| Titel: | DIE FESTIGKEIT VON ZUSAMMENGESETZTEN VORGESPANNTEN SÄULEN. | 
| Autor: | W. Rehfus | 
| Fundstelle: | Band 326, Jahrgang 1911, S. 567 | 
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                        DIE FESTIGKEIT VON ZUSAMMENGESETZTEN
                           								VORGESPANNTEN SÄULEN.
                        Von Dr.-Ing. W. Rehfus,
                           								Charlottenburg.
                        (Fortsetzung von S. 548 d. Bd.)
                        REHFUS: Die Festigkeit von zusammengesetzten vorgespannten
                           								Säulen.
                        
                     
                        
                           III. Größe der
                                 									Vorspannung.
                           Die nachfolgenden Untersuchungen sollen noch einen Anhalt zur rechnerischen
                              									Bestimmung der günstigsten Vorspannung geben, wenn die Größe der vorkommenden
                              									Belastungen der Säule bekannt ist, damit dann danach die Säule gespannt werden
                              									kann.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 567
                              Fig. 13.
                              
                           Die als Zugkraft gedachte äußere Belastung S der Säule
                              									nehme vom Nullpunkt an beginnend zu (vergl. Fig.
                                 									13). Sie erreicht zunächt eine Größe
                           S=S_g=\overline{C\,D},
                           bei der sie das Rohr der Säule entästet und nur die Zugstange
                              									allein noch belastet. Wenn jetzt S noch größer wird als
                              										Sg, so hebt sich der vorher zwischen Rohr und
                              									Mutter eingeklemmte obere Maschinentheil (Fig. 4),
                              									an dem S angreift, vom Rohr ab, und das entlastete Rohr
                              									ist frei sich selbst überlassen. Die elastische Nachgiebigkeit der Säule ist dann
                              									größer als vorher, da sie nicht mehr durch den Festigkeitswinkel γ, sondern durch
                              									den kleineren Winkel α bestimmt wird, der von der Elastizität der Zugstange allein
                              									abhängt.
                           Dasselbe gilt naturgemäß auch dann, wenn die äußere Belastung, eine Druckkraft ist
                              									und größer wird als Rg.
                           In beiden Fällen sind jedoch derartige Zustände unzulässig, und es ist daher
                              									durch entsprechende Wahl der Querschnitte und der Vorspannung dafür Sorge zu tragen,
                              									daß die größte vorkommende; äußere Belastung S oder R den noch zulässigen Grenzfall
                           S = Sg bezw. R = Rg
                           höchstens erreicht, aber nicht überschreitet.
                           Demnach wird der Gang der Berechnung einer Säule, deren maximale Belastung in der
                              									Zug- wie in der Druckrichtung bekannt ist, etwa folgender sein:
                           Man bestimme den Querschnitt der Zugstange derart, daß sie
                                 										imstande ist, die maximale Zugkraft aufzunehmen, ohne eine größere Beanspruchung
                                 										zu erleiden, als sie, zwischen Null und einem Höchstwert schwankend, normal sein
                                 										darf. Ebenso bestimme man den Querschnitt des Rohres entsprechend der maximalen
                                 										Druckkraft. Wenn jetzt die maximale elastische Längenänderung der Zugstange
                                 										verschieden ist von der des Rohres, so vergrößere man den Querschnitt desjenigen
                                 										Theiles, bei dem die Längenänderung größer ist, um so viel, daß die
                                 										Längenänderung beider Theile die gleiche wird.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 567
                              Fig. 14.
                              
                           Eine nach dieser Regel berechnete Säule muß eine Vorspannung haben, welche sich an
                              										Fig. 14. Hand der Fig.
                                 										13 auf folgende Weise ergibt:
                           Es besteht die Beziehung
                           
                              \frac{V}{S_g}=\frac{\Delta\,l_S}{\Delta\,l}
                              
                           
                           und ebenso
                           
                              \frac{V}{R_g}=\frac{\Delta_r}{\Delta_l}=\frac{\Delta\,l-\Delta\,l_s}{\Delta\,l}=1-\frac{\Delta\,l_s}{\Delta\,l}=1-\frac{V}{S_g}
                              
                           Hieraus folgt:
                           
                              \frac{V}{S_g}+\frac{V}{R_g}=1
                              
                           oder
                           =\frac{S_g\,.\,R_g}{S_g+R_g} . . . . 3)
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 568
                              Fig. 15.
                              
