| Titel: | Die Deformation der Kabelwelle und die Mittel zu ihrer Korrektur. | 
| Autor: | Hans Bourquin | 
| Fundstelle: | Band 324, Jahrgang 1909, S. 25 | 
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                        Die Deformation der Kabelwelle und die Mittel zu
                           								ihrer Korrektur.
                        Von Hans Bourquin.
                        Die Deformation der Kabelwelle und die Mittel zu ihrer
                           								Korrektur.
                        
                     
                        
                           Die folgende Darstellung- hat nicht den Telegraphenbetrieb im Auge, wie er auf
                              									transozeanischen Kabeln ausgeführt wird, wo die Leitung an beiden Enden durch
                              									Kondensatoren abgeschlossen ist, und wo mit ganz kurzen Stromstößen in
                              									alternierender Richtung gearbeitet wird. Wir denken vielmehr bei unserer Ausführung-
                              									an den Betrieb der großen unterirdischen Telegraphenleitungen der deutschen
                              									Reichspostverwaltung. Hier wird mit Gleichstrom gearbeitet; man wendet die
                              									gewöhnliche Morseschaltung- an; die beiden Elemente der Morseschrift werden durch
                              									kurze und lange Tastungen hervorgerufen. Als Empfänger dient das polarisierte Relais
                              									kleiner Form.
                           Die Verhältnisse des wachsenden, bezüglich abnehmenden Stromes am empfangenden Ende
                              									sind von dem Elektriker Lord Kelwin auf das
                              									eingehendste berechnet worden. Sehen wir uns erst die Verhältnisse an, wenn am
                              									absendenden Ende dauernd, bezüglich sehr lang, getastet würde. Die Ordinate – die
                              									wechselnde Stromstärke werde als Kurve dargestellt – wächst zuerst akzelerierend.
                              									Sehr bald zeigt die Kurve aber eine Inflexions-Stelle, und nun wächst die Ordinate
                              									retardierend und nähert sich ohne Ende dem Maximalwert, der ihr nach dem einfachen
                              										Ohmschen Gesetz zukommt. (Stromstärke = Spannung
                              									durch Widerstand.) Die Tangente an diese höchste Stelle der Kurve würde also eine
                              									Asymptote sein. Praktisch betrachtet wird natürlich die Stromstärke schon sehr bald
                              									einen Wert erreichen, über welchen sie nicht mehr wesentlich hinausgeht.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 324, S. 24
                              Fig. 1.
                              
                           Im Interesse der Telegraphiergeschwindigkeit wird man die Entwicklung der Kurve
                              									möglichst früh abbrechen, und nur eben dafür sorgen, daß die Apparate ansprechen.
                              									Wird die gebende Taste losgelassen, so wächst auf der andern Station die Stromstärke
                              									noch etwas, fällt darauf zwar erst rasch ab, dann aber wieder immer langsamer, und
                              									eine Tangente in dem Punkte der völligen Stromlosigkeit – in diesem Falle die
                              									Abszisse – würde wieder eine Asymptote sein. Man sieht, daß die Entladung sehr
                              									langsam vor sich geht: nach einer Stunde kann man mit unseren feinen Meßinstrumenten
                              									noch Ladungen nachweisen. In Fig. 1 sinnbildet die
                              									Kurve A das allmähliche Anwachsen der Ladung, wenn
                              									dauernd getastet wird, während die Kurve B die
                              									Stromzustände zeigt, die sich entwickeln, wenn auf der andern Station nur während
                              									des Zeitraumes C getastet wird. Uebrigens lassen sich
                              									die Verhältnisse der Kurve A und B sehr leicht durch einen Vergleich veranschaulichen.
                              									Denken wir uns eine luftleere Kugel in einem luftgefüllten Raum. Oeffnen wir
                              									ein Ventil an der Kugel, so strömt die Luft zunächst unter starker Spannung
                              									ein. Indem sich aber in der Kugel eine Gegenspannung sammelt, wird der Luftzufluß
                              									weniger lebhaft. Theoretisch betrachtet nähert sich das Innere der Kugel auch ohne
                              									Ende dem Zustand völliger Ladung. Schließen wir jetzt das Ventil, und bringen wir
                              									die Kugel in einen luftleeren Raum, so strömt die Luft nach Oeffnung zuerst heftig
                              									aus, wird aber, da ihre Spannung mit zunehmender Entladung abnimmt, nach und nach
                              									weniger heftig strömen und auch hier müßte die vollständige Entleerung im Grunde
                              									genommen erst nach unendlich langer Zeit eintreten.
                           Die von Lord Kelwin theoretisch berechneten Kurven sind
                              									übrigens auch praktisch nachgewiesen worden. Um solche Stromverhältnisse graphisch
                              									darzustellen, wird zweckmäßig der Rußschreiber von Siemens verwendet. Bei diesem hängt eine ringförmige Spule an einer Feder
                              									in einem ringförmigen magnetischen Feld. Wird nun der Strom durch die Spule
                              									geleitet, so wird dieselbe, den Stromstärken sehr genau entsprechend, mehr oder
                              									weniger tief in das Feld hineingezogen. An der Feder ist ein sehr leichter
                              									Schreibhebel befestigt, der sich um einen festen Punkt dreht und mit seiner
                              									Schildpattspitze auf einem berußten Papierstreifen, der durch ein Uhrwerk langsam
                              									vorbeibewegt wird, Stromkurven aufzeichnet.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 324, S. 24
                              Fig. 2.
                              
