| Titel: | Der gegenwärtige Stand der Motorluftschiffahrt. | 
| Autor: | Ansbert Vorreiter | 
| Fundstelle: | Band 324, Jahrgang 1909, S. 265 | 
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                        Der gegenwärtige Stand der
                           								Motorluftschiffahrt.
                        Von Ingenieur Ansbert
                                 								Vorreiter.
                        (Fortsetzung von S. 251 d. Bd.)
                        Der gegenwärtige Stand der Motorluftschiffahrt.
                        
                     
                        
                           II. Schraubenflieger.
                           Die zweite große Gruppe von dynamischen Flugapparaten ist die der
                              									Schraubenflieger.
                           Wie schon der Name sagt, erheben sich die Schraubenflieger durch die Wirkung von
                              									Schrauben in die Luft. Die Hub- oder Tragschrauben ermöglichen das Auffliegen
                              									direkt vom Stand, also ohne Anlauf, den die Drachenflieger zum Erheben unbedingt
                              									notwendig haben. Während die Drachenflieger namentlich zum schnellen Fortbewegen in
                              									der Luft in der Horizontalen dienen, sind die Schraubenflieger namentlich zum
                              									Vertikalflug geeignet. Auch können Schraubenflieger in der Luft sozusagen Stehen, was zu
                              									Beobachtungszwecken von großer Wichtigkeit ist. Haben wir erst einmal vollkommene
                              									Schraubenflieger, so werden dieselben als Ersatz der Luftballons speziell des
                              									Fesselballons dienen können. Natürlich kann ein Schraubenflieger auch horizontal
                              									fliegen, entweder durch Veränderung der Schwerpunktslage, so daß die Wellen der
                              									Tragschrauben schräg in der Fahrrichtung nach vorn geneigt werden, oder durch
                              									Anwendung besonderer Treibschrauben mit horizontal gelagerter Welle.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 324, S. 266
                              Fig. 46. Schraubenflieger von Ganswind.
                              H. Hubschraube. N Goudel. S
                                 										Seitensteuer (diese Fläche verhindert auch ein Drehen des Apparates im
                                 										umgekehrten Sinne der Schraube.
                              
                           Das einfachste Modell eines Schraubenfliegers ist das bekannte Spielzeug, bei welchem
                              									durch eine Feder ein schraubenförmig gewundenes Blechstück durch schnelle Rotation
                              									in die Luft geschleudert wird. Nach diesem Prinzip war einer der ersten
                              									Schraubenflieger konstruiert, welchen Ganswind vor etwa
                              									sechs Jahren in Berlin gebaut hat (Fig. 46). Nur
                              									eine zweiflügelige Schraube mit vertikaler Welle ist angewendet. Bei dem großen
                              									Durchmesser der Hubschraube wurde dieselbe durch flache Stahlbänder die von Seiten
                              									der Flügel nach der Welle führten versteift. Als Antrieb versuchte Ganswind seinen Tretmotor. Es ist ihm jedoch nicht
                              									gelungen, sich mit diesem Apparat in die freie Luft zu erheben.
                           Alle anderen Konstrukteure von Schraubenfliegern haben wenigstens zwei Tragschrauben
                              									angewandt. Zwei Schrauben, die im entgegengesetzten Sinne rotieren, müssen deshalb
                              									angewandt werden, um in sicherer Weise eine Gegendrehung des ganzen Flugapparates zu
                              									vermeiden.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 324, S. 266
                              Fig. 47. Schraubenflieger von Breguet & Richet.
                              
