| Titel: | Werner Siemens und sein Lebenswerk. | 
| Autor: | Adolf Koepsel | 
| Fundstelle: | Band 331, Jahrgang 1916, S. 394 | 
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                        Werner Siemens und sein Lebenswerk.
                        Von Dr. Adolf Koepsel
                           								in Berlin-Friedenau.
                        KOEPSEL: Werner Siemens und sein Lebenswerk.
                        
                     
                        
                           Wie es im Weltenall Sterne gibt die so weit von uns entfernt sind, daß wir sie
                              									nach ihrem Erlöschen noch Tausende von Jahren sehen, so tauchen in der Menschheit
                              									Sterne auf, die uns nach Aeonen noch mit ihrem Glanz erfreuen. Und je weiter sie von
                              									uns entfernt waren, je höher sie sich über das Niveau der Menschheit erhoben, um so
                              									dauerhafter ist der Glanz, der von ihnen auf die übrige Menschheit
                              									zurückstrahlt.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 331, S. 394
                              Werner v. SiemensNach dem Gemälde von Lenbach
                              
                           Ein solcher Stern ist Werner v. Siemens.
                           Seinem Genie verdankt die Menschheit Segnungen der Kultur, deren sie sich noch nach
                              									Jahrhunderten dankbar erinnern wird.
                           „Unser Leben währet siebenzig Jahre und, wenn es hoch kommt, so sinds achtzig
                                 										Jahre“, das sind die Worte, mit denen er seine Lebenserinnerungen einleitet,
                              									und er fügt hinzu, „das ist eine bedenkliche Mahnung für jemand, der sich dem
                                 										Mittel dieser Grenzwerte nähert und noch viel zu tun hat“. Aus diesen Worten
                              									erkennt man den rastlos schaffenden Geist, der selbst nach Ueberschreitung des
                              									siebenten Dezenniums und nach so vielen Erfolgen, die ihm, wie selten einem
                              									beschieden waren, noch so viel vorhat, daß er die dem menschlichen Leben gesetzte
                              									Grenze bedauert.
                           Werner von Siemens war Autodidakt im besten Sinne des
                              									Wortes. Schon frühzeitig der Eltern beraubt, fühlte er die Verpflichtung in sich,
                              									als Aeltester für seine jüngeren Geschwister zu sorgen, dieses Pflichtgefühl geht
                              									wie ein Leitstern durch sein ganzes Leben, und oft werden seine Entschlüsse durch
                              									diese ihm als selbstverständlich erscheinende Verpflichtung veranlaßt.
                           So wendet er sich nach Absolvierung der Lübecker Katharinenschule zunächst
                              									technischen Studien zu. Seine Vorliebe für das Baufach konnte er wegen der
                              									Kostspieligkeit des Studiums nicht befriedigen, und so entschloß er sich, auf Rat
                              									seines Lehrers im Feldmessen, beim preußischen Ingenieurkorps einzutreten,
                              									dessen Ueberfüllung ihn aber zur Artillerie führte.
                           Hier fand er, was er suchte, nämlich die Gelegenheit zu technischen Arbeiten. Neben
                              									seinen militärischen Studien fand er noch Zeit, sich mit anderen technischen Dingen
                              									zu beschäftigen. Köstlich ist die Beschreibung seiner elektrolytischen Versuche, zu
                              									denen er selbst eine Festungshaft, die ihm eine Duellangelegenheit eingetragen
                              									hatte, benutzte und die er dann so eifrig betrieb, daß ihm seine Begnadigung sehr
                              									ungelegen kam. Er ersuchte um die weitere Benutzung seiner Zelle. Dieses Gesuch fand
                              									aber so wenig Anklang, daß er bei Nacht und Nebel an die Luft gesetzt wurde und sich
                              									in der Stadt ein Unterkommen suchen mußte.
                           Mit der bald folgenden Versetzung nach Berlin wurde sein sehnlichster Wunsch nach
                              									Gelegenheit zu naturwissenschaftlichen Studien erfüllt, und die Aussicht auf
                              									Erwerbsquellen zur Unterstützung seiner jüngeren Geschwister, führte ihn bald zu
                              									bemerkenswerten Erfolgen auf technischen Gebieten.
                           Das Jagen nach Erfindungen, wie er sich selbst ausdrückt, zu dem er sich durch die
                              									Leichtigkeit der ersten Erfolge hatte hinreißen lassen, machte bald einem ernsteren
                              									Streben auf wissenschaftlichem Gebiete Platz. Aber er mußte bald erkennen, daß ihm
                              									hier infolge seiner ungenügenden Vorbildung eine Schranke gesetzt war, die er durch
                              									eisernen Fleiß und anregenden Umgang zu beseitigen bemüht war.
