| Titel: | Das maschinen-technische Unterrichtswesen auf der Jubiläums-Landesausstellung in Nürnberg 1906. | 
| Autor: | Karl Drews | 
| Fundstelle: | Band 321, Jahrgang 1906, S. 770 | 
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                        Das maschinen-technische Unterrichtswesen auf der
                           								Jubiläums-Landesausstellung in Nürnberg 1906.
                        Von Karl Drews,
                           								Ingenieur.
                        Das maschinen-technische Unterrichtswesen auf der
                           								Jubiläums-Landesausstellung in Nürnberg 1906.
                        
                     
                        
                           Einen besonders anziehenden Punkt der diesjährigen Landesausstellung in Nürnberg
                              									bildete die Unterrichtsausstellung im Gebäude des Bayrischen Staates.
                           Diese Ausstellung bezweckte, einen Ueberblick über das unter der Leitung der
                              									staatlichen Unterrichtsverwaltung stehende oder von ihr beaufsichtigte und
                              									unterstützte technische, realistische, gewerbliche und kunstgewerbliche
                              
                              									Unterrichtswesen zu geben. Privatunternehmungen mit geschäftlichem Charakter waren
                              									nicht vertreten.
                           Die Ausstellung umfasste 16 Gruppen, die in 32 mehr oder minder grossen Räumen recht
                              									übersichtlich untergebracht waren.
                           Ein Sonderkatalog mit Grundrissplan erleichterte wesentlich die Besichtigung.
                           Von dem reichhaltigen ausgestellten Material soll hier in Hinblick auf die Mehrzahl
                              									der Leser dieser Zeitschrift nur dasjenige der maschinen-technischen Schulen
                              									besprochen werden.
                           Als Aussteller kommen dann in Betracht die Maschinenbauabteilung der technischen
                              									Hochschule in München, die vier Industrieschulen, mehrere Maschinenbauschulen, die
                              									Fachschulen für Handwerker und die Fortbildungsschulen.
                           Von den Schulen mit gleicher Organisation hatte immer nur eine den Typus des
                              									Lehrganges vollständig dargestellt; die anderen waren nur mit Einzelleistungen
                              									vertreten.
                           Besonders hergestellte Paradeleistungen waren streng untersagt.
                           
                        
                           1. Die Technische Hochschule in
                                 										München.
                           Die Abteilungen für Maschinenbau und Elektrotechnik hatten eine reichhaltige
                              									Lehrmittelsammlung von Modellen und Photographien, Laboratoriumsapparate, und zur
                              									Illustrierung der konstruktiven und zeichnerischen Tätigkeit der Studierenden eine
                              									Anzahl von Skizzen und Studienzeichnungen aus den verschiedenen Gebieten des
                              									Maschinenbaues ausgestellt.
                           Der interessantere Teil dieser Ausstellung war zweifellos die Lehrmittelsammlung.
                           Diese enthielt eine grosse Anzahl sehr schön ausgeführter Modelle von
                              
                              									Maschinenteilen, Arbeits-, Wasserkraft- und Dampfmaschinen teils in Naturgrösse,
                              									teils in verkleinertem Masstabe; einige im betriebsfähigem Zustande. Zu den
                              									Lehrmitteln gehörten auch verschiedene photographische Bilder in grossem Format von
                              									Maschinenteilen, z.B. Riderschieber in verschiedenen Ansichten.
                           Das mechanisch-technische Laboratorium hatte gleichfalls eine Reihe von
                              									Gegenständen, die sich auf Materialprüfungen und deren Methoden bezogen,
                              									ausgestellt.
                           Die Tätigkeit der Studierenden war, wie dies ja nicht anders möglich ist, durch
                              									Konstruktionszeichnungen und Skizzen (teils diese selbst in Mappen, teils deren
                              									Photographien unter Glasrahmen) veranschaulicht.
                           Von diesen Zeichnungen auf die Leistungen der einzelnen Studierenden schliessen zu
                              									wollen, wäre etwas gewagt; denn wie weit hier Vorbilder benutzt worden sind, lässt
                              									sich ja nicht nachweisen. Allerdings könnte der aufmerksame und sachkundige
                              									Beschauer auch von der Wahl der Vorbilder, von der richtigen Verwendung schon
                              									ausgeführter Konstruktionseinzelheiten für den vorliegenden Zweck auf die
                              									Urteilsfähigkeit und das technische Verständnis des betr. Studierenden
                              
