| Titel: | DIE ELEKTRISCHE VOLLBAHN DESSAU–BITTERFELD. | 
| Fundstelle: | Band 326, Jahrgang 1911, S. 650 | 
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                        DIE ELEKTRISCHE VOLLBAHN
                           								DESSAU–BITTERFELD.
                        (Fortsetzung von S. 612 d. Bd.)
                        Die elektrische Vollbahn Dessau–Bitterfeld.
                        
                     
                        
                           Manches Bemerkenswerte zeigt die Fahr- und Tragleitungsanlage noch im einzelnen.
                              									Erstere ist grundsätzlich in Abschnitte von etwa 1000 m Länge untergeteilt; nach
                              									einem solchen Abschnitt folgt jedesmal eine Nachspannstrecke. Jeder Abschnitt ist in
                              									der Mitte fest verankert und an den Enden scharf angezogen durch eine selbsttätige
                              									Nachspannvorrichtung, von solcher Ausführung, daß die einzelnen Drähte bei allen
                              									Temperaturen annähernd die gleiche Spannung erhalten. Die Nachspannung erstreckt
                              									sich ebenso auf den Fahrdraht wie auf das Tragseil. Um alle Felder des Tragseils
                              									gleichmäßig nachspannen zu können, ist je ein dritter, sogenannter Spanndraht straff
                              									angezogen, an den einzelnen Aufhängepunkten des Tragseils befestigt. Die Wirkung
                              									dieses Spanndrahtes ist folgende: Bei Temperaturzunahmen dehnt sich das Tragseil und
                              									würde ohne Gegenmaßregeln einen größeren Durchhang annehmen. Jetzt dehnt sich aber
                              									auch der aus gleichem Material bestehende Spanndraht um annähernd gleichviel
                              									aus; die Aufhängepunkte des Drahtseils werden durch die Wirkung der
                              									Nachspannvorrichtung voneinander entfernt, und demgemäß wird der Durchhang um fast
                              									ebensoviel vermindert, wie er vorher durch die Temperaturausdehnung des Tragseils
                              									vermehrt wurde. Der umgekehrte Vorgang tritt ein bei Temperaturabnahme.
                           Die konstruktive Ausbildung der Nachspannvorrichtung ist diese: Die Drahtenden zweier
                              									benachbarter Nachspannstrecken sind um eine Mastteilung aneinander vorbeigeführt und
                              									jedesmal mit Gewichten verbunden, welche in dem gesamten Drahtwerk die erforderliche
                              									Spannung erzeugen.
                           Ein Bild einer solchen Nachspannvorrichtung gibt Fig.
                                 										6. Die durch das Gewicht bewirkte Spannung ist in richtigem Verhältnis auf
                              									Tragseil, Spanndraht und Fahrdraht zu verteilen, wobei zu beachten ist, daß trotz
                              									ungleicher Ausdehnung bei Temperaturwechseln infolge verschiedenen Materials die Spannung in
                              									dem Drahtwerk die gleiche bleiben soll. Dies erfordert die Anordnung eines
                              									ungleicharmigen Hebels, an welchen einerseits die drei erwähnten Drahtenden,
                              									anderseits eine Rolle angeschlossen ist, über die das zu dem Spanngewicht führende
                              									Drahtseil läuft. In dieses Drahtseil ist noch eine lose Rolle eingeschaltet, so daß
                              									insgesamt eine vierfache Uebersetzung zwischen Spanngewicht und Drahtspannung
                              									erzielt wird und das Gewicht bei ausreichender Zugspannung doch entsprechend klein
                              									gehalten werden kann. Die gußeisernen Gewichte gleiten in Gewichtsführungen an den
                              									zugehörigen Masten, die selbst wieder als schwere Winkeleisenmaste ausgeführt worden
                              									sind, um die beträchtlichen Zugspannungen von etwa 1200 kg aushalten zu können. In
                              									der Mitte der Nachspannstrecke sind die aneinander vorbeigeführten Drahtenden
                              									beweglich verbunden; auf solche Weise bleibt eine gute Stromabnahme beim
                              									Hinübergleiten des Fahrbügels gesichert, ohne daß die Verschiebung der Drähte bei
                              									Längenänderungen gehindert wird.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 651
                              Fig. 6.Selbsttätige Nachspannvorrichtung.
                              
