| Titel: | Zur Geschichte der Gleichstromdampfmaschine. | 
| Autor: | Ferdinand Strnad | 
| Fundstelle: | Band 331, Jahrgang 1916, S. 117 | 
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                        Zur Geschichte der
                           								Gleichstromdampfmaschine.
                        Von Ferdinand Strnad in
                           								Berlin.
                        STRNAD: Zur Geschichte der Gleichstromdampfmaschine.
                        
                     
                        
                           In Dinglers polytechn. Journal 1915 S. 15, 51, 88 und 141 wurde die Frage
                              									angeschnitten, wem die Erfinderschaft der sogenannten
                              										„Gleichstromdampfmaschine“ zukomme.
                           Gleichstromdampfmaschinen nennt man solche, bei denen der Ein- und Austritt des
                              									Arbeitsdampfes an die einander gegenüberliegenden Hubenden des Zylinders verlegt
                              									sind. Der „Gleichstrom“ kommt am übersichtlichsten in der einfachwirkenden
                              									Maschine zum Ausdruck, doch ist es naheliegend, zwei solche einfachwirkende
                              									Maschinen zu einer doppeltwirkenden Gleichstromdampfmaschine zu vereinigen. Liegt
                              									der Austritt in der Mitte, ist er also gemeinschaftlich für beide einander
                              									entgegengesetzt gerichtete Maschinenseiten, so kann die Auslaßsteuerung durch den
                              									entsprechend lang gebauten Arbeitskolben geschehen, wie dies durch die deutsche
                              									Patentschrift 6470 vom 15. Februar 1879 von Joh. Mich.
                                 										Hack in Hamburg bekannt geworden ist. Da diese Patentschrift beim deutschen
                              									Patentamte „ausverkauft“ ist, so soll sie nachstehend einschließlich der
                              									Abbildungen Fig. 1 und
                              										2 wiedergegeben
                              									werden.
                           Der Inhaber dieser Patentschrift ist demnach, solange nicht etwa eine noch ältere
                              									Quelle aufgedeckt wird, als der Erfinder des sogenannten „Gleichstromes“ bei
                              									Dampfmaschinen anzusehen, bei welchem die Richtungsumkehr des Arbeitsdampfes im
                              									Arbeitszylinder vermieden ist, wenn auch das Wort „Gleichstromdampfmaschine“
                              									bekanntlich eine Prägung des bekannten Zivilingenieurs Prof. Stumpf in Berlin ist.
                           Verlegt man dagegen die Austrittstellen des Dampfes nach außen, und den Dampfzutritt
                              									in die Mitte, so kommt man zu einer Anordnung nach Art der deutschen Patentschrift
                              									86408 vom 11. August 1895 von John Smith Raworth in
                              									Streatham (England). Abgesehen von der Verwendung der für hochüberhitzten Dampf
                              									weniger geeigneten Korlißschieber verdient eine solche einfachwirkende
                              									Verbund-Gleichstromdampfmaschine volle Beachtung, weil sie etwa halb so große
                              									Schubkräfte im Gestänge bedingt als die doppeltwirkende einstufige Maschine,
                              									und das Ueberströmrohr (Aufnehmer) zwischen beiden Zylindern eine bequeme und
                              									einwandfreie Dampfentnahme gestattet. (Auch die deutsche Patentschrift 103 179 vom
                              									28. Juli 1898 von Fritz Dürr in Berlin bringt eine
                              									einstufig wirkende Verbunddampfmaschine.)
                           Einen Nachfolger findet die Konstruktion von John Smith
                                 										Raworth in der deutschen Patentschrift 224287 der Firma Kühnle, Kopp & Kausch
                              									A.-G. vom 19. Mai 1909, welche die Korlißschieber durch Ventile ersetzt.
                           Die Hacksche Maschine zeigt bereits die Verwendung eines
                              									Teiles vom Auspuffdampf für Nebenzwecke und die Auffüllung des schädlichen Raumes
                              									durch den Restdampf, wobei der Einlaßschieber als Hilfsauslaßsteuerung dient.
                           In dem Sinne, wie die von Stumpf vorgeschlagene
                              									Bezeichnung es ausdrückt, die rasch allgemein anerkannt wurde, ist der
                              										„Gleichstrom“ das hervorstechendste Merkmal der im wesentlichen längst
                              									bekannten Dampfmaschinenbauart, und Joh. Mich. Hack in
                              									Hamburg fällt das Erstgeburtsrecht zu und nicht, wie irrtümlich behauptet
                              										wurde,s. Z. d. V. d. I.
                                    											1909 S. 1561, Zuschrift von Ed. Winkler. dem Inhaber der
                              									britischen Patentschrift 2132 vom Jahre 1886 von Leonard
                                 										Jennet Todd.
                           Schon die deutsche Zeitschrift „Zivilingenieur“ 1886 bringt einen Bericht von
                              										Pröll über „schnellaufende Dampfmaschinen“,
                              									der eine Dampfmaschine von Westinghouse mit durch die
                              									Kolben gesteuerten Auslaßschlitzen, also mit „Gleichstrom“, bespricht und auf
                              									Tafel XXIX in Zeichnung vorführt. Diese Konstruktion dürfte demnach noch älter sein
                              									als die Toddsche.
                           Erwähnt sei hier nebenbei auch die deutsche Patentschrift 125773 vom 29. Mai 1898
                              									(System Serpollet in Paris). Schon die deutsche
                              									Patentschrift 42886 vom 2. August 1887 bringt den Vorschlag von Friedr. Wiske in Barmen, statt des langen Arbeitskolbens
                              									in
                           