                              									schliessen.
                           Auf Seite 19 des Sonderkataloges wird darauf hingewiesen, dass die Studierenden bei
                              									ihren Konstruktionsübungen Anregung besser durch Modelle und Photographien
                              									ausgeführter Konstruktionen als durch Zeichnungen empfangen; weil in letzterem Falle
                              									leicht die Selbstständigkeit des Entwurfes leidet.
                           Dass eine solche Gefahr vielfach vorliegt, weiss ja ein jeder aus seiner eigenen
                              									Studienzeit; dies konnte man z.B. auch an einem der ausgelegten Blätter aus dem
                              									Lasthebezeugbau nachweisen, wo eine Sperradbremse ohne wesentliche Aenderungen aus
                              									den ebenfalls ausgelegten Skizzenbüchern des akademischen Ingenieurvereins entnommen
                              									war. Einige Studierende hatten sich auch im Bau von Dampfturbinen versucht.
                              									Interessant war ferner die Gegenüberstellung der Zeichnungen und Skizzen aus dem
                              									ersten Studienjahre bezüglich der Vorbildung der Studierenden, ob Gymnasium,
                              
                              									Realgymnasium oder Industrieschule.
                           Dass durchschnittlich der Industrieschüler dem Gymnasiasten weit überlegen ist, kann
                              
                              									natürlich nicht Wunder nehmen.
                           Aber jene Gegenüberstellung zeigt auch, dass der Absolvent eines Realgymnasiums
                              									demjenigen eines humanistischen Gymnasiums hinsichtlich der zeichnerischen
                              									Fertigkeit und des Raumvorstellungsvermögens immer noch überlegen ist.
                           Wer so recht Einblick darin haben wollte, wie viel noch für die Entwicklung des nicht
                              									nur für den Ingenieur, sondern auch für jeden Menschen so überaus wichtigen
                              									Anschauungsvermögens auf unseren Gymnasien zu tun bleibt, der brauchte nur die Mappe
                              									mit den Handskizzen der von einem Gymnasium kommenden Studierenden durchzusehen. Es waren
                              									teilweise böse, sehr böse Sachen darunter.
                           
                        
                           2. Die Industrieschulen.
                           Da Schulen dieser Art nur noch in Bayern bestehen und ihre jetzige Organisation wohl
                              									in absehbarer Zeit verschwinden wird, um einer zweckmässigeren Platz zu machen, so
                              
