| Titel: | Eisenbahnsignalwesen und Zugbremswirkung im Betriebe mit Hochgeschwindigkeiten. | 
| Autor: | Hans A. Martens | 
| Fundstelle: | Band 324, Jahrgang 1909, S. 708 | 
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                        Eisenbahnsignalwesen und Zugbremswirkung im
                           								Betriebe mit HochgeschwindigkeitenBearbeitet nach
                                 										der im Verlage von C.W. Kreidel, Wiesbaden
                                 										erscheinenden Dr.-Ing.-Dissertation des Verfassers: „Grundlagen des
                                    											Eisenbahnsignalwesens für den Betrieb mit Hochgeschwindigkeiten unter
                                    											Berücksichtigung der Bremswirkung.“.
                        Von Eisenbahn-Bauinspektor Hans A.
                                 								Martens.
                        Eisenbahnsignalwesen und Zugbremswirkung im Betriebe mit
                           								Hochgeschwindigkeiten.
                        
                     
                        
                           Die großen führenden Eisenbahnverwaltungen der Kulturländer der Welt ringen in
                              									scharfem Wettbewerb um die erste Stelle in der Schnelligkeit der
                              									Personenbeförderung- auf Eisenbahnen, die bereits auf die ansehnliche Höhe von 100
                              									km/St. und mehr gebracht worden ist. Aber die Fahrgeschwindigkeit kann nicht ins
                              									Ungemessene gesteigert werden, denn menschliche Unvollkommenheit, das beim rollenden
                              									Zuge auftretende Arbeitsvermögen, dessen Größe im quadratischen Verhältnis der
                              									Geschwindigkeit zunimmt, die Bremswirkung, die über einen gewissen Höchstwert nicht
                              									gesteigert werden kann und die Signale, deren Schutzzone ebenfalls eine begrenzte
                              									ist, setzen eine Grenze, wo die Betriebssicherheit, jene erste Bedingung einer
                              									Zugfahrt, nicht mehr gewährleistet werden kann, wo jede Fahrt eine Gefahr für Leib
                              									und Leben darstellen würde und sträflicher Leichtsinn an Stelle des kühnen Wagemutes
                              									treten würde.
                           Es ist kein Zweifel, daß sich mit wachsender Fahrgeschwindigkeit auch alle
                              									Bestandteile zur Betriebssicherheit noch mehr vervollkommnen lassen werden, um
                              									betriebssicheres Fahren der Züge mit Hochgeschwindigkeiten zu gewährleisten. Aber
                              									bei aller Verbesserung wird sich eins nie ganz ausschalten lassen, was daher immer
                              									ein gewichtiges Wort bei der Betriebssicherheit mitsprechen wird: die menschliche
                              									Sinnes- und Verstandestätigkeit der Eisenbahnbetriebsbeamten. Wohl kann man die
                              									Hoffnung aussprechen, daß die Signal- und Sicherungswerke immer geeigneter gebaut
                              									werden, um menschliche Tätigkeit zu unterstützen, gänzlich ihrer entraten, wird der
                              									Eisenbahnbetrieb niemals können. Bei der Zugförderung- selbst wird die Tätigkeit des
                              									Lokomotivführers immer bestehen bleiben und die Tätigkeiten seiner Sinne, seines
                              									Verstandes und seines Charakters, d.h. seines Pflichtgefühls werden der Erhöhung der
                              									Fahrgeschwindigkeit eine viel frühere Grenze setzen als die Technik es bezüglich der
                              									Leistungsfähigkeit der Fahrzeuge und des Gleises tun würde. Schon bei den heutigen
                              									Schnellzügen, die oft dauernd zwischen 95 und 100 km/St, fahren, ist die geistige
                              									Anstrengung des Lokomotivführers bei der Streckenbeobachtung, ganz abgesehen von der
                              									Führung der Lokomotive, eine ungeheure, wird aber nur zu häufig unterschätzt: Auf
                              									einen Standort, den Führerstand der Lokomotive, gestellt, der durch ständiges,
                              									lärmendes Rütteln Körper und Nerven in gleicher Weise zermürbt, während 4 bis 5
                              									Stunden durchschnittlich alle 4 bis 5 Minuten ein Signal sichten und beachten, im
                              									ganzen rd. 50 bis 80 Signale während der ganzen Fahrt, bedeutet eine gewaltige
                              									geistige Anspannung. Und wie gestaltet sich die Fahrt bei dichtem,
                              									undurchdringlichem Nebel? Auf Entfernungen, die in kaum 1½ bis 2 Sek. durchfahren
                              									werden, tauchen plötzlich die winzig erscheinenden Signallichter der Einfahrsignale
                              									auf, von denen das Wohl und Wehe des unaufhaltsam dahinrasenden Schnellzuges
                              									abhängt, der keine Ermäßigung der Geschwindigkeit kennen darf, um nicht die
                              									gefahrvergrößernde Unregelmäßigheit im eignen und dem Lauf anderer Züge
                              									herbeizuführen. Und muß der Lokomotivführer nicht gewärtig sein, daß ihm an
                              									beliebiger Stelle der Strecke ein unerwartetes Haltesignal gegeben werden kann? Aus
                              									allen diesen Gründen soll für die nachfolgenden Betrachtungen die Grenze der
                              									Hochgeschwindigkeiten auf 120 km/St. vorausgesetzt werden. Der Begriff
                              										„Hochgeschwindigkeit kennzeichnet die über 100 km/St. liegenden
                                 										Fahrgeschwindigkeiten.
                           