                           PATENTSCHRIFT
                           1879.     – No. 6470 –    Klasse 14.
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                           JOH. MICH. HACK IN HAMBURG.
                           
                              Dampfcylinder mit in seiner Längenmitte angebrachtem, vom
                                 										Arbeitskolben verschließbaren Dampfaustritt.
                              
                           Patentirt im Deutschen Reiche vom 15. Februar 1879 ab.
                           Die in der beiliegenden Zeichnung veranschaulichte Dampfmaschine unterscheidet
                              									sich von anderen Ausführungen dadurch, daß der Dampfcylinder in der Mitte einen
                              									besonderen Austrittskanal für den Rückdampf außer den üblichen Dampfein- und
                              									Austrittskanälen besitzt. Dieser neu hinzugekommene Austrittskanal wird indessen von
                              									keinem von außen bewegten Steuerungsmechanismus beeinflußt, sondern es geschieht die
                              									erforderliche Regulirung des Dampfaustrittes durch den die Arbeit verrichtenden
                              									Kolben selbst.
                           Diese eigenthümliche Anordnung des Dampfaustrittskanales, welche dem zur Wirkung
                              									gekommenen Rückdampf gestattet, während der Dauer des Hubwechsels durch den
                              									vollständig geöffneten, verhältnißmäßig weiten Austrittskanal zu entweichen, soll
                              									dazu dienen, eine Herabminderung des schädlichen Gegendruckes auf der jedesmaligen
                              									Dampfaustrittsseite des Kolbens ohne Anwendung complicirter Steuerungsmechanismen
                              									herbeizuführen. Um den beabsichtigten Zweck zu erreichen, ist es erforderlich, den
                              									Dampfcylinder doppelt so lang als den einfachen Hub herzustellen und den
                              									Arbeitskolben entweder so hoch wie eine Hublänge anzufertigen, oder, wie gezeichnet,
                              									zwei Kolben in entsprechendem Abstande zu wählen.
                           In dem Aufriß, Fig. 1,
                              									der gezeichneten Dampfmaschine befinden sich die Kolben auf der Mitte ihres Weges,
                              									in dem Grundriß, Fig. 2,
                              									in einer Endstellung, in welcher der Schieber s1 den Dampfeintrittskanal l1 um die Länge der Voreilung geöffnet
                              									hat, und auf der entgegengesetzten Seite der Rückdampf größtentheils durch den
                              									mittleren Austrittskanal a0 entwichen ist, so daß auf dieser Seite des Kolbens höchstens der
                              									Atmosphärendruck der Arbeit des frischen Dampfes entgegenwirkt. Der Austrittskanal
                              										a0 bleibt noch eine
                              									kurze Zeit nach vollendetem Hubwechsel geöffnet, bis er von dem Kolben p2 geschlossen wird.
                              									Der alsdann noch auf dieser Seite des Kolbens befindliche Rückdampf wird in
                              									bekannter Weise durch den Dampfeintrittskanal l2 unterhalb des Schiebers s2 wieder zum Austrittskanal geleitet.
                              									Kurz vor vollendetem Kolbenhub hat inzwischen der zweite Kolben p1 den mittleren
                              									Dampfaustrittskanal a0
                              									passirt, der Schieber s2 beginnt den Dampfeintrittskanal zu öffnen, und es wiederholt sich die
