| Titel: | DIE PROBLEME DER SCHWACHSTROMTECHNIK. | 
| Autor: | H. Barkhausen | 
| Fundstelle: | Band 326, Jahrgang 1911, S. 513 | 
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                        DIE PROBLEME DER SCHWACHSTROMTECHNIK.
                        Von Prof. Dr. H. Barkhausen, Dresden.
                        BARKHAUSEN: Die Probleme der Schwachstromtechnik.
                        
                     
                        
                           Inhaltsübersicht.
                           Wesen, Aufgabe und wirthschaftliche Bedeutung der
                              									Schwachstromtechnik. Telegraphie; drahtlose Telegraphie; Telephonie; Fernmelder und
                              									Sicherungswesen; Meßtechnik.
                           –––––
                           Wenn von Elektrotechnik die Rede ist, so denkt der Laie meist an irgendwelche
                              									imposante Kraftleistungen: sausende Maschinen, eilende Bahnen, Krane, die ohne jede
                              									sichtbare Anstrengung fabelhafte Lasten heben, Wasserfälle, die ihrer Energie
                              									beraubt werden, um Licht zu schaffen. Gegen solche Respekt und Bewunderung
                              									einflößende Leistungen der Starkstromtechnik erscheint ihm die Schwachstromtechnik,
                              									wobei er an Hausklingelanlagen und allerlei Kinderspielzeug denkt, leicht als etwas
                              									Kleinliches ohne größere wirthschaftliche Bedeutung. Dieser Meinung gegenüber darf
                              									ich vielleicht gleich hier erwähnen, daß nach einer Aufstellung von Dr. Franke von allen in der Elektrotechnik beschäftigten
                              									Arbeitern der größere Teil für die Schwachstromtechnik beschäftigt ist und nur der
                              									kleinere Teil für die Starkstromtechnik. Diese kurze statistische Angabe drückt wohl
                              									am deutlichsten die meist unterschätzte, große wirthschaftliche Bedeutung der
                              									Schwachstromtechnik aus.
                           Was verstehen wir nun eigentlich unter Schwachstromtechnik?
                           Der Name trifft nicht so ganz das Wesentliche der Sache. Daß die auftretenden Ströme
                              									klein sind, ist eine Begleiterscheinung, die nicht einmal immer auftritt. Bei
                              									Meßinstrumenten und Signalapparaten bei der Telegraphie ohne Draht, die zweifellos
                              									zur Schwachstromtechnik gehören, kommen ganz erhebliche Stromstärken vor. Den
                              									Unterschied zwischen Starkstrom- und Schwachstromtechnik möchte ich vielmehr darin
                              									erblicken, daß es bei der Starkstromtechnik stets auf einen gewissen Energieeffekt
                              									ankommt. Man will die Elektrizität in mechanische Arbeit, Wärme, Licht oder
                              									chemische Wirkungen umwandeln, und dabei spielt der Nutzeffekt, das Verhältnis der
                              									aufgewandten zur wiedergewonnenen Energie, eine wesentliche Rolle. Die erzielte
                              									Wirkung ist proportional den aufgewandten Mitteln.
                           Das Anwendungsgebiet der Schwachstromtechnik besteht aber, kurz gesagt, in der
                              									Uebertragung von Zeichen: bei der Telegraphie von Schriftzeichen, bei der Telephonie
                              									von akustischen Zeichen, den Sprechlauten, bei Kommando-Apparaten, Meßinstrumenten
                              									und Meldeeinrichtungen von optischen Zeichen durch Zeiger und Skalen. Hierbei kann
                              									aber von einem Nutzeffekt im wirthschaftlichen Sinne überhaupt nicht die Rede sein.
                              									Es wird gar keine Energie wiedergewonnen. Der Energiebedarf ist gewissermaßen
                              									theoretisch unbegrenzt klein. Praktisch hängt er von der Empfindlichkeit der
                              									Empfangsapparate ab. Man gewinnt nicht mehr, wenn man mehr Energie aufwendet; ein
                              									Telegraphenrelais kann auch nichts anderes als ansprechen, wenn der Strom verstärkt
                              									wird, und wenn man beim Telephonieren zu laut schreit, wird die Verständigung eher
                              									schlechter. Da man im allgemeinen empfindliche Empfangsapparate verwendet, kommt man
                              									praktisch meist mit schwachen Strömen aus, so daß der Name Schwachstromtechnik bis
                              									zu einem gewissen Grade gerechtfertigt erscheint, und, da er sich im Sprachgebrauch
                              									eingebürgert hat, auch hier weiter beibehalten werden soll.
