| Titel: | Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in Brüssel 1910. | 
| Autor: | A. Bucher | 
| Fundstelle: | Band 326, Jahrgang 1911, S. 273 | 
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                        Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in
                           								Brüssel 1910.
                        Von Ingenieur A. Bucher,
                           								Tegel bei Berlin.
                        
                           Lokomotiven.
                           
                        (Fortsetzung von S. 260 d. Bd.)
                        Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in Brüssel
                           								1910.
                        
                     
                        
                           19. 2C1-Vierzylinder-Verbund-Schnellzuglokomotive der Französischen Staatsbahn,
                              									Betriebs-Nr. 231–011, gebaut 1910 von der Compagnie pour
                                 										Constructions mécaniques de Fivs-Lille, Fabrik-Nr. 3656 (Fig. 115 u. 116).
                           Während von den neueren Pacific-Lokomotiven fast alle mit Schmidt-Ueberhitzer ausgerüstet sind, brachte die Französische Staatsbahn
                              									als einzige eine 2C1-Naßdampflokomotive zur Schau. Die Bahn besitzt gegenwärtig,
                              									außer zwei schon früher in Sotteville gebauten, 50 Stück von dieser Type, und zwar
                              									20 von Schneider in Creusot. 10 von Cail in Denain und 20 von der Baufirma in Fives-Lille.
                              									Der langgestreckte Kessel hat, im Gegensatz zu Nr. 16 und 18, breite, über den
                              									Rahmen weit hinausragende Belpaire-Feuerbuchse mit
                              									schräger Vorder- und Hinterwand. Auffallend lang sind die Siederohre mit 6,3 mm; bei
                              									dem engen Durchmesser von nur 45/50 mm ergibt dies das 115 fache des äußeren
                              									Durchmessers, während bei breiten Feuerbuchsen das 100 fache schon als Maximum zu
                              									betrachten ist. Ein solcher Langkessel hat zwar den Vorteil großen Wasserinhaltes,
                              									bringt aber erhebliche Nachteile durch den großen Gaswiderstand in den Siederohren.
                              									Das hierfür nothwendige größere Rauchkammervakuum erfordert engen Blasrohr- und
                              									Schornsteinquerschnitt, was wiederum einen größeren Rückdruck auf die Kolben
                              									verursacht.
                           Der auf dem mittleren Schuß sitzende Dom enthält einen Regler mit Doppelsitzventil,
                              									welches mittels Drehwelle von einem an der Rückwand abwärtsstehenden Hebel bewegt
                              									wird, Der ganze Rost ist beweglich, vorn als Kipprost, hinten als Schüttelrost mit
                              									herunterklappbarem Rüttelhebel an der schrägen Kesselrückwand.
                           Beide Zylinderpaare sind geneigt und haben die bekannte Triebwerksanordnung für die
                              									erste gekröpfte, bezw. die zweite Treibachse. Alle Zylinder haben Flachschieber, die
                              									Hochdruckzylinder mit, die Niederdruckzylinder ohne Entlastung. Treib- und Kuppelstangen haben
                              									zweiteilige Köpfe mit am Schaft angeschraubtem Bügel und großen Rotgußmuttern. Die
                              									Tragfedern der drei Kuppelachsen sind unter sich und mit der hinteren Laufachse
                              									durch Ausgleichhebel verbunden.
                           Die 30 mm starken Hauptrahmen sind zur Erzielung des nötigen Seitenspieles der
                              									Laufachse hinten um je 85 mm eingezogen. Zum sicheren Befahren von Kurven bis 130 m
                              									läuft die Hinterachse in einem Bissel-Gestell, das
                              									durch eine Deichsel aus Stahlguß mit dem Drehzapfen verbunden ist. Außer dem
                              									Rauchkammerträger sowie dem vorderen und hinteren Feuerbuchsträger ist der Kessel
                              									gegen den Rahmen abgestützt durch zwei mittlere Langkesselträger aus
                              									Stahlguß.
