| Titel: | Die Weltausstellung in Lüttich 1905. | 
| Autor: | M. Richter | 
| Fundstelle: | Band 321, Jahrgang 1906, S. 468 | 
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                        Die Weltausstellung in Lüttich 1905.
                        Das Eisenbahnwesen, mit besonderer
                           								Berücksichtigung der Lokomotiven.
                        Von Ingenieur M.
                                 									Richter, Bingen.
                        (Fortsetzung von S. 259 d. Bd.)
                        Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in Lüttich
                           								1905.
                        
                     
                        
                           10. ⅗ gek. Personenzuglokomotive der französischen
                              									Nordbahn, mit vierzylindriger Verbund-Nassdampfmaschine, gebaut von der Société Anonyme John Cockerill, Seraing (Belgien),
                              									1904, Fabriknummer 2459, Betriebsnummer 362 (Fig.
                                 										16a, b).
                           Diese, für die auf belgischem Gebiet liegenden, und deshalb mit „Nord Belge“ bezeichneten Strecken der
                              									französischen Nordbahn bestimmte Lokomotive ist von völlig gleicher Bauart, wie die
                              
                              									seit 1897 auf den französischen Strecken der Nordbahn laufende Klasse 3121 bis 3235
                              									und ist in Belgien durch die Nummer 321 bis 330, sowie 351 bis 362 vertreten; im
                              									ganzen laufen daher 137 Stück; die ersten 35 französischen waren von Grafenstaden geliefert.
                           Dieser Herkunft entsprechend, ist die Dampfmaschine de
                                 
                                 										Glehnscher Anordnung und damit stellt die Lokomotive ein Seitenstück dar zu
                              									der (unter No. 6 dieses Berichtes) bereits besprochenen Schnellzuglokomotive der
                              									Nordbahn. Während letztere für Flachland mit Steigungen bis 1/200, für Züge
                              									bis 350 t mit Beharrungsgeschwindigkeiten bis 120 km/St. als ⅖ gekuppelte ausgeführt ist,
                              									hat die ⅗ gekuppelte mehr für Hügelland, für schwere, häufiger haltende Personenzüge
                              									und Eilgüterzüge, mit Beharrungsgeschwindigkeiten bis 90 km/St. Verwendung.
                              									Ein Muster dieser Gattung war ebenfalls schon in Paris 1900 seitens der
                              									französischen Südbahn ausgestellt.
                           Von der Grösse der Triebräder und des Kessels, sowie der Kupplung der Hinterachse
                              
                              
                              
                              
                              
                              
                              
                              									abgesehen, ist die Konstruktion dieser Lokomotive bis in die Einzelheiten mit
                              									derjenigen der ⅖ gek.-Schnellzuglokomotive identisch, so dass auf eine nochmalige
                              									Beschreibung verzichtet werden kann.
                           Diese Lokomotiven, an der Zahl 22 auf den belgischen Linien, sind folgendermassen
                              									dienstlich beansprucht:
                           a) Lüttich–Givet achttägige
                              									Perioden für die Beförderung
                           
                              1. schwerer Schnellzüge. Zugsgewicht bis 300 t, Grundgeschwindigkeit 80
                                 										bis 90 km/St.
                                 										bei häufigem Anhalten,
                              2. schwerer Arbeiterzüge aus 24 Wagen mit sehr häufigen
                                 										Haltepunkten, wo 300 bis 400 Personen umgesetzt werden müssen; daher ist, um
                                 										Fahrzeit zu halten und trotz häufigen kleinen Verspätungen pünktlich
                                 										einzutreffen, sehr scharfes Anfahren Bedingung.
                              3. durchgehender Güterzüge, deren Gewicht bis 955 t gestiegen
                                 										ist, obwohl die Fahrzeiten bedeutend gekürzt worden sind. Gegenüber den alten
                                 											4/4 gek.
                                 										Güterzuglokomotiven bedeutet dies eine Erhöhung der Nutzlast um rund 40 v. H.,
                                 										eine Verminderung der Fahrzeit um rund 17 v. H., in dem z.B. die Strecke
                                 										Kinkempois–Namur bei 58 km Länge einschliesslich aller Aufenthalte nun in 2
                                 										Stunden (gegen 2 Stunden 25 Minuten früher) zurückgelegt wird; die
                                 										Beharrungsgeschwindigkeit ist 40 bis 45 km/st.,
                              4. eines Ausladegüterzuges von 300 t Gewicht auf der Strecke
                                 										Namur–Lüttich als Rückfahrt der Lokomotive eines schweren Güterzuges der
                                 										entgegengesetzten Richtung. Auch hierbei ist durch blosse Erhöhung der
                                 										Fahrgeschwindigkeit gegenüber den alten 3/3 gek. Lokomotiven eine Verkürzung
                                 										der Fahrzeit auf der 59 km langen Strecke um 1 Stunde 12 Minuten, d.h. um rund
                                 										18 v. H. eingetreten.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 321, S. 469
                              Fig. 16a. Vierzylindrige Verbund-Personenzuglokomotive der französischen
                                 										Nordbahn.
                              
