zum
                              									Schuss (Ladeschnelligkeit) – denn die Abfeuerung muss stets momentan wirken – ist
                              									abhängig von dem geregelten Zusammenwirken einer ganzen Reihe von Faktoren. Dazu
                              									gehören die Richtvorrichtungen, die dem Geschütz oder dem ganzen Turm die
                              									Seitenrichtung und dem Rohre die Höhenrichtung geben, ferner die
                              
                              									Transportvorrichtungen für die Munition aus dem Aufbewahrungsraum bis in das
                              									Geschütz (Aufzug, Ladeschale, Ansetzer usw.) und vor allem der Verschluss. Letzterer
                              									um so mehr, als er gerade für die schweren Geschütze stets von Hand bedient wird,
                              									während die übrigen Vorrichtungen maschinell angetrieben werden; auch ist von dem
                              									genauen Funktionieren des Verschlusses die Sicherheit der Bedienungsmannschaft in
                              									erster Linie abhängig.
                           Unsere Geschütze haben durchweg den Keilverschluss. Andere Staaten (England,
                              									Frankreich, Nordamerika) bevorzugen den Schraubenverschluss. Ueber das Für und Wider
                              									beider Arten von Verschlüssen ist viel gestritten worden. Ich möchte nur auf „Nauticus“ 1903 und auf Wille, Waffenlehre, hinweisen. Letzterer bringt nicht nur eine
                              									eingehende Beschreibung aller ausgeführten Verschlüsse, sondern auch einen Vergleich
                              									der verschiedenen Arten mit ihren Vorteilen und Nachteilen. Kurz zusammengefasst
                              									lässt sich Keil und Schraube vielleicht wie folgt gegenüberstellen:
                           Der Keilverschluss hat den Vorteil der grösseren Sicherheit bei der Bedienung. Man
                              									kann sagen, er funktioniert so absolut sicher, wie eine technische Einrichtung
                              									überhaupt funktionieren kann. Das kann auch von den Gegnern des Keilverschlusses
                              									schlechterdings nicht bestritten werden, da kaum jemals ein Unglücksfall bei der
                              									Bedienung eines Geschützes vorgekommen ist, der direkt oder indirekt auf den
                              									Keilverschluss zurückzuführen wäre. Beim Schraubenverschluss dagegen liesse sich
                              									eine lange Liste derartiger Unfälle aufführen, die unmittelbar auf die durch keine
                              									Verbesserung zu beseitigende Natur des Schraubenverschlusses zurückzuführen sind.
                              									Der zweite Vorteil des Keilverschlusses liegt in der einfachen geradlinigen Hin- und
                              									Herbewegung, die er ausführt und in der daraus folgenden Einfachheit und
                              									Unzerstörbarkeit seiner Konstruktion. Es kann an dem Hauptteil, dem Keil selbst
                              										(Fig. 9), kaum eine Verletzung auftreten, die
                              									sein Weiterfunktionieren verhindert. Die Schraube dagegen ist in ihrem Gewinde durch
                              									grobe Stösse leicht zu verletzen, auch ist das Gewinde gegen Verunreinigungen
                              
                              									(Splitter, Staub, auch Pulvergase) recht empfindlich. Als Nachteil des Keiles ist
                              									anzuführen, dass das Bodenstück des Geschützes länger und schwerer wird als bei der
                              									Schraube. Bei gleicher Rohrlänge ist also die nutzbare Länge, der gezogene Teil
                              									kürzer oder mit anderen Worten, um gleiche Seelenlänge zu erhalten, muss das Rohr
                              									als Ganzes länger werden. Das ist auch insofern ein Nachteil, als die zu panzernde
                              									Fläche dadurch etwas vergrössert wird. Aber selbst das schwere Bodenstück hat noch
                              									einen Vorteil, das ist das grosse Hintergewicht, wodurch der lange, frei
                              									herausragende Rohrteil gut ausbalanciert wird und die Elevationsgrenzen erweitert
                              									werden.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 321, S. 277
                              Fig. 10. Einzelteile des Kruppschen Leitwellkeilverschlusses.
                              