                           Aus dieser Zeit datiert seine engere Verbindung mit einem anregenden Kreise jüngerer,
                              									talentvoller Naturforscher wie du Bois-Reymond, Brücke,
                                 										Helmholtz, Clausius, Wiedemann, Ludwig, Beetz,
                                 										Knoblauch u.a., mit denen er sich auch an der Gründung der Physikalischen
                              									Gesellschaft beteiligte.
                           
                           Aber sein angeborener Trieb, erworbene wissenschaftliche Kenntnisse nutzbringend
                              									zu verwerten, führte ihn immer wieder zur Technik zurück, und so sehen wir in Werner Siemens die erste Verkörperung desjenigen Typus
                              									von Technikern, welche die deutsche Technik zu ungeahnten Erfolgen geführt haben,
                              									indem sie die Ergebnisse ernsten wissenschaftlichen Studiums zur Befruchtung der
                              									Technik benutzten. Durch persönliche Bekanntschaft mit den Berliner
                              									Gewerbetreibenden erhielt er Einsicht in die Betriebe der damaligen Industrie und
                              									lernte ihre Leistungen und auch ihre Schwächen kennen. Und so befestigte sich in ihm
                              									die Ueberzeugung, daß naturwissenschaftliche Kenntnisse und wissenschaftliche
                              									Forschungsmethoden berufen wären, die Technik zu einer ungeahnten Leistungsfähigkeit
                              									zu entwickeln.
                           In diese Zeit fallen auch seine ersten literarischen Arbeiten. Angeregt durch eine
                              									briefliche Mitteilung seines Bruders Wilhelm über eine
                              									Heißluftmaschine, die dieser zu Dundee in Tätigkeit gesehen hatte, veröffentlichte
                              									er im Jahre 1845 in „Dinglers polytechnischem Journal“ einen Aufsatz unter
                              									dem Titel „Ueber die Anwendung der erhitzten Luft als Triebkraft“, in dem er
                              									die Theorie der Heißluftmaschinen entwickelte und die Konstruktion einer solchen
                              									skizzierte.
                           Im gleichen Jahre veröffentlichte er an derselben Stelle die Beschreibung eines
                              									Differenzregulators, mit dem er sich schon früher in Gemeinschaft mit seinem Bruder
                              										Wilhelm beschäftigt hatte.
                           Angeregt durch Versuche bei der Artillerie-Prüfungskommission, die Geschwindigkeit
                              									fliegender Geschosse zu bestimmen, kam er auf die Idee, den elektrischen Funken zur
                              									Geschwindigkeitsmessung zu benutzen und in einem Aufsatz in Poggendorfs Annalen:
                              										„Ueber die Anwendung des elektrischen Funkens zur
                                 										Geschwindigkeitsmessung“ wies er die Möglichkeit nach, die Geschwindigkeit
                              									der Geschosse in jedem Stadium ihrer Bahn vermittels des elektrischen Funkens genau
                              									zu messen.
                           Durch diese Arbeiten wurde sein Interesse für elektrische Versuche angeregt, und dies
                              									führte zur Konstruktion des Zeigertelegraphen mit Selbstunterbrechung.
                           Die bei der Ausführung dieser Erfindung gemachte Bekanntschaft mit dem Mechaniker Halske sollte für seinen künftigen Lebenslauf
                              									bedeutungsvoll werden. Halske, der ebenfalls der
                              									Physikalischen Gesellschaft angehörte, betrieb damals unter der Firma Böttcher & Halske eine
                              									kleine mechanische Werkstatt in Berlin. Ihm übertrug er die Ausführung seines neuen
                              									Zeigertelegraphen und nachdem er anfängliche Zweifel durch den Bau eines solchen
                              									Apparates aus Weißblech und Zigarrenkisten beseitigt hatte, wurde Halske für das mit so einfachen Mitteln erreichte
                              									Ergebnis derart begeistert, daß er sich bereit erklärte, aus seiner Firma
                              									auszutreten und sich in Verbindung mit Werner Siemens
                              									ganz der Telegraphie zu widmen. So reifte in Werner Siemens der Entschluß, den
                              									Militärdienst zu verlassen und sich in der Telegraphie einen Lebensberuf zu
                              									schaffen. Die geheime Triebfeder zu diesem Entschluß war auch hier wieder die
                              									wachsende Sorge um das Wohl der jüngeren Geschwister.
                           Während seine Projekte noch in der Entwicklung begriffen waren, trat ein Ereignis
                              									ein, das ihn infolge einer Unvorsichtigkeit in seiner militärischen Stellung eine
                              									Strafversetzung aus Berlin befürchten ließ.
                           Durch eine entscheidende Verbesserung in der Herstellung der Schießbaumwolle entging
                              									er nicht nur diesem Schicksal, sondern wurde sogar zu Versuchen zur Pulverfabrik
                              									nach Spandau kommandiert und konnte sich nun mit größerer Ruhe seinem
                              									Lieblingsfache, der Telegraphie, widmen.