                              									Dampfvertheilung für die zweite Periode einer Kurbelumdrehung in der vorhin
                              									beschriebenen Weise.
                           Ganz besonders geeignet ist nach Ansicht des Erfinders die vorliegende Art der
                              									Dampfvertheilung auch bei Dampfmaschinen mit Condensation, insofern als man den
                              									durch den mittleren Austrittskanal a0 entweichenden Rückdampf zu Heizungszwecken
                              									benutzen kann und alsdann nur den für diesen Zweck nicht absorbirten Dampf durch die
                              									Kanäle a1 und a2 zur Condensation
                              									leitet. Es wird bezweckt, durch diese Einrichtung den Bedarf an Condensationswasser
                              									bedeutend herabzumindern, wodurch erreicht wird, daß die Kaltwasserpumpen sowohl als
                              									auch die Luftpumpen bedeutend kleiner als sonst üblich angelegt werden können und
                              									auf diese Weise die Mehrkosten für den Dampfcylinder und den unter Umständen
                              									erforderlichen zweiten Dampfkolben mindestens compensirt werden, während die
                              									Nutzbarmachung eines Teiles der Wärme aus dem Rückdampf und die Ersparnisse an
                              									Condensationswasser direct die Betriebskosten ermäßigt.
                           PATENT-ANSPRUCH:
                           Die Construction eines Dampfcylinders an Dampfmaschinen derart, daß ein Theil des
                              									Rückdampfes durch einen in der Mitte des Dampfcylinders angebrachten und vom
                              									Arbeitskolben regulirten Kanal, der übrige Theil durch die in üblicher Weise
                              									angebrachten Dampfvertheilungsorgane entweichen kann, in der Weise und für den
                              									Zweck, wie im wesentlichen durch Zeichnung und Beschreibung erläutert ist.
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                           Hierzu 1 Blatt Zeichnungen.
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                           der Mitte des Zylinders einen gesteuerten Auslaßschieber anzubringen, der bei
                              									jedem Hube zweimal öffnet und dem eigentlichen Gleichstrom in der Wirkung sehr nahe
                              									kommt. Später brachte die britische Patentschrift 12066 vom Jahre 1909 der
                              									Ingenieure Alex. Schultz und Emanuel Posmourny in Königrätz (Böhmen) den Ersatz des mittleren
                              									Auslaßschiebers durch ein gesteuertes Ventil.
                           
                           Die von H. Dubbel in D. p. J. 1915 auf S. 51 erwähnte
                              									belgische Patentschrift 110187 vom 29. Mai 1894 von A. Rateau bringt nach obigem gegenüber der Hackschen Maschine vom 15. Februar 1879 im wesentlichen nichts Neues, obwohl
                              									mit Recht hervorgehoben wird, daß Rateau bereits die
                              										„Verminderung der Eintrittskondensation“ als wesentlichen Vorteil erkannt
                              									und ausgesprochen hat.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 331, S. 119
                              JOH. MICH. HACK IN HAMBURG.Dampfcylinder mit in seiner Längenmitte
                                 										angebrachtem, vom Arbeitskolben verschließbaren Dampfaustritt.
                              
