| Titel: | Der gegenwärtige Stand der Motorluftschiffahrt. | 
| Autor: | Ansbert Vorreiter | 
| Fundstelle: | Band 324, Jahrgang 1909, S. 249 | 
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                        Der gegenwärtige Stand der
                           								Motorluftschiffahrt.
                        Von Ingenieur Ansbert
                                 								Vorreiter.
                        (Fortsetzung von S. 236 d. Bd.)
                        Der gegenwärtige Stand der Motorluftschiffahrt.
                        
                     
                        
                           Witzig-Liore-Dutilleul, eine neue Firma in Paris,
                              									hat jetzt einen Biplan herausgebracht, der in mehrfacher Beziehung interessant ist.
                              									Einmal sind die unteren Tragflächen wesentlich schmaler als die oberen, dann sind
                              									die Schwanzflächen treppenartig übereinander angeordnet, so daß sie sich nicht
                              									decken. Bemerkt sei hierbei, daß diese treppenartige Anordnung Kress an seinem vor etwa 9 Jahren gebauten
                              									Drachenflieger angewandt hatte. Das Höhensteuer ist in der Art der Voisinschen Biplane angeordnet, das Seitensteuer jedoch
                              									ist unter der letzten Schwanzfläche eingebaut, doppelt vorhanden und seine Flächen
                              									sind verhältnismäßig lang. Wie bei den Apparaten von Voisin sind zwischen den Tragflächen vertikale Flächen eingebaut, jedoch
                              									nicht an den Enden, sondern mehr nach der Mitte zu. Sonstige Einrichtungen zur
                              									Erhaltung der Seitenstabilität sind nicht vorhanden. Bemerkenswert ist das sehr hohe
                              									Anlaufgestell, das vorn und hinten je 2 Räder hat. Die vorderen Räder sind in Gabeln
                              									gelagert, die sehr schräg gestellt sind. In der Mitte sind die Gabeln drehbar am
                              									Rahmen befestigt und die vorderen Enden sind mittels starker Zugfedern mit dem
                              									Gestell verbunden. Diese Federung erscheint sehr gut, die hohe Lagerung des Gestells
                              									dürfte kaum Vorteile bringen. Bekanntlich schreibt Wright sein sanftes Landen mit dem Umstände zu, daß seine unteren
                              									Tragflächen sehr nahe dem Boden stehen, so daß beim Landen die Luft zwischen dem
                              									Boden und den Flächen etwas verdichtet wird und als Luftpolster dient. Die
                              									Tragflächen beim Witzig-Liore-Dutilleul sind in 3 Teile
                              									geteilt und leicht auseinander nehmbar, zwecks leichteren Transports, eine
                              									Einrichtung, die heut bei den meisten Drachenfliegern getroffen wird. Die äußeren
                              									Teile der Tragflächen sind schwach nach oben gekrümmt. Die Krümmung der Flächen in
                              									der Flugrichtung ist sehr schwach, die Schwanzflächen sind gar nicht gekrümmt. Die
                              									Breite der Flächen beträgt 10 m, die ganze Länge des Drachenfliegers 8,5 m. Die
                              									Flächenausdehnung inkl. der Schwanzflächen etwa 48 qm. Die zweiflügelige Schraube
                              									aus Holz wird von einem 50 PS-Renault-Motor im
                              									Uebersetzungsverhältnis 1 zu 2 mittels Zahnrädern angetrieben. Das Gewicht des
                              									Drachenfliegers beträgt mit einer Person besetzt und gefüllten Reservoiren etwa 550
                              									kg. Der Motor arbeitet mit Luftkühlung und ist zu diesem Zwecke mit einem Ventilator
                              									versehen. Das Gestell für die Flächen ist aus Holz, das Anlaufgestell aus
                              									Stahlrohren hergestellt und sehr sauber gearbeitet. Die Steuerung erfolgt nach der
                              									Methode Voisin durch ein Handrad, das sich drehen und
                              									verschieben läßt.
                           More Brabazon, welcher einen Biplan System Voisin besitzt, hat mehrere sehr schöne Flüge
                              									ausgeführt, nachdem er einen neuen E.N. V.-Motor,
                              									gebaut von der Gesellschaft E.N.V. Motors Limited in
                              									Courbevoie, eingebaut hat. Dieser Motor hat 8 Vförmig angeordnete Zylinder mit
                              									Wasserkühlung, und zwar ist der Kühlmantel aus Kupfer galvanisch niedergeschlagen.
                              									Die Oelung ist vorzüglich durchgebildet und erfolgt mittels Pumpe durch die hohle
                              									Kurbelwelle. Sonst ist der Motor mit einem normalen Vergaser versehen und hat keine
                              									wesentlichen Abweichungen von einem guten Automobilmotor. Die Lager namentlich sind
                              									reichlich breit, und diesem Umstände, in Verbindung mit der guten Oelung und
                              									Kühlung, dürfte das gute Funktionieren dieses Motors zuzuschreiben sein. Die
                              									Gewichtsersparnis ist außer durch die V-Anordnung der Zylinder und die dadurch
                              									erreichte geringe Länge des Gehäuses, wesentlich durch die Herstellung des
                              									Kühlmantels aus dünnem Kupfer erreicht. Ferner durch den vorzüglichen Wirkungsgrad.
                              									Bei einer Bohrung von 120 mm und 150 mm Hub leistet der Motor bei 1100 Touren in der
                              									Minute 70 PS. Das Gewicht beträgt 165 kg. Der E.N.
                                 									V.-Motor hat auch einen sehr geringen Brennstoffverbrauch, 250 g in der PS/St. Bei der
                              									vom Verfasser vorgenommenen Bremsprobe leistete der Motor bei 1200 Touren 80 PS.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 324, S. 250
                              Fig. 43. Biplan von Cody.
                              