                           Das Führerhaus hat einfaches Blechdach und hohes,
                              									federndes Holzpodium.
                           Die schnellwirkende Westinghouse-Bremse mit zweistufiger
                              									Luftpumpe wirkt von vorn einseitig auf die drei Kuppelachsen und ebenfalls einseitig
                              									auf die beiden Drehgestellräder.
                           Sonderausrüstungen. An dem großen, auf der
                              									Kesselbekleidung sitzenden Sandkasten sind zwei getrennte Sandstreuer angebracht,
                              									ein Preßluftsandstreuer, Bauart „Leach“, der den
                              									Sand für die beiden End-Kuppelräder auf die Schienen bläst, und ein Handsandstreuer
                              									vor das mittlere Kuppelrad. Zwei tiefliegende Friedmann-Injektoren, Klasse S Z Nr. 10, führen dem Kessel das
                              									Speisewasser zu durch zwei auf Sandkastenmitte über der Kesselachse montierte
                              									Speiseventile. Der Geschwindigkeitsmesser, System Flaman, von E. Lamazière & Cie., Paris, sitzt rechts, die Manometer von Protais, Paris, sind auf einer gemeinsamen Platte sehr
                              									übersichtlich angeordnet. Zur Schmierung der Zylinder und der Luftpumpe dient ein
                              										Galena-Sichtöler mit fünf Oelabgaben.
                           Form und Anstrich. Die vollkommen gerade durchgeführte
                              									Plattform mit dem langgestreckten Kessel geben dieser großen Maschine ein ruhiges,
                              									glattes Aussehen. Der oben dunkelgraue, unten schwarze Anstrich mit blankem
                              									Triebwerk entsprach genau den Bedingungen für die Ablieferung, was die Baufirma auf
                              									einer Tafel besonders hervorhob.
                           20. 2C1-Vierlings-Heißdampf-Schnellzuglokomotive Type 10 der Belgischen Staatsbahn,
                              									Betriebs-Nr. 4501 bis 4503, gebaut 1910. (Fig. 117 und 118.)
                           Diese in je einem Exemplar von drei verschiedenen belgischen Fabriken, deren Namen
                              									und Fabriknummern aus Tab. 2, S. 24 d. Bd. ersichtlich sind, ausgestellte Maschine
                              									ist mit 1021 Dienstgewicht die schwerste europäische Schnellzuglokomotive. Sie dient
                              									zur Beförderung der Schnellzüge auf der Strecke Luxemburg-Namur, welche mehrere
                              									langanhaltende Steigungen von 16 v. T. aufweist und bisher regelmäßig Vorspann
                              									erforderte.
                           Der Kessel hat die gleiche Bauart wie Type 9, S. 226,
                              									ist aber bedeutend größer und stellt bei 302 qm Gesamtheizfläche den größten
                              									europäischen Lokomotivkessel mit Kupferbuchse dar. Der dreireihige Ueberhitzer mit
                              									62 qm besteht aus 31 Rauchröhren 118/127 mm  und 4 × 31 = 124
                              									Ueberhitzerröhren. Die 230 Siederohre haben 45/50 mm  und 5 m Länge. Zur
                              									Unterbringung einer Rostfläche von 5 qm ist die 2,5 m lange Feuerbuchse weit über den Rahmen
                              									hinausragend mit 2 m Breite gebaut, Wobei Vorder- und Rückwand der Schwerpunktslage
                              									wegen stark nach vorn geneigt werden mußten. Der hintere Schuß des Rundkessels ist
                              									im oberen Teile stark kegelförmig, um für Dom und Schornstein innerhalb des
                              									Umgrenzungsprofiles die nötige Höhe zu erhalten; aus dem gleichen Grunde sind die
                              									beiden Sicherheitsventile seitlich der Kesselmitte nebeneinander placiert. Zur
                              									bequemen Beschickung des breiten Rostes sind in der Kesselrückwand zwei Feuertüren
                              									angeordnet.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 274
                              Fig. 115 und 116. 2C1-Vierzylinder-Verbund-Schnellzuglokomotive der
                                 										Französischen Staatsbahn.
                              
