| Titel: | POLYTECHNISCHE RUNDSCHAU. | 
| Fundstelle: | Band 326, Jahrgang 1911, S. 653 | 
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                        POLYTECHNISCHE RUNDSCHAU.
                        Polytechnische Rundschau.
                        
                     
                        
                           Das Fernlenkboot von Chr. Wirth. Der Gedanke, mittels
                              										Hertz scher Wellen Fahrzeuge zu lenken, ist so alt
                              									als die drahtlose Telegraphie. Mit den ersten Erfolgen auf diesem Gebiete wurde auch
                              									von allen Nationen daran gearbeitet, starke mechanische Kräfte durch elektrische
                              									Wellen, also ohne Leitungsdraht durch die Luft zu übertragen oder auszulösen. So
                              									arbeiteten unter anderen der Däne Poulsen, der Engländer
                              										Thomson, der Amerikaner Edison, der Franzose Branly auf diesem Gebiete,
                              									jedoch konnte bisher über Laboratoriumsversuche nicht hinausgegangen werden. Ein
                              									französischer Ingenieur Gabet wollte ein Torpillo
                              									drahtlos steuern, hatte jedoch einen negativen Erfolg. Wer die innere Einrichtung
                              									der Apparate kennt, mit denen bisher das Problem zu lösen versucht wurde, kann auch
                              									darüber nicht im Zweifel sein, daß die Versuche mißglücken mußten.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 653
                              Fig. 1.Dutzendteich-Fernlenkboot „Prinz Ludwig“ (10 m
                                 										lang).
                              
                           Ein Nürnberger Laboratorium Wirth Beck & Knauß hat ein
                              									ganz neues System für diese Zwecke ausgearbeitet, das sich auch glänzend bei
                              									verschiedenen Versuchen bewährt hat.
                           Der Lehrer Christoph Wirth erfand für einen Experimentalvortrag über „drahtlose
                                 										Telegraphie“ einen ganz neuen Apparat, den er „elektrischen
                                 										Wellenfernschalter“ nannte. Mit diesem war es möglich, in beliebiger
                              									Reihenfolge durch elektrische Wellenvermittlung von einem Ende des Vortragssaales
                              									oder einem Nebenraum aus Dampfmaschinen oder Elektromotore vor- und rückwärts
                              									laufen zu lassen oder zu stoppen, elektrische Lichter ein- und auszuschalten,
                              									elektrische Minen in gewünschter Reihenfolge zu sprengen, elektrische Läutewerke zum
                              									Ertönen und einen Revolver sechsmal zum Schießen zu bringen.
                           Mit diesen Apparaten, die von Christoph Wirth in
                              									Verbindung mit dem Fabrikanten Christoph Beck und dem
                              									Kaufmann Heinr. Knauß sowie einigen Mechanikern
                              									ausgeführt, verbessert, erweitert und durch zahlreiche In- und Auslandspatente
                              									geschützt wurden, gelang es nach mehrjähriger intensiver Arbeit und ständigen
                              									Versuchen ein 10 m langes Elektromotorenboot mit 4½ PS-Motor, welcher durch eine
                              									Akkumulatorenbatterie von 80 Volt und 300 Amperestunden getrieben wurde, sicher zu
                              									lenken. Die Kraft war also im Boot selbst, nur das Ein- und Ausschalten der Ströme
                              									wurde durch elektrische Wellen vermittelt. Die ersten Versuche mit diesem Boot
                              									(vergl. Fig. 1) wurden auf dem Dutzendteich bei
                              									Nürnberg gemacht und wurden zum erstenmal der Oeffentlichkeit gezeigt, als der
                              									Flottenverein im Mai dieses Jahres in Nürnberg tagte. Das Boot, das zuerst gänzlich
                              									ohne Besatzung ruhig auf dem Wasser lag, gab genau zur festgesetzten Zeit einen
                              									Signalschuß an Bord ab und setzte sich in Bewegung, wobei eine Geschwindigkeit von
                              									12 bis 15 km i. d. Std. entwickelt wurde, steuerte bald backbord, bald steuerbord
                              									oder mittschiff genau nach den Weisungen, die beobachtende Herren des Flottenvereins
                              									beim Sendeapparat auf der Brücke des Leuchtturms gaben. Jeder Befehl wurde von dem Boot sofort
                              									durch ein sinnreich angebrachtes System von Kontrollampen als angekommen
                              									zurückgemeldet und innerhalb 1½ Sekunden ausgeführt.