                           Ein von ihm verfaßter Aufsatz über den damaligen Stand der Telegraphie und ihre zu
                              									erwartenden Verbesserungen hatte zur Folge, daß er zur Dienstleistung bei der
                              									Kommission des Generalstabes kommandiert wurde, welche die Einführung der
                              									elektrischen Telegraphie vorbereiten sollte.
                           Zufällig durch seinen Bruder Wilhelm in den Besitz einer
                              									Probe Guttapercha gelangt, wurde er auf die ausgezeichneten Eigenschaften dieser
                              									Masse aufmerksam, und bald hatte er eine Methode gefunden, Kupferdrähte mit dieser
                              									Masse nahtlos zu umpressen, wodurch die Frage der Isolation unterirdischer Leitungen
                              									mit Hilfe der Guttapercha glücklich gelöst war, wie eine im Sommer 1847 verlegte
                              									unterirdische Leitung von Berlin nach Großbeeren bewies.
                           Da nun die Kommission des Generalstabes in Aussicht nahm, sowohl die mit Guttapercha
                              									umgepreßten Leitungen als auch sein Zeiger- und Drucktelegraphensystem den in
                              									Preußen zu erbauenden Telegraphenlinien zugrunde zu legen, so wurde sein Entschluß,
                              									sich ganz der Entwicklung des Telegraphenwesens zu widmen, zur Tat, und er
                              									veranlaßte im Herbst des Jahres 1847 den Mechaniker Halske, sein bisheriges Geschäft seinem Sozius zu überlassen und mit ihm
                              									eine Telegraphenbauanstalt zu gründen.
                           So wurde am 12. Oktober 1847 in einem Hinterhause der Schönebergerstraße zu Berlin
                              									die Firma Siemens & Halske
                              									gegründet, deren Name bald in alle Welt dringen sollte.
                           Seine militärische Stellung behielt er zunächst noch inne, da seine Pflichttreue ihm
                              									nicht gestattete, seinen Abschied eher zu nehmen, als bis die Kommission des
                              									Generalstabes ihre Aufgabe der definitiven Ordnung des Telegraphensystems
                              									vollständig gelöst hätte.
                           Da unterbrachen die kriegerischen Ereignisse des Jahres 1848 jäh alle seine Pläne,
                              									und die nun folgende Zeit stellte die neu gegründete Firma auf eine harte Probe, die
                              									aber Dank der Energie seines Freundes Halske siegreich
                              									überwunden wurde.
                           In den nun folgenden Kriegen Schleswig-Holsteins gegen Dänemark verwertete er seine
                              									Erfahrungen, die er bis dahin mit Guttaperchaleitungen gemacht hatte, zur
                              									Konstruktion unterseeischer Minen mit elektrischer Zündung. Wenn diese Minen auch
                              									damals aus Mangel an Initiative der dänischen Flotte nicht voll zur Geltung kamen, so muß Werner Siemens doch das Verdienst zugesprochen werden,
                              									der erste gewesen zu sein, der solche vom Lande aus elektrisch zündbare Minen im
                              									Seekriege verwendet hat.
                           Sehr fesselnd sind die nun folgenden kriegerischen Erlebnisse des Artillerieoffiziers
                              										Werner Siemens, seine Besetzung von Friedrichsort und
                              									die Maßnahmen zur Verteidigung der Häfen von Kiel und Eckernförde.
                           Nach Friedensschluß ergriff ihn indessen die Sehnsucht nach Wiederaufnahme seiner
                              									wissenschaftlich-technischen Tätigkeit in Berlin, und freudigen Herzens nahm er das
                              									Anerbieten des Handelsministeriums an, eine unterirdische Telegraphenlinie von
                              									Berlin nach Frankfurt a. M. zu legen. Die Schwierigkeiten, die sich ihm bei dieser
                              									Arbeit entgegenstellten und die in den damals noch vollkommen unbekannten
                              									elektrischen Eigenschaften unterirdischer Leitungen bestanden, welche sich erst mit
                              									wachsender Länge dieser Leitungen bemerkbar machten, überwand er durch systematisch
                              									angestellte Experimente. Er war es, der bei dieser Gelegenheit als erster die
                              									Beobachtung der elektrostatischen Ladung solcher Leitungen machte und Mittel und
                              									Wege fand, die dadurch bedingten Störungen zu beseitigen, er war es, der die
                              									Schwierigkeit der Isolation oberirdischer Leitungen durch den glockenförmigen
                              									Porzellanisolator überwand und die Apparate vor atmosphärischen Entladungen durch
                              									die ersten Plattenblitzableiter sicherte. Kurz, es trat eine Fülle von Störungen
                              									auf, die er mit sicherem Blick erkannte und mit geschickter Hand beseitigte, und die
                              									Mittel, deren er sich hierbei bediente, sind in der großen Mehrzahl noch heute im
                              									Gebrauch. So hatte er die Genugtuung, daß diese erste größere Telegraphenlinie der
                              									Welt schon im Winter des Jahres 1849 in Betrieb genommen werden konnte.