                           Während bei allen übrigen Pacific-Lokomotiven der Kessel der aus dem Gesamtradstand
                              									sich ergebenden Länge der Maschine angepaßt, d.h. bei mäßigem Durchmesser
                              									langgestreckt ist, hat Flamme hier einen weiten, kurzen
                              									Kessel gewählt und die Zylinder in einem mächtig langen Vorbau untergebracht, was
                              									der ganzen Maschine ein eigenartiges, bei belgischen Lokomotiven sonst nicht
                              									gewohntes Aussehen verleiht. Entgegen den sonstigen Vierlings-Ausführungen wirken
                              									zur Verteilung der großen Kolbenkräfte und zur Verringerung der Beanspruchung der
                              									Triebwerksteile die inneren, geneigten Zylinder auf die erste, die äußeren Zylinder
                              									auf die zweite Treibachse, wobei die äußeren Kolbenstangen infolge ihrer großen
                              									Länge eine besondere Führung erhielten. Der Antrieb der inneren Schieber erfolgt von
                              									der äußeren Schieberstange aus durch Gabelkopf mit Zwischengelenk vermittels
                              									Zwischenwelle mit senkrechtem Doppelhebel, da die Anwendung des einfacheren, bei der
                              									Type 9 verwendeten wagerechten Doppelhebels infolge der ungleichen Lage der Zylinder
                              									nicht möglich war.
                           Rahmen. Der zweiteilige Hauptrahmen aus 30 mm
                              									Blechplatten ist hinter der Kuppelachse übereinandergelegt und verschraubt. Während
                              									die hintere Laufachse je 50 mm Seitenspiel hat, ist dem vorderen Drehgestell für die
                              									Kurvenbeweglichkeit ein Seitenausschlag von je 65 mm gegeben, genau wie bei der Type
                              									9.
                           Bremse. Die selbsthätige Westinghouse-Schnellbremse wirkt einseitig auf die Kuppelräder durch zwei
                              									senkrecht am Rahmen befestigte Bremszylinder und durch zwei wagerechte Zylinder mit
                              									Doppelkolben auf die Drehgestellräder.
                           Das Fahrerhaus mit Lüftungsaufbau und besonderen
                              									Dachfenstern hat als Bodenbelag ein sehr hohes Holzpodium mit Zwischenstufe.
                              									Besonders auffällig ist noch die Unterstützung der hinteren Plattform durch
                              									Längsträger aus ⌴-Eisen und durch zwei unten am Rahmen befestigte, den Aschkasten
                              									umfassende Träger aus Preßblechen. Der äußere Gleitstangenträger ist mit einem
                              									Längsträger und zwei Sandkasten für erste und zweite Achse in einem Stück aus Stahl gegossen.
                           An Sonderausrüstungen sind zu nennen: Zwei Injektoren Nr. 13 von Gresham an der Kesselrückwand, zwei Schmierpumpen mit
                              									je acht Oelabgaben mit Antrieb von der inneren Kulissentasche, wodurch die innere
                              									Hängstange nach vorn durchgebogen werden mußte, ferner eine Dreiklangpfeife,
                              									Preßluftsandstreuer usw. Die Maschine Nr. 4502 hatte außerdem
                              									Rauchverbrennungs-Einrichtung Marcotty mit Kipptür.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 275
                              Fig. 117 und 118. 2C1-Vierlings-Schnellzuglokomotive der Belgischen
                                 										Staatsbahn.
                              