                           Im grossen ganzen beträgt die Ersparnis an Fahrzeit 5 v. H., die Vermehrung des
                              									Zugsgewichts ebenfalls 5 v. H. bei den schwersten Güterzügen seit der Einführung
                              									dieser Lokomotivgattung.
                           b) Charleroi–Erquelines.
                              									Auf dem Bahnhof St. Martin dieser Linie sind 10 solche Lokomotiven stationiert für
                              
                              
                              
                              
                              
                              
                              
                              									die Beförderung schwerer durchgehender Kohlenzüge von Charleroi nach Tergnier. Damit
                              									sind die alten 48/4 gek. Güterzuglokomotiven ersetzt und die Zuglast ist um 15 v. H.
                              									gestiegen, der Kohlenverbrauch für 1000 Tonnenkilometer von 3,37 auf 2,18 kg
                              									gefallen, und an Mannschaft und Maschinen ist eine Ersparnis von 10 v. H.
                              									erzielt.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 321, S. 469
                              Fig. 16b. Vierzylindrige Verbund-Personenzuglkkomotive der französischen
                                 										Nordbahn.
                              
                           
                           Die Hauptabmessungen sind:
                           
                              
                                 Zylinderdurchmesser
                                 mm
                                 350/550
                                 
                              
                                 Kolbenhub
                                 „
                                 640
                                 
                              
                                 Zylinderraumverhältnis
                                 –
                                 1 : 2,46
                                 
                              
                                 Triebraddurchmesser
                                 mm
                                 1750
                                 
                              
                                 Kesselüberdruck
                                 at
                                 15
                                 
                              
                                 Heirrohre(Serve)
                                 AnzahlLange (zw. Wanden)Durchmesser
                                 –mm„
                                 107415565/70
                                 
                              
                                 Heizfläche
                                 Rohre (innen)Feuerbüchseim ganzen
                                 qm„„
                                 165,511,8177,3
                                 
                              
                                 Rostfläche
                                 „
                                 2,38
                                 
                              
                                 Dienstgewicht
                                 t
                                 61,7
                                 
                              
                                 Reibungsgewicht
                                 „
                                 44,3
                                 
                              
                                 Zugkraft (α =
                                    											0,4)
                                 kg
                                 6650
                                 
                              
                                 Grösste Geschwindigkeit
                                 km/St
                                 120
                                 
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 321, S. 470
                              Fig. 17a u. 17b. Vierzylindrige Verbund-Personenzuglokomotive der
                                 										französischen Ostbahn.
                              