                           Ein anderer Motor, der jetzt mehrfach für Flugapparate Anwendung findet, ist der Dutheil & Chalmers. Der Motor hat ebenfalls den
                              									Kühlmantel aus Kupfer, doch wird die kleinere Type auch mit Luftkühlung geliefert.
                              									Der Motor hat 2 oder 4 gegenüberliegende Zylinder. Um die Zylinder nicht zu
                              									versetzen, sondern sie genau gegenüber zu montieren. sind die Pleuelstangen in den
                              									Kolben einseitig versetzt, was man nicht als Vorteil bezeichnen kann. Der
                              									2-Zylindermotor leistet bei einer Bohrung von 125 mm etwa 20 PS. Der Hub beträgt 120
                              									mm, die Tourenzahl 1500 i.d. Minute. Der 2-Zylindermotor hat ein Gewicht von etwa 75
                              									kg, der 4-Zylindermotor von 120 kg. Nur die Auspuffventile sind gesteuert, die
                              									Steuerwelle liegt unter der Kurbelwelle. Das Auspuffventil ist in der Mitte des
                              									Zylinders angeordnet, das Saugventil seitlich. Der Vergaser ist in der Mitte über
                              									dem Kurbelgehäuse angebracht. Diesen Motor benutzt Santos-Dumont an seinem kleinen Monoplan.
                           Die englische Armee hat mit ihren Versuchen auf dem Gebiete der Luftschiffahrt
                              									entschieden Unglück. Nach den nicht günstig ausgefallenen Versuchen mit Motorballons
                              										(Nulli Secundus) wurde ein Drachenflieger
                              									konstruiert nach den Angaben des bekannten Reiters und Schützen Oberst Cody. Die Arbeiten wurden ganz im Geheimen ausgeführt,
                              									nur so viel drang in die Oeffentlichkeit, daß dieser Drachenflieger alles bisher
                              									Dagewesene weit übertreffen sollte. Er erwies sich aber gleich bei seiner ersten
                              									Probefahrt als unstabil und stürzte herab, zum Glück ohne ernste Folgen für den
                              									Führer Oberst Cody. Da der vollständig
                              									zusammengebrochene Drachenflieger nicht so schnell fortgeschafft werden konnte, war
                              									Gelegenheit, ihn zu besichtigen und zu photographieren (Fig. 43). Hierbei stellte es sich heraus, daß diese Konstruktion des
                              									Obersten Cody eine Nachahmung, jedoch keine
                              									Verbesserung des Drachenfliegers der Gebrüder Wright
                              									ist. Dieselbe Anordnung und Krümmung der Tragflächen, nur die bogenförmig
                              									abgeschnittenen Ecken fehlen, dieselbe Anordnung von Höhen- und Seitensteuer, d.h.
                              									wie bei der älteren Konstruktion von Wright mit
                              									einfachen Flächen. Selbst der Kühler ist in der Wrightschen Anordnung vorgesehen, bestehend aus zwischen den beiden
                              									Tragflächen eingebauten dünnen vertikalen Röhren. Ebenso sind zwei zu beiden Seiten
                              									hinter den Tragflächen angeordnete Treibschrauben angewandt, die aber nicht durch
                              									Ketten wie bei Wright, sondern, weniger zweckmäßig,
                              									durch je zwei Seile angetrieben werden. Hierauf dürfte in erster Linie der Unfall
                              									dieses Drachenfliegers zurückzuführen sein; indem der eine Seiltrieb rutschte,
                              									hatten die Schrauben ungleiche Tourenzahl, was ein Kippmoment hervorrufen mußte.
                              									Dazu kam, daß es Cody nicht gelungen war, das Verwinden
                              									der Tragflächen in so vorzüglicher Weise wie bei Wrights Drachenflieger nachzuahmen. Ferner war der englische
                              									Drachenflieger noch kürzer gebaut als der der Gebrüder Wright, was die Erhaltung der Längestabilität schwieriger macht.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 324, S. 250
                              Fig. 44. Biplan von Cody.
                              