                              									erscheint ein näheres Eingehen auf die Eigenart, die Ziele und Leistungen dieser
                              									Anstalten auch im Rahmen dieses Berichtes wohl gerechtfertigt.
                           Die Industrieschulen sind Mittelschulen mit maschinen-, bau- und chemisch-technischen
                              									Abteilungen.
                           Sie unterscheiden sich nun von ähnlichen ausserbayrischen technischen Mittelschulen
                              									darin, dass ihr Lehrziel ein doppeltes ist. Sie bereiten nämlich ihre Schüler
                              									erstens in zwei Jahreskursen zur technischen Hochschule, zweitens in drei
                              									Jahreskursen unmittelbar für den Eintritt in die Praxis vor. Dieses ist so zu
                              									verstehen, dass dem Schüler die Wahl bleibt, nach zweijährigem Schulbesuch die
                              									Anstalt zu verlassen und zur Hochschule zu gehen, oder noch ein weiteres Jahr auf
                              									der Anstalt zu verbleiben.
                           Dieses dritte Jahr ist dann dem eigentlichen Fachstudium gewidmet.
                           Die Aufnahme erfolgt auf Grund des Reifezeugnisses einer sechsklassigen Realschule
                              									oder auf Grund einer entsprechenden Aufnahmeprüfung.
                           Die Berechtigung zum Studium an einer technischen Hochschule wird durch Ablegung
                              									einer Reifeprüfung erworben.
                           Die Schüler des dritten Jahreskursus können ebenfalls eine sogenannte
                              									Absolutorialprüfung ablegen.
                           Mit den Anstalten sind Lehrwerkstätten verbunden, deren Besuch für die Schüler der
                              									maschinentechnischen Abteilung obligatorisch ist.
                           Sie enthalten die hauptsächlichsten Metall- und Holzbearbeitungsmaschinen, eine
                              									Schmiede, eine Modellschreinerei und eine Giesserei.
                           Was bietet nun die Industrieschule ihren Schülern und welches ist deren Besitz an
                              									positiven Kenntnissen, wenn sie die Anstalt verlassen?
                           Wir müssen nach dem doppelten Lehrziel zwei Gattungen von Abiturienten unterscheiden:
                              									1. die nach zweijährigem Kursus zur Hochschule übertreten, 2. die nach dreijährigem
                              									Kursus unmittelbar in die Privatpraxis eintreten.
                           Beide Ziele der Schule sind gleichwertig; nicht etwa, dass die vorbereitende Bildung
                              									für die technische Hochschule Hauptziel und die Vorbereitung für die Praxis
                              									Nebenziel ist, wenngleich die Anzahl der Schüler des dritten Kursus an den vier
                              									Industrieschulen zusammen im letzten Jahre nur 28 betrug, wovon auf die Nürnberger
                              									Schule allein 14 entfallen.
                           Dieses sowie das Folgende gilt nur für die maschinentechnische Abteilung; bei der
                              									bautechnischen Abteilung der Nürnberger Schule betrug im Schuljahre 1904/1905 die
                              									Schülerzahl im dritten Kursus 5 gegen 18 im zweiten Kursus.
                           Bei der Betrachtung des Lehrplanes müssen wir die Tätigkeit der Schüler in der
                              									mechanischen Werkstätte ausschliessen, da diese nur als ein Anhängsel, als ein
                              									Verlegenheitsprodukt betrachtet werden muss.
                           Der Unterricht in den beiden ersten Jahren ist in der Hauptsache allgemein bildender
                              									Natur, indem die Industrieschule nach dem Wortlaut ihres Programms den Zweck hat,
                              									die erziehliche Aufgabe der Realschule fortzusetzen.
                           An sprachlichen Fächern weist der Lehrplan auf: Deutsch, Französisch, Englisch. Dazu
                              									kommt noch Geschichte und Religion.
                           Die Stundenzahl für diese Fächer gegen diejenige für die
                              									naturwissenschaftlich-mathematischen und zeichnerischen scheint mir im grossen
                              									ganzen dem Zweck der Schule entsprechend richtig abgewogen zu sein.
                           Im ersten Jahre verhalten sie sich wie 12 : 19, im zweiten wie 1 : 2. Im dritten
                              									Jahre fallen natürlich die sprachlich-historischen Fächer ganz fort.
                           Dem eigentlichen Fachstudium auf der Hochschule ist durch den Unterricht in den
                              									Maschinenteilen und im Maschinenzeichnen vorgegriffen, wozu man auch wohl die
                              									Mechanik rechnen kann.
                           Dass eine solche Vorbildung für das Studium der technischen Wissenschaften wohl
                              									geeignet erscheint, kann ohne weiteres zugegeben werden.
                           Im Hinblick auf ihr erstes Lehrziel schliessen sich die Industrieschulen den anderen
                              									allgemeinbildenden Unterrichtsanstalten an; ein Vergleich mit den technischen
                              									Mittelschulen ist hier nicht angebracht.
                           Erst mit dem dritten Jahreskursus treten sie aus dem Rahmen allgemein bildender
                              									Anstalten heraus und ergreifen die Aufgaben der eigentlichen Fachschule.
                           Der Industrieschule als Mittelschule mit dreijährigem Kursus entspricht in Preussen
                              									die höhere Maschinenbauschule mit zweijährigem Kursus.
                           Denken wir uns die gesamte Unterrichtsdauer auf ein Semester zusammengedrängt, so
                              									erhalten wir für die Anzahl der Wochenstunden in den einzelnen Fächern an beiden
                              									Schulen folgende Zahlen:
                           
                              
                                 Fach
                                 Wöchentl. Stundenzahl
                                 
                              
                                 
                                 Preuss. höh.Maschinen-bauschule
                                 Industrie-schule
                                 
