| Titel: | Der 1. Internationale Kongreß für Kälte-Industrie in Paris. | 
| Autor: | Alis Schwarz | 
| Fundstelle: | Band 324, Jahrgang 1909, S. 74 | 
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                        Der 1. Internationale Kongreß für Kälte-Industrie
                           								in Paris.
                        Von Professor Alis Schwarz in
                           									Mähr.-Ostrau.
                        Der 1. Internationale Kongreß für Kälte-Industrie in
                           								Paris.
                        
                     
                        
                           Als vor mehr als Jahresfrist seitens eines französischen Komitees unter
                              									Patronanz des französischen Ackerbau-Ministers und der übrigen beteiligten
                              									Ministerien die Einladung zu einem im Jahre 1908 in Paris zu veranstaltenden
                              										„Congrès International du froid“ ausgegeben wurde, mag wohl so mancher
                              									diesem Gebiete ferner Stehende und wohl auch mancher Fachmann über diese Einladung
                              									angesichts der sich immer mehr häufenden Kongresse gespöttelt haben. Wenn auch die
                              									Anwendung der Kälte heute ein ebenso unabweisliches und dringendes Bedürfnis des
                              									täglichen Lebens geworden ist wie die Anwendung der künstlich erzeugten Wärme, so
                              									scheint die Notwendigkeit der wissenschaftlichen Erforschung dieses Gebietes noch
                              									immer nicht in allen Kreisen das rechte Verständnis gefunden zu haben. Trotzdem
                              									hatte sich die Anregung des französischen Komitees als eine sehr fruchtbare
                              									erwiesen; dank der unermüdlichen Agitation und Rührigkeit des französischen
                              									Komitees, an dessen Spitze sich der ehemalige französische Kolonien-Minister Lebon, eines der hervorragendsten organisatorischen
                              									Talente befand, und dem sich zahlreiche französische Gelehrte und fachliche
                              									Korporationen zur Verfügung stellten, hatten sich zunächst in allen französischen
                              									Departements Lokalkomitees für die Förderung dieses Kongresses gebildet; in 43
                              									Staaten der gesamten bewohnten Erde waren durch die betreffenden Regierungen
                              									Landeskomitees organisiert worden, welche für die Beschickung des Kongresses und für
                              									die Beteiligung der Fachmänner der ganzen Welt an den Arbeiten des Kongresses eifrig
                              									tätig waren.
                           In den meisten Staaten hatten sich die leitenden Staatsmänner, die Ressortminister
                              									oder mindestens hohe staatliche Funktionäre an der Spitze dieser Komitees gestellt
                              									und sich an den Arbeiten eifrig beteiligt. So ist es zu erklären, daß dieser Kongreß
                              									eine Teilnehmerzahl aufwies, wie sie wohl noch selten ein Kongreß eines einzelnen
                              									Fachgebietes gezeigt hat. Ueber 4000 Einzel-Personen und Vertretungen von
                              									Körperschaften hatten ihre Teilnahme angemeldet und waren zum größten Teile auch
                              									persönlich erschienen. 43 Staaten aller Weltteile, darunter auch Nord- und
                              									Südamerika, Australien und Südafrika, China und Japan hatten sich durch starke
                              									offizielle Delegationen, darunter wie erwähnt, durch aktive oder ehemalige Minister
                              									vertreten lassen.