                           Fig. 7 zeigt die Aufhängung der Fahrleitung an den
                              									Jochen in den wesentlichen Einzelheiten. Grundsätzlich ist überall doppelte
                              									Isolierung gegen Erde verwendet. Das Tragseil wird ebenso wie der Spanndraht in
                              									einer Schleife ununterbrochen unter den Querträgern der Joche durchgeführt; die
                              									Aufhängung bewirkt ein besonderes Halteseil, welches das Tragseil in Abständen von
                              									2½ m vom Mast faßt und sich selbst auf drehbar gelagerten Diaboloisolatoren stützt;
                              									auf solche Weise kann bei Temperaturausdehnungen eine ungehinderte Längsbewegung des
                              									Tragseils erfolgen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 651
                              Fig. 7.Aufhängung der Fahrleitung
                              
                           Der Fahrdraht ist durch eine wagerechte Strebe am Mast gegen seitliche Bewegung
                              									gesichert. An dem einen Ende trägt diese Strebe aus Stahlrohr eine verschiebbare
                              									Fahrdrahtklemme (Fig. 7); an dem andern Ende
                              									ist sie mittels eines Gelenks, drehbar in senkrechter Richtung, am Mast befestigt.
                              									Das Gelenk sitzt an einer auf einen Glockenisolator aufgekitteten Kappe und hat so
                              									viel Spiel, daß sich die Strebe entsprechend den Längsbewegungen des Fahrdrahtes
                              									auch wagerecht bewegen kann. Zwecks doppelter Isolierung ist neben dem
                              									Glockenisolator noch ein Rillenisolator angeordnet. Wie aus den Figuren ersichtlich,
                              									ist die Fahrleitung zum Zweck gleichmäßiger Bügelabnutzung im Zickzack geführt,
                              									indem die Stützpunkte um je 50 cm von der Mitte des Gleises aus nach beiden Seiten
                              									hin abwechselnd versetzt sind.
                           Bemerkenswert sind auch Material und Stärken einiger Teile der Leitungsanlage. Der
                              									Fahrdraht aus Hartkupfer hat in den Hauptgleisen 110 qmm, in den Nebengleisen 70 qmm
                              									Querschnitt; letzterer ist kreisförmig und mit zwei seitlichen Längsrillen für die
                              									Halteklemmen versehen (Fig. 7). Tragseil und
                              									Spanndraht sind verzinkte Stahlseile, bestehend aus je sieben Einzeldrähten;
                              									ersteres hat 42 qmm, letzterer 20 qmm Querschnitt. Die Halteklemmen für den
                              									Fahrdraht ebenso wie die Klemmen zum Befestigen des Hängedrahtes am Tragseil sind
                              									aus Messing gepreßt.
                           Es ist ferner von Interesse, welche Vorkehrungen gegen Störungen in der Fahrleitung
                              									getroffen worden sind. Die Strecke ist in mehrere Abschnitte geteilt; diese können
                              									nach Bedarf ausgeschaltet werden, um im Falle einer Störung das Ausschalten der
                              									ganzen Strecke zu verhüten. Die Bahnhöfe Bitterfeld und
                              										Greppin-Werke sind von der
                              									freien Strecke doppelseitig abtrennbar, während die Bahnhöfe Jeßnitz und Raguhn je auf einer Seite mit
                              									Streckentrennung versehen sind. Bei einer Streckentrennung ist die Anordnung der
                              									Fahrleitung grundsätzlich die gleiche wie in einem Nachspannfelde.
                           
                           Jedoch sind in einem Trennungsfelde die Enden der Fahrleitung nicht miteinander
                              									verbunden, sondern getrennt voneinander an einem eigenen schwachen
                              										„Streckentrennjoch“ aufgehängt und zu einem Hornschalter geführt, der an
                              									dem Mäste des Joches befestigt ist (Fig. 8). Die
                              									Hornschalter sind im Betriebe geschlossen und werden nur im Bedarfsfalle geöffnet,
                              									um die dahinterliegende Strecke auszuschalten. Durch eine am Mastfuß angebrachte
                              									Winde werden sie betätigt.
                           Die Fahrleitung beider Hauptkreise sind im ganzen voneinander elektrisch getrennt. In
                              									jedem Streckenabschnitt ist jedoch ein Verbindungsschalter angeordnet, der normal
                              									geöffnet ist, auf telephonische Aufforderung vom Unterwerk aus aber geschlossen
                              									werden kann, um bei einer Störung in einem Streckenabschnitt die dahinterliegenden
                              									durch die Fahrleitung des Nebengleises speisen zu können.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 652
                              Fig. 8.Streckentrennung in Hauptgleisen.
                              