                           Durch dieses günstige Resultat ermutigt, beschloß die preußische Regierung den Bau
                              									weiterer Linien von Berlin nach Cöln, Hamburg und Breslau, und Werner Siemens erklärte sich bereit, auch hier die Bauleitung zu
                              									übernehmen, falls er weiteren militärischen Urlaub erhielte, und so wurde schon im
                              									Frühjahr 1849 mit dem Bau begonnen.
                           Da nach Fertigstellung der Linie Berlin-Cöln und Verviers die Militärbehörde in eine
                              									weitere Verlängerung seines Kommandos zur Dienstleistung beim Handelsministerium
                              									nicht willigen wollte, so trat an Werner Siemens die
                              									Entscheidung heran, entweder in den aktiven Militärdienst zurückzutreten oder zur
                              									Staatstelegraphie überzugehen, oder endlich sich ganz der wissenschaftlichen und
                              									technischen Privattätigkeit zu widmen.
                           Er entschloß sich für das letztere, nahm im Juni 1849 seinen Abschied vom Militär und
                              									trat, was er sich vorbehalten hatte, endgültig in die mit Halske gegründete Werkstatt für Telegraphenapparate ein, die sich bereits
                              									unter der Leitung Halskes hohe Anerkennung verschafft
                              									hatte.
                           Trotz des geringen äußeren Ergebnisses seines Militärdienstes, das im Abschied als
                              									Premierleutnant mit der Erlaubnis zum Tragen der Uniform als Armeeoffizier
                              									bestand, sah er doch mit Befriedigung auf diese Zeit zurück, da sie ihm, wie er
                              									selber sagt, den Weg durchs Leben bahnte und ihm durch errungene Erfolge das
                              									Selbstvertrauen zur Anstrebung höherer Lebensziele gab.
                           Es galt jetzt für ihn, das Geschäft, welches seinen Namen trug, durch tüchtige
                              									Leistungen emporzuheben und sich als Mann der Wissenschaft und der Technik
                              									persönliches Ansehen in der Welt zu erringen.
                           Die Fülle von Anregungen, die er bei seiner Dienstleistung im Handelsministerium
                              									erhalten hatte, nahmen zunächst seine ganze Tätigkeit in Anspruch. Vor ihm lag eine
                              									ganze Reihe wissenschaftlicher Aufgaben, deren Lösung das technische Interesse
                              									gebot. So fand er neben seiner praktischen, konstruktiven Tätigkeit noch Zeit zu
                              									Veröffentlichungen, und schon im Jahre 1850 legte er eine Arbeit unter dem Titel:
                              										„Mémoire sur la télégraphie électrique“ der Pariser Akademie der
                              									Wissenschaften vor, die Aufnahme in die „Savants étrangers“ fand und der noch
                              									in demselben Jahre ein Artikel in Poggendorffs Annalen: „Ueber elektrische
                                 										Leitungen und Apparate“ folgte.
                           Eine Differenz mit der Verwaltung der preußischen Staatstelegraphie, welche durch die
                              									von ihm verfaßte Broschüre: „Kurze Darstellung der an den preußischen
                                 										Telegraphenlinien mit unterirdischen Leitungen gemachten Erfahrungen“
                              									hervorgerufen wurde, bildete eine schwere Krisis für das junge Unternehmen und
                              									veranlaßte ihn, sich mehr der Eisenbahntelegraphie zuzuwenden und im Auslande Absatz
                              									für seine Erzeugnisse zu suchen. Dies führte zu einer geschäftlichen Verbindung mit
                              									der russischen Regierung, die bald von großer Bedeutung wurde. Persönliche
                              									Unterhandlungen, die hierdurch notwendig wurden, bewogen ihn im Jahre 1852 zu einer
                              									Reise nach Petersburg. Die Reise ging über Königsberg, wo er einen lange gehegten
                              									Wunsch verwirklichte, indem er sich mit der Tochter seiner Kousine Drumann verlobte, und schon auf der Rückkehr von einer
                              									zweiten Reise nach Petersburg am 1. Oktober 1852 feierte er seine Hochzeit mit Mathilde Drumann in Königsberg.