                           Wenn man hört, daß die einzige Aufgabe der Schwachstromtechnik darin besteht, Zeichen
                              									und Signale zu übermitteln, so mag sich zunächst mancher wundern, daß dies einen so
                              									wichtigen Faktor im wirthschaftlichen Leben bilden soll. Da möchte ich Sie an den
                              									treffenden Vergleich zwischen tierischem Organismus und staatlicher oder
                              									wirthschaftlicher Organisation erinnern, er paßt vortrefflich auf unseren Fall: Die
                              									Starkstromanlagen entsprechen den Arbeit leistenden Muskeln, von denen alle
                              									Bewegungen, alle Kraftäußerungen ausgehen; ihre Wichtigkeit springt auf den ersten
                              									Blick in die Augen. Dem feinen Nervensystem aber, das, dem oberflächlichen
                              									Betrachter ganz unbemerkt, durch den ganzen Körper seine Stränge hinzieht, das
                              									antreibend oder hemmend, regulierend auf die Muskelkräfte einwirkt und die einzelnen
                              									Teile untereinander in Verbindung hält: diesem Nervensystem entsprechen die Anlagen
                              									der Schwachstromtechnik.
                           
                           Und wie in der Entwicklung des Tierreiches bei den einfachsten Tieren, die nur
                              									aus einer oder wenigen Zellen bestehen, die alle Funktionen zugleich erfüllen, ein
                              									Nervensystem nicht nötig und daher auch nicht vorhanden ist, aber bei
                              									fortschreitender Entwicklung zu komplizierten Zellenverbänden mit mannigfachen
                              									Funktionen das Nervensystem immer wichtiger, immer nothwendiger wird, so ist es auch
                              									bei der menschlichen Organisation. Auch hier sehen wir ein unaufhaltsames
                              									Fortschreiten zu immer größeren Verbänden. Immer mehr greifen die einzelnen Teile
                              									ineinander, immer unselbständiger wird dabei der einzelne; die Arbeitsteilung
                              									schreitet immer weiter fort. Im gleichen Maße wichtiger wird eine rasche
                              									Verständigung aller Teile untereinander, eine genaue Kenntnis aller in Betracht
                              									kommenden Vorgänge an der leitenden Stelle und eine prompte Befehlsübertragung. Das
                              									ist es, was die Schwachstromtechnik leistet. Sie ist das signalübermittelnde
                              									Nervensystem, das erst ein sinnvolles Zusammenarbeiten des ganzen Organismus
                              									ermöglicht und einen komplizierten und weitverzweigten Großbetrieb erst lebensfähig
                              									erhält. Man kann geradezu behaupten, daß die ganze moderne Entwicklung ohne
                              									Telegraph, Telephon und die übrigen Signaleinrichtungen vollständig unmöglich
                              									gewesen wäre.
                           Mag man persönlich auch keine besondere Vorliebe für diese gewaltigen Massenbetriebe
                              									mit ihrer Spezialisierung der Arbeit und ihrer Vernichtung der Individualität haben,
                              									so kann man sich doch der Erkenntnis nicht verschließen, daß sie durch die ganze
                              									Entwicklung nothwendig bedingt werden, und daß hier, gerade wie im tierischen
                              									Körper, der Zusammenschluß und die Arbeitsteilung Merkmale einer höheren Kulturstufe
                              									sind. Da mit dem weiteren Fortschreiten ohne alle Zweifel die Schwachstromtechnik
                              									immer mehr einen wichtigen sozialen Faktor bilden wird, so ist es wohl
                              									gerechtfertigt, wenn diesem Zweige der Elektrotechnik in neuerer Zeit mehr
                              									Aufmerksamkeit gewidmet wird. Ich habe daher geglaubt, daß sich ein Rundgang durch
                              									das weite Gebiet der Schwachstromtechnik wohl verlohnen werde, und hoffe, daß Sie
                              									dabei den Eindruck gewinnen werden, daß die Probleme hier theoretisch wie praktisch
                              									ebenso zahlreich und interessant und ebenso schwierig zu lösen sind wie in der
                              									Starkstromtechnik.
