| Titel: | Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in Brüssel 1910. | 
| Autor: | A. Bucher | 
| Fundstelle: | Band 326, Jahrgang 1911, S. 212 | 
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                        Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in
                           								Brüssel 1910.
                        Von Ingenieur A. Bucher,
                           								Tegel bei Berlin.
                        
                           Lokomotiven.
                           
                        (Fortsetzung von S. 201 d. Bd.)
                        Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in Brüssel
                           								1910.
                        
                     
                        
                           Rahmen. Die Hauptrahmenbleche von 25 mm Stärke sind
                              									sehr kräftig gegeneinander abgesteift, die Kupplung zwischen Maschine und Tender
                              									besteht aus einem schweren mittleren Kuppeleisen und zwei Notkuppeleisen, sowie zwei
                              									Stoßbuffern. Der Kessel ist vorn am Rauchkammersattelfest mit den Zylindern bezw.
                              									mit dem Rahmen verbunden, während die Feuerbuchse mittels vier Gleitstücken auf dem
                              									Rahmen ruht. Vier Klammern an diesen Stellen sowie zwei auf dem Zugkasten sitzende
                              									Schlingerstücke verhindern jede störende Bewegung des Kessels gegen den Rahmen. Das
                              									zweiachsige Drehgestell hat die normale preußische Bauart, der Drehzapfen ist in
                              									einem Ansatz der Innenzylinder gelagert.
                           Bremse. Alle drei Kuppelräder werden beidseitig gebremst
                              									durch die selbsttätige Luftdruckschnellbremse, Bauart Knorr, deren Betriebsdruck von 7 at von einer rechtsseitigen, zweistufigen
                              									Luftpumpe neuester Ausführung erzeugt wird. Die Anordnung des Bremsgestänges ist
                              									derart, daß 86 v. H. des Reibungsgewichts abgebremst werden können. Für die dauernde
                              									Erhaltung des zulässigen Druckes im Hauptluftbehälter sorgt ein selbsttätiger
                              									Luftpumpendruckregler, Bauart Knorr.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 212
                              Fig. 75.
                              
                           Das Führerhaus hat ein stark gewölbtes Doppeldach mit
                              									innerer Holzverkleidung. Durch Klappen in Vorder- und Rückwand kann ein starker
                              									Luftstrom während der Fahrt durch einen im mittleren Dachraum eingebauten
                              									Luftschacht hindurchstreichen, wobei die warme Luft durch drei lange, im mittleren
                              									Holzdach befindliche Oeffnungen aus dem Führerhaus mit hinausgerissen wird. Die Vorderwand
                              									hat zwei Drehfenster, ohne Türen, und zwei schmale Oberfenster; die Seitenwände
                              									haben große Schiebefenster und seitliche Türen nach Fig.
                                 										26, S. 99 d. Bd. Decke und Vorderwand sind gegen den Kesselrücken kräftig
                              									abgesteift, als Fußboden dient ein Holzbelag, die Beleuchtung besorgt eine
                              									Gaslaterne im Dach.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 213
                              Fig. 76.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 213
                              Fig. 77.
                              
                           Die Plattform ist schön geradlinig durchgeführt, nur könnten die beiden abgestuften
                              									Enden der Symmetrie halber gleich lang bemessen werden.
                           Sonderausrüstungen. Die Maschine ist mit zwei Injektoren
                              									von Schäffer & Budenberg für 180°C minutl.
                              									Leistung, einer Dampfheizungs- und einer Gasbeleuchtungseinrichtung von J. Pintsch, Berlin, ausgerüstet. Die beiden vorderen
                              									Kuppelräder haben Preßluft- Sandstreuer, Bauart Knorr.
                              									Die Schmierung der Kolben und Schieber erfolgt selbsttätig durch eine links im
                              									Führerhaus stehende, vom hinteren Kuppelzapfen angetriebene Schmierpresse mit zwölf
                              									Stempeln von Dicker & Werneburg. Alle sonstigen gangbaren Teile in der Nähe der Zylinder, wie
                              									Kolben- und Schieberstangen, Drehgestell-Gleitflächen usw., werden von je zwei auf
                              									einer Maschinenseite innerhalb der Dampfrohr-Verkleidungskästen angebrachten großen
                              									Schmiergefäßen mit zusammen 24 Oelabgabestellen geschmiert. Zum Anzeigen der
                              									Geschwindigkeit dient ein an der rechten Führerhauswand angebrachter
                              									magnetelektrischer Geschwindigkeitsmesser der Deutschen
                                 										Tachometer-Werke, Berlin.
                           Die Schieberkasten-Temperatur wird durch ein thermoelektrisches Pyrometer von Siemens & Halske,
                              									Berlin, angezeigt, bestehend aus einem Kupferrohr-Kostantandraht-Element und
                              									einem im Führerhaus angebrachten Zeiger-Instrument, welches nach dem Deprez-d'Arsouval-System als Spannungszeiger
                              									ausgebildet ist. An Manometern zählte man sechs, für: Kesseldruck,
                              									Schieberkastendruck, Bremsdruck, Bremsleistungsdruck, Luftbehälterdruck und
                              									Dampfheizung, ferner ein Vakuummeter für die jeweilige Luftleere in der Rauchkammer.
                              									Rechnet man den Wasserstand von Röver & Neubert und die Laternen noch hinzu, so ergeben sich
                              									etwa 20, meistenteils patentierte Sonderausrüstungen!
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 213
                              Fig. 78.
                              