                           Das Fernlenkboot wurde bald darauf auch Seiner Kgl. Hoheit dem Prinzen Ludwig von
                              									Bayern und Herren des Kanalvereins sowie der elektrotechnischen Gesellschaft
                              									Nürnberg vorgeführt.
                           Die Tatsache, daß hier zum erstenmal wirklich ein unbekanntes Fahrzeug stundenlang
                              									mit größter Sicherheit manöverierte, während die Befehle durch die Luft mittels
                              									elektrischer Wellen gegeben wurden, erregte großes Aufsehen und gab den Anlaß, daß
                              									bald darauf die Präsidialgeschäftsstelle des Deutschen Flottenvereins zu Berlin die
                              									Einladung ergehen ließ, das Fernlenkboot auch auf dem Wannsee bei Berlin einer
                              									größeren Zahl von Sachverständigen und einem weiteren Publikum vom 6. bis 12. Juli
                              									vorzuführen, Es wurde hierbei in dankenswerter Weise von der Hagener Akkumulatoren-Aktiengesellschaft, Berlin, das 15 m lange Benzin-
                              									und Akkumulatorenboot „Frieda“ zur Verfügung gestellt (vergl. Fig. 2). Die Montage des Bootes und der Sendestation
                              									wurde unter Leitung des Erfinders von zwei Nürnberger Monteuren und einigen
                              									Hilfsarbeitern ausgeführt und mußte in wenigen Tagen beendet sein, obwohl sich sehr
                              									große Schwierigkeiten ergaben, da die Verhältnisse des elektrischen Steuerapparates,
                              									der Leitungen, der Antennen usw. für dieses um 5 m längere Boot nicht paßten und
                              									abgeändert werden mußten, auch sehr stark auftretender Erdschluß im Boot anfangs
                              									große Störungen verursachte. Mit Aufbietung aller Kräfte gelang es schließlich doch,
                              									rechtzeitig fertig zu werden. Die erste Vorführung war auch gleichzeitig die erste
                              									Probefahrt. Wenn auch das Boot langsamer fuhr und größere Kurven machte als das
                              									Nürnberger, so konnte doch gezeigt werden, daß das Problem des Fernlenkens gelöst
                              									ist, daß das besatzungslose Fahrzeug genau den Wellenbefehlen folgte, die von der
                              									Sendestation am Kaiserpavillon zum Schultheiß abgegeben wurden. Von der 50 m über
                              									dem Spiegel des Wannsees liegenden Kuppel des Gebäudes war eine Senderantenne zu
                              									einem Teleskopmast (von der „Komet“
                              									Mast- und Hebezeugfabrik, Berlin) gezogen. Das Ende
                              									dieser vierfachen Harfenantenne ging zum Wellensender, welcher auf dem oberen Vorbau
                              									des Restaurants aufgestellt war und welcher fast vollständig den bei der drahtlosen
                              									Telegraphie mit Stoßerregung verwendeten Sendern glich. Er bestand aus einem Rhumkorff sehen Funkeninduktor (25 Volt 2½ Amp.
                              									Primärstrom), einem inneren und äußeren Schwingungskreis, den entsprechenden
                              									Kapazitäten und Abstimmspulen. Die verschiedenen Funktionen auf dem Fernlenkboot
                              									(Steuerruder rechts, links, gerade, Maschine vorwärts, rückwärts, stoppen,
                              									Läutwerk, Signalschuß, Feuerwerk) wurden vom Sender aus mittels ein und derselben
                              									Welle ein- und ausgeschaltet und durch Morsepunkte mittels eines Tasters vermittelt.
                              									Auf dem Fernlenkboot befand sich eine Empfangsantenne, ein Wellenempfänger, ein
                              									Umstimmer, der Wellenfernschalter, das elektrische Steuer, ein Läutwerk,
                              									Schiffsgeschütz, Feuerwerkapparat sowie eine Reihe von farbigen Signallampen. Durch
                              									einen längeren Druck auf den Taster (Morsestrich) konnte die Stimmung beim
                              									entfernten Sender willkürlich geändert werden. Wurde der Sender mit der Hand auch
                              									auf diese zweite Stimmung gebracht, so korrespondierten Sender und Empfänger wieder
                              									mit der neuen Wellenlänge, während ein mit der früheren Welle etwa störender
                              									Sendeapparat ausgeschaltet war. Damit die Wellenlänge, mit der gearbeitet wird,
                              									nicht gefunden werden kann, können 90 v. H. falsche Wellen und nur etwa 10 v. H.
