| Titel: | UEBER KNICKFORMELN. | 
| Autor: | L. Schaller | 
| Fundstelle: | Band 326, Jahrgang 1911, S. 433 | 
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                        UEBER KNICKFORMELN.
                        Von Dr.-Ing. L. Schaller, Privatdozent in Danzig-Langfuhr.
                        SCHALLE: Ueber Knickformeln.
                        
                     
                        
                           Inhaltsübersicht.
                           An dem Beispiele einer englischen Knickformel wird gezeigt, welche
                              									Gefahr in der praktischen Anwendung solcher Knickformeln liegt, deren Brauchbarkeit
                              									nicht durch Versuche einwandfrei erwiesen ist. Als Knickformeln, welche die
                              									letztgenannte Bedingung erfüllen, werden die Tetmajerschen Formeln zur Berechnung „gedrungener“ und die Eulerschen Formeln zur Berechnung „schlanker“
                              									Druckstäbe empfohlen.
                           –––––
                           Obschon jetzt bald 10 Jahre verflossen sind, seit TetmajerL. v. Tetmajer, Die
                                    											Gesetze der Knickung und der zusammengesetzten Druckfestigkeit der technisch
                                    											wichtigsten Baustoffe. Leipzig und Wien 1903. seine Versuche über
                              									die Knickfestigkeit gedrückter Stäbe veröffentlicht und einen Weg gezeigt hat, auf
                              									dem man zu einwandfrei knicksicheren Stäben gelangt, haben sich die Tetmajerschen Formeln doch nur in vereinzelten Fällen
                              									Eingang in die Praxis verschafft. Auch die ausschreibenden Behörden schenken der Tetmajerschen Knickformel nicht immer die ihr gebührende
                              									Beachtung.
                           Der gegen die Tetmajerschen Ableitungen erhobene Einwand,
                              									es mangele ihnen die theoretische Grundlage, ist zwar berechtigt; doch kann man sich
                              									anderseits auch nicht der Tatsache verschließen, daß die Knickfrage in ihrem ganzen
                              									Umfange rein wissenschaftlich überhaupt noch nicht einwandfrei beantwortet ist.
                              									Während in Deutschland eine eigentliche Meinungsverschiedenheit nur noch bei der
                              									Berechnung „gedrungener Druckstäbe“ (Tetmajer oder
                                 										Euler) besteht – für „schlanke Stäbe“ wird die Gültigkeit der
                              									Eulerschen Formel fast allgemein anerkannt – werden in englischen und amerikanischen
                              									Fachzeitschriften häufig genug Formeln empfohlen, deren Aufbau weder auf die Tetmajerschen, noch auf die Eulerschen Untersuchungen
                              									Rücksicht nimmt. Da diese Zeitschriften in Deutschland viel gelesen werden, ist die
                              									Benutzung der dort empfohlenen Formeln durch deutsche Ingenieure leicht möglich und
                              									soll daher an der Hand eines Beispiels auf das Gefährliche eines solchen Vorgehens
                              									aufmerksam gemacht werden.
                           In den „Minutes of Proceedings of the Institution of Civil Engineers“ 1910
                              									Vol. CLXXX ist z.B. auf den Seiten 307 und ff. eine Abhandlung des Herrn Orrell, Stud. Inst. C. E. über „The Design of Swing-Bridges“ veröffentlicht.
                           Für Glieder, welche durch wechselnde Kräfte nur auf Druck beansprucht werden,
                              									ermittelt Orrell die zulässige Beanspruchung auf Seite
                              									330 zu:
                           \sigma=\frac{470}{1+\frac{1}{360000}\,.\,\frac{1}{i}}\,\left(1+\frac{P_{\mbox{min}}}{P_{\mbox{max}}}\right)