                              
                                 Mathematik
                                 18
                                 18
                                 
                              
                                 Physik u. physikalisches Praktikum
                                   6
                                 11
                                 
                              
                                 Chemie
                                   4
                                   0
                                 
                              
                                 Mechanik
                                 17
                                   6
                                 
                              
                                 Darstellende Geometrie
                                 10
                                   7
                                 
                              
                                 Elektrotechnik
                                   9
                                 22
                                 
                              
                                 Maschinenteile
                                 11
                                   8
                                 
                              
                                 Maschinenkunde
                                 20
                                 16
                                 
                              
                                 Zeichnen von Maschinenteilen
                                 18
                                 26
                                 
                              
                                       „         „   Werkzeugmaschinen
                                   4
                                   0
                                 
                              
                                 Konstruktionsübungen aus dem Gebiet    der Maschinenkunde
                                 16
                                 14
                                 
                              
                                 Bauzeichnen
                                   6
                                   5
                                 
                              
                                 Technologie einschl. Werkzeugma-    schinen und Hüttenkunde
                                 12
                                   6
                                 
                              
                                 Baukonstruktionslehre
                                   6
                                   2
                                 
                              
                                 Maschinentechnisches Laboratorium
                                   8
                                   4
                                 
                              
                           Man sieht aus dieser Zusammenstellung, dass beide Anstalten bestrebt sind, ihren
                              									Schülern zum Eintritt in die Praxis ziemlich das gleiche technische Wissen, die
                              									gleiche fachliche Schulbildung zu geben.
                           Der Industrieschüler ist dem Schüler einer Maschinenbauschule hinsichtlich der
                              									sprachlichen Kenntnisse überlegen; er steht diesem aber weit nach in der praktischen
                              									Werkstattätigkeit, und das ist ein sehr schwerwiegender Mangel.
                           Die sprachlichen Kenntnisse kann man sich sehr wohl ausserhalb der Schule zum Teil
                              									schneller und besser erwerben. Die praktische Werkstattätigkeit nachzuholen, dürfte
                              
                              									schon schwerer sein.
                           Die Lehrwerkstätten der Industrieschule bieten dafür weder in qualitativer noch in
                              									quantitativer Hinsicht auch nur annähernd einen Ersatz.
                           Von dem Schüler einer höheren Maschinenbauschule wird bei seinem Eintritt eine zwei-
                              									bis dreijährige Werkstattpraxis verlangt.
                           
                           Nehmen wir jährlich 300 Arbeitstage zu je 8 Stunden an, so gibt das 4800–7200
                              									Arbeitsstunden.
                           Der Schüler einer Industrieschule arbeitet in den ersten beiden Jahren vier Stunden,
                              									im dritten Jahr sechs Stunden wöchentlich in den Schulwerkstätten. Da die jährlichen
                              									Ferien ungefähr 12 Wochen betragen, so hat der Schüler in den drei Jahren etwa 560
                              									Arbeitsstunden auf seine praktische Ausbildung verwandt.
                           Aber diese Unzulänglichkeit der praktischen Tätigkeit besteht nicht nur in
                              									quantitativer, sondern auch in qualitativer Beziehung. Lehrwerkstätten können
                              									niemals dem angehenden Ingenieur die Fabrikwerkstätte ersetzen.
                           Der Zweck der praktischen Tätigkeit ist für diesen ein ganz anderer als für den
                              									Handarbeiter; für den Handarbeiter ist die manuelle Fertigkeit die Hauptsache, und
                              									diese kann er sich sehr wohl in einer Lehrwerkstätte erwerben.
                           Für den Ingenieur oder Techniker tritt die manuelle Fertigkeit in hohem Masse zurück
                              									gegen höhere Gesichtspunkte wie allgemeine Kenntnis der Arbeitsmethoden, der
                              									Arbeitsvorgänge, der vorteilhaften Benutzung von Werkzeugmaschinen, der zur
                              									Verwendung kommenden Materialien usw.; alles Dinge, deren Kenntnis seine spätere
                              									schaffende Tätigkeit erst fruchtbar machen.
                           In den Lehrwerkstätten lernt der Eleve nur handwerksmässige Arbeitsmethoden, in den
                              									Werkstätten der Industrie aber fabrikmässige kennen.
                           Wohl muss der Eleve, wenn er seine Aufgabe recht erfasst, tüchtig mit zugreifen; „kid gloves are perfect nonconductors of technical
                                    											knowledge“, sagte einst sehr hübsch ein hervorragender Ingenieur;
                              									aber die Hauptsache bleibt doch, dass jener sich an den Dunstkreis der
                              									Fabrikwerkstätte gewöhnt, sich gewöhnt, ein Ding nicht nur überhaupt herzustellen,
                              									sondern auch in der kürzesten Zeit und mit den geringsten Kosten herzustellen. Hier
                              									schon soll er die eminent wirtschaftliche Seite seiner späteren Tätigkeit erkennen;
                              