                           Der erste Schraubenflieger, der sich wirklich mit einer Person in die Luft erhoben
                              									hat, wurde von den Brüdern Breguet & Richet in
                              									Rouen vor etwa zwei Jahren konstruiert. Wie Fig. 47
                              									zeigt, hat dieser Schraubenflieger vier vertikale Schrauben, welche an den
                              									Enden eines Kreuzes aus Stahlrohren gelagert sind. In der Mitte ist der
                              										Achtzylinder-Antoinette-Motor montiert, der mittels
                              									Wellen mit konischen Zahnrädern die Schrauben antreibt. Auch Riemen wurden zum
                              									Antrieb versucht, aber wieder aufgegeben. Jede der Tragschrauben ist eine
                              									Doppelschraube, indem zwei vierflügelige Schrauben übereinander angeordnet sind. Der
                              									Apparat ruht auf vier Füßen, welche mit Laufrollen versehen sind. Unter dem Motor
                              									ist der Sitz für den Führer angeordnet. Bei diesem ersten Schraubenflieger, dem es
                              									gelungen war, sich mehrere Meter hoch zu erheben, sind keine Einrichtungen für den
                              									Horizontalflug vorgesehen, da es dem Erfinder zunächst darauf ankam, im Prinzip
                              									festzustellen, ob es möglich sei, sich durch Hubschrauben vom Erdboden zu
                              									erheben.
                           Breguet & Richet haben jetzt einen neuen
                              									Schraubenflieger gebaut, bei welchem nur zwei in entgegengesetztem Sinne rotierende
                              									Schrauben angewendet sind. DieWellen dieser Schrauben stehen nicht genau vertikal,
                              									sondern etwa um 15 Grad nach vorn geneigt. Hinter diesen Hubschrauben, die durch
                              									ihre Neigung gleichzeitig einen Vortrieb erzeugen, sind Tragflächen angebracht;
                              									dieser Schraubenflieger ist also eine Kombination von Drachen- und Schraubenflieger.
                              									Schon bei den ersten Versuchen im Februar 1909 gelang den Konstrukteuren ein Erheben
                              									und Flüge bis über 1 km. Bemerkenswert ist noch, daß die Flügel der Schrauben
                              									elastisch sind, dadurch wollen die Erfinder ein selbsttägiges Einstellen des
                              									günstigten Steigungswinkels erreichen. Da dies der beste bisher ausgeführte
                              									Schraubenflieger ist, soll derselbe an Hand von Zeichnungen in einem späteren
                              									Aufsatze eingehend beschrieben werden.
                           Einen ähnlichen Apparat hat vor kurzem Bertin in Paris
                              									konstruiert. Er wendet zwei Hubschrauben an und eine besondere Schraube mit
                              									horizontaler Welle für die Fortbewegung. Nur sprungweise Erhebungen sind mit diesem
                              									Apparat geglückt.
                           Ebenfalls mit zwei Tragschrauben ist der Schraubenflieger von Paul Cornu konstruiert (Fig. 48), der
                              									bessere Resultate bei seinen Versuchen ergeben hat, als der Apparat von Bertin.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 324, S. 266
                              Fig. 48. Schraubenflieger von Cornu.
                              
                           Cornu sind bereits kürze Flüge gelungen, und es war ihm
                              									verhältnismäßig leicht, sich mit seinem Apparat minutenlang ununterbrochen in der
                              									Luft zu halten. Ein Vorteil gegenüber den vorher beschriebenen Schraubenfliegern ist
                              									das geringe Gewicht des Apparates von Cornu; sein
                              									Schraubenflieger wiegt betriebsfertig nur 190 kg. Dieser Schraubenflieger hat wie die Drachenflieger
                              									ein Anfahrgestell mit vier Rädern. Zum Antrieb dient ein Antoinette-Motor von 24 PS.
                           Vuitton-Huber konstruierte einen Schraubenflieger, bei
                              									weichem zwei übereinander angeordnete Hubschrauben angewendet werden. (Fig. 49.) Die beiden Schrauben drehen sich in
                              									verschiedener Richtung; zu diesem Zwecke ist die Welle der unteren Schraube als
                              									Hohlwelle ausgeführt, in welcher die Welle für die obere Schraube gelagert ist. Der
                              									Antrieb erfolgt durch einen unten am Fuße des Flugapparates montierten Achtzylinder
                              										Farcot-Motor, bei 1600 Touren i.d. Min. etwa 50 PS
                              									leistet Durch ein Planetengetriebe wird die Tourenzahl des Motors ins Langsame
                              									übersetzt, so daß die Hubschrauben max. 800 Touren machen. Die Welle des Motors
                              									steht vertikal und trägt einen Schraubenventilator, dessen Luftstrom, verstärkt
                              									durch den Luftstrom der Hubschrauben, die Zylinder kühlt. Zur horizontalen
                              									Fortbewegung ist eine dritte Schraube mit horizontaler Welle vorhanden, die mittels
                              									konischer Zahnräder angetrieben wird. Mittels einer Kupplung läßt sich diese
                              									Schraube ein- und ausschalten. Zum Auffliegen und Landen ist der Schraubenflieger
                              									mit drei Rädern versehen, die in federnden Gabeln gelagert sind. Unter der
                              									Treibschraube befindet sich hinten ein Seitensteuer. Vorn über dem Motor ist der
                              									Sitz des Führers angebracht, der mittels eines Hebels das Seitensteuer und mit einem
                              									zweiten Hebel die Kupplung bedient, um den Vortrieb beliebig regeln zu können. Das
                              									Auf- und Absteigen wird durch Regelung der Tourenzahl des Motors erreicht.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 324, S. 267
                              Fig. 49. Schraubenflieger von Vuitton-Huber.
                              A, B Hubschrauben. C Kuppelung u.
                                 										Getriebe. D Seitenständer. G Treibschraube. H Motor. K Führersitz. L, L1
                                 										Lenkhebel. V Ventilator.
                              
