| Titel: | Polytechnische Rundschau. | 
| Fundstelle: | Band 326, Jahrgang 1911, S. 320 | 
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                        Polytechnische Rundschau.
                        Polytechnische Rundschau.
                        
                     
                        
                           Der Steigschacht.
                           Den Steigschacht oder das Wasserschloß mit einem offenen Wasserspiegel pflegt man an
                              									dem Ende eines unter Wasserdruck stehenden Oberwasserstollens mit geringem Gefälle
                              									bei Wasserkraftanlagen anzuordnen, damit die Druckleitungen zu den Turbinen
                              									möglichst kurz gehalten werden können. Im Beharrungszustande bei einem
                              									Wasserverbrauch von Q cbm i. d. Sek. stellt sich der
                              									Wasserspiegel im Steigschachte auf eine Höhe h ein,
                              									welche die Wassergeschwindigkeit v ergibt, wobei
                              									folgende Beziehungen gelten müssen:
                           
                              Q = f v
                              
                           h = c • v2,
                           wenn f der Stollenquerschnitt und
                              										c eine den Reibungswiderstand des Wassers im
                              									Stollen enthaltende Konstante darstellen.
                           Wird nun die Turbinenanlage belastet, so daß ihr Wasserverbrauch auf Q2 cbm i. d. Sek.
                              									steigt, so senkt sich der Wasserspiegel im Steigschacht so weit, bis die
                              									Geschwindigkeit v des Wassers im Stollen einen
                              									entsprechend höheren Wert angenommen hat, und für irgend einen Zeitpunkt t, welcher innerhalb dieses Reguliervorganges liegt,
                              									gilt die Beziehung
                           
                              Q,
                              2
                               • d t = f • v • d t + F • d h,
                              
                           worin F den Querschnitt des
                              									Steigschachtes darstellt, oder
                           (Q2
                              									– f • v) d t = F • d
                                 									h.
                           Man kann nun aber auch d t aus
                              									einer anderen Beziehung herleiten:
                           Ist l die Länge des Stollens vom Querschnitt f, so ist die bei dem besprochenen Ausgleichsvorgang in
                              									Bewegung befindliche Wassermasse vom spezifischen Gewichte γ
                           
                              M=\frac{l\,.\,F\,.\,\gamma}{g},
                              
                           während die Kraft P, welche sie
                              									zu beschleunigen hat, durch
                           P = (h + c
                                 										v2) f •
                                 									γ
                           ausgedrückt wird. Da
                           
                              \frac{P}{M}=\frac{d\,v}{d\,t}=\frac{(h+c\,v^2)\,g}{l},
                              
                           so geht obige Gleichung nach Integration zwischen den Werten
                              										v1 und v2 bezw. – h1 und – h2 über in
                           
                              Q_2\,.\,\frac{l}{g}\,(v_2-v_1)-\frac{f\,.\,l}{g}\
                                 										\frac{{v_2}^2-{v_1}^2}{2}=F\,.\,\frac{{h_2}^2-{h_1}^2}{2}+F\,.\,c\,\int\limits_{-h_1}^{-h_2}\,v^2\,d\,h.
                              
                           Den Ausdruck \int\limits_{-h_1}^{-h_2}
                              									kann man, indem man die Zwischenwerte von v für
                              									verschiedene-Größen von h berechnet, als die Fläche
                              									einer Kurve darstellen, deren Ordinaten die Werte von h, und deren Abszissen die Quadrate der entsprechenden Werte von v sind; die mittlere Abszisse vm2
                              									dieser Kurve bestimmt dann den Wert des Integrals nach der Gleichung
                           
                              \int\limits_{-h_1}{-h_1}\,v^2\,d\,h=-{v_m}^2\,(h_2-h_1).
                              