                           Der Kruppsche Keilverschluss ist in Fig. 9 als Ganzes und in Fig. 10 in seinen Einzelteilen dargestellt. Der wagerechte Keil A wird durch eine mit Kurbel oder Handgriffen versehene
                              									Schraube, die sogenannte „Leitwelle“ (G, H, M
                              									Fig. 10), in einer
                              									Bewegung entriegelt und geöffnet, d.h. aus dem Keilloch herausgezogen. Das
                              									Schliessen und Verriegeln. sowie das Spannen des Schlosses erfolgt wiederum mit einer Bewegung der Kurbel. Die Leitwelle, die in eine
                              									am Rohr angeordnete Leitwellmutter eingreift und zugleich als Transportschraube wirkt, dient auch
                              									mit einem auf ihr sitzenden Bund zur Entrieglung und Verrieglung beim Oeffnen und
                              									Schliessen. Der Keil braucht also nicht mehr herausgezogen zu werden, was ihn früher allerdings etwas schwerfällig
                              									machte. Die in Fig. 10 aqsser den beiden
                              									Hauptteilen, Keil und Leitwelle, erkennbaren Teile sind der Schlagbolzen B, in welchem die Schlagbolzenfeder C bei zusammengesetztem Schloss liegt, das Spannstück
                              										D, der Sicherungsbolzen F, der am Schloss die gesicherte, oder die Feuerstellung anzeigt, die
                              									Abzugswelle B mit dem Abzug E1 und der Auswerfer K, der nach dem Abfeuern und Oeffnen des Verschlusses
                              									die Metallkartusche selbsttätig auswirft. Um eine zufällige Drehung der Handhebel
                              									der Leitwelle zu verhindern, greift der eine Handgriff M in eine Aussparung am Rohrkörper mit einer Sperrklinke ein, die sich
                              									beim Eingreifen der Handhebel selbsttätig auslöst. Der Verschlusskeil läuft auf
                              
                              									Rollen, er wiegt beim 21 cm-Geschütz 425 kg, beim 24 cm 650 kg, bewegt sich aber
                              									durch die Rollenführung und mit Hilfe der Leitwelle so leicht, dass ein Mann diese schweren Verschlüsse in der Minute zehnmal öffnen und schliessen kann. Die Bewegung des
                              									Keiles geht am Anfang der Oeffnungsbewegung, um den Kraftaufwand beim Lösen des
                              									Keiles (und umgekehrt beim Schluss) auf das Mindestmass herabzuziehen, langsam von
                              									statten, weil er zunächst durch eine Schraubenfläche von geringer Steigung (am
                              									Verrieglungsbund) bewegt wird, dann erst kommt das steile Gewinde der Leitwelle mit
                              									rascher Bewegung des Keiles zur Wirkung.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 321, S. 278
                              Fig. 11 u. 12. Schubkurbel-Keilverschluss von Ehrhardt; Fig. 11. Offen; Fig.
                                 										12. Geschlossen.
                              
                           Die gleiche Wirkung der geringen Geschwindigkeit bei der Schliess- und
                              									Oeffnungsbewegung, die eine gute Kraftübertragung auf den Keil beim Einpressen in
                              									das Keilloch und beim Lösen ermöglicht, wird bei dem Keilverschluss nach Fig. 11 und
                              										12
                              
                              									(von Heinrich Ehrhardt in Düsseldorf) durch einen Schubhebel erreicht. Auch bei diesem
                              
                              									Keilverschluss erfolgt das Oeffnen und Schliessen durch eine einzige Bewegung des
                              									Handhebels b, der unter Vermittlung eines Kurvenbogens
                              										c mit einem am Keil sitzenden Zapfen d derart zusammenarbeitet, dass der Angriffspunkt der
                              									Oeffnungskraft am Anfang der Bewegung (Fig. 12) dem Drehpunkt
                              									des Handhebels am nächsten steht (vergl. Fig. 11). Am Ende der
                              									Schliessbewegung tritt die Zunge f in die Aussparung
                              										G am Bodenstück, und verriegelt den Keil
                              
                              									selbsttätig, da sie zugleich vor den Keilansatz K
                              									getreten ist. Zu Fig. 11 und 12 ist noch zu
                              									bemerken, dass der Schnitt vorne durch die Seelenachse, hinten aber höher durch die
                              									Verrieglungszone gelegt ist. Dadurch ist der Ladeausschnitt, durch den Geschoss und
                              									Kartusche von hinten eingeführt werden, nur punktiert angedeutet.
                           Beim Schraubenverschluss muss, im Gegensatz zu der
                              									geradlinigen Bewegung des Keiles, die Schraube zunächst gedreht (gelöst), dann etwas
                              									zurückgezogen und schliesslich seitwärts geschwenkt werden (s. Fig. 13). Zu diesem
                              