                           So bot auch die erste Festsitzung, welche durch den Präsidenten Lebon mit einer geistvollen Ansprache eröffnet und
                              									durch den Ackerbauminister Ruau persönlich begrüßt
                              									wurde, ein glänzendes Bild. Neben den vorerwähnten ausländischen Delegationen und
                              									Staatsmännern waren die hervorragendsten französischen und ausländischen Gelehrten
                              									dieses Gebietes, darunter der Nestor und Begründer der französischen
                              									Kälte-Industrie, der 70jährige, noch unermüdlich als Konstrukteur und Forscher
                              									tätige Tellier, der Präsident der Akademie de médecine
                              									Professor Gautier, der berühmte Physiologe Prof. d'Arsoval der Professor der polytechnischen Schule Leauté und das Mitglied der Akademie Tisserand,
                              									weiter der Schöpfer und Organisator der deutschen Kälte-Industrie, Geheimrat
                              									Professor von Linde, der geniale Physiker der
                              									Universität Leyden, Professor Kammerlingh-Onnes, ferner
                              									Vertreter von Hochschulen aller Länder, die bekanntesten Konstrukteure und
                              									Industriellen dieses Gebietes usw. in der Versammlung vertreten, und so konnte der
                              									französische Ackerbauminister in seiner Begrüßungsrede angesichts dieser illustren
                              									Versammlung mit Recht an den Ausspruch des berühmten Chemiker Bertelot anknüpfen, daß der allgemeine Triumph der
                              									Wissenschaft dazu führen werde, die Menschen dem größtmöglichsten Glück und der
                              									Moral zuzuführen.
                           Mit besonderer Liebenswürdigkeit gedachte sowohl der Präsident des Kongresses als
                              									auch der Minister nicht nur der unvergänglichen und grundlegenden Arbeiten der
                              									französischen Gelehrten und Forscher Carré und Tellier um die Entwicklung der Kälterindustrie, sondern
                              									er ließ auch der Tätigkeit der ausländischen Forscher auf diesem Gebiete,
                              									insbesonders der Verdienste des Professor von Linde
                              									volle Gerechtigkeit widerfahren und fand in seinen Ausführungen die begeisterte
                              									Zustimmung der großen Versammlung.
                           Es war auch eine besondere Auszeichnung für den letztgenannten Gelehrten wie für den
                              									Kongreß selbst, daß derselbe die Arbeiten des Kongresses durch einen ausgezeichneten
                              									Vortrag über die „Kühlung bewohnter Räume“ eröffnete, welcher durch die
                              									geistvolle Form und seine technischen Ausführungen die verdiente Anerkennung fand
                              									und einen weiten Ausblick auf die Entwicklung der Anwendung künstlicher Kälte durch
                              									Anwendung auf dieses Gebiet eröffnete, indem er mit dem Ausspruche schloß:
                           
                              „Unsere heutige Kältetechnik ist in technischer, wirtschaftlicher und
                                 										hygienischer Hinsicht imstande, allen Erwartungen zu genügen, welche an ihre
                                 										Entwicklung für die Kühlung bewohnter Räume geknüpft wurden, und sie vermag der
                                 										Menschheit größere Dienste zu leisten, als sie bisher in dieser Richtung in
                                 										Anspruch genommen worden sind. Im Bewußtsein dieser Sachlage darf ich wohl mit
                                 										dem Ausdrucke der Hoffnung schließen, daß bei künftigen Kältekongressen die
                                 										Kühlung bewohnter Räume eine Entwicklungaufweisen möge, welche Schritt hält mit
                                 										dem imposanten Zuge, in welchen wir auf anderen Gebieten die Kältetechnik haben
                                 										voranschreiten sehen.“
                              
                           Welch ansehnliche Summe von wissenschaftlichen Vorarbeiten dem Kongresse
                              									vorangegangen war, ist aus dem Umstände zu entnehmen, daß mehrere Hunderte sehr
                              									umfangreiche wissenschaftliche und technische Vorträge dem Organisationskomite
                              									eingesendet wurden, über deren Inhalt die Teilnehmer des Kongresses durch ein vom
                              									Organisationskomitee ausgearbeitetes Resume in deutscher, französischer und