                           Die Fahrleitungen der Bahnhofsnebengleise sind in kleineren Bahnhöfen mit den
                              									Leitungen der Hauptgleise verbunden; hiervon macht allein die Ladestrangsleitung
                              									eine Ausnahme, indem sie stets besonders abgetrennt und im Betrieb geerdet ist. Die
                              									Ladestrangsleitung kann auf jedem Bahnhof nur eingeschaltet werden, nachdem alle im
                              									Ladestrang tätigen Arbeiter durch Warnungssignale zum Verlassen der Wagen
                              									aufgefordert worden sind. Diese Signale sind zur sicheren Vermeidung von Unfällen
                              									selbsttätig wirksam, und zwar so, daß die Fahrleitung erst nach einer gewissen Zeit
                              									unter Spannung gesetzt werden kann. Die Schalter werden durch ein Kurbel werk
                              									angetrieben, in dessen Innern je ein Kontakt zur Speisung eines Läutewerks und eines
                              									Lampenstromkreises angebracht ist. Erst nachdem das Kurbelwerk etwa 30 Sekunden lang
                              									bedient worden, kommt der Streckenschalter zur Wirkung. In diesen 30 Sekunden ist
                              									das Läutewerk ununterbrochen in Betrieb, und gleichzeitig leuchten die Lampen,
                              									welche an den neben dem Ladestrang stehenden Masten befestigt sind. Sie leuchten so
                              									lange, wie die Leitung des Ladegleises unter Spannung steht. Den Strom zur
                              									Betätigung der Warnungssignale entnimmt man einem kleinen, an einem Mast
                              									angebrachten Hilfstransformator, der ständig mit der Fahrleitung eines Hauptgleises
                              									verbunden ist und daher dauernd Spannung hat.
                           Die Leitungsanlage des Bahnhofes Bitterfeld ist
                              									hinsichtlich Störungen mit besonderer Vorsicht behandelt worden. Die Fahrleitungen
                              									der einzelnen Gleise sind zu vier getrennten Gruppen derart zusammengefaßt, daß bei
                              									Störungen in einer Gruppe die anderen nicht ebenfalls unbrauchbar werden.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 652
                              Fig. 9.Fahrleitung über eine Drehscheibe- auf Bahnhof Bitterfeld.
                              
                           Besondere Beachtung verlangt die nothwendige Rücksicht auf das Abgleiten der Bügel
                              									von der Fahrleitung in Kurven. Die freie Strecke hat nur Krümmungen von großem
                              									Halbmesser und erfordert daher bei dem vorhandenen Mastenabstand von 75 m keine
                              									besonderen Einrichtungen für den erwähnten Zweck. In den Bahnhöfen dagegen mußten
                              									mehrfach Kurvenabzüge eingebaut werden, indem die Fahrleitungen je an einem
                              									besonderen, außenseitig an der Krümmung aufgestellten schwachen Mast verankert
                              									wurden.
                           Fig. 5 (S. 611) zeigt einen solchen Kurvenabzug für
                              									drei Gleise auf Bahnhof Bitterfeld.
                           Der in Bitterfeld errichtete Lokomotivschuppen besitzt insofern eine interessante
                              									Ausrüstung, als die volle Fahrleitungsspannung von 10000 Volt auch im Innern des
                              									Schuppens verwendet worden ist. Hierfür wurden wieder besondere
                              									Sicherungsvorkehrungen nothwendig und in ähnlicher Art durchgeführt, wie vorher bei
                              									den Ladestrangsleitungen beschrieben. Vier Schuppengleise sind vorläufig mit Fahrleitungen versehen
                              									und am Eingangstor einzeln abgetrennt. Diese Leitungen werden durch je einen
                              									Schalter auf dem Schuppendach normal geerdet und nur solange wie erforderlich
                              									eingeschaltet, worauf nach Loslassen der Betätigungsvorrichtung der Schalter
                              									selbsttätig zurückspringt und die Schuppenleitung wieder erdet.
                           Fig. 9 gibt ein Bild der Fahrleitungsanlage über der
                              									vor dem Schuppen liegenden Drehscheibe. Auch diese Leitung ist abschaltbar und im
                              									Betriebe geerdet. Die Speisung der Drehscheibenleitungen erfolgt vom Hauptgleis her,
                              									die der Schuppenleitungen von der Drehscheibe aus.
                           Die Aufgabe, die Fahrleitung über der Drehscheibe strahlenförmig anzuordnen, wird
                              									durch einen mitten über der Scheibe aufgehängten Winkeleisenring gelöst. Dieser Ring
                              									ist mit einer der Gleiszahl entsprechenden Zahl von Ausschnitten versehen. In den
                              									Ausschnitten sind die Verankerungsklemmen der einzelnen Fahrdrähte befestigt. Auf
                              									diese Weise wird die Möglichkeit geschaffen, nach Bedarf beliebig viele der
                              									Schuppengleise mit Fahrleitungen zu versehen.
                           Die Rückleitung des Stromes erfolgt wie üblich durch die Fahrschienen, die durch
                              									kupferne Stoßverbinder und Querverbinder miteinander leitend verbunden sind.
                           Die Fahrleitungen beider Gleise sind je durch eine blanke Kupferleitung mit dem
                              									Unterwerk verbunden und werden von hier aus durch besondere Oelschalter unter
                              									Spannung gesetzt. Anderseits sind die Fahrschienen durch zwei starke verzinkte
                              									Kupferseile an dem zweiten Pol im Unterwerk angeschlossen.
                           Als Schutz gegen Ueberspannung dienen Rollenfunkenableiter; je ein solcher ist in
                              									jedes Hauptgleis eingebaut und tritt bei einer Spannung von etwa 15000 Volt in
                              									Wirkung.
                           Während des seit Beginn dieses Jahres andauernden Betriebs hat sich die Isolierung
                              									der Fahrleitung bisher vollkommen bewährt und kein einziger Durchschlag
                              									stattgefunden.
                           
                              
                                 (Fortsetzung folgt.)