                           Eine wesentliche Verbesserung durch gleichzeitige Heranziehung von vier wichtigen
                              									Punkten, – nämlich: starker Dampfüberhitzung, hoher Spannung, kleinstem
                              									schädlichen Raum und größtmöglicher Verdichtung – wurde durch die Patentschrift
                              									164956 vom 20. Juni 1903 von Franz Horn in Lübeck
                              									(Deckname für Karl Schmid in Landsberg a. W.)
                              									bekannt.
                           Diese Patentschrift stellt die Anpassung des bekannten Gleichstromgedankens an die
                              									Forderungen des hochüberhitzten Dampfes, und zwar in der einfachsten Form der
                              									einstufig arbeitenden Maschine, so überzeugend und klar vor Augen, daß sie als ein
                              									Markstein in der Geschichte der Gleichstromdampfmaschine anzusehen ist. Die
                              									Hinzufügung der altbekannten strömenden Deckelheizung stellt sich als naheliegende
                              									Zugabe dar.
                           Zum Beweise sei das Wesentliche der Beschreibung hier wiedergegeben:
                           
                              „Vorliegende Erfindung betrifft eine Einrichtung an einem einseitig wirkenden
                                 										Dampfmotor zur Ausnutzung hoher Dampfspannungen bzw. hoher Dampftemperaturen in
                                 										einem Zylinder. Bekanntlich leiden alle Einzylindermaschinen an dem Uebelstande
                                 										der sogenannten Wärmewanderung, der Zylinderlauf nimmt im Beharrungszustand eine
                                 										mittlere Temperatur an, welche naturgemäß wegen der längeren Dauer der
                                 										Auspuffperiode stets der Auspufftemperatur näher liegt als der
                                 										Frischdampftemperatur. Die mittlere Temperatur der Zylinderwand gibt nun dem
                                 										einströmenden Frischdampf Veranlassung zur Kondensation, trocknet aber den Dampf
                                 										während der Expansions- und der Auspuffperiode. Diese Erscheinung ist
                                 										hinlänglich bekannt und führte zur Konstruktion der Drei- und
                                 										Vierzylindermaschinen, bei denen die Wärmewanderung infolge der gleichmäßigeren
                                 										Temperaturverhältnisse innerhalb der einzelnen Zylinder geringer ausfallen. Zur
                                 										Verminderung des schädlichen Einflusses dieser Wärmewanderungen hat man
                                 										neuerdings hochgradige Ueberhitzung des Arbeitsmittels angewendet, wodurchdie mittlere
                                 										Wandungstemperatur gehoben wird und der mit Wärmeüberschuß einströmende Dampf
                                 										keine Gelegenheit zur Kondensation findet. Die hohe mittlere Temperatur der
                                 										Wandungen läßt jedoch keine feuchte Expansion zu; man kann oft beobachten, daß
                                 										aus solchen mit Heißdampf arbeitenden Maschinen der Abdampf überhitzt entweicht,
                                 										was durchaus unwirtschaftlich ist. Es sind auch in der Praxis mit
                                 										Heißdampfmaschinen nur dort wirklich große Erfolge erzielt (4 kg Dampf p. PS i.
                                 										d. Std.), wo der Expansion im Heißdampfzylinder eine weitere im kühleren Mittel-
                                 										und Niederdruckzylinder folgte, also wieder nur bei
                                 										Mehrfachzylindermaschinen.
                              
                           
                              Aus allem geht aber hervor, daß ein Zylinderlauf weder zu warm noch zu kalt sein
                                 										darf; ein vollkommener Zylinder muß in jedem Augenblick sich der jeweiligen im
                                 										Zylinder herrschenden Temperatur genau anpassen.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 331, S. 120
                              Abb. 3.(Entnommen der deut. Patentschr. 164956)
                              
                           
                              Die vorliegende Erfindung bezweckt nun eine möglichste Annäherung an diesen
                                 										vollkommenen Zylinder, und es ist eine derartige Einrichtung in der Zeichnung
                                 										dargestellt.“
                              
                           Diese Zeichnung ist in Abb. 3 dargestellt.
                           Weiter heißt es:
                           
                              „Es empfiehlt sich, die Bohrung im oberen Teile etwas enger zu halten, da hier
                                 										infolge größerer Erwärmung die Ausdehnung stärker ist. Die einseitig wirkende
                                 										Maschine erhält 0,1 bis 0,2 Füllung, der Dampf wird durch ein im Deckel
                                 										angeordnetes Ventil zugeleitet, der Auspuff erfolgt durch einen in der Höhenlage
                                 										des unteren Totpunktes gelegenen Kanal, welcher durch zahlreiche Bohrungen mit
                                 										dem Zylinderinnern in Verbindung steht und durch Ueberlauf des Kolbens gesteuert
                                 										wird. Die Maschine arbeitet also mit etwa 95 v. H. Kompression, was bei der
                                 										folgenden Betrachtung der Vorgänge wesentlich ist.
                              