                              									in kg/qcm . 1)
                           Hierin bedeutet:
                           σ = zulässige Beanspruchung in
                              									kg/qcm,
                           l = Länge des Stabes in cm,
                           i = Trägheitsradius =\sqrt{\frac{J}{F}},,
                           J = kleinstes Trägheitsmoment in cm4,
                           F = Querschnittsfläche in qcm,
                           Pmin = kleinste auftretende
                              									Druckkraft,
                           Pmax = größte auftretende
                              									Druckkraft.
                           In der vorliegenden Gestalt ist die eben angeführte Formel 1, sowie die auf Zeile 8
                              									Seite 330 für Pmin = 0 angebene Formel 1a:
                           \sigma=\frac{470}{1+\frac{1}{36000}\,.\,\frac{1}{i}} in
                              									kg/qcm . . 1a)
                           zweifellos nicht brauchbar.
                           Durch eine Anfrage bei Herrn Orrell wurde festgestellt,
                              									daß bei der Wiedergabe der Gleichungen 1 und 1a Druckfehler unterlaufen sind, und
                              									daß diese Gleichungen folgendermaßen aussehen sollen:
                           \sigma=\frac{470}{1+\frac{1}{36000}\,\left(\frac{1}{i}\right)^2}\,\left(1+\frac{P_{\mbox{min}}}{P_{\mbox{max}}}\right)
                              									. . . 2)
                           und Pmin = 0:
                           \sigma=\frac{470}{1+\frac{1}{36000}\,\left(\frac{1}{i}\right)^2}
                              									. . . . . . 2a)
                           Auch diese Formeln, die in der Form 2 eine Verquickung der auf Navierscher und Schwarz-Rankineseher Grundlage aufgebauten Knickformel mit
                              									einem die wechselnde Beanspruchung nach Art des Vorganges von Wöhler, Launhardt und Weyrauch
                              									berücksichtigenden Faktor \left(1+\frac{P_{\mbox{min}}}{P_{\mbox{max}}}\right)
                              									darstellen, entsprechen nicht mehr den neueren Forschungsergebnissen. Schon der die
                              										„Ermüdung des Materials“ kennzeichnende Faktor
                              										\left(1+\frac{P_{\mbox{min}}}{P_{\mbox{max}}}\right) ist sehr
                              									anfechtbar. Würden nicht grundsätzliche Bedenken gegen eine Formel von der Art der
                              									Formel 2 bestehen, so müßte zum wenigsten dieser Faktor lauten:
                              										\left(1+\frac{1}{2}\,\frac{P_{\mbox{min}}}{P_{\mbox{max}}}\right)Weyrauch,
                                    											Festigkeit und Dimensionenberechnung, Leipzig 1876, G. B.
                                    										Teubner..
                           Das Hinzufügen des Faktors
                              										\left(1+\frac{P_{\mbox{min}}}{P_{\mbox{max}}}\right) zur
                              									eigentlichen Knickformel ist aber überhaupt zwecklos; denn es ist schon seit langem
                              									festgestellt, daß die Einführung eines solchen Faktors nur dann einen Sinn hat, wenn
                              									durch den Wechsel in der Beanspruchung die Bruchgrenze unter die Quetsch- oder
                              									Streckgrenze fallen kann. Da diese Möglichkeit ausgeschlossen ist, sobald es sich um
                              									wechselnde, im gleichen Sinne wirkende Beanspruchungen handelt, entfällt die
                              									Berechtigung für die Einführung des Faktors
                              										\left(1+\frac{P_{\mbox{min}}}{P_{\mbox{max}}}\right).
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 434
                              Fig. 1.
                              