                           Auch Philippi in Paris konstruierte einen
                              									Schraubenflieger mit zwei Hubschrauben. Während bei Cornu und Bertin die Tragschrauben vorn und
                              									hinten montiert sind, sind dieselben bei dem Flugapparat von Philippi in der Fahrrichtung zu beiden Seiten angebracht, an den Enden
                              									eines Tragarmes, der quer zur Längsrichtung des ganzen Flugapparates gelagert ist.
                              									Weiter ist bemerkenswert, daß zum Zwecke der horizontalen Fortbewegung die
                              									Lagerböcke der Schrauben schwingbar montiert sind, so daß die Schrauben schräg zum
                              									Flugapparat eingestellt werden können. Auch Philippi
                              									verwendet ein Fahrgestell zum Anlauf des Flugapparates, und zwar sind zwei Räder
                              									vorn, eins hinten angebracht. Ueber dem hinteren Rade befindet sich auf einem
                              									Fahrradsattel der Sitz des Führers, zwischen den beiden Vorderrädern der Motor, der
                              									mittels konischer Zahnräder und einer vertikalen Welle eine im Tragarm für die
                              									Schrauben horizontal gelagerte Welle antreibt. Diese Welle hat an ihren beiden Enden
                              									wieder konische Zahnräder, die mit gleichen Zahnrädern auf den beiden
                              									Schraubenwellen im Eingriff stehen.
                           Mit dem Schraubenflieger von Philippi ist es noch nicht
                              									gelungen, sich vom Erdboden zu erheben. Es ist auch anzunehmen, daß dieser
                              									Schraubenflieger weniger stabil sein wird als die vorher beschriebenen, namentlich
                              									dürfte er durch die Nebeneinanderordnung der Schrauben in der Fahrrichtung
                              									pendeln.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 324, S. 267
                              Fig. 50. Kombinierter Schrauben- und Drachenflieger von Bertin. (Ansicht von
                                 										vorn mit Treib und Hubschraube).
                              
                           Zu den Schraubenfliegern ist auch der neue kombinierte Drachen- und Schraubenflieger
                              									zuzuzählen, den Bertin in Paris vor kurzem
                              									konstruierte, nachdem ihn die Versuche mit seinem vorbeschriebenen Schraubenflieger
                              									wenig befriedigten. Es ist dies ein Drachenflieger mit einer vertikalen Hubschraube,
                              									der Motor ist derselbe, den Bertin an seinem
                              									Schraubenflieger benutzte. Wie Fig. 50 zeigt, ist
                              									über dem Motor und den Tragflächen eine Hubschraube angebracht. Dieser kombinierte
                              									Drachen- und Schraubenflieger hat bisher nur kurze Luftsprünge erreicht.
                           Aus dem Vorstehenden ist zu ersehen, daß die Resultate mit Schraubenfliegern
                              									abgesehen von Bregnet & Richet noch sehr wenig
                              									befriedigend, sind und hinter den Flugleistungen der Drachenflieger noch sehr weit
                              									zurückstehen. Es ist unstreitig schwieriger, einen guten Schraubenflieger zu
                              									konstruieren als einen Drachenflieger. Die Schwierigkeit liegt vor allem in der
                              									Konstruktion leichter und dabei sehr kräftiger Schrauben. Auch für Drachenflieger
                              									ist. diese Schwierigkeit vorhanden, da dieselben zur Fortbewegung eine horizontal
                              									gelagerte Schraube notwendig haben. Der Unterschied zwischen der horizontalen
                              									Treibschraube des Drachenfliegers und der vertikalen Hubschraube des
                              									Schraubenfliegers liegt im wesentlichen nur in der verschiedenen Steigung der
                              									Schraubenflügel. Die Treibschrauben der Drachenflieger haben eine größere Steigung,
                              									und zwar meistens von 1 m bis 1,50 m, während die Hubschrauben der Schraubenflieger
                              									bei der Tourenzahl des Motors nur eine geringe Steigung haben, etwa ein Fünftel von
                              									den Treibschrauben. Bei geringer Tourenzahl und großen Durchmesser der Hubschrauben muß natürlich die
                              									Steigung größer sein. Im übrigen ist die Beanspruchung der Schrauben bei beiden
                              									Flugapparaten im wesentlichen dieselbe.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 324, S. 268
                              Fig. 51.
                              