                           Das langsame Verschwinden der Ladung nach der Tastung, sowie das langsame Ansteigen
                              									des wachsenden Stromes führt nun zu allerhand Unzuträglichkeiten. Wird nämlich rasch
                              									telegraphiert, so ist am Empfangsende die Ladung noch nicht verschwunden, während
                              									sich das neue Zeichen geltend macht. Beide rinnen also zusammen, und dadurch
                              									entsteht Undeutlichkeit. Die Zeichen – sie seien mit dem Rußschreiber aufgezeichnet
                              									– erscheinen nicht als scharf abgegrenzte, kurze und lange Erhebungen auf
                              									gradliniger Basis, die deutlich als Punkte und Striche kenntlich wären. Es sind
                              									vielmehr Wellenlinien, in denen sich jedenfalls ein ungeübtes Auge kaum zurecht
                              									findet. Fig. 2 zeigt die Kurve des Wortes
                              										„Berlin“ am Ende eines 600 Kilometer langen Kabels, wenn keine besonderen
                              									Vorkehrungen zur Korrektur der Wellenformen getroffen werden.
                           Bei der Kabeltelegraphie kommt es nun sehr darauf an, wie man das Empfangen der
                              									Zeichen bewirkt. Man könnte z.B. als Empfänger einen Rußschreiber aufstellen, und
                              									nun dem Telegraphisten aufgeben, diese Kurven zu lesen. Tatsätlich wird bei der
                              									transatlantischen Kabeltelegraphie gewöhnlich auch so verfahren; nur benutzt man
                              									dazu weniger den Rußschreiber – dieser ist mehr für wissenschaftliche Messungen
                              									geeignet – als vielmehr andere zweckmäßige Apparate, wie z.B. den Heberschreiber. Es
                              									ist nicht zu leugnen, daß ein geübter Telegraphist schließlich auch manches
                              									verstümmelte Zeichen noch wird lesen können In der deutschen Reichspostverwaltung pflegt man aber
                              									als Empfänger, wie wir schon sagten, ein Relais zu verwenden. Und hier wird es nun
                              									dringend notwendig, daß die Wellen möglichst korrekt verlaufen, damit jedes Zeichen
                              									bei aufsteigender Böschung- den Apparat anspricht, und ihn auf der absteigenden
                              									wieder gebührend freigibt.
                           Es handelt sich hier einfach um die Frage der Telegraphiergeschwindigkeit! Sind die
                              									Wellen deformiert – und so müssen wir ein derartiges Verschwimmen ja nennen –, so
                              									kommt entweder das Telegramm verstümmelt an, so daß Zeit über Rückfragen vergeht,
                              									oder man wird genötigt, das Tempo des Telegraphierens freiwillig zu verlangsamen,
                              									damit sich die Wellen genauer voneinander trennen.
                           Um ein flottes Telegraphieren zu ermöglichen, ist also jetzt die Parole gegeben: es
                              									gilt die Böschungen steiler zu machen!
                           Wenn man die Erscheinungen, die durch ihre Säumigkeit störend wirken, herabdrücken
                              									will, so gibt es verschiedene Mittel, die allgemein bekannt sind: der Widerstand sei
                              									klein; die Selbstinduktion in Leitung und Apparaten werde auf ein möglichst geringes
                              									Maß gebracht; die Kapazität erreiche keinen hohen Betrag! Aber hier läßt sich nicht
                              									jeder Wunsch erfüllen. Für den Bau des Kabels sind nämlich nicht nur
                              									elektrotechnische, sondern auch wirtschaftlich-pekuniäre Gesichtspunkte gültig. Die
                              									Länge des Kabels ist gegeben: beträgt dieselbe mehr als 500 Kilometer, so pflegt die
                              									deutsche Reichspostverwaltung meist eine Uebertragung vorzusehen. Bei den Apparaten
                              									bedeutet aber eine Herabminderung von Widerstand und Induktion immer eine Schädigung
                              									der elektromagnetischen Disposition.
                           Man hat aber dann auch verschiedene spezielle Mittel angewendet. Sehen wir bei
                              									unserer Darlegung von dem überaus umfangreichen Gebiete zweckmäßig konstruierter
                              									Relais ab, und beschränken wir uns darauf, gewisse Schaltungen vorzuführen, die dem
                              									Zweck der Telegraphierbeschleunigung dienen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 324, S. 25
                              Fig. 3.
                              