                           
                              Zum Verständnis der Wirkungsweise sei hier erwähnt, daß für die Vorgänge der
                                 										Wärmewanderung nur die innere, vom Dampf berührte Metallschicht in Frage kommt,
                                 										da die Temperaturschwankungen schnell erfolgen und ein tiefes Eindringen der
                                 										Wärme daher nicht möglich ist. Ferner sei erwähnt, daß einerseits die
                                 										Dampftemperatur von oben nach unten hin schnell abnimmt, andererseits die
                                 										Kompressionstemperatur von unten nach oben hin schnell anwächst.“
                              
                           Und weiter: „Hierin liegt aber gerade die Annäherung an den vollkommenen
                                 										Zylinder, indem der Zylinder, weil die Wärmeleitung in den Wandungen parallel
                                 										zur Achse verhindert ist, sich besser als die aus einem Stück bestehenden
                                 										Zylinder der jeweilig herrschenden Temperatur anpassen kann. Unerwähnt darf
                                 										nicht bleiben, daß diese Annäherung in der Hauptsache nur durch die umfangreiche
                                 										Kompression erzielt werden kann; ein derartiger Zylinder mit langer
                                 										Auspuffperiode und kleiner Kompression würde sich viel ungünstiger
                                 										verhalten.“
                           Daß der Erfinder sich von der praktisch undurchführbaren Idee schwer trennen kann
                              										„den Zylindermantel in eine größere Anzahl einzelner Ringe zu teilen“,
                              									ändert nichts daran, daß der Kern der neuen Gleichstromdampfmaschine hier in klarer
                              									Weise beschrieben, also vorweggenommen ist. Gerade dieser kleine Irrweg hat Gutes
                              									geschaffen, indem dadurch auf die Bedeutung der sogenannten „Wärmewanderung“
                              									aufmerksam gemacht wurde, die richtig angewendet einen ausschlaggebenden Erfolg
                              									bedeutet. Man war gewöhnt, die „Wärmewanderung“ als etwas Verlustbringendes
                              									anzusehen, was nur für die veraltete, heute als „Wechselstromdampfmaschine“
                              									bezeichnete Bauart Anwendung finden kann. Bei der Karl
                                 										Schmidschen Bauart ist der Dampf, der vom heißen nach dem kalten
                              									Zylinderende wandert, wie in einen warmen Pelz gekleidet; sie stellt eine
                              									Mantelheizung mit abnehmender Temperatur dar.
                           Daß Karl Schmid in seiner Patentschrift 164956 zunächst
                              									der so wichtigen Deckelheizung keine Beachtung schenkt, erklärt sich leicht aus
                              									seinem Bestreben, den Dampf mit der praktisch möglichen, höchsten Ueberhitzung in
                              									die Maschine zu bringen, wobei die stillschweigende Voraussetzung nicht überrascht,
                              									daß der „Wärmeüberschuß“ des hochüberhitzten Dampfes für die vorteilhafte
                              									Verwertung auch in der einstufigen Maschine ausreichen möchte, den
                              									Feuchtigkeitsniederschlag zu verhindern. Daß Schmid,
                              									Landsberg, sich besonders der Entwicklung der einseitig wirkenden
                              									Gleichstromdampfmaschine gewidmet und darin Mustergültiges geleistet hat, ist
                              									bekannt. Am 10. Juli 1909 erschien in der Z. d. V. d. Ing. ein Aufsatz von E. Rösler: „Die Gleichstromdampfmaschinen-Bauart Stumpf“.
                           Stumpf bedient sich aller der von Karl Schmid der Oeffentlichkeit geschenkten Erkenntnis und stellt zwei
                              									solcher (einfachwirkender) Maschinen zu einer doppeltwirkenden zusammen. Während bei
                              									der längst bekannten doppeltwirkenden Bauart bisher möglichst mit dem Maschinenhube
                              									gespart wurde, wird hier der bei liegenden Maschinen allgemein verwendete längere
                              									Hub beibehalten und dadurch ein ungewöhnliches Aussehen erzielt. Außerdem wird die
                              										„neue“ Maschine mit der durch die Patentschrift 143466 vom 4. September
                              									1901 von Blumenthal, Berlin, bekannt gewordenen
                              									Steuerungsanordnung versehen, bei der ein auf der Maschinenwelle sitzendes Exzenter
                              									vermittels Schwinghebels eine Kurvenschubstange betätigt, die parallelachsig über
                              									dem Dampfzylinder angeordnet ist, was eine Ungleichheit der vorderen und hinteren
                              									Zylinderfüllung bei Erwärmung des Zylinders zur Folge hat.
                           