                              									englischer Sprache informiert wurden. Von hohem Werte waren ferner die
                              									wissenschaftlich-literarischen Festgaben, welche seitens der einzelnen
                              									fremdstaatlichen Komitees den Kongresmitgliedern gewidmet wurden. In erster Reihe
                              									stand hier die vom österreichischen Komitee in deutscher und französischer Sprache
                              									herausgegebene Festschrift in bezug auf den reichen Inhalt und die vornehme prächtige
                              									Ausstattung. Es war ein Quartband von 120 Seiten, 20 Plantafeln und zahlreichen im
                              									Text gedruckten Abbildungen, enthaltend nebst einigen wissenschaftlichen Aufsätzen,
                              									die Beschreibungen der bedeutendsten österreichischen Kühlanlagen auf allen Gebieten
                              									der Industrie, welche Festschrift auch seitens der Kongreßmitglieder die verdiente
                              									Anerkennung fand; weiter eine ähnliche, weniger umfangreiche Publikation des
                              									ungarischen Komitees in französischer Sprache, enthaltend die Statistik der
                              									Kühlanlagen in Ungarn und die Beschreibung derselben; ferner ein kleines aber
                              									inhaltreiches Heft des deutschen Komitees über die wirtschaftliche Bedeutung der
                              									Kälteindustrie im Jahre 1908, sehr wertvolle statistische Daten und Diagramme über
                              									die Ausbreitung der Kälteindustrie in Deutschland enthaltend; weiter ein Bericht des
                              									italienischen Komitees, resp der Ministerien für Ackerbau, Industrie und Handel über
                              									die Kälteindustrie in Italien, gleichfalls mit einigen Abbildungen und Plänen
                              									dortiger Anlagen, und endlich zwei Publikationen des argentinischen Komitees,
                              									enthaltend ausführliche Darstellungen der ausgedehnten Anwendung der künstlichen
                              									Kälte für die Aufbewahrung argentinischen Fleisches und den Transport nach den
                              									europäischen Hauptplätzen. – Sämtliche dieser Publikationen, welche den
                              									Kongreßteilnehmern nebst zahlreichen kleinen Flugschriften und Prospekten
                              									unentgeltlich übermittelt werden, bildeten den Gegenstand eifrigsten Studiums und
                              									werden ebenso wie die noch herauszugebenden ausführlichen Berichte über die
                              									Verhandlungen des Kongresses das Interesse für die Kälteindustrie in den weiten
                              									Kreisen verbreiten.
                           Ebenso umfassend wie die Vorarbeiten waren die wissenschaftlichen Verhandlungen des
                              									Kongresses, welcher sich zu diesem Behufe in sechs Hauptsektionen mit 20
                              									Unterabteilungen geteilt hatte. An der Spitze dieser Sektionen standen die schon
                              									genannten hervorragenden Mitglieder und Gelehrten der französischen Akademie wie die
                              									Professoren D'Arsonval, Léauté, Gauthier, Tisserand,
                                 										Levasseur, und an der Spitze der sechsten Sektion der Handelsminister Cruppi persönlich.
                           Die erste Sektion vereinigte die Theoretiker und Gelehrten, und es waren in dieser
                              									illustren Versammlung die hervorragendsten ausländischen Physiker und Chemiker zu
                              									bemerken, u.a. Professor Kammerlingh-Onnes der
                              									Universität in Leyden, welcher seine Apparate und Arbeiten zur Verflüssigung des
                              									Heliums unter lebhaftester Aufmerksamkeit vorführte; Professor Touplin, der einen Apparat für die Analyse der seltenen
                              									Gase demonstrierte; Professor Mathias, der eine
                              									theoretische Studie über den Zustand und Eigenschaften von Flüssigkeiten bei sehr
                              									niedriger Temperatur gab, zu welchem Gegenstande Professor Kammerlingh-Onnes die Unterschiede in dem Gleichgewichtszustande der
                              									Körper durch Unterschiede der Zusammendrückbarkeit der Moleküle und eine
                              									verschiedene Verteilung des Potentiales um die Moleküle erklärte; Professor Becquerel machte neue Mitteilungen über die
                              									Absorptions- und Emissionserscheinungen sowie über magneto-optische Erscheinungen in