                              Wird vorausgesetzt, daß Bauart der Fahrzeuge und der Oberbau die ausreichende
                                 										Sicherheit gegen Entgleisen selbst bei noch zu steigernden Geschwindigkeiten
                                 										gewähren, so hängt die Sicherheit des Zuges jetzt nur noch von den Signal- und
                                 										Sicherungseinrichtungen und der Bremswirkung ab. Mit Hinblick auf die beiden
                                 										letztgenannten Umstände läßt sich der Begriff „betriebssicher“ dahin
                                 										enger umgrenzen, daß eine Zugfahrt als betriebssicher gilt, wenn die
                                 										Uebertragung eines beliebigen Haltsignals an den Lokomotivführer zuverlässig
                                 										derart erfolgen kann, daß der Zug mit Sicherheit vor dem Haltsignal zum
                                 										Stillstand gebracht werden kann. Die Stelle, an der der Lokomotivführer das
                                 										Haltsignal aufnimmt, muß also auf jeden Fall mindestens in Notbremsweglänge vom
                                 										Haltsignal selbst liegen. Die Betriebssicherheit wird also eine Abhängige des
                                 										Signalwesens und der Bremswirkung. Es sollen daher die Bedingungen aufgesucht
                                 										werden, welchen das Signalwesen bei Zügen mit Hochgeschwindigkeiten entsprechen
                                 										muß: Die Hauptaufgabe wird liegen in der Beurteilung der notwendigen
                                 										Signalbefehle und der Gestaltung- dieser zu unzweideutig wahrnehmbaren
                                 										Signalbildern großer Fernsichtbarkeit und Aufdringlichkeit. Da die Uebertragung
                                 										der Signale an den Zug von der Signalfernsichtbarkeit abhängt, diese aber unter
                                 										mannigfachen Umständen sehr eingeschränkt ist, so muß der Bremswirkung des Zuges
                                 										die gebührende Wichtigkeit bei der Beurteilung der Betriebssicherheit
                                 										schnellfahrender Züge zugewiesen werden. Es kommt darauf an, die Gefahrzone
                                 										eines Zuges, d.h. den Bremsweg aus der Vollgeschwindigkeit bis zum Stillstand
                                 										nach Möglichkeit klein zu halten. Ueber diese Gefahrzone hinaus, die praktisch
                                 										immer erst dort besteht, wo ein Haltsignal gegeben wird, müssen die Signale in
                                 										der Regel vom Lokomotivführer gesichtet werden können.
                              
                           
                              Es besteht also eine bedeutsame Wechselwirkung zwischen Signalwesen und
                                 										Bremswirkung, die mit Notwendigkeit darauf hinweist, diese beiden einflußreichen
                                 										Bestandteile der Betriebssicherheit im engsten Zusammenhang zu behandeln.
                                 										Gänzlich falsch ist es, jeden von beiden Bestandteilen der Betriebssicherheit
                                 										losgelöst von andern zu größter Vollkommenheit treiben zu wollen, denn dadurch
                                 										kann eher eine Hemmung als eine Förderung eintreten: Entweder werden dem
                                 										Signalwesen zu große Aufgaben gestellt, die die Bremstechnik zu erleichtern
                                 										imstande ist, oder die Grenzen für die Bremswege werden zu eng gezogen, wenn
                                 										nicht der Beitrag des Signalwesens zur Betriebssicherheit genügend bewertet
                                 										wird.
                              