                              									je fester er hier Wurzel schlägt, um so fruchtbarer wird sein späteres Schaffen
                              									sein. Lehrwerkstätten erfüllen diesen Zweck in keiner Weise. Ihr Nutzen steht in
                              									keinem Vergleich zu den Kosten, die sie dem Staat verursachen; sie sind nur ein
                              									Surrogat für die Fabrikwerkstätte.
                           Wohl steht es dem Abiturienten einer Industrieschule frei, vor dem Eintritt in die
                              									Praxis noch eine Zeitlang in einer Fabrikwerkstätte zu arbeiten. Aber ob dies viele
                              									tun werden, wage ich sehr in Zweifel zu ziehen; man müsste nicht den Widerwillen
                              									vieler unserer jungen Leute gegen körperliche Arbeit kennen. Zudem wird eine solche
                              									Beschäftigung von Jahr zu Jahr kostspieliger für die beteiligten Eltern. Alles in
                              									allem ist demnach die fachliche Ausbildung eines Abiturienten einer staatlichen
                              									Maschinenbauschule eben infolge der viel längeren Werkstattätigkeit eine bessere und
                              									zweckmässigere als diejenige eines Abiturienten einer Industrieschule. Es muss
                              									jedoch hinzugefügt werden, dass die Ausbildung des ersteren vier Jahre gegen drei
                              									Jahre bei dem letzteren dauert.
                           Einen sehr grossen Vorteil besitzt indes die Industrieschule in der einheitlichen und
                              									zweckentsprechenden Vorbildung ihrer Schüler, ein Vorteil, der nicht in letzter
                              									Linie den Lehrern zugute kommt.
                           Wenden wir uns nun zu der Ausstellung der Industrieschulen.
                           Von den vier bestehenden Anstalten dieser Art gab die Nürnberger durch die
                              									ausgestellten Lehrer- und Schülerarbeiten, Modelle, Apparate usw. ein
                              									wohlabgerundetes Bild ihres Lehrganges, ihrer Lehrmittel und, soweit dies im Rahmen
                              									einer Ausstellung möglich ist, auch ein Bild ihrer Leistungen.
                           Jeder Jahreskursus hatte eine Anzahl von Zeichnungen ausgestellt.
                           Die Blätter des ersten Kursus enthielten Werkstattzeichnungen nach Modellen.
                           Mit der Auswahl der als Vorlage dienenden Modelle für diese Stufe kann man sich nur
                              									teilweise einverstanden erklären.
                           Ich halte wenigstens einen Proellschen Regulator, einen
                              									Dampfzylinder mit Steuerung u.a.m. in dem ersten Unterrichtsjahr, wo doch lediglich
                              									die zeichnerischen Fähigkeiten entwickelt, das richtige, sich eng an den
                              									Arbeitsvorgang anschliessende Einschreiben der Masse gelernt werden soll, für
                              									ungeeignet als Aufnahmeobjekte.
                           Der Schüler soll doch den Gegenstand, den er zeichnet, auch verstehen, über den Zweck
                              									jedes einzelnen Teiles der Konstruktion im klaren sein. Mit dem Sehen allein ist es
                              									noch nicht getan; der Schüler soll von vornherein schon wissen, was er an dem