                              									Kristallen und Lösungen bei sehr niedrigen Temperaturen, welche er in Gemeinschaft
                              									mit Professor Kammerlingh-Onnes im Laboratorium der
                              									Universität Leyden durchgeführt hatte. Endlich führte Ingenieur Claude seinen Apparat für eine neue Methode der
                              									Verflüssigung der Luft vor, durch deren Anwendung die Verflüssigung der Luft schon
                              									bei 30 bis 40 Atmosphären erfolgt und welche pro Pferdekraft und Stunde einen Liter
                              									flüssige Luft liefert. Die genannten Gelehrten wurden zu den Ergebnissen dieser
                              									neuesten Forschungen von den anwesenden Fach-Genossen auf das lebhafteste
                              									beglückwünscht und es galten diese Anerkennungen insbesonders dem bescheidenen und
                              									doch so erfolgreichen Wirken des Professor Kammerlingh-Onnes,
                              									welcher in seinem kyrogenen Laboratorium in Leyden in jüngster Zeit so
                              									bewunderungswerte Erfolge erzielt, auch vielen Fachgenossen die Benutzung dieses
                              									Laboratoriums in der liebenswürdigsten Weise gestattet und ihre Arbeiten werktätig
                              									unterstüzt hatte. Einstimmig wurde der Wunsch ausgesprochen, daß die auf dem
                              									Kongresse vertretenen Staaten durch entsprechende materielle Unterstützungen es den
                              									Physikern ermöglichen sollten, ihre Studien auf diesem Gebiete in diesem berühmten
                              									Laboratorium fortzusetzen. Ebenso einstimmig wurde beschlossen, daß eine
                              									Internationale Gesellschaft mit dem Sitze in Paris gebildet werde, um das Studium
                              									des gesamten Gebietes der Kälte zu spezialisieren und die Bearbeitung aller
                              									wissenschaftlichen Fragen bei niedrigen Temperaturen durchzuführen.
                           Die weiteren wissenschaftlichen Arbeiten dieser Sektionen waren bakteriologischer
                              									Natur und beträfen die Wirkungen der niedrigen Temperatur auf Fleisch, Milch,
                              									Geflügel und andere Genußmittel. Besonderes Interesse erregten die Arbeiten einer
                              									amerikanischen Forscherin, Mrs. Pennigton, über die
                              									Veränderungen des Fleisches des bei niedrigen Kältegraden konservierten Geflügels,
                              									ebenso die Arbeiten über die Wirkung niedriger Temperaturen auf Toxine des
                              									Fleischserums.
                           Die Arbeiten der zweiten Sektion beschäftigen sich mit den maschinellen Vorrichtungen
                              									für Kälteerzeugung, und es waren in dieser Sektion die bekanntesten Theoretiker und
                              									Konstrukteure aller Länder unter Vorsitz des Professor Léauté vereinigt; unter ihnen Professor Leblanc-Paris, zahlreiche amerikanische, englische und belgische
                              									Ingenieure, der Begründer der deutschen Kälte-Industrie Geheimrat Professor von Linde, ferner Professor Guthermuth und Dr. Döderlein aus Deutschland,
                              									k.k. Hofrat Dr. Pfeundler-Graz, Professor Seidler-Wien und Professor Schwarz-Mähr.-Ostrau für Oesterreich. In dieser Sektion wurden zunächst
                              									die Prüfungsmethoden über die Wirkung von Isoliermaterialien, ferner die
                              									Leistungsfähigkeit von Kühlmaschinen besprochen. Das Ergebnis der Beratungen dieser
                              									Sektion gipfelte in der Bestimmung, daß zur Prüfung der Wirkung der Kältemaschinen
                              									eine internationale Einheit geschaffen werden solle, welche Einheit nach Antrag des
                              									Professor Kammerlingh-Onnes mit dem Namen Carnot zu Ehren des großen französischen Forschers und
                              									Gelehrten bezeichnet werden soll.
                           Weitere Entschließungen dieser Sektion sprachen den Wunsch aus, daß an allen
                              									technischen Hochschulen und Gewerbeschulen ein theoretischer und praktischer
                              									Unterricht über Kälte-Industrie und ihre Anwendung einzuführen sei, welcher
                              									Unterricht von allen interessierten Körperschaften unterstützt werden solle. Die
                              									Ergebnisse der Untersuchungen dieser Laboratorien sollten durch das permanente
                              									internationale Bureau zur Verbreitung gelangen.