                           Die Gefährlichkeit eines Zuges wird gemessen durch seine kinetische Energie, die
                                 										Verfasser schon in seinen früheren Veröffentlichungen„Wirkungsgrad einer Zugfahrt“ in
                                       												Zeitung des Vereins Deutscher Eisenbahnverwaltungen, 1905.
                                 										mit Rücksicht auf die besonderen
                                 										Verhältnisse als „Gefahrmoment“ bezeichnet hat. Die Gefahrzone eines
                                 										Zuges ist bestimmt durch Gefahrmoment und Bremswirkung.“ Es ist
                              									einleuchtend, daß mit wachsendem Gefahrmoment auch die Bremswirkung verstärkt werden
                              									muß, um die Gefahrzone innerhalb der durch die allgemeinen Betriebsverhältnisse
                              									gegebenen Grenzen zu halten. Die Entwicklung der Forderungen für die Bremswirkung
                              									von Zügen mit Hochgeschwindigkeit läuft darauf hinaus, aus gegenwärtigen
                              									Verhältnissen des Fahrdienstes den zulässigen Bremsweg festzustellen, um ihn dann
                              									für den Betrieb mit Hochgeschwindigkeiten unter der Bedingung mindestens gleicher
                              									Sicherheit für den fahrenden Zug zu bestimmen und zu begründen. Es ist sehr
                              									schwierig, zahlenmäßig Gefahrmoment, Bremsweg und Fahrgeschwindigkeit so
                              									festzulegen, daß die Betriebsverhältnisse gefahrlos genannt werden können. Nur die
                              									Erfahrungen der allmählich fortschreitenden Entwicklung zu höheren
                              									Fahrgeschwindigkeiten werden einen wirklichen zuverlässigen Zusammenhang von
                              									Zugstärke, Geschwindigkeit und Bremswirkung bringen. Die Gefahrmomente deutscher
                              									Schnellzüge in größter Länge belaufen sich bei 100 km/St. auf mehr als 21060 mt (nur
                              									aus dem Wagengewicht ausschl. Lokomotivgewicht berechnet). Bei 120 km/St. werden die
                              									Gefahrmomente etwa um die Hälfte größer werden, also den Wert von 30000 mt
                              									erreichen. Die Bremswirkung muß also verstärkt werden, um mit dem gleichen
                              									Sicherheitsgrade, wie zur Jetztzeit die Schnellzüge fahren zu können. Aus
                              									zahlreichen eigenen Versuchen an fahrplanmäßigen Schnellzügen leitet Verfasser die
                              									mittlere Bremsverzögerung zu 0,45 bis 0,5 m/Sek.2
                              									mit 630 bis 560 m Bremsweg her bei einer Streckengeschwindigkeit von 85 km/St: Der
                              									mittlere Bremsweg heutiger Schnellzüge beträgt also rd. 600 m bei einer Bremszeit
                              									von rd. 60 Sek. Die Werte rechnen vom ersten Ansetzen der Bremse bis zum Stillstand
                              									des Zuges. Die genannten Werte werden von allen geübten Lokomotivführern mit großer
                              									Sicherheit erreicht. Bei weniger geübten Führern sinkt die mittlere Verzögerung auf
                              									0,4 m/Sek.2, wobei sich ein Bremsweg von 700 m aus
                              									85 km/St, ergibt: Wegen der Befürchtung, den Bahnsteig zu „überfahren,“
                              									bremst der weniger geschickte Führer anfangs sehr scharf, hebt die Bremsung aber bei
                              									einer Geschwindigkeit von 55 bis 65 km/St, teilweise wieder auf, aus der es ihm dann
                              									sicher gelingt, den Zug an vorgeschriebener Stelle zum Stillstand zu bringen. Das
                              									gleiche Verfahren wird beim Bremsen aus höheren Geschwindigkeiten, 90 bis 100
                              									km/St., in der Regel geübt, wobei die Bremswege zwischen 700 und 800 m liegen.
                           Zu bemerken bleibt noch, daß diese Zahlen wirkliche Betriebs- und keine sogenannten
                              									Paradewerte darstellen, da die Beobachtungen stets ohne Wissen des Lokomotivführers
                              									gemacht worden sind.
                           Bei Schnellbremsung betragen die mittleren Verzögerungen in der Regel 0,7, unter
                              									günstigen Umständen 0,8 m/Sek.2. Die Notbremswege,
                              									die in ihrer Länge bei Versuchsfahrten, noch mehr aber bei Zügen des planmäßigen
                              									Dienstes meist sehr von einander abweichen, sind bei Geschwindigkeiten von 85 bis
                              									100 km/St, zwischen 350 und 550 m anzunehmen, Notbremswege von 700 m aus höheren
                              									Geschwindigkeiten gehören aber nicht zu den Seltenheiten unter ungünstigen
                              									Witterungsverhältnissen (Reif, Laubfall) und bei sehr abgenutzten Bremsen.
                           Mit den gleichen Verzögerungswerten (0,4 bis 0,5 m/Sek.2) ergeben sich aus 120 km/St. Betriebsbremswege von 1400 bis 1100 m und
                              									Schnellbremswege von 800 bis 700 m (bei 0,7 bis 0,8 m/Sek.2). Versuchsfahrten haben gelehrt, daß diese
                              									Werte der Schnellbremswege mit der normalen Westinghouse-Bremse meist überschritten werden und bis zu 1000 m
                              									ansteigen. Seit Jahren haben sich daher die Bestrebungen darauf gerichtet, die
                              									Bremswege selbst für Hochgeschwindigkeiten in den Grenzen der jetzt üblichen von 500
                              									bis 600 m zu halten. Die Theorie stellt die Aufgabe, einen möglichst hohen
                              									Bremsanfangsdruck anzuwenden, der mit abnehmender Geschwindigkeit auch abnehmen muß
                              									gemäß der mit der Geschwindigkeit veränderlichen Reibungsvorzahl zwischen Rad und
                              									Bremsklotz. Versuche mit Bremsen, die mit selbsttätig abnehmendem Bremsklotzdruck
                              									arbeiten, haben ergeben, daß eine Verminderung des Bremsweges gegen den Bremsweg bei
                              									Bremsung mit unveränderlichem Bremsdruck um 30 v.H. möglich ist, wobei aus 120
                              									km/St, bei Schnellbremsung eine mittlere Verzögerung von 1 m/Sek.2 erzielt werden kann. Leider ist es noch nicht
                              									gelungen, die scharfen Bremsungen so verlaufen zu lassen, daß Zugtrennungen sicher
                              									vermieden werden. Die Bremseinrichtung ist aber erheblich vielteiliger geworden, so
                              									daß sich ihre Beschaffungs- und Unterhaltungskosten wesentlich vergrößern würden.
                              									Auch haben diese sogenannten „Schnellbahnbremsen“ noch nicht den Beweis der
                              									Betriebstüchtigkeit im Dauerbetriebe erbracht. Es liegen zwei Fragen vor, welche
                              									bezüglich der Bremswirkung, ganz unbekümmert um Forderungen des Betriebsdienstes zu
                              									beantworten sind: 1. Welche Bremsverzögerungen können mit Rücksicht auf die
                              									Reisenden, auf die Materialbeanspruchung der Fahrzeuge und des Oberbaues höchstens
                              									angewendet werden? 2. Welche Bremsverzögerungen sind durch eine Bauart zu erreichen,
                              									die von der normalen Westinghouse-Bremse nur wenig
                              									abweicht, d.h. nicht wesentlich vielseitiger ist? Der Höchstwert der Verzögerung,
                              									der theoretisch möglich ist, ergibt sich aus folgender Ueberlegung. Die
                              									Verzögerungskraft P eines Zuges, dessen sämtliche Achsen gebremst werden, ist:
                           P =  Masse des Zuges ×
                              									Verzögerung,
                           P=M \cdot p=\frac{G}{g} \cdot p;
                           wobei G das Zuggewicht und g die Erdbeschleunigung ist. Anderseits ist die
                              									Verzögerungskraft gleich dem Produkt aus Zuggewicht (G)
                              									und Reibungsvorzahl (f):
                           
                              P = G . f.
                              