                              									wirkliche Arbeitswellen ausgesandt werden. Dadurch ist das Finden der neuen
                              									Wellenlänge von unberufener Seite so gut wie völlig ausgeschlossen und ein gutes
                              									Funktionieren gesichert, besonders da auch von Zeit zu Zeit auftretende Wellen von
                              									der richtigen Länge oder atmosphärische Schwingungen keine Störungen verursachen,
                              									wenn nicht ein Gewitter sehr nahe ist.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 654
                              Fig. 2.Wannsee-Fernlenkboot „Frieda“ (15 m lang).
                              
                           Die Vorführungen des Fernlenkbootes auf dem Wannsee, bei denen, um das Minenzünden zu
                              									veranschaulichen, abends auch Feuerwerk auf dem unbemannten Fahrzeug abgebrannt
                              									wurde, wurden auch von dem deutschen Kronprinzenpaar mehrmals angesehen und fanden
                              									dessen hohe Anerkennung, Auch die Presse hat die Vorführungen sehr günstig
                              									beurteilt.
                           Da es mittels des „Wellenfernschalters“ möglich ist, in jeder beliebigen
                              									Reihenfolge eine beliebige Anzahl elektrischer Ströme zu schließen, zu unterbrechen
                              									oder zu wenden, Steuerräder, Hähne oder Hebel nach rechts oder links zu drehen, so
                              									ergibt sich von selbst daraus das Steuern von Luft- oder Wasserfahrzeugen mittels
                              									elektrischer Wellen, das Entzünden von Land- oder Seeminen, das Anhalten von
                              									Eisenbahnzügen und vieles andere mehr. Für den Frieden dürfte die Rettung aus Seenot
                              									mittels eines sturmsicheren, geschlossenen kleinen Fernlenkbootes, welches ein
                              									gestrandetes Schiff umkreist und eine Rettungsleine dorthin bringt, von großem Wert
                              									sein, wenn infolge Gegenwindes und großer Entfernung der Raketenapparat nicht mehr
                              									verwendbar ist. Auch das Anhalten von Eisenbahnzügen im Moment der Gefahr von einem
                              									Bahnwärterhaus oder einer Station aus, sowie das Vorüberschleppen von
                              									Schiffsscheiben für Artillerieschießversuche mittels unbemannter Fernlenkschiffe
                              									dürfte eine Rolle spielen. Ein durch elektrische Wellen lenkbarer Torpedo ist das
                              									Ideal für die Küstenverteidigung. Wie ein solches Zukunftsgeschoß aussehen wird,
                              									zeigen die schematischen Bilder (Fig. 3 und 4), von denen das eine den jetzt verwendeten in Verbindung mit einem
                              									Schwimmer für Antennen und Apparate, das andere einen neuen Typ zeigt.
                           a = Antenne, b = Signalmast
                              									mit c = Signallampen, die nach vorn abgeblendet sind;
                              										d = Schwimmer, welcher mit der Wasserfläche
                              									abschneidet und den Wellenempfänger f, den Umstimmer
                              										g und den Wellenfernschalter h enthalten kann; der eigentliche Torpedo i, der vorn den Hammer (oder die Pistole) k und den Explosivstoff l
                              									enthält, besitzt außer dem Preßluftraum m und der
                              									Maschine n, die die Propellerschrauben o treibt, noch einen elektrischen Steuerapparat p, der durch Vermittlung der elektrischen Wellen, die
                              									von der Sendestation auf dem Lande oder einem Schiffe ausgehen, das Steuer q rechts, links oder gerade legt.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 655
                              Fig. 3.Lenk-Torpedo Nr. 1.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 655
                              Fig. 4.Lenk-Torpedo Nr. 2.
                              
                           Das durch den Schwimmer steuerartig bewirkte Streben des Torpedos nach oben kann
                              									durch Verlegung der Doppelschrauben in die Achse der mittleren Wasserverdrängung
                              									ausgeglichen werden, wie dies in Fig. 4 angedeutet
                              									ist, wo der Antennenträger fischflossenartig direkt mit dem Torpedo verbunden ist.
                              									Ein solcher Torpedo braucht nicht aus einem besonderen Rohr geschossen zu werden,
                              									ihm sind auch nicht wie dem bisherigen enge Grenzen in bezug auf Kaliber gezogen.
                              									Man könnte ihn ohne Schwierigkeit eine so große Sprengladung geben, daß auch der
                              									stärkste Panzerkoloß dadurch vernichtet werden würde.