                           Der Zugkraft Sg entspricht eine Beanspruchung der Zugstange von
                              									der Größe:
                           
                              \sigma_{sg}=\frac{S_g}{F_s}=\frac{\Delta\,l}{l_s}\,.\,E_s
                              
                           und analog für das Rohr:
                           
                              \rho_{rg}=\frac{R\,g}{F_r}=\frac{\Delta\,l}{l_r}\,E_r
                              
                           Im vorgespannten Ruhezustand, also während der Belastung V ist die Beanspruchung der Zugstange:
                           
                              \sigma_v=\frac{V}{F_s}=\frac{\Delta\,l_s}{l_s}\,.\,E_s=\sigma_{sg}\,\frac{R_g}{S_g+R_g}=\sigma_{sg}\,\frac{V}{S_g}
                              
                           und die des Rohres:
                           
                              \rho_v=\frac{V}{F_r}=\frac{\Delta\,l_r}{l_r}\,.\,E_r=\sigma_{rg}\,\frac{S_g}{S_g+R_g}=\sigma_{rg}\,\frac{V}{R_g}
                              
                           wobei:
                           \frac{\sigma_v}{\rho_v}=\frac{F_r}{F_s}.
                           Die Beanspruchungen ändern sich proportional mit den Belastungen S bezw. R und deshalb auch
                              									mit den entsprechenden elastischen Dehnungen. Die Größe der Beanspruchungen als
                              									Funktion der elastischen Dehnungen ist in Fig. 13
                              									durch die Gerade B H1
                              									für er und C E1 für p wiedergegeben, deren Neigungswinkel α1 bezw. β1 von a bezw. β je nach dem
                              									gewählten Maßstab verschieden sind.
                           
                        
                           IV. Beanspruchung des Materials bei
                                 										erhöhter Vorspannung.
                           Wegen der ungenauen Meßmethoden ist es ziemlich schwierig, der Vorspannung gerade die
                              									Größe zu geben, welche durch Rechnung als die günstigste festgestellt wurde.
                           Falls die Vorspannung – nicht die errechnete Größe erreicht, so hört bei der
                              									größten Belastung der Säule die Verspannung der festgehaltenen Maschinentheile auf,
                              									was an einer früheren Stelle bereits als unzulässig erkannt wurde. Das Diagramm für
                              									diesen Fall zeigt Fig. 14.
                           Erst wenn V eine Größe besitzt, wie sie sich aus der
                              									entwickelten Formel 3 ergibt, ist die Säule imstande, bei niedrigster Beanspruchung
                              									des Materials die vorkommenden Belastungen aufzunehmen, ohne daß die von ihr
                              									eingespannten Maschinentheile frei werden (vergl. Fig.
                                 										15).
                           Um sicher zu sein, daß die Vorspannung nicht kleiner ist, als dieser Grenzfall noch
                              									zuläßt, spannt man vortheilhaft die Säule von vornherein schon kräftiger an, als die
                              									Berechnung nach der angegebenen Formel 3 ergibt.
                           Um darüber Angaben machen zu können, ist es noch nötig, festzustellen, welchen
                              									Einfluß eine Vergrößerung der Vorspannung auf die Beanspruchung von Stange und Rohr
                              									hat.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 568
                              Fig. 16.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 568
                              Fig. 17.
                              
                           Nehmen wir an, daß V diejenige Vorspannung ist, welche
                              									wir nach der bekannten Formel als den günstigsten und gleichzeitig als den noch
                              									zulässigen unteren Grenzwert berechnet haben, und vergrößern wir jetzt V um einen mehrfachen Betrag, so daß sie die Größe m • V annimmt, wobei m
                              									eine beliebige Zahl größer als 1 bedeutet, so geht aus der Formel
                           
                              V=\frac{S_g\,.\,R_g}{S_g+R_g}
                              
                           hervor, daß proportional mit V
                              									auch die Grenzbelastungen Sg und Rg zunehmen; denn:
                           
                              m\,.\,V=m\,.\,\frac{S_g\,.\,R_g}{S_g+R_g}=\frac{m\,.\,S_g\,.\,m\,.\,R_g}{m\,S_g+m\,.\,R_g}
                              
                           Entsprechend den Grenzbelastungen ändert sich auch die maximale Dehnung der Säule,
                              									die jetzt m • ∆ l beträgt.
                           