                           Die Ausstattung dieser Lokomotive, deren Vorbild die im Jahre 1893 als erste ihrer
                              									Art von der Elsässischen Maschinenbaugesellschaft
                                 
                                 										Grafenstaden geschaffene Schwarzwaldlokomotive war, stimmte ebenfalls mit
                              									derjenigen der ⅖ gek. Schnellzuglokomotive der Nordbahn überein und unterschied sich
                              									deshalb nicht von der im Betrieb beibehaltenen („locomotives chocolat“,
                              									Anstrich schokoladenbraun mit gelb gemalten Zierstreifen; Triebwerk blank).
                           Abweichend jedoch ist die Stellung des Führers auf der rechten Maschinenseite und die
                              									entsprechende Lage der Umsteuerung.
                           11. ⅗ gek. Personenzuglokomotive, Serie X, Gattung
                              									67, der französischen Ostbahn, mit vierzylindriger Verbund-Nassdampfmaschine,
                              									gebaut von den Bahnwerkstatten Epernay, 1904,
                              									Fabriknummer 509, Betriebsnummer 3610 (Fig. 17a, b).
                           In bezug auf die Gesamtanordnung des Triebwerks hat man hier wieder die de Glehnsche Bauart vor sich, und in vielen
                              									wesentlichen Abmessungen und Gesichtspunkten stimmt diese Lokomotive überhaupt mit
                              									der vorigen überein. Seit 1897 sind nicht weniger als 210 Stück dieser Gattung
                              									gebaut worden, welche die Nummern 3401 bis 3610 tragen; es darf erwähnt werden, dass
                              									20 Stück, No. 3501 bis 3520 von Maffei-München 1902
                              									geliefert worden sind, und diese, sowie die letzten 30, No. 3581 bis 3610 sind zum
                              									Unterschied von den übrigen mit Kolbenschiebern auch für die Niederdruckzylinder
                              									ausgestattet.
                           Der massig hoch liegende Kessel (2,53 m über S.-O.) zeigt die gewöhnliche
                              									französische Bauart mit Belpairebüchse, Serve-Rohren und Feuergewölbe; Material des
                              									Kessels Flusseisen, das der Kiste Kupfer. Die schmale Kiste ist natürlich zwischen
                              									die Längsrahmen eingezwängt; der Rost ist im vorderen Teile kippbar. Ausser den 122
                              									Serve-Rohren sind zu beiden Seiten übereinander je vier glatte engere Rohre
                              									vorhanden, um an denjenigen Stellen der Rohrwand, welche erfahrungsgemäss am meisten
                              									dem Bruch ausgesetzt sind, grössere Stegstärke zu erhalten.
                           Der innen liegende Blechrahmen hat an Querversteifungen aufzuweisen: die vordere
                              									Pufferschwelle, das die Niederdruckzylinder enthaltende Gusstück zugleich als
                              									Rauchkammersattel ausgebildet, die Lagerplatte mit Führung des Drehgestells, tenen
                              									Stahlgusskasein zwischen den Hochdruckzylindern, den Gleitbahnträger der
                              									Hochdruckzylinder und eine mit diesem zum Kasten verbundene Blechwand vor der
                              									Feuerkiste, ferner eine senkrechte Wand hinter der letzteren und endlich den
                              									hinteren Kupplungskasten.
                           Der Drehgestellrahmen liegt ebenfalls innen. Der Zapfen, genau in der Längsmitte des
                              									Gestells gelagert, ist in ein gleichzeitig als Druckauflage dienendes Gleitstück aus
                              									Bronze eingelassen, welches in einer Querführung 55 mm Verschiebbarkeit nach beiden
                              									Seiten hat und durch gegenläufig wirkende Blattfedern rückgestellt wird. Die Federn
                              									der Triebachsen sind Blattfedern und von einander unabhängig unter den Achsbüchsen
                              									aufgehängt; diejenigen des Drehgestells, ebenfalls Blattfedern, sind miteinander
                              									durch Kniehebel mit Zugstange verbunden. Die Stützung der Lokomotive erfolgt somit
                              									auf sieben Punkten.
                           Die Hochdruckzylinder liegen wagerecht aussen und treiben die mittlere, die
                              									Niederdruckzylinder unter 1 : 13½ geneigt innen und treiben die vordere Triebachse;
                              									die Kurbeln jeder
                              									Seite sind aus Gründen des Massenausgleichs unter sich um 180° versetzt, die beiden
                              									Seiten gegeneinander um 90°. Die Niederdruckzylinder bilden zusammen mit den
                              									Schieberkästen, dem Rauchkammersattel, dem Zwischenbehälter und dem
                              									Anfahrventilgehäuse ein einziges Gusstück.
                           Sämtliche vier Schieber sind Kolbenschieber. Gegen die bisher üblichen Flachschieber
                              									bedeutet dies eine Verlängerung der Oeffnungen um 73 und 51 v. H., sowie eine
                              