                           Die dritte und vierte Sektion beschäftigte sich mit der Anwendung der Kälte, und zwar
                              									die erstere mit der Nahrungsmittel-Industrie, die letztere mit den übrigen
                              									Industrien. Aus den Verhandlungen dieser Sektionen, insbesondere aus den von den
                              									englischen, nordamerikanischen, argentinischen und australischen Delegierten
                              									vorgebrachten statistischem Material konnte ersehen werden, welch ungeheuere
                              									Ausdehnung der Verkehr mit Nahrungsmitteln durch die Anwendung der künstlichen Kälte
                              									genommen hat. Diese Anwendung hat seit dem Jahre 1877, in welchem durch Tellier der erste Versuch der Kühlung von Fleisch
                              									während eines Transportes von Havre bis Bennos-Ayres auf dem Dampfer Frigorifique
                              									gemacht wurde, bis zur Gegenwart, wo viele hundert Dampfer zu diesem Zwecke im
                              									Dienste stehen, einen mächtigen Aufschwung genommen. Die Fleischausfuhr aus Argentinien hat einen
                              									Wert von jährlich 200 Millionen Frs. Das Kapital, das in den Vereinigten Staaten in
                              									Kühlanlagen investiert ist, wird auf 2500 Mill. Dollars geschätzt. In Amerika gibt
                              									es derzeit an 1000 gekühlte Lagerhäuser mit einem Lagerraume von 180 Millionen
                              									Kubikfuß, und der Wert der in diesen Lagerhäusern aufbewahrten und gekühlten
                              									Produkte beläuft sich auf 350 Millionen Dollar jährlich. Kühlhäuser, in welchen
                              									Fleisch aufbewahrt wird, gibt es den Vereinigten Staaten an 1200, und der Wert der
                              									darin aufbewahrten Fleischprodukte wird auf 1300 Millionen Doll. geschätzt. 60
                              									Häuser beschäftigen sich mit der Einlagerung von gefrorenen und gekühlten Fischen
                              									und der Wert der in diese Kühlanlagen gehenden Fische wird auf 20 bis 30 Millionen
                              									Dollar berechnet. In den 1700 amerikanischen Brauereien sind 2500 Kühlmaschinen
                              									aufgestellt, und es beträgt der Wert des von ihnen gekühlten Bieres über 300
                              									Millionen Dollar. In der Molkerei-Industrie sind 800 Kühlanlagen vorhanden, von
                              									welchen an 200 Millionen Pfund Butter und 250 Millionen Pfund Käse künstlich gekühlt
                              									werden. Ueberdies wird hier gefrorener Rahm im Werte von 45 Millionen Dollar
                              									erzeugt. An Eier werden jährlich dreieinhalb Millionen Kisten in Kühlräumen
                              									aufbewahrt. Die Aufbewahrung von frischen Früchten in Kühlanlagen ist ebenfalls eine
                              									bedeutende Industrie. Es gibt etwa 1000 Kühlanlagen für Aepfel allein, deren Wert
                              									12,5 Millionen Dollar beträgt Im Jahre 1907 wurden 60000 Kisten Gemüse in
                              									Wagenladungen verschickt. Im ganzen sind in Nordamerika 12000 Kühlmaschinen in
                              									Gebrauch, in welche etwa 400 Millionen Dollar angelegt sind, abgesehen von jenen
                              									ungeheuren Kapitalien, die in Schlachthäusern, Brauereien und Milchwirtschaften
                              									investiert sind. Diesen enormen Zahlen gegenüber sind die europäischen Verhältnisse
                              									verschwindend klein, und zeigen, welcher Entwicklung diese Industrie in Europa noch
                              									fähig ist. In England beträgt allerdings der Wert der eingeführten gekühlten
                              									Produkte 3000 Millionen Frs. – Von den 417000 Tonnen Waren verderblicher Natur, die
                              									in den letzten Jahren aus dem Auslande den Londoner Markt passierten, sind 79% dem
                              									Kühlverfahren unterworfen worden, ebenso sind 22% des gesamten in England
                              									verbrauchten Fleisches, dessen Konsum 122 Pfund jährlich pro Kopf beträgt, künstlich
                              									gekühlt. In Deutschland betrug die Zahl der Kühlanlagen Ende 1907 im ganzen etwa
                              									5100 mit einer Leistung von 267 Millionen Kalorien, davon allein etwa 1000 in
                              									Fleischkühlhallen und 2000 in Brauereien. In Oesterreich-Ungarn beträgt die Zahl der
                              									Anlagen etwa 600 mit einer Leistung von 52 Millionen Kalorien. Die gesamten auf der
                              									Erde unter Mitwirkung deutscher Firmen installierten Kühlanlagen werden vom
                              									deutschen Komitee auf etwa 4700 mit einer Gesamtleistung von 376 Millionen Kalorien
                              									geschätzt.