                           Das älteste Gebiet der Schwachstromtechnik, ja überhaupt der Ursprung der gesamten
                              									Elektrotechnik ist die Telegraphie. Schon Mitte des 18.
                              									Jahrhunderts – also zur Zeit des siebenjährigen Krieges – tauchte der Gedanke auf,
                              									durch Elektrizität Zeichen und Nachrichten in die Ferne zu senden. Aber der Gedanke
                              									kam zu früh. Die Kenntnisse der elektrischen Erscheinungen waren noch zu
                              									unvollkommen, das Bedürfnis nach einer schnellen Nachrichtenübermittlung zu gering
                              									in der damaligen seßhaften, industrielosen Zeit. Erst fast 100 Jahre später, nachdem
                              									durch Oersted und Ampère
                              									wichtige Eigenschaften des elektrischen Stromes entdeckt und wissenschaftlich
                              									formuliert worden waren, zu der Zeit, wo im wirthschaftlichen Leben ein plötzlicher
                              									Umschwung eintrat, neue Verkehrsmittel entstanden, die den Blick des Bürgers
                              									über seine Stadtmauer hinauslenkten; erst d a gelangte die Telegraphie zu
                              									praktischer Bedeutung.
                           Das einfache Problem des Telegraphierens war nach Aufklärung der physikalischen
                              									Erscheinungen bald gelöst. Daß man auf der einen Stelle einen Kontakt schließt und
                              									dadurch auf der anderen Stelle ein Magnet seinen Anker anzieht, erscheint uns jetzt
                              									ebenso einfach, wie es unseren Vorfahren wunderbar erschien. Wenn aber erst einmal
                              									Klarheit in theoretischer Hinsicht geschaffen ist, wenn man weiß, was eigentlich vor
                              									sich geht, so werden bei einem wichtigen Gebiet, auf das sich alle erfinderischen
                              									Köpfe mit Eifer stürzen, die Schwierigkeiten der konstruktiven Ausführung schnell
                              									überwunden und eine brauchbare, den praktischen Bedürfnissen genügende Lösung ist
                              									meistens bald gefunden, Der im Jahre 1847 konstruierte Morse-Apparat hat noch heute fast dieselbe Ausführungsform wie damals. Und
                              									der zweite Apparat, der im Verein mit dem Morse-Apparat
                              									heute den gesamten Depeschenverkehr übermittelt, wurde im Jahre 1855 von Hughes konstruiert und in den nächsten zehn Jahren in
                              									eine solche Form gebracht, daß weiterhin fast nichts mehr an ihm zu verbessern war.
                              									Wir haben so bei der Telegraphie die in der sonst so schnell veränderlichen
                              									Elektrotechnick ganz unerhörte Erscheinung, daß die heutigen Apparate nach Modellen
                              									ausgeführt werden, die vor über 50 Jahren, also lange vor der Gründung des Deutschen
                              									Reichs entworfen worden sind. Wegen dieser langen Prüfungszeit, in der sie sich gut
                              									bewährt haben, genießen diese Apparate eine Art klassischen Ruf der Vollkommenheit,
                              									und die Telegraphenverwaltungen sind jeder Neuerung abhold, zum Teil mit Recht,
                              									besonders weil dadurch die Einheitlichkeit des jetzigen Betriebes gestört werden
                              									würde.
                           Während so die Telegraphie schon lange als etwas Fertiges, Abgeschlossenes zu
                              									betrachten war und niemand mehr wesentlich Neues von ihr erwartete, ist ihr vor etwa
                              									einem Jahrzehnt plötzlich von ganz anderer Seite eine bedeutende Erweiterung zuteil
                              									geworden: die drahtlose Telegraphie.
                           Hier sehen wir noch alles in voller Entwicklung begriffen. Und da das Werdende stets
                              									interessanter ist als das Gewordene, so wenden sich Fachmann wie Laie mit besonderer
                              									Vorliebe diesem Gebiete zu, zumal sich ihnen hier eine Fülle interessanter Probleme
                              									wissenschaftlicher, technischer und wirthschaftlicher Art darbietet.