                           Aus beiden Gleichungen ergibt sich
                           
                              p = g . f.
                              
                           Mit der Reibungsvorzahl f = 0,24 ergibt sich eine
                              									Größtverzögerung von rd. 2,4 m/Sek.2. Dem
                              									Verfasser sind Versuche über die Einwirkung der beim Bremsen auftretenden
                              									Verzögerungskräfte auf die Reisenden nicht bekannt geworden Mit der Erwägung, daß
                              									die Verzögerungskraft, die vom Reisenden subjektiv als Zug in Richtung der Fahrt
                              									nach vorwärts verspürt wird, in einem bestimmten Verhältnis zum Körpergewicht steht
                              									und einen oberen Grenzwert hat, dessen Ueberschreiten Unbehagen mit Gefahr der
                              									Verletzung beim Reisenden mit sich bringt, hat Verfasser eine Reihe von Versuchen
                              									angestellt, aus denen einige Werte mitgeteilt seien.
                           
                              
                                 Verzögerungin m/Sek.2
                                 in kg
                                 Verzögerungsdruckin Bruchseiten vom
                                    											Körpergewicht
                                 
                              
                                 1. 0,23
                                 1,5
                                 
                                    \frac{1}{43,3}
                                    
                                 
                              
                                 2. 0,39
                                 2,5
                                 
                                    \frac{1}{26}
                                    
                                 
                              
                           
                           
                              
                                 Verzögerungin m/Sek.2
                                 in kg
                                 Verzögerungsdruckin Bruchseiten vom
                                    											Körpergewicht
                                 
                              
                                   3. 0,54
                                 3,5
                                 
                                    \frac{1}{18,6}
                                    
                                 
                              
                                 4. 0,7
                                 4,5
                                 
                                    \frac{1}{14,4}
                                    
                                 
                              
                                 5. 1,0
                                 6,5
                                 
                                    \frac{1}{10}
                                    
                                 
                              