                           Die größte Absenkung des Wasserspiegels im Steigschacht bei
                              									plötzlicher Belastung erhält man dann, wenn man für den Leerlauf v1 = 0 und v2
                              									= vmax setzt, als
                           
                              h_{2\,\mbox{max}}=c\,{v_m}^2+\sqrt{c^2\,{v_m}^4+\frac{l\,.\,f}{g\,.\,F}}\,{v^2}_{\mbox{max}}.
                              
                           Vernachlässigt man die Reibung im Stollen, setzt man also c = 0, so wird
                           
                              h_{2\,\mbox{max}}=v_{\mbox{max}}\,\sqrt{\frac{l\,.\,f}{g\,F}}.
                              
                           In vollständig ähnlicher Weise findet man für die größte Steigerung h3 max des
                              									Wasserspiegels bei plötzlicher Entlastung von Vollast auf Leerlauf
                           
                              h_{3\,\mbox{max}}=-c\,.\,{v_m}^2+\sqrt{(c\,{v^2}_{\mbox{max}}-c\,{v_m}^2)^2+\frac{l\,.\,f}{g\,.\,F}\,.\,{v^2}_{\mbox{max}}}
                              
                           sowie unter Vernachlässigung der Stollenreibung
                           
                              h_{3\,\mbox{max}}=v_{\mbox{max}}\,\sqrt{\frac{l\,.\,f}{g\,.\,F}},
                              
                           also den gleichen Ausdruck wie für den Belastungsvorgang. (Hutzelsieder.) [Zeitschr. f. d. gesamte Turbinenwesen
                              									1911, S. 4–6 und 17–20.]
                           
                              M.
                              
                           
                        
                           Künstliches Roßhaar.
                           Die Herstellung von künstlichem Roßhaar ist ein wichtiger Nebenzweig der
                              									Kunstseidenfabrikation. Man gewinnt das Roßhaar entweder als von vornherein
                              									einheitlichen Faden durch Auspressen aus entsprechend weiten Düsen oder durch
                              									Zusammenlaufenlassen mehrerer noch nicht vollständig erstarrter Einzelfädchen; z.B.
                              									kann man einen aus mehreren Einzelfäden zusammengesetzten Zellulosefaden, der aus
                              									natürlichem oder künstlichem Material bestehen kann, durch ein Lösungsmittel für
                              									Zellulose hindurchführen, so daß eine Verschmelzung der Einzelfädchen zu einem
                              									dicken Faden erfolgt. Der unter dem Namen Viscellin von den
                              										Henckel-Donnersmarckschen Kunstseidewerken in den
                              									Handel gebrachte Roßhaarersatz wird wieder auf andere Weise gewonnen, nämlich durch
                              									Ueberziehen eines Baumwollfadens mit Viscoseseide. Das künstliche Roßhaar findet
                              									vielfach bei der Herstellung von Damenhüten Verwendung; es kann aus sämtlichen
                              									verschiedenen Kunstseidearten hergestellt werden, also ebensowohl aus
                              									Nitrozellulose-, Kupferoxydammoniak-, Viscose- oder Azetatseide. Die Preise für
                              									künstliches Roßhaar sind noch etwas höher als die für Kunstseide. Das aus
                              									Zelluloseazetat hergestellte Roßhaar zeichnet sich durch Glanz und hohe Festigkeit
                              									aus. Neuerdings wirg auch ein in der Herstellungsweise dem Viscellin ähnliches Garn,
                              									das aus einem mit einer Mischung von Azetylzellulose mit farbigen Bronzepulvern
                              									überzogenen Baumwollfaden besteht, unter dem Namen Baiko in den Handel gebracht. (Lebach)
                              									[Chem.-Zeitg. 1911, S. 107]
                           Dr. S
                           