                              									Zweck ist der Schraubenblock in einer „Tür“ (s. Fig. 15, Einzelteile rechts) drehbar gelagert. Wenn
                              									nun auch alle neueren Schraubenverschlüsse, der in England eingeführte von Vickers Sons & Maxim, der in Frankreich bei den
                              									schweren Schiffs- und Küstengeschützen eingeführte Verschluss der Fabrik von St. Chamond, so auch der in Fig. 13–15 dargestellte von Krupp, derart mit einem Handhebel versehen sind (s. Fig. 14), dass, nach
                              									Auslösen einer Sperrklinke beim Erfassen des Handgriffes, die genannten drei
                              									Bewegungen durch eine kontinuierliche Bewegung des
                              									Handhebels erfolgen, so wird doch gerade dadurch der Schraubenverschluss für die
                              									schweren Geschütze doch sehr kompliziert. Der Verschluss von Vickers hat etwa 50 Einzelteile, während der Keilverschluss (Fig. 10) 11 Teile hat. Dazu kommt, dass die Tür
                              									mitsamt dem Schraubenblock beim Schwenken in den Weg der Munition hineinschlägt;
                              									dadurch wird der Ansetzer oder gar die Hand des ladenden Kanoniers gefährdet, wenn
                              									der Verschluss zu früh zugeschlagen wird. Die gefährlichste Phase aber ist das
                              									Zuschlagen selbst; dabei haben sich schon mehrfach Unglücksfälle ereignet. Wenn
                              									beispielsweise die Kartusche nicht völlig eingeschoben ist, schlägt der
                              									Schraubenblock direkt auf sie auf. Irgend ein Fremdkörper, z.B., was schon
                              									vorgekommen ist, die beim letzten Schuss abgebrochene Schlagbolzenspitze, kann sich
                              									dann zwischen das Zündhütchen und den Verschlussblock so einstellen, dass die
                              									Explosion der Kartusche – selbstverständlich nach rückwärts, da ja vorne das
                              									Geschoss sitzt – im Augenblick des Zuschlages erfolgt, also bevor die Schraube noch
                              									gefasst hat oder verriegelt ist. Wird der Handhebel ferner beim Schliessen nicht
                              									völlig: bis zu Ende bewegt, so ist auch die Schraube noch nicht völlig geschlossen
                              									und nicht verriegelt; wird nun abgezogen, so wird der gesamte Verschluss nach hinten
                              									herausgeschossen. In der Regel ist die Bedienungsmannschaft dann vernichtet. Auf
                              
                              									solche und ähnliche Ursachen werden folgende Unfälle zurückgeführt:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 321, S. 278
                              Fig. 13. Schraubenverschluss offen; Fig. 14. Schraubenverschluss
                                 										geschlossen.
                              
                           Auf dem russischen Kriegsschiff „Sissoi Velicki“
                              									wurden durch solchen Unglücksfall am 15. März 1897 bei Kreta 33 Mann getötet oder
                              									schwer verwundet. Der ganze Geschützturm wurde zerstört, die Panzerhaube zertrümmert
                              									und fortgeschleudert. – An Bord des nord-amerikanischen
                              									Schlachtschiffes „Massachusetts“ wurden am 17. Januar 1903 aus gleicher
                              									Ursache fünf Mann getötet, vier verwundet. – Am 14. April 1902 ereignete sich ein
                              									ähnlicher Unfall auf dem englischen Linienschiff
                              										„Mars“ (elf Mann tot, sieben verwundet).
                           Die Liste liesse sich – leider! – durch eine ganze Reihe weiterer Angaben aus den
                              									genannten, oder aus der französischen oder spanischen Marine verlängern. Alle
                              									Geschütze hatten Schraubenverschlüsse. Mit absoluter Sicherheit lässt sich natürlich
                              									die Ursache oft nicht feststellen, denn meistens sind alle, die etwas angeben könnten,
                              									tot.
                           Kehren wir daraufhin noch einmal kurz zum Keilverschluss zurück, so sehen wir, dass
                              									hier der Verschlussteil nicht gegen die Kartusche
                              
                              										gegenschlagt, sondern dass er sich vielmehr an ihr
                              									glatt entlang schiebt. Steht sie so viel vor, dass sie von der Schraube beim
                              									Zuschlagen direkt getroffen werden würde, so wird sie hier von der abgeschrägten
                              									Keilfläche sanft in das Rohr hineingeschoben. Dadurch wird beim Keil mit der
                              									Benutzung von Metallkartuschen auch die einfachste und beste „Selbstliderung“
                              									(Abdichtung des Verschlusses) erzielt. Das Abziehen des Schlosses beim
                              									Keilverschluss kann erst stattfinden, wenn der Keil
                              									völlig eingeschoben ist, denn dann erst steht der Schlagbolzen zentrisch mit der
                              									Zündglocke der Kartusche. Beim Schraubenverschluss hat man Einrichtungen getroffen,
                              									um das Auftreffen der etwa vorstehenden Schlagbolzenspitze, oder das vorzeitige
                              									Abziehen, ehe die Schraube verriegelt ist, zu verhindern, beispielsweise, indem man
                              									den Schlagbolzen in der Schraube exzentrisch anordnet, so dass er erst im letzten
                              									Augenblick der Schlussdrehung vor die Zündglocke tritt. Oder es werden Sicherungen
                              									angeordnet, um das Schloss so lange zu sperren, bis der Verschluss völlig
                              