                           Das russische Geschäft entwickelte sich sehr schnell, und als seiner Firma im
                              									Frühjahr 1853 der Bau eines Eisenbahntelegraphen von Warschau zur preußischen Grenze
                              									übertragen wurde, übergab er seinem Bruder Karl die
                              									Leitung dieses Baues, der die schwierige Aufgabe so befriedigend löste, daß Werner ihm trotz seiner Jugend auch die Leitung der
                              									weiteren dort in Aussicht stehenden Arbeiten übertrug, und der Tatkraft und
                              									Tüchtigkeit seines Bruders Karl hatte er im Wesentlichen
                              									zu verdanken, daß sich das russische Geschäft so schnell entwickelte.
                           Der Ausbruch des Krimkrieges im Frühjahr 1854 brachte der jungen Firma dann so
                              									bedeutende Aufträge, daß sich bald die Errichtung einer Filiale in Petersburg als
                              									notwendig erwies, deren Leitung Karl übernahm.
                           Die erfolgreiche Anwendung der Guttapercha zu unterirdischen Leitungen legte den
                              									Gedanken nahe, sie auch für unterseeische Telegraphenleitungen zu benutzen, und zwar
                              									war es England, das mit der Verwirklichung dieser Idee den Anfang machte. Schon im Jahre 1850
                              									führte Mr. Brett die erste Kabellegung zwischen Dover und
                              									Calais aus; dieses Kabel funktionierte indessen nur kurze Zeit, da es als
                              									ungeschützte Leitung ausgeführt wurde. Ein im Jahre 1851 von Newall & Co., London, mit Eisendrähten
                              									armiertes Kabel, welches längere Zeit gut funktionierte, bildete den Ausgangspunkt
                              									weiterer Unternehmungen auf diesem Gebiete, die indessen zu vielen Mißerfolgen
                              									führten, da ihnen die wissenschaftlichtechnische Grundlage fehlte.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 331, S. 397
                              Das Geburtshaus von Werner v. Siemens in Lenthe (Hannover)
                              
                           Mit dem ihm eigentümlichen Scharfblick erkannte Werner
                                 										Siemens die Wichtigkeit solcher Unternehmungen, und als im Jahre 1856 die
                              									Firma Newall & Co. nach
                              									mehreren vergeblichen Versuchen, ein Kabel von Sardinien nach Bona in Algier zu
                              									legen, an ihn wegen Lieferung der elektrischen Einrichtungen herantrat, schloß er
                              									mit dieser Firma einen Vertrag, die elektrischen Prüfungen bei und nach der Legung
                              									zu übernehmen. Es begann nun für Werner Siemens eine
                              									höchst lehrreiche und fruchtbare Epoche. Die bei der genannten Kabellegung von ihm
                              									entwickelte Theorie legte er erst im Jahre 1874 unter dem Titel „Beiträge zur
                                 										Theorie der Legung und Untersuchung submariner Telegraphenleitungen“ der
                              									Berliner Akademie der Wissenschaften vor.
                           Nicht nur, daß er die Meßinstrumente und Meßmethoden verbesserte und hierdurch eine
                              									systematische Ueberwachung der Kabelfabrikation einrichtete, fand er auch noch Muße,
                              									sich mit den grundlegenden Entdeckungen Faradays zu
                              									beschäftigen, weitere Beweise für deren Richtigkeit beizubringen und die Ergebnisse
                              									seiner eigenen Forschungen in Jahre 1857 in einem epochemachenden Artikel in
                              									Poggendorffs Annalen unter dem Titel: „Ueber die elektrische Induktion und die
                                 										Verzögerung des Stromes in Flaschendrähten“ niederzulegen.
                           Bei den weiteren von der Firma Newall & Co. verlegten Kabellinien von Cagliari nach Malta und
                              									Corfu und von Suez nach Kurrachee in Indien von 3500 Seemeilen Länge fiel ihm die
                              									elektrische Prüfung und die Ausrüstung der Linien mit Apparaten zu, und er
                              									konstruierte für diese letztere Linie ein neues System von Sprechapparaten, das
                              									später mit dem Ramen „Rotes Meersystem“ bezeichnet und von ihm im Jahre 1859
                              									unter dem Titel „Apparate für den Betrieb langer Unterseelinien“ in der
                              									deutsch-österreichischen Telegraphen-Zeitschrift veröffentlicht wurde. Auch war er
                              									der erste, der zur Ermöglichung einer schnellen und sicheren Verständigung auf
                              									langen Unterseelinien den Kondensator als Hilfsmittel verwendete.