                           Eigenthümlich ist der Entwicklungsgang bei der drahtlosen Telegraphie. Schreitet
                              									sonst bei Erfindungen meistens die Praxis kühn unternehmend voran, während die
                              									Theorie erklärend hinterdrein kommt, so war der Vorgang hier gerade umgekehrt: erst
                              									mathematische Grundlage, dann physikalische Folgerung und schließlich technische
                              									Anwendung. Der Mathematiker Maxwell folgerte aus seinen
                              									Gleichungen, daß unter gewissen Bedingungen, nämlich bei sehr hohen Wechselzahlen
                              									des elektrischen Stromes, elektromagnetische Energie sich strahlenförmig ausbreiten
                              									müsse, und daß diese elektromagnetischen Strahlen dem Wesen nach genau dasselbe
                              									seien wie die mit dem Auge wahrnehmbaren Lichtstrahlen, nur in der Größenordnung davon
                              									verschieden. Dadurch angeregt, gelang es mehrere Jahre später dem Physiker Hertz, diese von Maxwell
                              									vorausgesagte Strahlung experimentell zu erzeugen und die Vorgänge bei der
                              									Ausstrahlung im einzelnen aufzuklären. Da war es nur noch ein naheliegender, aber
                              									darum nicht minder kühner Schritt des Technikers Marconi,
                              									diese bisherigen Laboratoriumsversuche ins Große zu übertragen und zu einer
                              									praktischen Telegraphie zu verwenden.
                           Es handelt sich bei der drahtlosen Telegraphie vor allem darum, die hochfrequenten
                              									Ströme, bei denen allein die Strahlungserscheinungen auftreten, zu erzeugen und zu
                              									erforschen. Ein ganz neues Gebiet ist damit für die Elektrotechnik erschlossen, ein
                              									Gebiet, auf das sich die bisher gesammelten Anschauungen nicht so ohne weiteres
                              									übertragen lassen; denn wer hier neu eintritt, ausgerüstet nur mit den Kenntnissen
                              									der normalen Elektrotechnik, der sieht plötzlich seine elementarsten Anschauungen
                              									auf den Kopf gestellt: starke Ströme fließen in offenen Leitern; längs eines dicken
                              									Kupferdrahtes, der sonst als spannungsloser Kurzschluß gilt, treten hohe
                              									Spannungsdifferenzen auf; Vakuumröhren leuchten auf, ohne an eine Leitung
                              									angeschlossen zu sein; Funken springen an allen Ecken und Enden über, ohne Schaden
                              									anzurichten. Und doch sind die Grundgesetze dieselben. Wechselströme hier wie dort,
                              									nur die Frequenzen verhalten sich wie 50 zu 1000000. Bei den Strömen der drahtlosen
                              									Telegraphie dauert ein Wechsel nur den millionsten Teil einer Sekunde und bei diesen
                              									hohen Wechselzahlen treten Erscheinungen in den Vordergrund, die sonst zwar auch
                              									vorhanden, aber praktisch unmerkbar klein bleiben und deshalb gar nicht in den
                              									Bereich der Betrachtungen gezogen werden. Bei so enormen Geschwindigkeiten verläßt
                              									uns jedes anschauliche Gefühl, da kann man nur mehr Formeln und Zahlen sprechen
                              									lassen. Daher gibt es auch kaum einen anderen Zweig der Technik, der so sehr auf die
                              									Wissenschaft angewiesen ist, wie gerade die drahtlose Telegraphie.
                           Wenn wir jetzt auch über die erste Sturm- und Drangperiode hinaus sind, wenn anch die
                              									Zeit der ersten, die breite Oeffentlichkeit Wegenden Erfolge vorüber ist, so kann
                              									man doch von einem Abschluß noch in keiner Weise reden. Von den vielen noch zu
                              									lösenden Problemen sei nur das wichtigste genannt: die Erzeugung der hochfrequenten
                              									Ströme. Während man bisher, solche Ströme nur durch oszillatorische Entladungen von
                              									Kondensatoren mit Hilfe des Funkens oder später mit Hilfe des Lichtbogens erhalten
                              									konnte, ist man neuerdings bemüht sie direkt durch Dynamomaschinen zu erzeugen. Die
                              									Schwierigkeiten dabei sind außerordentlich groß. Die gewöhnlichen
                              									Wechselstrommaschinen geben einen Wechselstrom von 1/50 Sekunde Schwingungsdauer; durch hohe
                              									Umlaufsgeschwindigkeiten und große Polzahl konnte man die Schwingungszahl auf das
                              									1000 fache steigern. Aber auch diese äußerst raschen Schwingungen – 50000 i. d. Sek.