                           Nachdem der Biplan des Obersten Cody bei seinen ersten
                              									Versuchen sehr schlecht abgeschnitten hatte, wurde er von seinem Konstrukteur
                              									umgebaut (Fig. 44). Der Seilantrieb wurde durch
                              									einen Kettenantrieb ersetzt, wobei ganz wie bei Wright
                              									die eine Kette gekreuzt ist. An der Kreuzung ist ein Kettenstrang durch ein Rohr
                              									geführt. Gegenüber der Konstruktion von Wright bestehen
                              									jetzt nur noch folgende Unterschiede. Die Schrauben rotieren nicht hinter, sondern
                              									zwischen den Tragflächen; das Höhensteuer hat nur eine Fläche und ist in Richtung
                              									der Flugbahn nicht gewölbt. Der Führer sitzt nicht vorn wie bei Wright, sondern hinter den Tragflächen, vor sich den
                              									Motor mit allem Zubehör. Ob dies eine Verbesserung, ist sehr zu bezweifeln, da dem
                              									Führer die freie Aussicht genommen ist. In gleicher Höhe mit dem Motor wird der
                              									Führer auch durch die Auspuffgase belästigt. Abweichend von Wright benutzt Cody für das Gerüst Bambus
                              									statt Holz. Oberst Cody hat an seinem Biplan jetzt eine
                              									neue Vorrichtung zur Erhaltung der Seitenstabilität angebracht, welche man als eine
                              									Verbesserung der Vorrichtung von Bleriot ansehen kann.
                              									Statt wie dieser an seinem Monoplan an den äußeren Enden der Tragflächen
                              									einstellbare Stabilitätsflächen anzubringen, hat Oberst Cody diese Flächen zwischen den Tragflächen angeordnet. Dies ist in sofern
                              									ein Vorteil, als die empfindlicheren verstellbaren Flächen durch die Tragflächen,
                              									resp. das Gerüst derselben geschützt sind. Die schematische Zeichnung, Fig. 44a zeigt diese Anordnung. Die
                              									Stabilitätsflächen sind um eine horizontale Achse drahbar und zwar müssen sie in
                              									verschiedenem Sinne gedreht werden. Kippt z.B. der Drachenflieger nach rechts, so
                              									wird die rechte Fläche so gedreht, dass die Vorderkante höher steht als die
                              									Hinterkante, die linke Fläche umgekehrt. Ebenso wie beim Verwinden der Tragflächen
                              									nach Wright drückt dann die von vorn kommende Luft den
                              									Drachenflieger wider in die normale Lage. Beim Kurvenfliegen kann auf diese Weise
                              									ein absichtliches Neigen des Flugapparates erreicht werden, und zwar muß die in der
                              									Kurve innen liegende Seite geneigt werden. Um die Stabilität in der Flugrichtung zu
                              									erhöhen, ist ein aus zwei übereinander angeordneten Flächen bestehender Schwanz
                              									angefügt worden. Hinter diesem ist das Seitensteuer montiert, ein zweites
                              									Seitensteuer befindet sich vorn hinter dem Höhensteuer. Beide Seitensteuer bestehen
                              									aus einfachen Flächen. Die Betätigung der Steuer erfolgt durch ein Handrad und einen
                              									Hebel. Mit diesem verbesserten Biplan sind Oberst Cody
                              									einige Flüge von
                              									mehreren hundert Meter gelungen und die englische Armeeverwaltung läßt für das
                              									Signalkorps jetzt mehrere dieser Drachenflieger bauen.
                           Während in Frankreich und den Vereinigten Staaten sich bereits mehrere Fabriken zur
                              									Herstellung von Drachenfliegern befinden, werden in Deutschland, wo durch die
                              									Versuche und Arbeiten von Lilienthal und Kress die theoretischen Grundlagen für den dynamischen
                              									Flug gelegt wurden, jetzt erst die ersten Versuche gemacht. Daß Deutschland in der
                              									Lösung des dynamischen Fluges zurückblieb, liegt aber nicht an den deutschen
                              									Ingenieuren, sondern allein daran, daß die reichen Leute, ausgenommen den
                              									Großindustriellen Lanz in Mannheim, der einen Preis für
                              									Flugapparate gestiftet hat, den Konstrukteuren keine Mittel zur Verfügung stellen,
                              									oder selbst Versuche machen wie viele reiche Leute in Frankreich. Lebaudy, Deutsch de la Meurthe und andere gaben das
                              									Geld zur Ausführung der ersten Versuche ohne gleich zu fragen was verdiene ich
                              									daran, oder wie sind die Garantien? Solche Leute, die den Pionieren des technischen
                              									Fortschritts die Mittel gewähren, gibt es in Deutschland leider wenige, aber ohne
                              									Geldmittel sind derartige Versuche nicht ausführbar, das hat Kress zur Genüge erfahren, der mit ungenügenden Mitteln an die Ausführung
                              									seines Drachenfliegers ging und die Arbeit nicht beenden konnte, weil er keine
                              									weiteren Gelder erhielt, und heute zusehen muß, wie die Ausländer dank reichlicher
                              									Mittel auf Grund seiner Vorarbeiten Erfolge erringen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 324, S. 251
                              Fig. 44a. Schematische Zeichnung der Stabilitätseinrichtung am Drachenflieger
                                 										Cody.
                              B1 obere, B2 untere Tragfläche; S1
                                 										rechte, S2 linke Stabilitätsfläche.
                              