                           Läßt man den Faktor aus der Formel 2 weg, so muß diese, um mit den im folgenden
                              									aufzustellenden Formeln gleiche Grundlage zu haben, in der Form
                           \sigma=\frac{2\,.\,470}{1+\frac{1}{36000}\,\left(\frac{1}{i}\right)^2}=\frac{940}{1+\frac{1}{36000}\,\left(\frac{1}{i}\right)^2}
                              									. . 3)
                           geschrieben werden; denn die Einführung des Faktors
                              										\left(1+\frac{P_{\mbox{min}}}{P_{\mbox{max}}}\right) hatte
                              									die Ermäßigung der ursprünglichen Spannungszahl (940) auf die Hälfte (470) zur
                              									Folge. Diese Ermäßigung ist in Formel 3 wieder rückgängig gemacht. Es soll nunmehr
                              									die Formel 3 mit der Tetmajerschen und Eulerschen Formel innerhalb des Gültigkeitsbereiches
                              									einer jeden derselben verglichen werden.
                           Bekanntlich hat Tetmajer gefunden, daß die beim
                              									Knickvorgang auftretenden Beanspruchungen, so lange
                              										\frac{1}{i}\,<\,105 ist, dem linearen Gesetze
                           \sigma_0=3100-11,4\,\frac{1}{i} . . . . .
                              									4)
                           folgen.
                           Ist \frac{1}{i}\,<\,105, so sind die zulässigen Spannungen,
                              									wenn keine Knickerscheinungen auftreten sollen, aus den Eulerschen Gleichungen zu ermitteln.
                           Formel 4 gilt für Flußeisenstäbe mit einer kleineren Zugfestigkeit als 4500
                              									kg/qcm.
                           Demnach wäre der Wert 3100 kg/qcm, der sich für einen Stab von der Länge = 0, also
                              									mit \frac{1}{i}=0 ergibt, eine Art „Druckfestigkeit“. Nun
                              									ist allerdings das Wesen der reinen Bruch-Druckfestigkeit noch viel zu wenig
                              									erforscht, als daß man sagen könnte, die Bezeichnung „Druckfestigkeit“ für
                              									den Tetmajerschen Wert 3100 ist richtig oder falsch. Aber
                              									selbst wenn späterhin einmal für die reine Druckfestigkeit des Flußeisens von
                              									kleinerer Zugfestigkeit als 4500 kg/qcm ein anderer Wert als 3100 festgestellt
                              									werden sollte, würden deshalb die Tetmajerschen Formeln
                              									dennoch ihre Gültigkeit behalten, denn es darf nicht außer acht gelassen werden, daß
                              									die Tetmajerschen Formeln die Ergebnisse praktischer
                              									Versuche und infolgedessen auch nur für praktisch mögliche Fälle anwendbar sind. Ein
                              									Stab von der Länge = 0 ist aber praktisch undenkbar.
                           Führt man mit Orrell eine vierfache Sicherheit gegen Bruch
                              									ein, so ist die in gedrückten Gliedern zulässige Druckbeanspruchung nach Tetmajer (aus Gl. 4)
                           \sigma=775-2,85\,\frac{1}{i} . . . . . . . . . .
                              									5)
                           Mit dieser Formel erhält man für gedrungene Druckstäbe, d.h. für solche, für welche
                              										\frac{1}{i}\,<\,105 ist, Querschnitte, die nach den
                              									langjährigen Versuchen Tetmajers eine vierfache
                              									Sicherheit der beireffenden Stäbe gewährleisten.
                           Wenn auch die Formel 5 anders gebaut ist wie die Orrell-Schwarz-Rankinesche, so brauchte man gegen die Anwendung der
                              									letztgenannten doch dann keine Bedenken zu haben, wenn sie mit der Tetmajerschen Formel gute Uebereinstimmung ergäbe. Da die
                              										Tetmajersche Formel
                           