                           Wir erhalten demnach vorstehendes Diagramm für die vergrößerte Vorspannung (Fig. 14).
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 569
                              Fig. 18.
                              
                           Was zunächst die Beanspruchung der Stange anlangt, so hat dieselbe um den bei den
                              									verschiedenen Belastungen der Säule gleichen Betrag σrg zugenommen. Während also vorher:
                           bei der Belastung Rg die Beanspruchung σ =
                              									0 war, ist diese jetzt σ = σxg,
                           bei der Belastung Null die Beanspruchung σ = σv war. ist diese jetzt σ = σv + σrg,
                           bei der Belastung Sg die Beanspruchung σ =
                                 										σsg war, ist diese jetzt σ = σsg + σrg.
                           Im vorgespannten Ruhezustand hat sich die Beanspruchung proportional mit der
                              									Vorspannung geändert, also:
                           σv +
                              										σrg = m • σv.
                           Hieraus folgt:
                           σrg = σv (m – 1)
                           oder nach Einsetzen des auf S. 568 gefundenen Wertes für σv:
                           
                              \sigma_{rg}=\sigma_{sg}\,\frac{R_g}{S_g+R_g}\,(m-1).
                              
                           Die maximale Beanspruchung der Zugstange, d.h. diejenige bei
                              									der Belastung Smax ist daher:
                           σs max = σsg + σrg
                           \sigma_{s\mbox{
                                 										max}}=\sigma_{sg}\,\left[1+\frac{R_g}{S_g+R_g}\,(m-1)\right] . .
                              									4)
                           und analog diejenige des Rohres:
                           \rho_{\mbox{max}}=\rho_{rg}\,\left[1+\frac{S_g}{S_g+R_g}\,(m-1)\right]
                              									. . 5)
                           Unter der Annahme, daß Sg= Rg, wird z.B.
                           bei einfacher Vorspannung, also m = 1,
                           die maximale Zugbeanspruchung σmax = σsg
                           bei doppelter Vorspannung, also m = 2,
                           die maximale Zugbeanspruchung σmax = 1,5 σsg,
                           bei dreifacher Vorspannung, also m = 3, die maximale
                              									Zugbeanspruchung σmax = 2,0 σsg.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 569
                              Fig. 19.
                              
                           Haben wir z.B. bei einfacher Vorspannung eine achtfache Sicherheit angenommen, so
                              									wird erst bei fünfzehnfacher Vorspannung die Bruchbeanspruchung des Materials
                              									erreicht.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 569
                              Fig. 20.
                              
                           Ein graphisches Bild dieses Zusammenhangs zeigt Fig.
                                 										15.
                           Bei der Beurtheilung der zulässigen Schwankungen der Vorspannung ist jedoch zu
                              									berücksichtigen, daß außer der Vorspannung auch die äußere Belastung der Säule
                              									eventl. größer ausfallen kann, als anfangs angenommen wurde, und daß auch dann die
                              									Spannungen im Material die Proportionalitätsgrenze nicht überschreiten dürfen.
                              									Bezeichnen wir mit SP
                              									bezw. Rp diejenigen
                              									Belastungen, bei welchen die Grenze erreicht wird, so können wir sechs Fälle der
                              									Vorspannung unterscheiden, die in den Fig. 16–20 dargestellt sind und deren weitere Erklärung sich
                              									erübrigt. Als normal dürfte der Fall in Fig. 18
                              									anzusehen sein, bei welchem die Grenzbelastung Sg größer ist als die der Rechnung zugrunde gelegte
                              									äußere Belastung Smax, so daß dieser Zustand auch
                              									bestehen bleibt, wenn Smax einmal etwas größer
                              									werden sollte, auch wenn die Vorspannung nicht die beabsichtigte Größe erhalten hat.
                              									Hiernach wird zur Berechnung einer Säule noch folgende Regel zu beachten sein:
                           Ist eine Säule nach der auf S. 567 angegebenenRegel bestimmt, so vergrößere man die gefundene
                                 										Vorspannung um den etwa 1,5- bis 2-fachen Betrag. Wird dann die Beanspruchung
                                 										von Stange oder Rohr höher, als normal zulässig, so vergrößere man die
                                 										Querschnitte von Stange und Rohr im gleichen Verhältnis, bis der am höchsten
                                 										beanspruchte Theil wieder normal beansprucht wird.
                           
                              
                                 (Schluß folgt.)