                           Eine Fehlerbestimmung, die nach dieser Legung notwendig wurde, und die er
                              									glänzend durch Widerstandsmessungen löste, führte ihn auf die Notwendigkeit eines
                              									festen Maßes für den elektrischen Leitungswiderstand, und wie er alles, was er ins
                              									Auge faßte, gründlich anpackte, so machte er auch hier dem bis dahin bestehenden
                              									Wirrwarr ein Ende. Er erkannte die Unzulänglichkeit der bis dahin gebräuchlichen
                              									Widerstandseinheiten, welche auf unsicheren und willkürlichen Festsetzungen beruhten
                              									und stellte eine genau reproduzierbare Widerstandseinheit her, indem er dieser ein
                              									Metall zugrunde legte, das stets in vollständiger Reinheit leicht erhältlich war und
                              									daher keinen Veränderungen unterliegen konnte. Er wählte als Widerstandseinheit den
                              									Widerstand eines Quecksilberfadens von 1 mm2
                              									Querschnitt und 1 m Länge bei 0° C, die noch heute mit geringer Modifikation die
                              									Grundlage der reproduzierbaren Widerstandseinheit bildet. Denn wenn auch auf
                              									Betreiben von englischer Sehe später doch die cgs-Einheit des Widerstandes im
                              									Prinzip als internationales Widerstandsmaß angenommen wurde, so kann man doch nicht
                              									bestreiten, daß man bei der Reproduktion des Ohm der Einfachheit halber stets auf
                              									die Siemenssche Quecksilbereinheit zurückgreifen
                              									wird.
                           Im Jahre 1860 waren seine Arbeiten so weit gediehen, daß er mit seinem Vorschlage an
                              									die Oeffentlichkeit treten konnte, und es geschah dies in einem Aufsatz in
                              									Poggendorffs Annalen „Vorschlag zu einem reproduzierbaren
                                 									Widerstandsmaße“.
                           Es ist dies eines der prägnantesten von den vielen Beispielen, wo Werner Siemens durch seine technische Tätigkeit
                              									Anregungen erhielt, welche ihn durch energisches und zielbewußtes Angreifen zu
                              									ungeahnten Erfolgen auf wissenschaftlichem Gebiete führten, die ihn auch als
                              									wissenschaftliche Größe ersten Ranges kennzeichnen.
                           Wenn nun auch die ersten Kabellegungen nicht immer so glücklich endeten, daß sie der
                              									jungen Firma großen materiellen Gewinn einbrachten, sondern teilweise mit
                              									erheblichen Verlusten verbunden waren, so betrachtete er diese Zeit doch als seine
                              									eigentlichen Lehrjahre, und wie groß der ideelle Gewinn aus ihnen war, das zeigen
                              									nicht nur die Erfolge seiner Londoner Firma, sondern auch seine späteren
                              									wissenschaftlich-technischen Arbeiten.
                           Im Jahre 1859 wurde Werner Siemens zum Mitgliede des
                              									Aeltestenkollegiums der Berliner Kaufmannschaft gewählt, was ihn mit den Berliner
                              									Industriellen in nähere persönliche Verbindung brachte, und seine 1860 erfolgte
                              									Promotion zum Doktor honoris causa der philosophischen Fakultät erfreute ihn vor
                              									allem deswegen, weil er in ihr eine Anerkennung seiner wissenschaftlichen Leistungen
                              									erblicken konnte.
                           Auch zu politischer Tätigkeit fand dieser regsame Geist noch Zeit, indem er die auf
                              									ihn im Jahre 1864 gefallene Wahl zum Abgeordneten für den Bezirk Solingen-Remscheid
                              									annahm. Diese Tätigkeit brachte ihn indessen in seelischen Zwiespalt mit seiner
                              									militärischen Vergangenheit, und da die glückliche Beendigung des Krieges mit
                              									Oesterreich ihn seine und seiner Parteigenossen Irrtümer erkennen ließ, so gab er
                              									bald darauf seine politische Tätigkeit auf und widmete sich mit um so größerem Eifer
                              									wieder seinen wissenschaftlich-technischen Untersuchungen.
                           Inzwischen war ein Wechsel in der Leitung der preußischen Staatstelegraphie
                              									eingetreten, der seine Firma wieder in nähere Verbindung mit dieser Behörde gebracht
                              									hatte, und da gleichzeitig in Rußland sein alter Freund und Gönner Oberst v. Lüders wieder leitender Direktor der Staatstelegraphen
                              									geworden war, so faßte Werner Siemens den kühnen Plan,
                              									eine Telegraphenlinie zwischen England und Indien, durch Preußen, Rußland und
                              									Persien, die Indo-europäische Linie zu bauen.
                           Die Ausführung dieser Idee nahm jetzt seine ganze Tätigkeit in Anspruch und nötigte
                              									ihn zu umfangreichen Reisen nach dem Kaukasus, nach Konstantinopel usw.
                           Als dann im Zusammenwirken des Berliner, des Londoner und Petersburger Hauses, welch
                              									letzteren seine Brüder William und Karl vorstanden, dieser gewaltige Plan im Jahre 1869 durchgeführt war, da
                              									hatte sich die von ihm gegründete Firma zu einem Welthause ersten Ranges entwickelt,
                              									das weit über die Grenzen des Deutschen Reichs Macht und Ansehen genoß.