                           Zusammenstellung.
                           
                              
                                 1.
                                 2.
                                 3.
                                 4.
                                 5.
                                 6.
                                 7.
                                 
                              
                                 
                                    
                                    \frac{l}{i}
                                    
                                 \sigma=\left(775-2,85\,\frac{1}{i}\right)(Tetmajer)kg/qcm
                                 \sigma=\frac{5250000}{\left(\frac{1}{i}\right)^2}(Euler)kg/qcm
                                 \sigma=\frac{940}{1+\frac{1}{36000}\,\left(\frac{1}{i}\right)^2}(Orell)kg/qcm
                                 \sigma=\frac{756}{1+\frac{1}{17750}\,\left(\frac{1}{i}\right)^2}(Orrell
                                    											verbessert)kg/qcm
                                 Abweichung derOrrellschen Wertevon den
                                    											Tetmajer-schen u. Eulerschenin v. H.
                                 Abweichung derverbessertenOrrellschen Wertevon den Tetmajer-schen
                                    											u Eulerschenin v. H.
                                 
                              
                                     0  10  20  30  40  50  
                                    											60  70  80  90100105
                                     
                                    											775746,5718,0689,5661,0632,5604,0575,5547,0518,5490,0    
                                    											476
                                 476
                                 940938930918900880854828798768736720
                                 756752740720694664628592554520484466
                                 +   21,3+   25,6+   29,5+  
                                    											33,1+   36,2+   39,1+   41,4+   43,9+  
                                    											45,9+   48,1+   50,2+   51,3
                                 –   2,5+   0,1+   3,1+   4,3+  
                                    											5,0+   5,0+   4,0+   2,8+   1,3+   0,3–  
                                    											1,2–   2,1
                                 
                              
                                 110120130140150160170180190200
                                 
                                 434365311268233205182162145131
                                 704672610608578550522494470446
                                 450418388360334310288268250232
                                 +   62,2+   84,1+ 105,8+ 126,9+
                                    											148,1+ 168,3+ 186,8+ 205,0+ 224,1+ 238,2
                                 +   3,7+ 14,5+ 24,7+ 34,3+
                                    											43,4+ 51,2+ 58,2+ 65,4+ 72,4+ 77,1
                                 
                              
                           auf Grund von Versuchen aufgebaut ist, würde ich eine
                              									Abweichung von derselben um 5 bis 6 v. H. noch als eine gute Uebereinstimmung
                              									bezeichnen. In der Zusammenstellung sind nun für die um je 10 wachsenden Werte von
                              										\frac{1}{i} die Spannungen σ,
                              									die sich nach Orrell aus der Formel
                           \sigma=\frac{940}{1+\frac{1}{36000}\,\left(\frac{1}{i}\right)^2}
                              									(Spalte 4)
                           und nach Tetmajer aus der
                              									Formel
                           \sigma=775-2,85\,\frac{1}{i} (Spalte 2)
                           ergeben, angegeben. In Fig. 1
                              									sind die beiden Ausdrücke auch noch zeichnerisch dargestellt, indem aufder x-Achse
                              									die Werte \frac{1}{i} und auf der y-Achse die dazugehörigen Werte
                              										a aufgetragen sind.
                           Die Zusammenstellung zeigt, daß die mit der Orrellschen
                              									Formel ermittelten Werte von den Werten, die Tetmajer
                              									durch Versuch ermittelt hat, im ungünstigsten Falle um rund 51 v. H. abweichen.
                              									Druckglieder, deren \frac{1}{i}=105 ist, weisen, wenn sie nach
                              									der Orrellschen Formel berechnet sind, nicht die
                              									vorausgesetzte vierfache, sondern nur eine
                           
                              4\,.\,\frac{476}{720}\,\sim\,2,65\mbox{ fache}
                              
                           Knicksicherheit auf.
                           Dieser Wert wird sich zwar in der Praxis noch um eine Kleinigkeit zugunsten Orrells verschieben, weil bei den Tetmajerschen Versuchen, welche zur Aufstellung der Formel 5 dienten,
                              									keine feste Einspannung der Stabenden erzwungen war. Immerhin dürfte es sich aber
                              									doch empfehlen, auch in der Praxis lieber von der tatsächlichen oder scheinbaren
                              									Einspannung der Stabenden abzusehen und die Abmessungen von Druckgliedern, deren
                              										\frac{1}{i}\,<\,105 ist, nach der Formel 5 zu
                              									berechnen. Auch wenn \frac{1}{i}\,>\,105 ist, lassen sich
                              									nach den Tetmajerschen Grundlagen die für derartige
                              									Druckstäbe zulässigen Beanspruchungen nicht durch ein Gesetz ausdrücken, wie es in
                              									den Orrellschen Formeln enthalten ist. Man muß vielmehr
                              									dann zur Aufstellung einer brauchbaren Formel von den Eulerschen Ableitungen ausgehen. Dabei ist dringend zu empfehlen, der
                              									Formelaufstellung jenen Eulerschen Knickfall zugrunde zu
                              									legen, bei welchem keinerlei Einspannung der Stabenden vorausgesetzt ist; denn
                              									gerade bei sehr schlanken Stäben, bei welchen
                              										\frac{1}{i}\,>\,105 ist, ist die Wirkung der
                              									Einspannung sehr fraglich.
                           Bedeutet
                           Pk = die Last, welche der Stab
                              									kurz vor dem Ausknicken noch tragen kann, in kg,
                            E = den Elastizitätsmodul in kg/qcm,
                            J = das Trägheitsmoment in cm4,
                           