                           Die deutsche Reichspostverwaltung hat hier eine geniale Schaltung von Godfroy angenommen. (Fig.
                                 										3.) Hierbei wird einfach die Leitung an beiden Enden durch je eine Spule
                              										S von hoher Selbstinduktion im Nebenschluß an die
                              									Erde gelegt. Wird nun getastet, so findet der Strom wegen der hohen Selbstinduktion
                              									der Spulen zunächst keinen Abweg nach der Erde. Er bleibt also allein im Kabel, und
                              									da die Batterie stark ist, fließt ein kräftiger Strom in die Leitung. So erhalten
                              									wir eine steil ansteigende Böschung. Ist das magnetische Feld um die Spule gebaut,
                              									so hört die Selbstinduktion auf, und der Strom findet nun zum Teil einen Abweg nach
                              									der Erde. Jetzt steigt die Kurve nicht mehr an, sondern verläuft ziemlich flach
                              									horizontal. Wird die Tastung unterbrochen, so sorgen die Spulen jetzt dafür, daß
                              									auch die abfallende Böschung steil wird. Mit dem Verschwinden ihres magnetischen
                              									Feldes entstehen nämlich elektromotorische Kräfte, die ein Abfließen der Ladung
                              									zur Erde fördern. Während diese Spulen also bei ansteigenden Strömen die Böschung
                              									dadurch steil werden lassen, daß sie den Abfluß erschweren, wirken sie bei Schluß
                              									der Tastung gerade umgekehrt, indem sie durch Absaugung die Ladung entfernen
                              									helfen.
                           Beim Telegraphieren ist es schon bei oberirdischen Leitungen notwendig, daß nach
                              									jeder Tastung wieder der Ruhekontakt berührt wird. Die in der Strombahn bewegte
                              									elektrische Menge teilt sich dann in der Mitte: der vordere Teil fließt
                              									gewissermaßen wieder zurück, und nur die andere Hälfte macht sich am Empfangsende
                              									bemerkbar. Bei der Kabeltelegraphie ist diese Sorgfalt doppelt notwendig. Ein
                              									Uebelstand ist aber der, daß bei der Entladung über den Ruhekontakt der Strom den
                              									eigenen Empfänger passieren muß, und daher keine so freie Bahn findet, als es
                              									wünschenswert wäre.
                           Zur Beschleunigung des Abfließens ist daher eine sogenannte Entladungstaste
                              									konstruiert worden. Nach jeder Stromsendung wird nämlich die Leitung für einen
                              									kurzen Moment direkt mit der Erde verbunden, und erst nach der Trennung tritt die
                              									Verbindung mit dem Empfänger ein. Das vordere Ende der Morsetaste hat eine aus einer Blattfeder bestehende Verlängerung, welche
                              									beim Auf- und Niedergehen eine auf einer anderen Feder sitzende Scheide trifft und
                              									wegbiegt. Die Feder ist geerdet, und die Abmessungen sind so getroffen, daß die
                              									Berührung von Taste und Scheide resp. der Erdschluß, nur während der Schwebelage des
                              									Senders stattfindet.
                           Sehr viel Beachtung verdient auch der Gegenstromsender. Wenn man nach jeder
                              									Stromsendung die Leitung nicht mit der Erde, sondern mit dem entgegengesetzten Pol
                              									derselben Batterie oder mit einer passenden zweiten Stromquelle verbindet, so
                              									gelangt man zum Wechselstrombetrieb. Derselbe liefert die steilsten Stromkurven, und
                              									erlaubt die höchste Telegraphiergeschwindigkeit. Selbstverständlich muß der
                              									Kompensationstrom in quantitativer Beziehung dem vorhergehenden Telegraphierstrom
                              									entsprechen! Der Uebelstand dieser Schaltung, auf die hier nicht näher eingegangen
                              									werden soll, besteht aber darin, daß der eigene Empfänger während des
                              									Telegraphierens ausgeschaltet werden muß. Es ist daher das empfangende Amt nicht im
                              									stande, das übermittelnde während des Telegraphierens zu unterbrechen.
                           Hat am empfangenden Ende der Strom seine gebührende Wirkung auf das Relais ausgeübt,
                              									so ist es zweckmäßig dafür zu sorgen, daß er jetzt, wo er sich höchstens unnütz
                              									geltend machen kann, möglichst rasch entfernt werde. Die deutsche
                              									Reichspostverwaltung hat mit Erfolg eine Schaltung mit zeitweiligem Nebenschluß zu
                              									dem Empfangsrelais eigerichtet. Die Idee derselben ist folgende. Der ankommende
                              									Strom wirkt zuerst auf ein Relais, über welches er zur Erde fließt. Ein von ihm
                              									geschlossener lokaler Stromkreis setzt den Schreibapparat dann in Bewegung. Dadurch
                              									wird zugleich dem Strom, der jetzt seine Arbeit getan hat, ein zweiter Weg direkt
                              									zur Erde bereitet, wodurch eine schnelle Abstoßung unnützer Ladung bewirkt wird.