                           Bei Versuch No. 4 wirkt der ruhige Druck lästig; bei augenblicklicher Wirkung kann
                              									Umstürzen eintreten.
                           Bei Versuch No. 5 wirkt der ruhige Druck bereits sehr unangenehm, da er starken
                              									Gegendruck zum Ausgleich erfordert. Bei Augenblickswirkung tritt Fortstoßen ein. Die
                              									Versuche zeigten zunächst die Bedeutung der Entwicklungsdauer der Bremsverzögerung
                              									von Null bis auf den betreffenden Wert. Da jedoch eine bestimmte, als zulässig
                              									erkannte Geringstdauer für das Ansteigen der Bremsverzögerung konstruktiv nicht mit
                              									Sicherheit erzielt werden kann, so wird mit dem ungünstigen Fall des fast
                              									augenblicklichen Anwachsens gerechnet werden müssen. Die Versuche bestätigten
                              									ferner, daß bei einer Verzögerung von 0,7 m/Sek.2,
                              									namentlich bei plötzlichem Einsetzen (Schnellbremsung) ernstliche Gefahr und Gefühl
                              									der Unbequemlichkeit für die Reisenden in die Erscheinung zu treten beginnen. Man
                              									wird daher mit diesem Wert für gewöhnliche Betriebsbremsungen, besser aber mit 0,6
                              										m/Sek.2 rechnen. Für Gefahrfälle kann
                              									natürlich die Bremsverzögerung höhere Werte annehmen, da ihr Nutzen im Vergleich zu
                              									den etwaigen, doch nur immer gering bleibenden Verletzungen der Reisenden durch
                              									Straucheln nicht hoch genug bewertet werden kann. Hier wird weniger die Rücksicht
                              									auf die Reisenden, als die Erwägung maßgebend sein, ob die angestrebten
                              									Verzögerungen erreicht werden können mit einer Bremsbauart, die der Grundlage der
                              									Einfachheit und der dadurch bedingten Vorzüge nicht verlustig geht. Deshalb wird man
                              									auch in Gefahrfällen sich mit Verzögerungswerten bescheiden müssen, die weit unter
                              									der theoretisch möglichen Grenze liegen, damit nicht die auf bremstechnischem
                              									Gebiete zu lösende Aufgabe zu sehr erschwert wird, während vielleicht durch das
                              									Signalwesen der Beitrag zur Betriebssicherheit leichter möglich wird. Zu bemerken
                              									bleibt noch, daß durch hohe Verzögerungsdrucke die Fahrzeuge in der Festigkeit ihrer
                              									Verbände – die große Abnutzung von Radreifen und Bremsklotz bedarf des Hinweises
                              									wohl kaum – und der Oberbau in den Befestigungen der Schienen auf den Schwellen
                              									beansprucht werden, worüber Erfahrungen noch keineswegs vorliegen. Auch die sichere
                              									Lagerung größerer Handgepäckstücke in den Gepäcknetzen scheint bei deren
                              									gegenwärtiger, schwerlich zu ändernden Form ernstlich bedroht zu sein.
                           Da die normale Westinghouse-Bremse mit unveränderlichem
                              									Bremsdruck bei Hochgeschwindigkeiten Bremswege ergibt, deren Größe nicht zugelassen
                              									werden kann, da anderseits eine Bremseinrichtung, die den erhöhten Bremsdruck nach
                              									der theoretischen Linie selbsttätig abfallen läßt, bisher befriedigende Ergebnisse
                              									nicht aufzuweisen hat, so wird vielleicht die hauptsächlich von amerikanischen
                              									Fachleuten vertretene Anschauung die Lösung bringen, die Bremsung in zwei Stufen mit
                              									entsprechendem unveränderlichem Bremsdruck vorzunehmen: In der Oberstufe wirkt der
                              									höhere Bremsdruck, berechnet aus den Reibungsverhältnissen der Grenze, in der
                              									Unterstufe wird der zur Zeit übliche Niederdruck berechnet aus den
                              									Reibungsverhältnissen dicht vor dem Stillstand, beibehalten. Die Grenze liegt
                              									nach amerikanischen Versuchen auf der New Jersey-Central-Bahn bei 30 km/St. Ob der
                              									Abfall des Hochdrucks auf den Niederdruck an der Grenze selbstätig oder von Hand
                              									durch den Lokomotivführer erfolgen soll, wird Gegenstand eingehendster Versuche und
                              									Prüfungen sein müssen. Im ersten Fall würde die Bauart der Bremse an Einfachheit
                              									einbüßen, im andern Fall liegt die Gefahr nicht richtiger Handhabung der Bremse vor,
                              									die nicht unterschätzt werden darf; denn es widerspricht der erfahrungsmäßigen
                              									Auffassung des Bremsenden, eine Verbesserung der Bremswirkung durch Erniedrigung des
                              									Klotzdruckes, also durch teilweises Lösen einzuleiten. Doch besteht die Hoffnung,
                              									daß der tatsächliche Erfolg einer vorschriftsmäßigen Handhabung der Bremse diese
                              									selbst bald zur Gewohnheit werden ließe, die auch durch zweckentsprechende