                           l = Länge des Stabes in cm,
                           so ist für den vorausgesetzten Knickfall:
                           P_k=\frac{\pi^2\,.\,E\,.\,J}{l^2} . . . . . .
                              									6)
                           Setzt man angenähert π2 = 10 und teilt beide Seiten der Gleichungen durch die tatsächliche
                              									Belastung P, so ergibt sich:
                           \frac{P_k}{P}=\frac{10\,.\,E\,.\,J}{l^2\,.\,P}.
                           \frac{P_k}{P} stellt den Sicherheitsgrad vor, den man auch in
                              									diesem Falle \frac{P_k}{P}=4 setzen kann.
                           Teilt man nach Einsetzen dieses Wertes auf der rechten Seite der Gleichung Zähler und
                              									Nenner durch die Querschnittsfläche F, so ergibt sich:
                           
                              4=\frac{10\,.\,E\,.\,\frac{J}{F}}{l^2\,.\,\frac{P}{F}}
                              
                           Hierin bedeutet \frac{J}{F}=i^2 wie früher
                              									= Trägheitshalbmesser) und \frac{P}{F}=\sigma (zulässige
                              									Druckbeanspruchung), so daß man also schreiben kann:
                           
                              4=\frac{10\,.\,E}{\left(\frac{1}{i}\right)^2\,.\,\sigma}
                              
                           Damit ergibt sich die Formel für die zulässige Beanspruchung in Druckstäben, für
                              									welche \frac{1}{i}\,>\,105 ist, zu
                           \sigma=\frac{2,5\,E}{\left(\frac{1}{i}\right)^2}
                              									. . . . . . . 7)
                           Setzt man schließlich den Elastizitätsmodul
                           E = 2100000 kg/qcm,
                           so erhält man den Endwert
                           \sigma=\frac{5250000}{\left(\frac{1}{i}\right)^2} . . . . .
                              									. 8)
                           In Spalte 3 der Zusammenstellung sind die Werte des Ausdrucks
                           
                              \sigma=\frac{5250000}{\left(\frac{1}{i}\right)^2}
                              
                           entwickelt für
                           \frac{1}{i}=105 bis
                              										\left(\frac{1}{5}\right)=200.
                           Die Gesetzmäßigkeit des Ausdrucks
                           