                              									geschlossen und verriegelt ist. Durch solche Sicherungen wird der Verschluss aber
                              									immer komplizierter. Zum Vergleich zwischen beiden Gattungen von Verschlüssen gab
                              									die Weltausstellung in Lüttich im Jahre 1905 eine
                              									ebenso seltene wie vorzüghiche Gelegenheit. Da standen dicht neben einander die Krupp sehen Geschütze mit dem Leitwell-Keilverschluss,
                              									der ja auch 1902 in Düsseldorf gezeigt wurde, und die
                              									französischen Geschütze der „Compagnie des Forges &
                                    											Aciéries de la Marine & d'Homécourt“ in St. Chamond mit dem Schraubenverschluss. Ich glaube, jeder, der
                              									Gelegenheit hatte, beide nacheinander zu studieren – und selbst zu bedienen – gewann
                              									wohl ebenso die Ueberzeugung von der Kompliziertheit des Schraubenverschlusses wie
                              									von der Einfachheit des Keilverschlusses.
                           Ein weiterer Nachteil des Schraubenverschlusses ist noch der, dass die schwere Tür
                              									sich nur mit Mühe zumachen lässt, sobald das Rohr eleviert ist, weil an Stelle des
                              									Schwenkens in wagerechter Ebene dann eine Hebung der Tür (mitsamt dem
                              									Schraubenblock) nötig wird.
                           Der Umstand, dass die Tür mitsamt der Schraube in den „Ladeweg“ hineinschlägt,
                              									ist früher schön erwähnt. Ein grosser Nachteil ist auch, dass, wenn die Schraube
                              									sich etwa nach dem Schuss festklemmt, was vorkommen kann, sie sich nicht leicht
                              									wieder lösen lässt, da nach Sperrung des Handhebels jeder Zugang zu der
                              									eigentlichen Schraube verschlossen ist. Klemmt sich der Keil, so kann man immer noch
                              									von der Gegenseite an ihn heran und kann von dort mit Schlägen die Oeffnungsbewegung
                              									unterstützen.
                           Der Vorteil der Schraube ist, wie schon beim Keil angedeutet, leichteres Bodenstück
                              
                              									und auch kürzeres Rohr bei gleicher nutzbarer Seelenlänge. Dieser Vorteil wird noch
                              									durch die jetzt allgemein angewendeten Stufenschrauben
                              
                              									erheblich gesteigert. Die Konstruktion dieser Art von Schrauben und ebenso die des
                              									zugehörigen Muttergewindes ist aus Fig. 13 und 15 deutlich zu ersehen. Die abgebildete Schraube hat
                              
                              									ein in zehn oder sechs Feldern abgestuftes Gewinde, bei dem die gleich breiten
                              									Felder stufenweise um eine Gewindetiefe höher sind. Zwischen den höchsten und
                              									tiefsten Feldern sind zwei vertiefte, einander gegenüberstehende, glatte Felder
                              									angeordnet, die das Einschieben des Schraubenblockes nach dem Schwenken gestatten.
                              									Die Stufenschraube erfordert nur eine – je nach der Zahl der Felder – ganz geringe
                              									Drehung, im vorliegenden Fall 1/12 oder ⅛ einer vollen Kreisdrehung. Die früher
                              									übliche Schraube musste in der Regel umgedreht werden. Die Hauptsache aber ist, dass
                              									die Stufenschraube – und damit das als Mutter dienende Bodenstück – weil sie mit
                              									einem grösseren Teil ihres Umfanges fasst, um so viel kürzer sein kann, als die
                              									gewöhnliche Schraube, die stets nur mit der Hälfte ihres Umfanges – die andere
                              									Hälfte muss wegen des Einschiebens gewindefrei bleiben – fassen kann. Das gibt für
                              									die Stufenschraube eine weitere Ersparnis an Länge und an Gewicht.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 321, S. 279
                              Fig. 15. Schraubenverschluss, Einzelteile.
                              
                           Ausschlaggebend aber für die Beurteilung beider Verschlüsse dürfte die Forderung
                              									einer möglichst hohen „Betriebs“sicherheit sein. Darin und in der
                              									Schnelligkeit der Bedienung steht der Keilverschluss obenan.
                           
                              
                                 (Fortsetzung folgt.)