                              									Ausbildung des Führerbremshebels – Uebergang zur Niederdruckstufe in gleicher
                              									Drehrichtung wie beim Bremsen in der Oberstufe – unterstützt werden könnte. Das
                              									Nachlassen des Bremsdruckes wäre natürlich nur unter Zuhilfenahme eines
                              									Geschwindigkeitsmessers möglich, der ohnehin bei Hochgeschwindigkeiten nicht
                              									entbehrt werden kann. Mit dieser Zweistufendruckbremsung lassen sich die Bremswege
                              									gegen die normale Westinghouse-Bremse mit einem
                              									unveränderlichen Bremsdruck um etwa die Hälfte verringern; oder um in einem
                              									Vergleich zu sprechen: Der Bremsweg beider Zweistufendruckbremsung aus 120 km/St,
                              									entspricht etwa dem Bremsweg der Bremse mit unveränderlichem Bremsdruck aus 90
                              									km/St.
                           Während man auf die Durchbildung der Bremse bisher ganz außerordentliche Sorgfalt
                              									verwendet und hohe Kosten für den Probebau der geistreich erdachten
                              									Bremseinrichtungen mit selbsttätig abfallendem Bremsdruck sowie für ihre Erprobung
                              									in Versuchszügen aufgewendet hat, hat man eine Hilfseinrichtung der Lokomotive auf
                              									deutschen Bahnen fast ganz vergessen und sich dadurch ihrer schätzenswerten
                              									Unterstützung beim Bremsen begeben: Es ist der Lokomotivsandstreuer. Trotz guter
                              									Durchbildung als Preßluftsander findet er in der Regel keine Anwendung. Die
                              									Erfahrung lehrt, daß es schon recht schlechtes Fahren oder Gefahr im Verzüge sein
                              									muß, damit der Lokomotivführer zum Sander greift. In der Regel wird der Sander beim
                              									Bremsen nicht benutzt. Zum Nutzen guter, kräftiger Bremswirkung möchte Verfasser auf
                              									den ständigen, reichlichen Gebrauch des Sanders beim Anfahren und Bremsen hinweisen,
                              									wie er ihn auf englischen Bahnen beobachtet hat: Wenige Sekunden vor dem Ansetzen
                              									der Bremse wird gesandet, so daß auch die Räder der Wagen, wenn auch in verringertem
                              									Maße, an der Sandung teilnehmen. Der ständige Gebrauch des Sanders bringt natürlich
                              									auch seinen guten Zustand mit sich. Es ist sehr zu empfehlen, den Gebrauch des
                              									Sanders beim Bremsen durch die Erziehung beim Lokomotivpersonal sich einbürgern zu
                              									lassen. Der anfängliche Widerstand des Personals wird sich recht bald in
                              									selbstverständliche Erfüllung der neuen Vorschrift verwandeln.
                           Bemerkenswert ist es, daß neuerdings der Gedanke der Einzelfahrzeugsandung von der
                              										Gesellschaft für Adhäsionsapparate in Bern
                              									aufgegriffen und praktisch gestaltet worden ist, mit anscheinend gutem Erfolge: Ein
                              									aus acht zweiachsigen Wagen bestehender Versuchszug, von dem nur fünf Achsen mit von
                              									der Druckluftleitung bei Schnellbremsung- selbsttätig angestellten Einzelsandern
                              									ausgerüstet waren, konnte aus 50 km/Std. mit einem um rd. 30 v.H. geringeren
                              									Bremsweg zum Stillstand gebracht werden, gegenüber der Bremsung ohne Sandüng. Der Erfolg ist groß
                              									genug, so daß er zu weiteren Studien anregen muß. Die Erhöhung der
                              									Reibungs-vorzahlen durch kräftiges Sanden kann überschläglich nach Kramer aus folgender Tabelle entnommen werden:
                           
                              
                                 Schienenbeschaffenheit
                                 Reibungsvorzahlen
                                 
                              
                                 natürlicher Zustand
                                 mit Sanden
                                 
                              
                                 trocken
                                 
                                    f
                                    s
                                    
                                    f
                                    k
                                    
                                 3fs2fk
                                 
                              
                                 schlüpfrig
                                 0,5fs0,56fk
                                 1,6fs1,2fk
                                 
                              
                           
                              
                                 fs =
                                 Reibungsvorzahl
                                 zwischen
                                 Rad
                                 und
                                 Schiene,
                                 
                              
                                 fk =
                                 „
                                 „
                                 „
                                 „
                                 Bremsklotz.
                                 