                              \sigma=\frac{5250000}{\left(\frac{1}{i}\right)^2}
                              
                           über den Wert \frac{1}{i}=200 hinaus zu
                              									verfolgen, hat keinen praktischen Wert, weil die für die praktische Ausführung in
                              									Frage kommenden Druckstäbe nur in Ausnahmefällen ein \frac{1}{i}
                              									haben, welches größer als 200 ist.
                           Im Teil 2 der Spalte 6 der Zusammenstellung sind in Hundertteilen die
                              									Abweichungen angegeben, die die Orrellschen Werte
                              									gegenüber den Eulerschen haben. Man erkennt, daß die
                              									Anwendung der Orrellschen Formeln für „schlanke“
                              									Stäbe, also für solche, für welche \frac{1}{i}\,>\,105
                              									ist, eine Gefahr bedeutet; denn man erhält mit dieser Formel z.B. für einen Stab mit
                              									einem \frac{1}{i}=200 nicht eine vierfache, sondern nur eine
                              									etwa
                           4\,.\,\frac{141}{446}\,\infty\,1,2\,\mbox{fache}
                              									fache
                           Knicksicherheit.
                           Auch die Darstellungen der Abbildung zeigen, daß sich die Orrellschen Werte von den Eulerschen weit
                              									entfernen, so daß vor der Verwendung der Orrellschen
                              									Formel in der vorliegenden Form, zum mindesten für Druckstäbe, deren
                              										\frac{1}{i}\,>\,105 ist, gewarnt werden muß.
                           Für den ersten Zweig der a-Linie in dem Bereiche von
                              										\frac{1}{i}\,=0 bis \frac{1}{i}=105 läßt
                              									sich nun die Formel 3 durch größere Anpassung an die Tetmajerschen Werte wesentlich verbessern.
                           Für den Grenzwert \frac{1}{i}=0 gibt die Formel 5
                           σ = 775. . . . . . . 5a)
                           Der in Gleichung 3 enthaltene Orrellsche Grenzwert
                              									ist:
                           σ = 940. . . . . . . 3a)
                           Orrell hat demnach schon die Grundbeanspruchung um etwa 21
                              									v. H. zu hoch angenommen.
                           Aendert man die Festwerte der Formel 3 in der Weise ab, daß diese Formel nunmehr
                              									lautet:
                           \sigma=\frac{756}{1+\frac{1}{17750}\,\left(\frac{1}{i}\right)^2}
                              									. . . . . 9)
                           so erhält man Werte, welche die Tetmajersche Linie auf der Strecke \frac{1}{i}=0 bis
                              										\frac{1}{i}=105 recht gut ausgleichen. In der 5. Spalte der
                              									Zusammenstellung sind die Werte dieser verbesserten Formel angegeben; ebenso sind
                              									die Werte in Fig. 1 eingetragen. Aus der
                              									Zusammenstellung und der Abbildung erkennt man aber wiederum, daß die
                              									Uebereinstimmung auch der verbesserten Formel 9 mit dem Eulerschen Zweig der Spannungskurve \left(\frac{1}{i}=105\mbox{
                                 										bis }\frac{1}{i}=200\right) nicht gut ist. Es ist deshalb sehr
                              									empfehlenswert, von der Verwendung der Orrellschen Formel
                              									überhaupt abzusehen, und für die beiden verschiedenen Zweige der Spannungslinie auch
                              									die beiden verschiedenen Formeln 5 und 8 zu verwenden.
                           Da die Verwendung zweier verschiedener Formeln für einen und denselben Vorgang
                              									besonders im täglichen Gebrauch mancherlei Mißhelligkeiten zeitigen kann, hat es
                              									nicht an Versuchen gefehlt, für die Spannung σ eine
                              									Formel aufzustellen, deren Linie sich der Tetmajerschen
                              										und Eulerschen Linie gleichzeitig, und zwar in praktisch
                              									genügender Weise, anschmiegt.
                           Die Ausgleichung dieser Spannungslinien gelingt mit einer Kurve 3. Grades. Ich sehe
                              									aber von der Wiedergabe einer solchen Formel ab, weil ich es für unrichtig halte,
                              									eine Formel zur Anwendung zu empfehlen, deren Aufbau mit der Gesetzmäßigkeit des
                              									Vorganges, den sie decken soll, in keinem inneren Zusammenhange steht. Aus diesem
                              									Grunde halte ich es für besser, wenn stets die beiden Formeln 5 und 8 in den ihnen
                              									zugeordneten Gebieten benutzt werden.
                           Die Formeln 5 und 8 gelten, wie aus den Vorbemerkungen zu entnehmen ist, natürlich
                              									nur für Flußeisen. Für andere Baustoffe müssen die Festwerte dieser Formeln
                              									entsprechend geändert werden.
                           Die Nachprüfung der Orrellschen Formel für die Ermittlung
                              									der zulässigen Beanspruchung in Druckgliedern enthält eine Mahnung zur Vorsicht bei
                              									Anwendung neuer Knickformeln. Gerade bei gedrückten Stäben ist es überaus wichtig,
                              									daß man nur solche Querschnittsausbildungen anwendet, welche durch umfassende
                              									praktische Versuche erprobt sind. Denn bei fast allen Einstürzen größerer
                              									Eisenbauten der Neuzeit waren es Druckstäbe, deren ungenügende Querschnitts- und
                              									Trägheitsmomentenbemessung mittelbar oder unmittelbar schuld an dem Unglück
                              									hatten.
                           Solche Unfälle waren möglich, trotzdem der Berechnung der Stäbe „theoretisch
                                 										einwandfreie“ Formeln, wie z.B. die Eulersche
                              									Formel, zugrunde gelegt waren.
                           Da aber, wie schon LorenzH. Lorenz, Bemerkungen zur Eulerschen Knicktheorie. Zeitschrift des Vereins Deutscher
                                    											Ingenieure 1908, S. 827. gezeigt hat, die rein theoretische
                              									Behandlung der Knickaufgabe nur für „schlanke“ Druckstäbe
                              										\left(\frac{1}{i}\,>\,105\right) zu guten Ergebnissen
                              									führt, mußte die Uebertragung der für schlanke Stäbe gültigen Gesetze auf das Gebiet
                              									der „gedrungenen“ Stäbe zu schwerwiegenden Fehlern in der
                              									Querschnittsbemessung solcher Druckstäbe führen.
                           Die grundsätzliche Anwendung der Formeln 5 und 8 liegt deshalb im Interesse der
                              									Sicherheit unserer Ingenieurbauwerke.