                           Rösler erklärt ganz richtig: „Mit der
                                 										Gleichstromdampfmaschine wird vor allem die Betriebsicherheit und wirtschaftlich
                                 										günstigste Ausnutzung hochüberhitzten Dampfes von hoher Spannung bezweckt“,
                              									(wie es ja Karl Schmid schon bekannt gegeben hat). Damit
                              									wird auf die vom praktischen Standpunkte ausschlaggebende Eigenschaft der
                              									Gleichstromdampfmaschine hingeleitet, daß die Kolbenringe bei jedem Hube mit dem
                              									kalten Teile des Dampfzylinders in ausgiebige Berührung kommen und infolgedessen
                              									andererseits die zeitweilige Berührung mit dem heißen Zylinderende vertragen, ohne
                              									daß das Schmieröl sich so zersetzt, daß die Ringe sich verkleben würden. Um dies zu
                              									erreichen, muß die Laufbüchse des Zylinders ungeheizt bleiben, während das Kopfende
                              									des Zylinders so kräftig als möglich geheizt wird.
                           Verstärkt wird die Kühlung der Kolbenringe dadurch, daß am äußeren Umfange des
                              									Kolbens die Kühlung von der Kondensation her (durch die Zylinderwandung) wirkt und
                              									den Ringen zu gute kommt. Man hat das spöttisch als „kalten Umschlag“
                              									bezeichnet, doch beweist das nur Mangel an Verständnis, denn die Kolbenringe müssen
                              									unbedingt gekühlt werden, während man die Stirnseiten des Kolbens ebenso heizen kann
                              									wie die Zylinderdeckel (s. D. R. G. M. 455610 vom 7. Februar 1911 von Strnad und deutsche Patentschrift 257676 vom 15. Januar
                              									1912 der Deutschen Maschinenfabrik A.-G., Duisburg).
                           Würde man den Zylindermantel heizen, so würde sich die Erfahrung wiederholen, die an
                              									der bekannten Kerchove-Dampfmaschines. Z. d. V. d. Ing. 1903 S. 1281: M. Schröter und Dr.-Ing. A. Koob. gemacht wurde, wobei die mit Mantelheizung
                              									versehene Maschine bei hoher Ueberhitzung ein verblüffend gutes Ergebnis aufweist,
                              									was sich einige Stunden lang während des Versuches aufrecht erhalten läßt, aber für
                              									den Dauerbetrieb unbrauchbar ist.
                           Wenn die von Karl Schmid bekannt gegebenen, von Stumpf mit praktischem Blick erkannten und mit Erfolg
                              									verwerteten Verbesserungen der alten Gleichstromdampfmaschine anfangs heftig
                              									bekämpft wurden, so liegt dies zum Teil an dem Mißtrauen, das stets dem das
                              									Vorhandene bedrohenden Neuartigen entgegengebracht wird, und zum Teil an der für
                              									unser Empfinden etwas zu „amerikanischen“ Reklame bei der Einführung. Die Stumpfsche Hilfsvorstellung, bei welcher der Arbeitsdampf
                              									in getrennten Schichten von trockenem und immer nässer werdendem Dampf dargestellt
                              									wird, ist nicht wissenschaftlich, die schematische Darstellung des Zylinders, bei
                              									der alle zum Betriebe einer Maschine nötigen Nebenteile weggelassen werden, und der
                              									Vergleich von einstufigen mit vierstufigen Arbeitsdiagrammen, wobei die ersteren mit
                              									kleinstem schädlichen Raum, hoher Ueberhitzung und kleinstem Gegendruck, die
                              									letzteren aber mit sehr großen schädlichen Räumen, Sattdampf und schlechtem Vakuum
                              									gedacht sind, erinnern zu sehr an die bekannte Anpreisung
                              									„Schnellbetrieb“.
                           Die „strömende Heizung des Dampfzylinders“ wurde schon von Watts. C. Matschoß: „Die Entwicklung der