                           Die in der vierten Sektion durchgeführten Verhandlungen über die Anwendung der
                              									künstlichen Kälte in den verschiedenen Industrien ergaben, daß sie nicht nur in den
                              									Gährungsgewerben, sepeziell in der Brauerei, in welcher die Anwendung der
                              									künstlichen Kühlung die älteste und verbreitetste ist und schon seit 1875 geübt
                              									wird, sondern daß derzeit die künstliche Kühlung bei der Gärung und Konservierung
                              									des Weines Anwendung findet, daß sie auch beim Hochofenbetriebe der Lufttrocknung
                              									dient, ebenso beim Abteufen von Schächten im schwimmenden Gebirge, in der
                              									Fettindustrie, inbesondere zur Abscheidung des Paraffins aus Rohöl und
                              									Petroleumrückständen verwendet wird und auch zur Kühlung von Munitionskammern und
                              									Pulvermagazinen auf dem Festlande und auf Schiffen, besonders in der französischen,
                              									deutschen und englischen Marine erfolgreich in Anwendung steht. Eine der
                              									jüngsten Anwendungen ist die zum Aufbewahren von Gärtnereiprodukten, insbesonders
                              									von angetriebenen Knollen und Blumenzwiebeln, um Blumen das ganze Jahr erhalten zu
                              									können.
                           Die Arbeiten der V. und VI. Sektion behandelten die Anwendung der Kälte beim
                              									Transport von Waren zu Schiff und auf den Eisenbahnen. Aus diesen Verhandlungen war
                              									zu entnehmen, welch ungeheure weite Bewegungen verderbliche Produkte nehmen können,
                              									daß Südfrüchte, Bananen, englisches und amerikanisches Obst in allen europäischen
                              									Staaten billig zum Verkauf gelangen können, daß Fische aus allen Meeren nach dem
                              									Kontinent gebracht werden, daß sibirische, australische und südamerikanische Butter
                              									die minderwertige europäische Ware verdrängt, daß Milch aus Dänemark nach Berlin und
                              									amerikanische Eier nach Paris gebracht werden. In Amerika waren im letzten Jahre
                              									140000 Eisenbahnkühlwagen im Verkehr und es wurden allein 60000 Waggons Früchte in
                              									Kühlwagen transportiert. Eine einzige Firma hatte im letzten Jahre 15 Schiffe bloß
                              									für den Transport von Bananen von Costa-Rica nach Europa im Verkehr, welche 4,5
                              									Millionen Zweige Bananen transportierten, und weitere 70 Schiffe waren zu demselben
                              									Zwecke in den Vereinigten Staaten in Verwendung. In den Verhandlungen wurde
                              									hervorgehoben, daß dieser internationale Transport von Nahrungsmitteln insbesondere
                              									von Rußland nach den anderen europäischen Staaten und von Frankreich nach Spanien
                              									sich wesentlich erhöhen würde, wenn es möglich wäre, durch geeignete Vorrichtungen
                              									den direkten Uebergang der Waggons aus jenen Ländern, welche nicht normale
                              									Spurweiten haben, zu erleichtern.