                           In diese Zeit fällt auch die Entdeckung des dynamoelektrischen Prinzips durch Werner Siemens, gelegentlich seiner Bemühungen im Herbst
                              									des Jahres 1866, die elektrischen Zündvorrichtungen mit Hilfe seines
                              									Zylinderinduktors zu vervollkommnen. Sein Gedankengang, der dabei alle bisherigen
                              									Bestrebungen zur Verbesserung der mechanischen Stromerzeuger berührte, führte ihn
                              									auch auf die Beobachtung an elektromagnetischen Maschinen, d.h. von einer Batterie
                              									getriebenen Motoren, daß nämlich die in ihrer Wicklung entstehenden Gegenströme die
                              									Wirkung der Batterie schwächten. Das brachte ihn auf den Gedanken, eine Verstärkung
                              									des Batteriestromes dadurch hervorzurufen, daß die Maschine durch eine äußere
                              									Arbeitskraft in umgekehrter Richtung gedreht wurde. Der Versuch bestätigte diese
                              									Vermutung, und es zeigte sich, daß die Batterie für den Stromerzeuger ganz zu
                              									entbehren war, da in den Elektromagneten Magnetismus genug zurückblieb, um einen
                              									Anfangstrom zu liefern, der durch die Wechselwirkung zwischen den Elektromagneten
                              									und dem Induktor schnell so anwuchs, daß die Maschine ganz überraschende Wirkung
                              									ergab. Im Dezember 1866 führte er eine solche Maschine den Berliner Physikern Magnus, Dove, Rieß und du
                                 										Bois-Reymond vor, wobei sich Magnus erbot, eine
                              									Beschreibung dieser Erfindung der Berliner Akademie der Wissenschaften vorzulegen,
                              									was indessen wegen der Weihnachtsferien erst am 17. Januar 1867 geschehen
                              									konnte.
                           Die Prioritätsansprüche von anderer Seite, die in der Folge geltend gemacht wurden,
                              									so die von Wheatstone, der einen ähnlichen Apparat am 15.
                              									Februar 1867 in der Royal Society vorführte, und die von Varley, der schon im Herbst 1866 einen ebensolchen Apparat bei einem
                              									Mechaniker in Bestellung gegeben haben wollte, stellen sich bei näherer Betrachtung
                              									als unbegründet heraus. Die Erfindung lag zwar in der Luft, wie man in solchen
                              									Fällen zu sagen pflegt, wenn gleichzeitige Bemühungen von verschiedenen Seiten
                              									demselben Ziele zustreben, das Verdienst aber, sie zuerst praktisch ausgeführt und
                              									in den Mitteilungen der Berliner Akademie theoretisch begründet zu haben, gebührt
                              									allein Werner Siemens.
                           Im Jahre 1868 zog sich sein alter Freund Halske aus der
                              									Firma zurück, und es wurde eine gänzliche Umgestaltung des Hauses vorgenommen. Aus
                              									der Londoner Firma, die sich unter der Leitung seines Bruders Wilhelm schnell entwickelt hatte, der Petersburger Firma, der bis dahin
                              									sein Bruder Karl vorstand, und der Berliner Firma wurde
                              									ein Gesamtgeschäft gebildet. Das Londoner Haus unter der Firma Siemens Brothers & Co. wandte nun sein
                              									Augenmerk besonders auf die Kabelfabrikation und stellte sich die Aufgabe, das
                              									Monopol des inzwischen in England gebildeten großen Kabelringes zu brechen, indem
                              									sie selbst große Kabelanlagen übernahm.
                           So wurden in den Jahren 1870 bis 1884 unter tätiger Mitwirkung von Werner Siemens nicht weniger als sechs transatlantische
                              									Kabel von dieser Firma verlegt, wodurch ihr Ansehen in den englischen
                              									Geschäftskreisen auf eine gewaltige Höhe stieg und der unter den Auspizien Sir William Penders gebildete englische Kabelring Globe
                              									gebrochen wurde.
                           Wenn nun Werner Siemens auch nach diesen großartigen
                              									geschäftlichen Erfolgen sein Lebenswerk noch nicht für abgeschlossen hielt, so
                              									konnte er sich doch jetzt mit größerer Muße seinen wissenschaftlichen Neigungen
                              									widmen. Hierzu kam, daß er im Jahre 1874 zum ordentlichen Mitgliede der Berliner
                              									Akademie der Wissenschaften gewählt wurde. Der Eintritt in den engen Kreis der
                              									hervorragendsten Männer der Wissenschaften mußte ihn, wie er selbst sagt, in hohem
                              									Maße erheben und zu wissenschaftlichem Tun anspornen, und da die Mitglieder in
                              									feststehender Reihenfolge der Akademie Vorträge halten mußten, so zwang ihn diese
                              									Verpflichtung zum Abschluß von Arbeiten, die er unter anderen Umständen vielleicht
                              									unvollendet gelassen hätte.