                           Der Tender (Fig. 75)
                              									faßt 21,5 cbm Wasser und 6 t Kohlen und läuft auf zwei Drehgestellen, deren Räder
                              									beidseitig gebremst sind durch die Luftdruckbremse oder durch einen Exterschen Wurfhebel von Hand.
                           
                           Der Anstrich von Maschine und Tender war der
                              									preußische, Triebwerk usw. blank, Bandagen rotbraun wie Rahmen und Bremse; der
                              									Ausstellungszustand war sehr gut. In bezug auf Formgebung ist hier, soweit es die
                              									bindenden Bahnvorschriften nur zuließen, ein erfreulicher Schritt vorwärts getan
                              									worden, trotzdem zeigt der Kessel, so sorgfältig auch die Rohre und Züge verlegt
                              									sind, ein unruhiges Aussehen.
                           Leistungen. In den Monaten September-Oktober wurden mit
                              									der zweiten Maschine „Erfurt 952“ eingehende
                              									Probefahrten ausgeführt, und zwar auf den Strecken von Grunewald nach Mansfeld (178
                              									km) und zurück, von (Berlin)-Wustermark nach Hannover (227 km) und zurück, ferner
                              									von Berlin nach Hamburg (293 km) und zurück ohne Aufenthalt in Wittenberge, und
                              									schließlich noch auf j den Strecken von Berlin über Nordhausen nach Frankfurt am
                              									Main.
                           Die Ergebnisse dieser Versuchsfahrten sind von der Baufirma in einem ausführlichen
                              									Sonderberichte sehr übersichtlich zusammengestellt. Für diese mühevolle Arbeit
                              									sei daher dem Danke des Verfassers an die Direktion der
                                 										Berliner Maschinenbau-A.-G. vormals L. Schwartzkopff hiermit ein besonderer
                              									Ausdruck gegeben.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 214
                              Tangentialdruckdiagramme bei 50 v. H. Füllung. Fig. 79. Lokomotive PS, v =
                                 										32,5 km/Std.; Fig. 80. Lokomotive s 10, v = 48 km/Std.
                              
                           Da die preußische Fahrtordnung einstweilen auf den verkehrsreichen Strecken keine
                              									größeren Grundgeschwindigkeiten als 90 km/Std. zuläßt, so war die Maschine bei den Fahrten
                              									Berlin-Hamburg und Berlin-Hannover nicht voll angestrengt. Auf der letzteren Strecke
                              									beförderte sie nämlich am 7. Oktober 1910 den schweren Zug von 514 t exkl. und 641 t
                              									inkl. Lokomotive und Tender mit 83–90 km/Std. Dauergeschwindigkeit bei nur 15–20 v. H.
                              									Zylinderfüllung und nur 60–85 mm Luftleere in der Rauchkammer so leicht, daß man
                              									sich von der größten Dauerleistung der Maschine noch kein Bild machen konnte, denn
                              									die erforderliche Leistung betrug nur etwa 1300 PS. Für die Erprobung dieser
                              									Lokomotive besser geeignet waren daher die Fahrten auf der viele Steigungen und
                              									Krümmungen enthaltenden Strecke Grunewald.
                           Tabelle 8.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 214
                              Fig. Nr.; Datum der Aufnahme;
                                 										Geschwindigkeit; Füllung; Mittlerer Zylinderdruck; Indizierte Zugkraft;
                                 										Ueberdruck im Kessel; Schieberkasten; Indizierte Leistung; Zugkraft am Zughaken;
                                 										Leistung am Zughaken; Verhältnis; Auf 1 qm Heizfläche; Anfahren
                              
                           
                           Mansfeld (Fig. 76). Ueber die hier erzielten
                              									Leistungen und Geschwindigkeiten geben die acht Diagramme (Fig. 77) und Tab. 8 Aufschluß.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 215
                              Tangentialdruckdiagramme bei 25–26 v. H. Füllung. Fig. 81. Lokomotive P 8, v =
                                 										100 km/Std.; Fig. 82. Lokomotive S 10, v = 102 km/Std.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 215
                              Fig. 83.
                              