                              
                           Man darf die sichere Erwartung- aussprechen, daß bei Weiterentwicklung der
                              									angedeuteten Arbeiten zur Vervollkommnung der Bremswirkung im Betriebe mit
                              									Hochgeschwindigkeiten Betriebsbremswege von 700 bis 900 m und Schnellbremswege von
                              									600 bis 700 m die Regel sein werden.
                           Es drängt sich die Frage auf, ob die richtige Abschätzung der Entfernung- für den
                              									größeren Bremsweg möglich sein wird. Man kann beobachten, daß eingefahrene
                              									Lokomotivführer mit größter Gleichartigkeit die Vorbereitungen zum Anhalten des
                              									Zuges immer an derselben Stelle vor dem Bahnhof treffen, wobei sie in der Regel ihre
                              									Merkmale in Gestalt von Brücken, Wärterbuden, Signalen und anderen Gegenständen
                              									haben. Es ist nur natürlich, daß solche Merkmale auch für das Ansetzen der Bremse
                              									bei Hochgeschwindigkeiten sich herausbilden werden. Schwieriger aber wird zweifellos
                              									das Zurechtfinden in der Nacht werden, besonders wenn diese sehr finster oder
                              									unsichtiges Wetter ist. Dann wird es keine bessere Lösung- geben, als eine bestimmte
                              									Entfernung vor dem Haupteinfahrtsignal des Bahnhofs zu kennzeichnen, z.B. 1000 m vor
                              									dem Signal. Würde an dieser Stelle eine kräftige Betriebsbremsung in üblicher Weise
                              									einsetzen, so könnte der Zug mit Sicherheit vor dem Signal zum Stillstand gebracht
                              									werden. An diesem Bremsmerkzeichen wäre auch mit der Betriebsbremsung zu beginnen,
                              									sofern zweideutige oder nicht erkennbare Signale die Weiterfahrt mit
                              									Streckengeschwindigkeit als gefahrvoll erscheinen lassen. Wird dieses
                              									Bremsmerkzeichen als einfache Tafel, als Laternenlicht bei Nacht ausgebildet, so
                              									kann man von vornherein den Mißerfolg voraussagen: denn es fehlt diesem Merkzeichen
                              									die Möglichkeit, sich im Augenblick dem Lokomotivführer aufzudrängen. Es muß
                              									vielmehr während mehrerer Sekunden der Vorbeifahrt sichtbar bleiben, eine Forderung,
                              									die nur durch Sichtwände erfüllt werden kann, deren Länge mit der
                              									Fahrgeschwindigkeit im ursächlichen Zusammenhang steht. Als Muster kann der
                              									Signalankündiger holländischer Eisenbahnen dienen. Er besteht aus drei dicht
                              									hintereinander längs der Strecke aufgestellten, schräggeneigten Tafeln, die bei den
                              									dortigen Fahrgeschwindigkeiten etwa 5 Sek. im Gesichtskreis des Führers bleiben. Bei
                              									Nacht werden die weißgestrichenen Tafeln von den Lokomotivlaternen beleuchtet.
                           Haben wir vorstehend zu beweisen versucht, wie die Bremstechnik den Anforderungen des
                              									Betriebes mit Hochgeschwindigkeiten nur gerecht werden kann, wenn sie die Grundlage
                              									der Einfachheit in der Bauart der Bremseinrichtungen nicht verläßt, so gehen wir nun
                              									dazu über, die Ziele der Fortentwicklung des Signalwesens zu kennzeichnen. Auch hier
                              									darf der Grundgedanke allergrößter Einfachheit in den Signalvorschriften und
                              									den Bauarten der Signaleinrichtungen nicht aufgegeben werden. Allein das Bewußtsein,
                              									daß die Vorschriften dem Lokomotivführer oft innerhalb Bruchteilen von Sekunden
                              									gegenwärtig werden und von ihm beachtet werden müssen, daß alle Einrichtungen, die
                              									den fahrenden Zug angehen, unter Wind und Wetter, Schnee und Eis, Kälte und Hitze
                              									gleich gut und sicher arbeiten müssen, gibt die Richtschnur für die Bearbeitung der
                              									aus dem praktischen Betriebe zu schöpfenden Grundlagen: Signal-Vorschriften müssen
                              									an die Verstandes- und Gedächtnisfähigkeiten der Beamten geringste Anforderungen
                              									stellen, alle Einrichtungen im Signalbetrieb und an den Zügen sind, je einfacher
                              									erdacht und ausgeführt, um so besser. Es erscheint recht angebracht, hier einige
                              									Worte des Altmeisters Deutscher Eisenbahner, Max Maria von
                                 										Webers, anzuführen, die aus längst vergangener Zeit noch heute wie ein
                              									Mahnruf zu uns herüberklingen und der Beherzigung so wert sind: „Ebenso hat das
                                 											„Regiment des Vernünftigen und Praktischen“ in England bereits seit
                                 										geraumer Zeit die große Frage der Einheit und Allgemeinverständlichkeit der
                                 										Sprache und der Methode der Signalzeichen erledigt, die jetzt noch in
                                 										Deutschland die theoretischkritischen Talente unserer Eisenbahntechniker
                                 										beschäftigt und, im ernsten Streben nach dem Allerbedeutungsvollsten,
                                 										Allersicherndsten und an alle Möglichkeiten Denkenden, der Signalsprache zurzeit
                                 										noch einen guten Teil des Mangels an Allgemeinverständlichkeit gelassen hat, der
                                 										sie vor wenig Jahren noch, durch Anwendung von einigen hundert verschiedenen
                                 										Zeichen, zu einer Quelle zahlreichster Mißverständnisse und Gefahren
                                 										machte.“ Diese Worte, geschrieben, als das Deutsche Eisenbahnwesen kaum drei
                              									Jahrzehnte alt geworden war, schließen die Beurteilung ein, die Vorteile und
                              									Nachteile abzuwägen, zwischen ihnen einen Vergleich zu schließen, um das Große unter
                              									Vernachlässigung des Kleinen, Unwichtigen zu erreichen. Ein Begnügen mit dem
                              									Fortschritt des Wichtigen und Wesentlichen schließt die Möglichkeit des Einfachen in
                              									sich ein. Die Entwicklungsgeschichte des Signalwesens in allen Ländern hat der Weberschen Anschauung recht gegeben: Die
                              									Signalordnungen sind mehrfach durchgesehen und in vereinfachter Form, d.h. mit einer
                              									geringeren Anzahl von Signalbegriffen und deutlicheren Signalbildern neu
                              									herausgegeben worden. Erstaunlich erscheint die Mannigfaltigkeit in den Grundzügen
                              									der einzelnen Signalordnungen, trotzdem die Erkenntnis in den Anforderungen an ein
                              									neuzeitliches Signalsystem schon so weit vorgeschritten ist, daß sie wesentliche
                              									Hauptgesichtspunkte der Signaltheorie als internationales Gemeingut aller
                              									Eisenbahnen festlegen kann. Unbestritten ist es, daß Land und Leute,
                              									Geländeverhältnisse, geographische Beschaffenheit das Signalwesen in gewisse,
                              									eigenartige Formen prägen, aber ebenso unbestritten läßt sich behaupten, daß es
                              									viele grundlegende Lehrsätze in der Signaltheorie gibt, die für die Eisenbahnen
                              									aller Länder Geltung haben, ohne jenen Landeseigentümlichkeiten im Signalwesen die
                              									Berechtigung zu nehmen. Und wenn es solche allgemein gültigen Lehrsätze gibt, so ist
                              									nicht begreiflich, warum nicht von allen Eisenbahnen ihre Annahme angestrebt wird
                              									und dies namentlich zum Nutzen von Verwaltungen, die zu einem größeren Verbände
                              									(z.B. Verein Deutscher Eisenbahnverwaltungen) zwecks Erleichterung der technischen
                              									Einrichtungen und Erhöhung der Betriebssicherheit vereinigt sind oder die
                              									ausgedehnte Gemeinschaftsbetriebe (Amerika, England) haben. Nachstehend soll
                              									versucht werden, einige international gültige signaltechnische Lehrsätze
                              									aufzustellen unter einer Reihe von Voraussetzungen, deren Berechtigung zunächst
                              									erbracht werden muß.
                           