                           Anstrich. Während die Cockerill-Maschine Nr. 4501 den schmucklosen schwarzgrauen Mattanstrich
                              									zeigte, den sie für die einmonatigen Versuchsfahrten erhalten halte, waren die
                              									beiden anderen in bunten Farben ausgestellt, die eine, Nr. 4502 von Leonard, hatte einen Anstrich von dunkelblauer
                              									Eisenfarbe, lackiert, mit offener, blau gestrichener Rauchkammer, die andere, Nr.
                              									4503 von Zimmermann-Hanrez, hatte dunkelgrünen Kessel
                              									und rotbraunes Untergestell.
                           Der Tender ist dreiachsig und hat bei 24 cbm
                              									Wasserfassung und 7 t Kohlenladung ein Dienstgewicht von 54 t.
                           23. C-Heißdampf-Güterzuglokomotive Type 32 der Belgischen Staatsbahn, Betriebs-Nr.
                              									4311, gebaut von den Ateliers Detombay in
                              									Marcinelle-Charleroi, Fabrik-Nr. 193 1910.
                           Diese in guter Ausführung von Detombay ausgestellte
                              									Güterzuglokomotive englischen Ursprungs ist von Lüttich her bekannt und in D. p. J.
                              									1906 bereits ausführlich beschrieben.
                           24. D-Güterzuglokomotive G 7 der Preußischen Staats bahn, K. E. D. Essen, Nr. 5896,
                              									gebaut 1910 von F. Schichau in Elbing, Fabrik-Nr. 1831
                              										(Fig. 119)
                           Die fortwährend zunehmende Belastungssteigerung der Güterzüge veranlaßte die Kgl.
                              									Preußische Staatsbahnverwaltung vor einigen Jahren zur Beschaffung einer neuen Type
                              									von D-Güterzuglokomotiven, die zwar möglichst einfach, aber bedeutend kräftiger sein
                              									sollte als die bisher an die 3000 Stück im Betriebe befindlichen
                              									Vierkuppler-Maschinen. Trotzdem der Heißdampf im Lokomotivbetriebe der Preußischen
                              									Staatsbahnen fast allgemein zur Verwendung gelangt und der Schmidtsche Rauchröhrenüberhitzer in Bedienung und Unterhaltung
                              									verhältnismäßig einfach ist, wurde diese neue Gattung, von der bereits 150 Stück
                              									laufen und ein Exemplar von der entwerfenden Firma in Brüssel ausgestellt war, als
                              									Naßdampf-Zwillingslokomotive mit großem Kessel von 200 qm Heizfläche gebaut.
                           Besonders erwähnenswert am Kessel ist die breite, über
                              									den Rahmen gestellte Feuerbuchse mit 3 qm Rostfläche. Die Decke der Kupferbuchse ist
                              									stark gewölbt, um das unverankerte Feld zwischen äußerster Deckenankerreihe und
                              									oberster Stehbolzenreihe zur Vermeidung von Rissen im Mantelblech möglichst klein zu
                              									halten.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 276
                              Fig. 119.D-Güterzuglokomotive der Preußischen Staatsbahn.
                              
                           Die Zylinder mit 550 mm  und 630 mm Hub sind
                              									geneigt und haben gewöhnliche Tricksche Flachschieber,
                              									welche durch das bekannte Heusinger-Gestänge gesteuert
                              									werden. Die erste und die dritte Achse sind fest gelagert, die zweite und vierte
                              									Kuppelachse haben nach Gölsdorf-Helmholtz je 10 mm
                              									Seitenspiel, d.h. die um 20 mm längeren Achsschenkel sind im Achslager senkrecht
                              									zur Gleismitte frei verschiebbar. Der Hauptrahmen ist 30 mm stark.
                           Die Maschine ist mit Dampfbremse ausgerüstet, welche mit
                              									12 at Dampfdruck durch einen Bremszylinder von 200 mm  auf die vorn
                              									angeordneten Bremsklötze der beiden beweglichen Achsen wirkt.
                           Die äußere Formgebung dieser Maschine mit geradlinig durchgeführter Plattform ist
                              									ziemlich gut gewählt, die Anbringung des Sandkastens auf dem Kessel mit dem
                              									vielteiligen Haas-Sandstreuer und den Sandrohren
                              									beunruhigt jedoch den Gesamteindruck. Bei der ziemlich hoch über den Rädern
                              									liegenden Plattform hätte sich je ein Sandkasten sehr bequem unter dieser vor dem Gleitstangenträger einbauen und eventl. mit Leach-Dampfsandstreuer ausrüsten lassen; anstelle des
                              									gleichschenkligen Gurtwinkels sollte durchweg ein ungleichschenkliges Winkeleisen
                              									verwendet werden.
                           Ausführung und Unterhaltung der Einzelteile der ganzen Maschine mit dem üblichen
                              									preußischen Anstrich waren sehr gut.
                           Der dreiachsige Tender faßt 12 cbm Wasser und 5 t Kohlen und wiegt leer 16,3 t.
                           
                              
                                 (Fortsetzung folgt.)