                                       												Dampfmaschine“, 1. Bd. S. 347: „Wattsche Dampfmaschine 1776“. eingeführt. Hier war
                              									sie noch nicht lebensfähig, denn der Zuleitungsdampf, der selbst gesättigt oder
                              									schon feucht, einen Teil seiner Eigenwärme hergeben soll, um den Arbeitsdampf zu
                              									verbessern, kann diesen Zweck nicht erfüllen.
                           Die „strömende Deckelheizung“, und zwar mit getrennten Ein- und
                              									Auslaß-Korliß-Schiebern im Deckel, finden wir in der deutschen Patentschrift 10192
                              									vom 27. Mai 1879 von George Henry Corliss. Dieser Umstand
                              									scheint in Vergessenheit geraten zu sein, da man sich meist begnügt, auf die spätere
                              									Ausnutzung derselben Schieberanordnung von Farcot in
                              									Paris zu verweisen, der mit Einzylindermaschinen solcher Bauart vorzügliche
                              									Ergebnisse erzielte.
                           Die guten Ergebnisse der Gleichstromdampfmaschine hatten zur Folge, daß von
                              									gegnerischer Seite behauptet wurde, man könne mit getrennten Ein- und Auslaßorganen
                              									und gewöhnlichen kurzen Zylindern das Gleiche erzielen. Erreicht wurde dies bisher
                              									nicht, oder nur annähernd, und der Abstand dürfte noch deutlicher hervortreten, wenn
                              									die anfangs an der Gleichstromdampfmaschine begangenen Fehler vermieden werden.
                           Daß sorgfältig hergestellte Kolbenschieber (auch „Kolbenventile“ genannt) auch
                              									im hochüberhitzten Dampf gute Dienste leisten, ist durch die Kerchove-Maschine bewiesen, und zwar auch bei der für heutige Ansprüche
                              									entschieden veralteten Anordnung im Zylinderdeckel, die den Dampfkolben schwer
                              									zugänglich macht. Dabei wurde allerdings mäßige Kompression angewendet.
                           Kein glücklicher Griff von Stumpf war es,
                              									Doppelsitzventile im Deckel anzuordnen, der durch die hohe Kompression einer
                              									stoßweise ansteigenden und abnehmenden Temperatur von 600 bis 700° C ausgesetzt ist,
                              									die eine Verzerrung der Wandungen zur Folge hat. Der erfahrene Konstrukteur weiß,
                              									daß schon bei Anwendung von Sattdampf zwei in verschiedenen Ebenen liegende
                              									Ventilsitze niemals gleich dicht sind (woran auch die Spielerei mit sogenannten
                              										„elastischen“ Ventilen kaum etwas ändern dürfte), und ein annähernd
                              									befriedigendes Ergebnis ist erfahrungsgemäß nur mit einem Ventilkorbe zu erreichen,
                              									der das Ventil vom Zylinderkörper möglichst unabhängig macht. Durch Weglassung des
                              									Ventilkorbes erzielt man lediglich ein einfacheres Aussehen auf der Zeichnung.
                           Da es genügend bekannt ist, daß man die Ventile auch am Zylinder selbst mit kleinstem
                              									schädlichen Raum unterbringen kann, so bevorzugen erfahrene Firmen diese Anordnung,
                              									und zwar um so mehr, als sich bei ausgeführten Gleichstromdampfmaschinen gezeigt
                              									hat, daß die Maschine bei voller Kompression stößt, wenn der schädliche Raum kleiner
                              									als etwa 2½ v. H. ausgeführt wird. Da eine Hilfssteuerung für Rückführung der
                              									Restdampfmenge (bei dauernder Arbeit mit Auspuff) doch stets vorhanden sein sollte,
                              									so hat man dann die Möglichkeit, den schädlichen Raum wirklich auf das äußerste einzuschränken,