                           Die ordentlichen, ortsfesten (Vor- und Hauptsignale) und die außerordentlichen,
                              									an beliebiger Stelle der Bahnstrecke nach Bedarf gegebenen (Gefahr- und
                              									Langsamfahrsignale) Bahnzustandssignale werden als Deckungssignale gewertet; sie
                              									decken in Haltstellung den hinter ihnen liegenden Gleisbereich, während sie ihn in
                              									Langsamfahr- oder Warnstellung durch den Befehl zu langsamer Fahrt so schützen, daß
                              									der in ermäßigter Geschwindigkeit fahrende Zug betriebssicher über die signalisierte
                              									Langsamfahrstelle fährt oder in Erwartung eines Haltsignals an jeder Stelle mit
                              									einem sehr kleinen Bremsweg zum Stillstand gebracht werden kann. Die Signale gelten
                              									daher in erster Linie für den Lokomotivführer zur Aufklärung
                                 										über die Geschwindigkeit, die vor einem Haltsignal – Weiterfahrt verboten =
                              									Halt – auf Null zu ermäßigen ist, bei einem Warnsignal – Weiterfahrt bedingt erlaubt
                              									= Langsame Fahrt – in einer den Umständen angemessenen Weise zu verringern ist,
                              									während sie bei dem Fahrsignal – Weiterfahrt unbedingt erlaubt = Volle Fahrt –
                              									beibehalten wird oder aus anderen Gründen, die aber mit dem Tatbestand der für die
                              									Fahrt freien Strecke (z.B. Anhalten auf einem Bahnhof) nichts zu tun haben, ermäßigt
                              									werden kann. Diese Auffassung, die Signale zu werten, wird nicht von allen
                              									Fachleuten geteilt, obgleich sie sich in zwingendster Weise aus dem praktischen
                              									Fahrdienst ergibt, ja aufdrängt. Erst in zweiter Linie können Signale dazu dienen,
                              									dem Stationspersonal durch die gezogene Stellung anzuzeigen, daß eine Fahrstraße
                              									demnächst durch einen Zug befahren werden wird. Daß es die erste Aufgabe der
                              									Bahnhofs-Hauptsignale nicht sein kann, über die fahrdienstliche Lage des Bahnhofs
                              									aufzuklären, folgt schon aus dem Zweck des Signals, welches dem Zuge den
                              									Signalbefehl entgegengibt.
                           Es muß daran festgehalten werden, daß rotes Licht als unbedingtes Gefahr- und
                              									Haltsignal gilt, das in seiner Bedeutung als Haltbefehl keine Einschränkung kennt.
                              									Es darf also in keinem Fall ohne besonderen Auftrag vom Zuge überfahrnn werden. Das
                              									rote Licht hat sich als Gefahrsignal so eingebürgert, daß es in allen neueren
                              									Signalordnungen als solches aufgeführt wird. Seine Verwendung mit anderen Lichtern
                              									in Gruppenlichtern (Amerika, Belgien, Dänemark) ist daher unbedingt auszuschließen:
                              									Jedes andere Signallicht in Gruppe mit Rot könnte begrifflich nur eine Erläuterung
                              									oder Einschränkung des Halt, wenn nicht gar einen gänzlich anderen Begriff
                              									ausdrücken; die Erläuterung ist überflüssig, die Einschränkung ein Schlag gegen den
                              									Begriff Halt, für die Verwendung des Rot zur Darstellung anderer Begriffe in
                              									Verbindung mit anderen Lichtern erübrigt sich nach der grundsätzlichen Anschauung
                              									über rotes Licht jede Besprechung.
                           Das weiße, ungeblendete Laternenlicht ist wegen seiner Stärke, durch die es andere,
                              									farbige Lichter überstrahlt, und wegen der Möglichkeit, mit bahnfremden, nahen
                              									Lichtern verwechselt zu werden, von der Verwendung als Signallicht auszuschließen.
                              									Auch die Gefahr, daß es bei Bruch farbiger Blenden – trotz des Dahtglases –
                              									erscheinen kann und falsche oder nicht beabsichtigte Signalbilder ergibt, ist
                              									nicht gering anzuschlagen. Eine weitere Gefahr liegt darin, daß farbenschwache
                              									Personen, namentlich solche, welche nach längerer Beobachtungsdauer sehr wohl rot
                              									von grün unterscheiden könnten, völlig versagen bei der Unterscheidung von rot und
                              									weiß sowie grün und weiß. Professor Dr. Nagel führt
                              									Fälle des Ueberfahrens von Haltsignalen an, bei denen der Lokomotivführer das
                              									unzweifelhaft grünleuchtende Vorsignal für weiß gehalten hat und dann das
                              									rotleuchtende Hauptsignal zu spät in Sicht bekam, so daß ein Halten vor ihm nicht
                              									mehr angängig war. Dem Vorsignal ist für den Betrieb mit Hochgeschwindigkeiten
                              									erhöhte Bedeutung beizulegen. Es ist, wie Wilson in
                              										„the Railway and Engineering Review“ in seiner Besprechung des englischen
                              									Signalwesens sagt, „ohne Zweifel eines der wichtigsten Signale, wenn nicht das
                                 										wichtigste. Es bildet für den Lokomotivführer den Schlüssel zur Situation.“
                              									Deswegen sind alle Hauptsignale, die von Zügen in voller Fahrt zu beachten sind, mit
                              									Vorsignalen auszurüsten. Das Vorsignal ist eine Folge der mangelhaften Fernwirkung
                              									der Hauptsignale und nichts anderes als ein Mittel, jenen Mangel wett zu machen,
                              									indem es gegen den ankommenden Zug vorgeschoben, diesem die Stellung des
                              									Hauptsignals so rechtzeitig erkennbar machen soll, daß der Zug entweder vor dem
                              									Hauptsignal mit Sicherheit anhalten, an ihm die nötige ermäßigte Geschwindigkeit
                              									innehalten oder nicht im Zweifel sein kann, daß er in voller Fahrt an ihm
                              									vorbeifahren darf. Das Vorsignal kann demnach nicht angesprochen werden als
                              									Wiederholungssignal des Hauptsignals, das nur einen anderen Standort hat und dann
                              									auch die gleiche Bedeutung seiner Signalbilder haben müßte. Es bleibt vielmehr
                              									seinem ganzen Wesen nach ein Zusatzsignal (eine Auffassung, die seiner Bedeutung
                              									nicht im mindesten Abbruch hat), das auf die Stellung des Hauptsignals möglichst
                              									frühzeitig vorzubereiten sucht. Muß es demnach alle Signalbegriffe des Hauptsignals
                              									zu geben imstande sein, um als genügend durchgebildet gelten zu können, so muß
                              									hierbei in Erinnerung gehalten werden, daß die Signalbilder des Vorsignals die
                              									Eigenschaft der Vorbereitung auf jene des zugehörigen Hauptsignals haben: So gilt
                              									das der Haltstellung des Hauptsignals entsprechende Signal am Vorsignal nur als
                              									Warnsignal, welches zur Ermäßigung der Geschwindigkeit auffordert, damit der Zug vor
                              									dem Hauptsignal anhält. Desgleichen kann das dem Langsamfahrsignal am Hauptsignal
                              									entsprechende Signalbild des Vorsignals nur als Aufforderung zu solcher
                              									Geschwindigkeitsermäßigung ausgelegt werden, daß die vorschriftsmäßige Ermäßigung am
                              									Hauptsignal vorhanden ist. Und endlich wird die Fahrstellung des Hauptsignals durch
                              									die entsprechende Stellung des Vorsignals so rechtzeitig dem Lokomotivführer
                              									angekündigt, daß er im Vollgefühl der Sicherheit in die Station einfahren kann. Es
                              									unterliegt hiernach keinem Zweitel, daß ein neuzeitliches Vorsignal auf drei
                              									Begriffe. I. Halt, stop, danger, arrét. 2. Langsame Fahrt, caution, ralentissement.
                              									3. Volle Fahrt, clear, all right, passage vorbereiten muß.
                           
                              (Fortsetzung folgt.)