                        
                           Die hygienische Aufgabe und Zweckgestaltung der Abgasschlote,
                              									Industrieschornsteine und anderer technischer Abgasquellen.
                           Der gewöhnliche Fabrikschornstein und andere „Rauchquellen“ oder
                              									Ausströmungsvorrichtungen für saure Abgase oder rußige Rauchmassen bedürfen einer
                              									Vervollkommnung im hygienischen Sinne. Die Aufgabe muß möglichst ohne Vermehrung des
                              									Betriebsaufwandes gelöst werden. In Sachsen, wo die Rauchschäden besonders groß
                              									sind, sind hohe Staatspreise dafür ausgesetzt worden.
                           Bei Industrieschornsteinen hat man bisher kein anderes Mittel gekannt, als durch
                              									Riesenbauten die Abgase in höhere Luftschichten einzuführen. Die 140 m hohe
                              									Halsbrücker Esse bei Freiberg in Sachsen ist mit ungeheuren Kosten (180000 M, mit
                              									den Flugstaubkanälen sogar über 300000 M) lediglich zur Verhütung von
                              										„Rauchschäden“ errichtet worden. In Amerika sind noch umfangreichere
                              									Anlagen errichtet worden. 80–90 m hohe Schornsteine sind keine Seltenheit mehr, und
                              									45 bis 50 m hohe sind schon sehr häufig. Diese Riesenbauten verfehlen aber ihren
                              									hygienischen Zweck ganz und gar. Denn höhere Luftschichten strömen nicht in
                              									wirbelnder, also Abgase auflösender Bewegung, wie die durch Hügel, Häuser oder durch
                              									das Wärmegefälle an der Erdoberfläche gestörten tieferen Luftschichten. Die
                              									rascheste Verwirbelung der Restgase und des Rußes mit Luft dicht bei der Rauchquelle
                              									oder womöglich schon innerhalb derselben ist das einzige Mittel, die Gefahr der
                              									Abgase für die Vegetation und für andere Wertobjekte zu bannen.
                           Keine „Entsäuerungsanlage“ kann industrielle Abgasmassen in wirthschaftlicher
                              									Weise wirklich vollständig entsäuern. Ihre Aufgabe ist und bleibt nur die
                              									Herabminderung des Gehaltes hochhaltiger Abgase an schädlichen Bestandteilen. Eine
                              									größere Fabrikkesselanlage, die etwa in der Stunde 2000 kg Kohlen verbrennt, erzeugt
                              									in einer Stunde über 30000 cbm Abgase mit etwa 9–15 cbm Säuregehalt (= 0,03 bis 0,05
                              									Volumprozent Gesamtsäure, als SO2 berechnet). Es ist
                              									aber erwiesen, daß diese Säuremenge noch giftig auf die Vegetation wirkt; auch der
                              									Mensch verträgt diese Menge nicht. Aus Rubners
                              										UntersuchungenArchiv für Hygiene,
                                    											Bd. 57 und 59. wissen wir, daß die Berliner Großstadtluft nur
                              									0,00035–0,00053 Volumprozente schweflige Säure enthält; hierauf führt man das
                              									Nichtgedeihen aller empfindlichen Koniferenpflanzen in den Gärten der Städte zurück.
                              									Hieraus und aus anderen Ueberlegungen erkennt man, daß die unschädliche Verdünnung
                              									des Abgasschwefels etwa 100 mal niedriger sein muß, als sie selbst in gewöhnlichen
                              									Steinkohlenfeuerungsabgasen vorliegt. Diese Verdünnung leistet der verwehende
                              									Wind keineswegs leicht, vielmehr bedürfen die Abgase nach den Erfahrungen in der
                              									Praxis ziemlich erheblicher Zeit, bis sie sich mit der freien Luft bis zu dem
                              									erforderlichen Verdünnungsgrad gemengt haben, und während dieser Mischungszeit
                              									können sie Schaden anrichten. Man muß daher die vorgewaschenen Restgase mit großen
                              									Mengen von Luft rasch und vollständig vermischen. Gebläse- oder Saugvorrichtungen
                              									würden zu teuer arbeiten, da mindestens eine achtbis zehnfache Verdünnung