                              									– sind für die drahtlose Telegraphie noch zu langsam, as Ausstrahlen der
                              									elektromagnetischen Energie tritt noch zu schwach ein. Auch war der Wirkungsgrad
                              									dieser Maschinen ein außerordentlich schlechter. Nun gelang es aber Goldschmid vor ganz kurzer Zeit, durch geschickte
                              									Anwendung des Resonanzprinzips auf die bei jeder Maschine mitentstehenden
                              									Oberschwingungen die Frequenz auf das Dreifache der Grundschwingung zu steigern und
                              									gleichzeitig einen hohen Wirkungsgrad zu erhalten. Und wenn auch trotzdem die
                              									Schwingungsdauer für die drahtlose Telegraphie immer noch reichlich langsam ist, so
                              									daß nur bei großen Stationen mit hoher Antenne genügende Ausstrahlung damit zu
                              									erzielen ist, ein erster Anfang ist gemacht und weitere Verbesserungen werden nicht
                              									ausbleiben. Der große technische Vorteil, der in dem Ersatz des unsicheren und
                              									vorsichtig zu behandelnden Lichtbogens durch eine technisch einwandfreie
                              									Dynamomaschine liegt, ist ohne weiteres einleuchtend.
                           Ueber die wirthschaftliche Seite der drahtlosen Telegraphie brauche ich nur wenig zu
                              									sagen. Daß die gewöhnliche Telegraphie durch sie verdrängt oder auch nur in irgend
                              									einem normalen Falle ersetzt werde, ist ausgeschlossen. Eine Methode, bei der die
                              									Energie durch einen dünnen Draht zusammengehalten, nach einem einzigen bestimmten
                              									Ort hingesandt und ohne Mühe zur Anzeige gebracht wird, muß unbedingt wesentlich
                              									zuverlässiger und ökonomischer arbeiten als eine Anordnung, bei der die Energie
                              									zunächst nach allen Himmelsrichtungen ausgeschleudert wird, um dann zum kleinsten
                              									Teile von irgend jemand eingefangen zu werden, der gerade in diesem Bereiche
                              									genügend empfindliche Apparate aufgestellt hat. In allen besonderen Fällen aber,
                              									wenn eine feste Leitung nicht möglich ist, bei fahrenden Schiffen oder wandernden
                              									Kriegsheeren, oder, wenn Anlage und Unterhaltung einer Leitung zu schwierig sind, in
                              									unkultivierten Gegenden oder über tiefe Meeresstrecken, bildet die drahtlose
                              									Telegraphie eine wichtige Ergänzung der Telegraphie mit Leitung. Und wo das Netz der
                              									Telegraphen auf dem Erdball noch eine Lücke gelassen hatte, wird diese durch die
                              									drahtlose Telegraphie ausgefüllt, so daß es jetzt kaum noch bewohnte Orte auf der
                              									Erde gibt, die nicht im Bereiche dieses großen Nervensystems lägen. Ein Erdbeben in
                              									St. Franzisco, eine verheerende Seuche bei den Chinesen ist durch den Telegraph in
                              									kürzester Zeit bekannt; sofort können Vorkehrungen zur Hilfe und Abwehr getroffen
                              									werden, denn der Organismus der Menschheit ist schon so fest zusammengewachsen, daß
                              									der schwere Schaden eines einzelnen Gliedes auch auf den ganzen Organismus einwirkt
                              									und Gegenmittel erfordert.
                           Bildet so die Telegraphie das Hauptnervensystem, das die großen Knotenpunkte, die
                              									Städte und Nationen miteinander verbindet, so stellt die Telephonie die feinste Verästelung des Nervenstranges dar, die den engeren
                              									Umkreis um die Knotenpunkte umfaßt und hauptsächlich dem intimeren Verkehr an Ort
                              									und Stelle dient. Der umständliche Telegraph hat etwas Geschäftsmäßiges,
                              									Unpersönliches; im privaten Leben wird er zu nicht viel mehr als zu dem üblichen
                              									Hochzeitsglückwunsch gebraucht. Da bildet das einfache Telephon, das jeder Laie ohne
                              									weiteres zu benutzen versteht, und das direkte Aussprache mit Frage und Antwort
                              									gestattet, eine wichtige Ergänzung.