                           Grade in Magdeburg hat bisher von allen deutschen
                              									Konstrukteuren von Flugapparaten die besten Leistungen erreicht. Er ist bereits über
                              									400 m geflogen. Dabei erwies sich der Drachenflieger Grade als durchaus stabil, was bei seiner Methode der Seitenstabilität,
                              									die sich an das Verfahren von Wright anlehnt, auch
                              									nicht anders zu erwarten war. Grade, ein junger
                              									Ingenieur, der sich durch die Konstruktion eines vorzüglichen Zweitakt-Motors
                              									bereits einen guten Namen gemacht hat, hat unstreitig Aussicht, den Lanzpreis zu gewinnen. Sein Triplan hat dabei mehrere
                              									vorzüglich durchbildete Details und soll daher in einem besonderen Aufsatz dieser
                              									vielversprechende Drachenflieger eingehend beschrieben werden.
                           Klimm in Stuttgart konstruierte einen Monoplan, der von
                              									den bisher ausgeführten Konstruktionen stark abweicht. Die Tragfläche ist
                              									verhältnismäßig lang, dafür aber sehr schmal, also ganz im Gegensatz zu den
                              									bisherigen Erfahrungen konstruiert. Ueber der Tragfläche befindet sich das
                              									Höhensteuer, das ebenfalls schmal gehalten ist. Hinten ist eine Kielfläche und
                              									darüber noch eine Schwanzfläche angebracht. Der Antrieb erfolgt durch einen
                              									Zwei-Zylindermotor. Die zweiflügelige Schraube ist vorn montiert. Bemerkenswert ist
                              									noch das Anlaufgestell; dieses ist aus halbkreisförmigen gebogenen Stäben
                              									zusammengesetzt, damit es federn kann und trägt drei Anlaufräder.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 324, S. 251
                              Fig. 45. Pfeilflieger von Frohwein.
                              
                           Frohwein in Godesberg macht mit einem Drachenflieger
                              									Versuche, der ebenfalls sehr lang gestreckt ist und deshalb als Pfeilflieger
                              									bezeichnet (Fig. 45) wird. Er besteht aus drei
                              									Reihen kurzer Flächen, die übereinander angeordnet sind. Die mittlere Reihe ist
                              									beiderseits mit nach hinten sich verbreitenden Flächen ausgerüstet. Vorn ist ein
                              									Höhensteuer vorhanden. Der Antrieb erfolgt bei den Modellfliegern durch einen
                              									starken Gummimotor, der eine hinten gelagerte zweiflügelige Schraube antreibt. Das
                              									Modell zeigte im freien Fluge eine gute Stabilität, ein im großen ausgeführter
                              									Flieger dürfte weniger gute Resultate ergeben.
                           Weitere Drachenflieger sind von Gragert-Berlin, Dorner-Berlin und Professor Reisert-Aachen in Arbeit. Namentlich letzterer ist auf wissenschaftlicher
                              									Grundlage konstruiert und dürfte gute Resultate ergeben. Es beginnt also auch in
                              									Deutschland auf dem Gebiete des dynamischen Fluges eine rege Tätigkeit. Auch
                              									Regierungsrat Hoffmann aus Berlin, der bereits vor
                              									Jahren einen Drachenflieger gebaut hatte, der aber infolge des Dampfmotors mit
                              									Kessel zu schwer war, hat die Konstruktion eines Drachenfliegers wiederaufgenommen.
                              										Major von Parseval hat einen solchen fast
                              									fertiggestellt. Beide dürften ernste Konkurrenten für den Lanzpreis werden.
                           
                              (Fortsetzung folgt.)