                              									Gegenstand sehen muss, wenn die an und für sich mechanische Messarbeit bei einer
                              									Modellaufnahme sich zu einer geistigen Arbeit erheben soll.
                           Jeder Lehrer wird die Erfahrung gemacht haben, dass, wenn zehn Schüler ein und
                              									dasselbe Modell aufnehmen, die Aufnahmeskizzen auch zehn nach Formgebung und
                              									Abmessungen verschiedene Gegenstände aufweisen. Das Verständnis für das, was der
                              									Schüler an einem Gegenstande sehen muss, muss erst geweckt werden; das geschieht
                              									aber besser an einfachen als an vielfach zusammengesetzten Modellen.
                           Ob dieses Verständnis schon bei den Schülern, die die beiden obengenannten Blätter
                              									gezeichnet haben, vorhanden war, möchte ich füglich bezweifeln, zumal sie erst am
                              									Beginn ihrer praktischen Werkstattätigkeit standen.
                           Bei Verzahnungen ist stets ein besonders scharfes und genaues Zeichnen
                              									erforderlich.
                           Darauf schien mir bei einzelnen Blättern nicht die genügende Sorgfalt gelegt zu sein,
                              									denn an einigen Stellen musste den Zahnflanken Gewalt angetan werden, um nicht
                              									miteinander in Kollision zu kommen.
                           Der zweite Jahreskursus hatte Zeichnungen von Maschinenteilen ausgelegt von denen man
                              									wohl annehmen kann, dass einzelnes von den Schülern nach Angaben des Lehrers oder
                              									nach einem Vorbilde selbständig konstruiert worden ist. Auch dem Bereiche der
                              									Elektrotecknik waren einige Blätter entnommen, z.B. Bürstenhalter, Schalter,
                              									Messinstrumente usw.
                           Am meisten interessierten natürlich die Arbeiten des dritten Kursus, die uns, wenn
                              									nicht immer über das Können, so doch über die konstruktive und zeichnerische
                              									Tätigkeit der Schüler vor ihrem Eintritt in die Praxis Aufschluss gaben.
                           Bei der Beurteilung der Zeichnungen des dritten Kursus muss man stets das Lehrziel
                              									der Industrieschule als Fachschule im Auge behalten. Dieses ist die Fachausbildung
                              									von Technikern für die mittleren Stellen der Praxis. Von diesen wird in erster Linie
                              									verlangt, dass sie Einzelteile von Maschinen sachgemäss berechnen und entwerfen
                              									können.
                           Damit ist auch dem Konstruktionsunterricht an der Industrie- wie an jeder technischen
                              									Mittelschule Weg und Ziel gegeben.
                           Keine pompösen Entwürfe ganzer Maschinen oder gar Maschinenanlagen, keine
                              									Bilderstellerei! Dazu ist die Zeit viel zu knapp bemessen und zu kostbar.
                           Entsprechend den ihnen in der Praxis zufallenden Aufgaben sollten die Schüler
                              									hauptsächlich die Detaillierung von Maschinen durchführen. Saubere Zeichnung,
                              