                           In der VI. Sektion gelangte die internationale Gesetzgebung für den Verkehr mit
                              									gekühlten Nahrungsmitteln zur Beratung, und es wurde bezüglich der sanitären
                              									Kontrolle darauf hingewiesen, daß es Aufgabe der Internationalen Vereinigung sein
                              									müsse, dahin zu wirken, daß die künstlich gekühlten Nahrungsmittel bei ihrem
                              									Transport keinen strengeren Bestimmungen zu unterwerfen seien, als die zum Genuß
                              									bestimmten Nahrungsmittel überhaupt. Aus den Verhandlungen gingen die Bemühungen der
                              									überseeischen Staaten, insbesondere von Argentinien und Neu-Seeland hervor, ihren
                              									Massenprodukten an Nahrungsmitteln möglichst zahlreiche Absatzquellen auf dem
                              									europäischem Kontinent zu verschaffen.
                           Als Endergebnis des Kongresses, welches in der Schluß-Sitzung gezogen wurde, war
                              									zunächst die Bildung einer Internationalen Organisation anzusehen, welche aus den
                              									Delegierten der 43 auf diesem Kongresse vertretenen Staaten besteht und sich mit
                              									allen Fragen der Anwendung der Kälte sowohl mit ihrer wissenschaftlichen Erforschung
                              									als auch mit ihrer Anwendung in allen Industrien, sowie bei der Aufbewahrung und dem
                              									Transport von Nahrungsmitteln beschäftigen soll. Dieser Internationalen Organisation
                              									wurden auch die zahlreichen gefaßten Resolutionen, 70 verschiedene Fragen
                              									betreffend, zum Studium und zur Durchführung überwiesen.
                           Mit Recht konnte der verdienstvolle Präsident de Kongresses Mr. Lebon auf die Summe von erfolgreichen Arbeiten
                              									hinweisen, welche der Kongreß geleistet, und konnte unter lebhafter Zustimmung aller
                              									Kongreßteilnehmer der unermüdlichen Tätigkeit des Generalsekretärs Ingenieur de Loverdo seine vollste Anerkennung zollen. Die
                              									gleiche Anerkennung wurde in der feierlichen Schlußsitzung von dem erschienenen
                              									Vertreter der französischen Regierung, dem Unterstaatssekretär im Kriegsministerium
                              										Chéron, den französischen und ausländischen
                              									Gelehrten für ihre Mitwirkung gezollt und auf die hohe Bedeutung hingewiesen,
                              									welche die Anwendung der künstlichen Kälte nicht nur für die Ernährung- der großen
                              									Bevölkerungsmassen, sondern insbesondere für die Verpflegung der Armeen im Krieg und
                              									Frieden zukomme. Und so konnte auch der berühmte Akademiker D'Arsonval in seinem glänzenden Schluß vortrage über die Bedeutung der
                              									Wissenschaft für die Kälte-Industrie die hohe Wichtigkeit der Verbindung von
                              									wissenschaftlicher Forschung und Industrie feiern und die Ueberzeugung aussprechen,
                              									daß der erste Kongreß für die Fortschritte der Kälte-Industrie dieselben glücklichen
                              									Konsequenzen haben werde wie seinerzeit der I. Internationale Kongreß für
                              									Elektrizität im Jahre 1881 sie für die Entwicklung der elektrischen Industrie
                              									gezeitigt hat.
                           Diese Hoffnung soll schon beim nächsten Kongresse, der für das Jahr 1910 nach Wien
                              									einberufen wird, ihrer Verwirklichung näher gebracht werden und es wird eine
                              									dankenswerte, wenn auch schwierige Aufgabe des vorbereitenden Komitees sein, diesem
                              									zweiten Kongreß, welcher durch die gleichzeitig in Wien in diesem Jahre
                              									stattfindende Internationale Jagdausstellung besondere Bedeutung erhalten wird, den
                              									gleichen Erfolg wie dem ersten Pariser Kongreß zu verschaffen.