                           Die erste Entwicklung der Telephonie ist im strikten Gegensatz zur drahtlosen
                              									Telegraphie eigentlich fast ganz ohne Hilfe der Wissenschaft vor sich gegangen. Es
                              									ist viel einfacher, eine telephonische Verbindung einzurichten, als sie zu erklären.
                              									Es gibt eine ganze Reihe von Vorrichtungen, die alle mehr oder weniger gut als
                              									Geber, d.h. zur Umwandlung der Schallwellen in elektrische Wechselströme benutzt
                              									werden können, und das jetzt ausschließlich benutzte Mikrophon ist eigentlich nichts
                              									weiter als ein schlechter Wackelkontakt. Ebenso leicht ist es, die Wechselströme
                              									wieder in Sprechlaute umzusetzen: Transformatoren, Relais, Dynamomaschinen, ja sogar
                              									Bogenlampen fangen an zu sprechen, wenn man Sprechströme durch sie
                              									hindurchschickt.
                           Alle diese Tatsachen werden um so erstaunlicher, je tiefer wir in ihr Wesen
                              									einzudringen suchen. Bedenken Sie z.B., wie außerordentlich klein die Energie des
                              									Schalles ist. Selbst mit den feinsten Instrumenten ließe sich nicht nachweisen, daß
                              									der Raum hier augenblicklich von Schallwellen durchzogen wird. Die durch den Schall
                              									hervorgerufene hin- und hergehende Bewegung der Luftteilchen beträgt nur etwa den
                              									millionsten Teil eines Millimeters, wäre also auch mit dem schärfsten Mikroskop
                              									nicht nachzuweisen. Und doch genügen diese minimalen Bewegungen, um elektrische
                              									Ströme zu erzeugen und 1000 km entfernt im Telephon des Empfängers die Worte
                              									verständlich zu wiederholen.
                           Aber noch nicht genug damit. Wir wissen durch Helmholtz,
                              									daß die Sprachlaute, besonders die Vokale, durch das gleichzeitige Zusammenklingen
                              									einer ganzen Anzahl von Tönen verschiedener Höhe ihren charakteristischen Klang
                              									erhalten, der sie voneinander unterscheidet. Für jeden Buchstaben muß – also nicht
                              									nur ein Ton, sondern eine ganze Reihe von Tönen zu gleicher Zeit richtig übertragen
                              									werden. Daß dies durch so primitive Apparate wie Mikrophon und Telephon es sind,
                              									möglich sein soll, erscheint fast unglaublich. Und doch verstehen wir durchs
                              									Telephon nicht nur die Worte, sondern können sogar den Sprechenden am Tonfall und
                              									den feineren Nuancen seiner Sprache erkennen. Je klarer man sich die physikalischen
                              									Vorgänge vor Augen führt, für desto unmöglicher sollte man das Problem der
                              									Telephonie halten.
                           Wir haben aber eins bis jetzt außer acht gelassen: daß wir es nicht mit lauter
                              									Apparaten und Maschinen zu tun haben, sondern daß das menschliche Ohr und der
                              									menschliche Verstand dabei mitwirken. Die hohe Bewunderung für die telephonische
                              									Verständigung gebührt nur zum kleinsten Teile den Apparaten, zum größten dem
                              									menschlichen Ohre und dessen wunderbarer Einrichtung. Das Ohr nimmt noch
                              									Schallwellen von so außerordentlich kleiner Energiemenge wahr. Es ist so
                              									empfindlich, daß die Energie eines um 1 cm herabfallenden Wassertropfens ausreichen
                              									würde, um viele 1000 Jahre dauernd eine Schallempfindung auszulösen. Das Ohr und der mitwirkende Verstand bilden aus dem Schwall
                              									der auftretenden Klänge Worte und Sätze, suchen das Zusammengehörige heraus und
                              									ergänzen das Fehlende aus der Erinnerung. Nur daher kommt es, daß ein Phonograph
                              									trotz seiner gräulichen Verzerrung der Töne doch noch verständlich bleibt. Und etwas
                              									besser ist die telephonische Uebertragung doch noch.