                              									richtige Formgebung, gewissenhafte und zweckmässige Masseintragung, sichere Rechnung
                              									und nicht zuletzt flottes Arbeiten sind die Tugenden, die der Industrielle in erster
                              									Linie an seinen technischen Hilfskräften zu schätzen weiss nicht „grosse
                                 										Ideen“.
                           
                           Wer da weiss, wieviel Arbeit und Aerger das Fehlen dieser Eigenschaften bei
                              									seinen Hilfskräften dem Vorgesetzten bereitet, der wird es verstehen, wenn diese
                              									über die ungenügende Vorbildung des Nachwuchses klagen. Wohl ist es wünschenswert,
                              									dass der Schüler auch eine oder zwei vollständige Maschinen entwirft, nur ist die
                              									Auswahl so zu treffen, dass sich das meiste an ihnen rechnerisch festlegen lässt,
                              									dass solche Maschinen, die an die praktische Erfahrung des Konstrukteurs besonders
                              									grosse Ansprüche stellen, davon ausgeschlossen sind.
                           Einzylinderdampfmaschinen, Kolbenpumpen, Lasthebemaschinen eignen sich hierzu am
                              									besten, schon deshalb weil die meisten Einzelteile derselben den Schülern aus dem
                              									Unterricht in dej Maschinenelementen bekannt sind. Selbstverständlich müssen alle
                              									Details vorher sorgfältig durchkonstruiert werden, wenn die Gesamtanordnung mehr als
                              									eine zeichnerische Uebung sein soll.
                           Ungeeignet für diesen Zweck sind Gasmaschinen, Dampf- und Wasserturbinen,
                              									Zentrifugalpumpen u.a.m. Bei diesen spielt die Erfahrung und das lang geübte
                              									Konstruktionsgefühl für richtige Abmessungen und Formgebung eine viel zu grosse
                              									Rolle als dass der Schüler – und auch in den meisten Fällen der Lehrer – mit
                              									Bewusstsein die Aufgabe durchführen könnte.
                           Der Fachmann wird sich durch solche Arbeiten an einer technischen Mittelschule nicht
                              									blenden lassen; er wird sie vielmehr mit sehr skeptischen Augen betrachten. Der
                              									Schulfachmann namentlich wird über solche Blender lächeln; ihm ist die gut und bis
                              									aufs kleinste genau durchgeführte Werkstattzeichnung eines Dampfzylinders,
                              									Kurbelwellenlagers, einer Seiltrommel usw. ein weit höherer Gradmesser für die
                              									Leistungsfähigkeit beider, des Schülers und auch des Lehrers, als der grosstuerische
                              									Entwurf einer Turbine oder dergl.
                           Nimmt man nun den hier skizzierten Standpunkt ein, so konnten die ausgestellten
                              									Konstruktionszeichnungen des dritten Jahreskursus nur teilweise befriedigen, denn
                              									ich kann mir nicht denken, dass z.B. die Zentrifugalpumpe, die Turbine, der Hartung-Regulator u.a.m. selbständige Arbeiten sind.
                              									Man muss doch bedenken, dass ein Schüler, der nach dem zweiten Kursus zur
                              									Hochschule geht, sich erst nach zwei Studienjahren an solche Sachen wagt, während
                              									sein Mitschüler, der auf der Industrieschule bleibt, dies schon nach kaum einem
                              									halben Jahre tut.
                           Zu blossem Abzeichnen ist die Zeit aber zu kostbar.
                           Dass es sich bei einigen Blättern des dritten Kursus nur um rein zeichnerische
                              									Arbeiten, um Bildermalerei handelte, konnte man an zwei Beispielen ohne weiteres
                              									nachweisen.
                           Blatt 12 des dritten Kursus enthielt eine Einzylinderdampfmaschine 160 Zyl.-Durchm.
                              									Diese Maschine ist nun einfach aus dem von der Schule herausgegebenen Skizzenbuch
                              									für Maschinenkunde, das sich in einem der Glaskästen befand, abgezeichnet und zwar
                              									in derselben Blattanordnung und derselben Massanordnung.
                           Dasselbe gilt von dem Ringschmierlager auf Blatt 5 des zweiten Kursus.
                           Das ist Zeitverschwendung. Solches rein mechanische Zeichnen, wobei der Schüler auch
                              									nicht die geringste geistige Arbeit leistet, hat doch wahrlich keinen Sinn.
                           Man kann es sich ja denken, wie wenigstens die obige Dampfmaschine entstanden ist.
                              									Jedenfalls hatte der betr. Schüler schon mehrere andere Konstruktionen entworfen;
                              									die Zeit war knapp geworden, eine Dampfmaschine oder doch Teile davon gehören
                              									sozusagen zum guten Ton, also flugs ein hübsches Bild gemalt. Den andern
                              
                              									Studienblätter, die aus dem Rahmen der Mittelschule nicht heraustraten, konnte man
                              									nicht die Anerkennung vorenthalten, dass sie sauber und sachgemäss durchgeführt
                              									waren.
                           Der Elektrotechnik scheint man an der Nürnberger Industrieschule eine Vorzugsstellung
                              									eingeräumt zu haben, was sich schon in der Verteilung der Stundenzahl ausdrückt. Im
                              									ganzen 22 Wochenstunden gegen 9 an den preussischen Maschinenbauschulen.
                           Dies geschieht namentlich auf Kosten der Technologie; ob dies gerade im Hinblick auf
                              									die geringe praktische Werkstattätigkeit der Schüler richtig ist, kann man stark in
                              									Zweifel ziehen.
                           
                              
                                 (Schluss folgt.)