                              									erforderlich ist.
                           Stärkste Rauchverdünnung wird in vollkommenster und einfachster Weise ohne alle
                              									Betriebskosten durch einen neuen patentierten Dissipator oder Rauchverdünner
                              									erzielt. Der dieser Konstruktion zugrunde liegende Gedanke ist folgender: Die
                              									Abgasmassen dürfen nicht als kompakter Strom einer Hauptmündung des Schornsteins
                              									entströmen. Sie verlassen den Schornstein schrittweise aus zahlreichen annähernd
                              									wagerechten Windkanälen und werden vor, während und nach dem Austritt vom strömenden
                              									Wind selbst innerhalb des Dissipatorschornsteins und in seiner nächsten Umgebung
                              									kräftig mit Luft durchgewirbelt, ohne daß die Zugleistung des Kamins beeinträchtigt
                              									wird.
                           Bei Zugschornsteinen baut man zunächst einen geschlossenen Schaft, der die gewünschte
                              									Zugleistung sichert, darüber hinaus aber wird der Bau als Gitterschacht mit ringsum angebrachten trichter- oder schlitzförmigen, im
                              									wesentlichen wagerechten Windkanälen errichtet. Durch diese tritt der Wind in den
                              									aufsteigenden Abgasstrom ein und mischt sich den Abgasen unter stärkster
                              									Wirbelbildung bei. Während ein Teil des Gasgemenges aus den gegenüberliegenden
                              									Oeffnungen wieder austritt, steigt die übrige Masse weiter auf und wird mehr und
                              									mehr verdünnt. Durch konische Erweiterung der Austrittskanäle wird die Vermischung
                              									und Wirbelbildung besonders begünstigt. Die Dissipatorwirkung kann noch gesteigert
                              									werden, indem man die Windkanäle tangential anordnet oder indem man ihnen eine
                              									doppeltrichterförmige (X-förmige) Gestalt gibt. Letztere Ausführungen sind bei
                              									Eisenbetonbauten und Eisenblechschornsteinen (Dampfschiffen) leichter als bei
                              									gewöhnlichen Radialziegelbauten; für diese können besondere geschützte
                              									Dissipator-Tangential-Lochziegel Anwendung finden, die ebenso wie gewöhnliche
                              									Radialziegel verbaut werden. Bei Anwendung dieser Steine werden die Gasmassen im
                              									Innern des Kamins zu einer drehenden (Spiral-) Bewegung gezwungen.
                           Die Dissipatorwirkung ist an Modellversuchen und auch schon an mehreren großen
                              									Ausführungen in der Praxis erprobt worden. Bei einer Schwefelsäurefabrik z.B., wo
                              									mit Teer ein Feuer mit maximaler Rußbildung angelegt wurde, zeigte sich, daß der
                              									Qualm aus sämtlichen Schornsteinlöchern, die der Windrichtung entgegenlagen, entwich
                              									und schon in einer Entfernung von 10 bis 15 m vollständig zu einem Nebeldunst
                              									aufgelöst war. Der Zug des Schornsteins wurde selbst bei verschlossener oberer
                              									Oeffnung nicht gehemmt.
                           Handelt es sich nicht um einen Zugschornstein, sondern um eine Kanalmündung, die auf ebener Erde oder auf einem Dach
                              									endet, so kann der Abzugsschlot als vervielfachter Gitterschaft für verstärkte
                              									Mischwirkung hergestellt werden (Multidissipator). Ein
                              									solcher Dissipator kann dazu dienen, die aus einer Entsäuerungsanlage entweichenden
                              									Restgase zu zerstreuen.
                           Es ist jetzt auch gelungen, die anfangs noch unvollkommen aussehenden Bauten so zu
                              									gestalten, daß das Aeußere der Gitterschornsteine von gefälliger Wirkung ist. Die
                              									Untersuchung der Baustabilität hatte ebenfalls ein sehr günstiges Ergebnis, (H. Wislicenus.) [Rauch und Staub 1911, S. 2–7.]
                           Dr. S.