                           Mit diesem Torpedo sind die Verwendungsmöglichkeiten der Erfindung für Kriegszwecke
                              									noch keineswegs erschöpft. Wenn sie den Japanern bekannt gewesen wäre, hätten sie
                              									mit ihrer Hilfe die zahlreichen Sperrdampfer gegen die Hafeneinfahrt von Port Arthur
                              									lenken und an der richtigen Stelle versenken können, ohne nur einen einzigen Mann
                              									der Besatzung aufs Spiel zu setzen.
                           Ob diese Erfindung, die in einzelnen Teilen noch geheim gehalten wird, vom Reiche
                              									angekauft wird, oder ob sich, ähnlich wie dies bei den Erfindungen Zeppelins
                              									oder Parsevals geschehen ist, eine Gesellschaft
                              									gründen wird, die die industrielle Ausnutzung übernimmt, kann vorläufig noch nicht
                              									mit Sicherheit gesagt werden; doch das kann man wohl behaupten, daß durch diese
                              									deutsche Erfindung das Anwendungsgebiet der Elektrizität um ein großes Stück
                              									erweitert wurde.
                           –––––
                           Die Benutzung der Meereswellen zur Erzeugung mechanischer
                                 										Energie bildet den Gegenstand einer amerikanischen Erfindung von David K. Bryson, die im praktischen Betrieb schon recht
                              									brauchbare Resultate geliefert hat.
                           Die unmittelbare Ausnutzung der natürlichen Energiequellen der Erde beschränkt sich
                              									bis jetzt in der Hauptsache auf die Gewinnung von Energie aus dem strömenden Wasser
                              									unserer Flüsse und Wasserfälle, sowie auf die Ausbeutung der potentiellen Energie
                              									hochgelegener Seen und dergl.
                           Es hat aber nie an Versuchen gefehlt, andere natürliche Kraftquellen, wie Wind,
                              									Sonnenenergie, Ebbe und Flut, sowie die Meereswellen auszunutzen. Bis jetzt wurde
                              									aber nur die Kraft des Windes durch Windmühlen, Wind-Pumpmotoren usw. in kleinem
                              									Maßstab verwertet. Von einer Verwertung der oben erwähnten Kraftquellen in größerem
                              									Maßstab mußte schon aus dem Grunde abgesehen werden, weil der Wert der zu
                              									gewinnenden Energie in gar keinem Verhältnis stand zur Höhe der Anlage- und
                              									Betriebskosten. Deswegen wird auch die in Nachfolgendem beschriebene Maschine nur
                              									für kleine Leistungen in Betracht kommen können.
                           Bryson hatte zuerst eine kleine Versuchsanlage geschaffen,
                              									an der er die Leistungsfähigkeit seines Wellenmotors demonstrierte. Es wurden in
                              									einem etwa 2 m langen, 0,6 m breiten und 18 cm hoch mit Wasser gefüllten Behälter
                              									zwei Bojen von je 35 cm  eingesetzt, die zu dreiviertel mit Wasser gefüllt
                              									und an senkrechten Stangen befestigt waren. Wurde das Wasser im Behälter künstlich
                              									in Bewegung gesetzt, so daß sich Wellenschlag bildete, so folgten die Bojen der auf-
                              									und abwärtsgehenden Bewegung des Wassers. Die nutzbare Arbeit wurde also
                              									hauptsächlich von dem in den Bojen enthaltenen Wasserballast und vom Gewicht der
                              									Bojen selbst geleistet. Durch Universalgelenke und Sperrklinken wurde die Arbeit auf
                              									eine wagerechte Welle übertragen, die dadurch in Rotation versetzt wurde.
                           Es war mit diesem kleinen Modell möglich, eine Dynamomaschine von 6 Volt Spannung
                              									(bei n = 2000) mit einem kleinen Luftkompressor
                              									gleichzeitig zu betreiben.
                           Die nach demselben Prinzip in Atlantic City gebaute größere Anlage besitzt Bojen von
                              									je 1,3 m , die mit Wasserballast von je 1000 kg gefüllt sind.
                           Die Anlage betreibt eine Dynamo von 22 KW, eine dreifachwirkende Pumpe und eine
                              									kleine Dynamo von 2½ KW. Das ist eine Leistung, die die Maschine schon in den
                              									Bereich der praktischen Verwendbarkeit rückt. [Prometheus 1911, Nr. 1141.]