                           Aus dem ersten Diagramm geht hervor, daß beim Anfahren, ohne
                              									daß Schleudern eintrat, eine indizierte Zugkraft von 10400 kg geleistet worden ist,
                              									entsprechend einem Reibungskoeffizienten von
                              										\frac{10400}{50500}=\frac{1}{4,85} des weiteren aus dem
                              									zweiten und dritten Diagramm, daß auf einer 10 v. T. Steigung bei 46 bis 48 km/Std.
                              									Geschwindigkeit eine Zugkraft von 8200 bis 8400 kg indiziert worden ist, was einen
                              									Reibungskoeffizienten von etwa 1 : 6 entspricht. Diese 2C-Lokomotive fährt
                              									daher ungemein schnell und sicher an, bringt also die schwersten Schnellzüge äußerst
                              									rasch aus dem Bahnhofe heraus auf die Grundgeschwindigkeit. Wie aus den fünf
                              									Zugkraftschaulinien (Fig. 78) hervorgeht, war der
                              									Gang der S 10-Lokomotive, namentlich bei hoher Geschwindigkeit, bedeutend ruhiger
                              									als bei der Zweizylinderlokomotive Gattung P 8. Ein Vergleich der
                              									Tangentialdruckdiagramme (Fig. 79–82), welche für die P 8- wie S 10-Lokomotive bei 50 bezw. 25/26 v. H. Füllung
                              									nach den zugehörigen Indikatorschaulinien entworfen sind, zeigt, daß die
                              									Zugkraftschwankungen während einer Treibradumdrehung bei der Vierzylinder-S
                              									10-Lokomotive um rd. 40 v. H. geringer sind als bei der Zweizylinder-P
                              									8-Maschine.
                           Tabelle 9. Wasser- und Kohlenverbrauch.
                           
                              
                                 Zuggewicht ausschl. Lok. und Tender
                                 t
                                 312,7
                                 379
                                 448
                                 
                              
                                 Anzahl der 100 t/km
                                 t-km/100
                                 552
                                 669
                                 790,8
                                 
                              
                                 Wasserverbrauch, gesamter
                                 l
                                 18400
                                 19000
                                 23200
                                 
                              
                                          „                  für 1 km
                                 l
                                 104,3
                                 107,64
                                 131,43
                                 
                              
                                          „                  für 1 t-km/100
                                 l
                                 33,3
                                 28,4
                                 29,34
                                 
                              
                                 Kohlenverbrauch, gesamter
                                 kg
                                 2800
                                 2950
                                 3650
                                 
                              
                                          „                für 1 km
                                 kg
                                 15,86
                                 16,71
                                 20,62
                                 
                              
                                          „                für 1 t-km/100
                                 kg
                                 5,07
                                 4,41
                                 4,6
                                 
                              
                                 Verdampfung
                                 l/kg
                                 6,57
                                 6,44
                                 6,35
                                 
                              
                           Die größten Leistungen wurden nach Tab. 8, V und VI erzielt bei 80–90 km
                              									Geschwindigkeit und bei einer Zylinderfüllung von 30 v. H. mit 1736–1827 PSi, für 102 km nahm die Leistung mit 1595 PS nach
                              									Versuchsreihe VII schon wieder etwas ab. Danach dürfte die günstigste
                              									Dauergeschwindigkeit für diese Maschine um 90 km/Std. herum liegen, entsprechend einer
                              									minutlichen Umdrehungszahl n' von
                              										\frac{90}{1,980}\,.\,5310=240; die größte Dauerleistung kann
                              									nach den Versuchen zu etwa 1700 PS angenommen werden. Ueber den Wasser- und
                              									Kohlenverbrauch auf drei Probefahrten Grunewald–Mansfeld (176,52 km) geben die Tab.
                              									9 und Fig. 83 Aufschluß.
                           Da sich die Maschine in jeder Beziehung gut bewährt, sind gegenwärtig schon weitere
                              									zehn Stück bei der Baufirma in Ausführung. Bei dieser neuen Serie wird der
                              									vordere Rahmenteil, um besser zum inneren Triebwerk zu gelangen, als Barrenrahmen
                              									ausgebildet, die Zylinder werden zu je zweien in einem Stücke gegossen und in der
                              									Mitte zusammengeschraubt; eine solche S 10-Lokomotive wird auf der diesjährigen
                              									Weltausstellung in Turin ausgestellt.
                           
                              
                                 (Fortsetzung folgt.)