                           Fig. 51 läßt die Kräfte erkennen, welchen ein
                              									Schraubenflügel bei seiner Rotation ausgesetzt ist. Auf der Welle Z ist mittels des Armes Q
                              									die Schraubenfläche 8 befestigt. Auf diese
                              									Schraubenfläche wirkt zunächst eine Kraft A parallel
                              									der Antriebswelle infolge des Druckes der schrägen Fläche auf die Luft. Diese Kraft
                              										A sucht also den Arm Q
                              									in entgegengesetzter Richtung zu biegen. Eine zweite Kraft B wirkt in der Tangente des Rotationskreises, jedoch umgekehrt als der
                              									Sinn der Rotation. Während also die Kraft A den Arm Q in der Ebene SOZ zu
                              									biegen sucht, will die Kraft B den Arm Q in der Ebene BSO biegen;
                              									auch diese Kraft entsteht durch den Druck der schrägen Flächen auf die Luft, doch
                              									ist sie bedeutend geringer als die Kraft A. Eine dritte
                              									Kraft G wirkt in Richtung des Armes Q und entspricht der Zentrifugalkraft. Die
                              									Biegungsbeanspruchung durch die Kräfte A und B läßt sich zum größten Teil verhindern, wie folgende
                              									Ueberlegung zeigt: Denken wir uns den Arm Q etwa in
                              									Punkt M gelenkig mit der treibenden Welle Z verbunden, so wird sich der Arm Q bei der Rotation in die Richtung der Resultierenden
                              									der Kräfte A und B
                              									einstellen und der Arm wird dann nicht mehr auf Biegung beansprucht, sondern nur
                              									noch auf Zug durch die Zentrifugalkraft C. Diese
                              									schräge Stellung des Armes Q läßt sich auch durch
                              									Rechnung bestimmen, so daß man dem Schraubenarm von vornherein die günstigte Lage
                              									geben kann; es bleibt dann noch die Beanspruchung durch die Zentrifugalkraft und
                              									diejenigen Biegungsbeanspruchungen, welche durch Aenderung in der
                              									Umdrehungsgeschwindigkeit entstehen. Diese treten namentlich beim Versagen einzelner
                              									Zylinder auf, in stärkerem Maße aber beim Versagen der Zündung des Motors und
                              									gerade diese Beanspruchung ist es, die sehr häufig einen Bruch des Schaftes der
                              									Schraubenflügel Q herbeiführt.
                           Bemerkenswert ist, daß die meisten Schraubenbrüche während des Anlaufs vorkommen,
                              									also bevor der Flugapparat den Erdboden verläßt. Dies läßt sich nach meiner Meinung
                              									wohl folgendermaßen erklären: Bei der hohen Umdrehungszahl, die die Luftschrauben
                              									haben, sind dieselben nach dem gyroskopischen Prinzip bestrebt, die Richtung ihrer
                              									Achse beizubehalten und nur widerstrebend und allmählich läßt sich die Achse der
                              									Schraube aus ihrer Richtung bringen. Fährt nun der Flugapparat beim Anlauf über
                              									Unebenheiten z.B. einen Stein, so erhält der ganze Flugapparat einen Stoß, der sich
                              									auch der Schraubenwelle mitteilt. Diese wird somit plötzlich aus ihrer Lage
                              									verschoben, eine Lageveränderung, die die schnell rotierenden Massen der
                              									Schraubenschäfte und Flügel nicht sofort mitmachen können. Hierdurch treten
                              									plötzliche Biegungsbeanspruchungen in den Schäften auf, wodurch diese öfter brechen.
                              									Auch die Verspannung der Schraubenflügel durch Spanndrähte zur Erzielung einer
                              									größeren Festigkeit hat diesen Mangel der Luftschrauben noch nicht beseitigen
                              									können.
                           Zu beachten ist, daß der Drachenflieger bei einem Bruch der Schraube nicht so
                              									gefährdet ist wie der Schraubenflieger; der Drachenflieger kann dann als
                              									Gleitflieger auf seinen Tragflächen allmählich heruntergleiten, während der
                              									Schraubenflieger dann keine Unterstützung in der Luft findet und beim Bruch seiner
                              									Schrauben oder sonstiger Störungen weit schneller zur Erde fällt.
                           Um einen guten Schraubenflieger zu konstruieren, müssen daher zunächst zuverlässige
                              									Tragschrauben konstruiert werden und ist es hier noch ein dankbares Feld für
                              									Versuche. Bemerken möchte ich noch, daß die bisher konstruierten Tragschrauben einen
                              									viel schlechteren Wirkungsgrad ergeben haben als die besten Treibschrauben. Bei
                              									diesen hat man bereits einen Wirkungsgrad von 76% erreicht. Im aeronautischen
                              									Institut in Lindenberg, das unter Leitung des Herrn Geheimrat Assmann steht, werden jetzt Versuche mit Luftschrauben
                              									ausgeführt.
                           
                              (Fortsetzung folgt.)