                              									Vergrösserung der Querschnitte um 54 und 82 v. H. für die Hoch- bezw.
                              									Niederdruckzylinder.
                           Der Form der Schieber entsprechend geben die Dampfkammern zwei Dampfwege frei, einen
                              									vorderen und einen hinteren, und haben einen Durchmesser von 220 mm bei der
                              									Hochdruck- und von 300 mm bei der Niederdruckmaschine. Die Dampfwege selbst haben
                              									gegen die Zylinder zu wachsenden Querschnitt, um sich an die verschiedenen
                              									Geschwindigkeiten und Dichten des Dampfes anzupassen, jedoch so, dass nur die Höhe
                              									des Kanals zunimmt, während die Breite in der Längsrichtung des Schiebers konstant
                              									ist, und umgeben den Schieber ringförmig, um den ganzen Umfang auszunutzen.
                           Wie immer bei Kolbenschiebern, läuft aus Gründen der leichteren Herstellung,
                              
                              									Instandhaltung und des bequemen Ersatzes und Einpassens jeder Kolben in einer
                              									besonders eingesetzten Büchse aus Gusseisen, deren Abdichtung durch zwei
                              									eingetriebene Kupferringe erfolgt und durch einen Anzug von 3 : 10000 gesichert
                              									ist.
                           Die ringförmige Austrittsöffnung der Büchsen ist durch zickzackförmig angelegte
                              									Rippen in eine Anzahl von dreieckigen Ausschnitten zerlegt, wodurch gleichmässige
                              									Abnutzung der sich reibenden Teile erzielt werden soll; nur auf der unteren
                              
                              									Mantellinie ist eine gerade Rippe vorhanden, welche mit der Fuge der
                              									selbstspannenden Kolbenringe übereinstimmt.
                           Sehr leicht liess sich die innere Einströmung und äussere Ausströmung des Dampfes bei
                              									dieser Anordnung bewerkstelligen, wodurch der Wärmeaustausch zwischen den Einström-
                              									bezw. Arbeitsräumen und den Ausströmräumen wesentlich zu vermindern war und
                              									ausserdem die Schieberstopfbüchsen dem Hochdruck entzogen wurden. Damit hängt das
                              									doppelte Ausströmrohr ursächlich zusammen, so dass sich das Blasrohr aus vier
                              									Stielen zusammensetzt.
                           Die Kolbenschieber selbst bestehen naturgemäss aus zwei durch eine gemeinsame Hülse
                              									verbundenen Kolben mit je zwei gusseisernen Spannringen mit Bronzezwischenlage und
                              									Deckel; die durchlaufende Schieberstange lässt so viel Spiel in bezug auf radiale
                              									Einpassung, dass der Schieber sich leicht auf die Büchsen auflegen kann.
                           Jeder der vier Schieber wird durch eine besondere Heusinger-Steuerung betätigt, und die Umsteuerung kann für die Hochdruck-
                              									und Niederdruckmaschine gemeinsam oder für erstere getrennt erfolgen mit Hilfe einer
                              									Steuerschraube, welche derjenigen der französischen Nordbahn ähnlich ist (vergl.
                              										Fig. 9, S. 195).
                           Hier einige wichtige Abmessungen der Steuerung für beide Maschinen:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 321, S. 471
                              Hochdruck; Niederdruck;
                                 										Voreilwinkel; Exzenterhub; Grösster Schieberhub; Ueberdeckung für
                                 										Einströmöffnung; Einströmung; Ausströmung; Abwicklung; Breite; Ausströmöffnung;
                                 										Querschnitte; Kanäle; Rohre; Querschnittsverhältnis des Dampfkolbens zum;
                                 										Einströmkanal; Ausströmkanal; Einströmrohr; Ausströmrohr
                              
                           
                              
                                 (Fortsetzung folgt.)