                           Wenn also Telephon und Mikrophon tatsächlich höchst unvollkommene Apparate sind, die
                              									nur etwa ein Milliontel der Schallenergie übertragen und dabei eine erhebliche
                              									Verzerrung der Sprache hervorrufen, – das Ohr macht alles wieder gut: was uns rein
                              									technisch unmöglich erscheint, macht der Natur keine Schwierigkeiten. Trotzdem also
                              									der physikalische Vorgang bei der Telephonie sehr viel komplizierter ist als bei der
                              									Telegraphie, ist sie in der Anwendung viel einfacher; das macht, weil jeder den
                              									kompliziertesten Teil der Apparatur, das Ohr, mit sich herumträgt und wohlgeübt ist
                              									in seiner Benutzung.
                           Um aber diesen gegebenen Hauptteil rationell auszunutzen, ist es für den
                              									Telephontechniker sehr wichtig, ihn möglichst genau zu kennen, und es sind
                              									mancherlei Versuche über die Eigenschaften des Ohres angestellt worden. Da die
                              									Uebertragung der Sprache durch Wechselströme geschieht, die den Schallschwingungen
                              									entsprechen, hat man die Möglichkeit, durch rein elektrische Mittel verändernd auf
                              									die Sprache einzuwirken. Schaltet man z.B. in den Stromkreis der Telephonströme eine
                              									Drosselspule, so werden die hohen Töne stärker abgedrosselt als die tiefen,
                              									umgekehrt läßt ein Kondensator die hohen Töne besser durch. Der Versuch zeigt nun,
                              									daß die Sprache in beiden Fällen durchaus verständlich bleibt, obwohl sie in
                              									Wirklichkeit stark verzerrt ist, nur die Klangfarbe wird ein wenig geändert. Um zu
                              									sehen, worauf es am meisten ankommt für eine gute Verständigung, wurden Leitungen
                              									von verschiedener Beschaffenheit miteinander verglichen, und da kam man zu dem
                              									eigenthümlichen Resultat, daß die Verständigung immer dann gleich gut ist, wenn die
                              									Töne in der Nähe von 800 Schwingungen i. d. Sek. gleich gut übertragen werden und
                              									daß es fast ganz gleichgültig ist, ob die höheren und tieferen Töne abgedrosselt
                              									werden oder nicht. Gerade bei 800 liegen aber bekanntlich die charakteristischen
                              									Obertöne der Vokale und gerade für diese Töne ist ferner das Ohr besonders
                              									empfindlich. Man muß aus all dem schließen, daß nur diese Töne die
                              									Sprachverständigung bedingen, die tieferen und höheren nur die verschiedene
                              									Klangfarbe der Sprache ausmachen. Das ist für den Telephontechniker sehr wichtig zu
                              									wissen. Denn er kann nun bei seinen Rechnungen statt der beim Sprechen entstehenden
                              									komplizierten Ströme einfach einen gewöhnlichen Wechselstrom von 800 Schwingungen
                              									annehmen, den er bei seinen Messungen mit einer Hochfrequenzmaschine stets leicht
                              									erzeugen kann. Exakte Messungen sind aber auch dann noch schwierig. So empfindlich
                              									nämlich das Ohr für den Schall an sich und auch für Unterschiede in der Tonhöhe ist, so unempfindlich ist es gegen Unterschiede
                              									in der Intensität des Schalles. Aenderungen der
                              									Intensität um 25 v. H. sind mit dem Ohr überhaupt nicht wahrnehmbar und selbst bei der
                              									doppelten Schallintensität hört man gerade eben, welcher von beiden Tönen lauter
                              									ist. Auf das Telephon und das Ohr war man aber bisher bei Schallmessungen fast
                              									allein angewiesen, da die minimalen Energiemengen, die hier in Präge kommen, nicht
                              									imstande waren, selbst den feinsten Zeiger eines Meßinstrumentes zum Ausschlag zu
                              									bringen Erst in neuerer Zeit ist es gelungen, durch eine eigenartige
                              									Kombination eines durch die Sprechströme geheizten Thermoelementes und eines
                              									hochempfindlichen Galvanometers mit gewichtslosem Lichtzeiger, selbst diese
                              									schwachen Ströme direkt einer genauen objektiven Messung zu unterziehen und manche
                              									noch schwebende Fragen dürften sich dadurch in Zukunft klären.
                           
                              
                                 (Schluß folgt.)