                              									wenn man gleichzeitig die Kompression ein wenig heruntersetzt.
                           Bessere Dichtheit ergibt das „Tellerventil“, wobei für kleine Ausführungen ein
                              									Sitz genügt, während bei größeren Maschinen zwei Sitze in einer Ebene zu empfehlen
                              									sind.
                           Ein weiterer Mißgriff von Stumpf war die Anwendung der
                              									bekannten Zuschalträume für die Vergrößerung der schädlichen Räume bei Arbeit mit
                              									Auspuff. Diese Einrichtung wurde von mir seinerzeit als „Notbehelf für
                                 										vorübergehende Anwendung“ bekannt gegeben,s. Z. d. V. d. Ing. 1900 S. 30.
                              									welchen Zweck sie vollständig erfüllt hat. Dagegen ist der Dampf verbrauch mit
                              									zusätzlichem schädlichen Raum so groß, daß gute Firmen den Bau von
                              									Gleichstromdampfmaschinen mit zusätzlichem schädlichen Raum für dauernde Arbeit mit
                              									Auspuff ablehnen.
                           In Amerika wurden von den Dickson Lokomotive Works
                              									Lokomotiven nach Gleichstromsystem gebaut, bei denen die Kolbenschiebersteuerung
                              									zugleich als Hilfsauslaßsteuerung dient (s. Railroad-Gazette vom 5. August 1898 und
                              									14. Juni 1901, „Erfindung von William F. und Eugene W. Cleveland“s. auch Glasers
                                    											Annalen 15. September 1912. S. 103. Prof. Obergethmann, „Die Lokomotiven auf der Weltausstellung in
                                       												Brüssel“.. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß diese
                              									Lokomotiven wesentlich sparsamer arbeiten als die mit unnötig großem schädlichen
                              									Raum.
                           Der sogenannten „abgestuften“ Heizung dürfte ein Vorteil kaum
                              									nachgewiesen werden können, sie kommt nur für Sattdampf in Betracht, macht den
                              									Zylinder viel schwerer und teuerer, und die Wirkung kann durch die schon bewährte
                              										„Wärmewanderung“ viel besser erreicht werden.
                           Die Wirkung der doppeltwirkenden Gleichstromdampfmaschine käme noch besser zur
                              									Geltung, wenn die Baulänge des Zylinders noch etwas größer gehalten würde, wobei
                              									jede Kolbenringreihe in ihrer besonderen Laufbüchse arbeiten könnte und das
                              									Ausbohren des Zylinders wesentlich erleichtert wäre.
                           Eine besondere Beachtung verdient, wie schon oben erwähnt wurde, die einfachwirkende
                              									zweistufige Gleichstromdampfmaschine.
                           Die Prioritätsfrage dürfte nach Obigem dahin zu entscheiden sein, daß Joh. Mich. Hack in Hamburg der Erfinder der
                              									Gleichstromdampfmaschine ist, während A. Rateau schon auf
                              									die Verminderung der Eintrittskondensation aufmerksam gemacht, jedoch erst Karl Schmid in Landsberg a. W. wirklich aufklärend
                              									gewirkt hat. Auch die Stumpfsche geschäftliche Ausnutzung
                              									hat anregend gewirkt und dadurch mittelbar den Fortschritt gefördert. Bei neueren
                              									Konstruktionen tritt das Bestreben zutage, schwere Versündigungen gegen die
                              									Grundsätze der technischen Wärmelehre zu vermeiden, z.B. den heißen Zuleitungsdampf
                              									und den kalten Auspuffdampf durch denselben Kanal zu führen oder das Ein- und
                              									Austrittsventil unmittelbar nebeneinander oder gar in demselben Raum
                              									unterzubringen.