                           Nachdem ihm seine erste Frau im Jahre 1865 durch den Tod entrissen war, heiratete er
                              									im Jahre 1869 Antonie Siemens, eine entfernte Verwandte,
                              									die wieder warmen Sonnenschein in sein arbeitsvolles Leben brachte und ihm bis zu
                              									seinem Tode eine liebevolle Gefährtin gewesen ist.
                           Durch die wissenschaftliche Tätigkeit, die ihn seit seiner Ernennung zum
                              									Akademiemitgliede in Anspruch nahm, ließ er sich indessen von seinen geschäftlichen
                              									Obliegenheiten nicht abhalten. Als treu sorgender Wohltäter seiner Beamten gründete
                              									er im Jahre 1872 bei Gelegenheit des 25-jährigen Geschäftsjubiläums der Berliner
                              									Firma eine Pensionskasse mit einem Grundkapital von 60000 Thalern und der weiteren
                              									Verpflichtung, für jeden Arbeiter jährlich 5 und für jeden Beamten jährlich 10
                              									Thaler zu zahlen. Ferner betätigte er sich auch an dem Zustandekommen des
                              									Reichspatentgesetzes und folgte dann auch der Aufforderung, dem Patentamte als
                              									Mitglied beizutreten, im Verfolg welcher Tätigkeit er dann vom Fürsten Bismarck zum
                              									Geheimen Regierungsrat vorgeschlagen wurde, was er dankend annahm. Bei dieser
                              									Gelegenheit möge nicht unerwähnt bleiben, daß er den ihm früher zugedachten Geheimen
                              									Kommerzienrat mit der Begründung ablehnte, daß sich Dr. phil. h. c. und
                              									Kommerzienrat nicht vertrügen, das mache ja Leibschmerzen.
                           Auch an der Gründung des elektrotechnischen Vereines war Werner
                                 										Siemens wesentlich beteiligt, doch die Krone setzte er seiner
                              									wissenschaftlichen Tätigkeit auf durch die Verwirklichung einer von ihm lange
                              									gehegten Lieblingsidee, nämlich der Gründung eines Instituts für
                              									naturwissenschaftliche Forschung, indem er der Reichsregierung das Anerbieten
                              									machte, ihr ein für diesen Zweck geeignetes Grundstück oder den entsprechenden
                              									Kapitalbetrag zur Verfügung zu stellen. Dieser Vorschlag fand die Genehmigung der
                              									Reichsregierung, und so entstand durch seine Anregung die Physikalisch-Technische
                              									Reichsanstalt.
                           Waren seine wissenschaftlichen Studien bisher eng mit seinen technischen Arbeiten
                              									verknüpft, und die ersteren gewissermaßen als Ergänzung der letzteren anzusehen, so
                              									führten ihn seine letzten Lebensjahre mehr allgemeinen Fragen zu, indem seine
                              									wissenschaftliche Betätigung einem inneren Bedürfnisse folgend sich mehr und mehr
                              									nach der philosophischen Richtung hinneigte. Geologische, astronomische und
                              									meteorologische Probleme waren es, mit denen er sich nun in seinen Mußestunden
                              									beschäftigte und seine letzten Veröffentlichungen „Ueber das allgemeine
                                 										Windsystem der Erde“ – „Zur Frage der Ursachen der atmosphärischen
                                 										Ströme“ – „Ueber das Leuchten der Flamme“ – „Ueber die
                                 										Zulässigkeit eines elektrischen Sonnenpotentials und dessen Bedeutung zur
                                 										Erklärung terrestrischer Phänomene“ legen beredtes Zeugnis dafür ab, daß
                              									trotz seiner großartigen technischen Erfolge sein Hauptinteresse doch der
                              									Wissenschaft und in letzter Linie der rein idealen Forschung gewidmet war.
                           Zum Schluß mögen noch einige Mitteilungen über Werner
                                 										Siemens' persönliche Eigenart hier Platz finden, da ich den Vorzug hatte,
                              									ihm besonders nahe zu treten und in den Jahren 1886 bis 1888 bei seinen
                              									wissenschaftlichen Arbeiten behilflich zu sein.
                           Werner Siemens war energisch, ohne rücksichtslos zu sein.
                              									Diese letztere Eigenschaft, die heute fast allein Erfolge im Leben zu zeitigen
                              									scheint, fehlte ihm vollständig. Treffender, als er es selbst in seinen
                              									Lebenserinnerungen getan hat, könnte ihn niemand schildern. Zu seinen
                              									Charakterschwächen rechnete er selbst die übergroße Gutmütigkeit, die es ihm
                              									ungemein schwer machte, eine an ihn gerichtete Bitte abzuschlagen, und wenn er
                              									selbst hinzufügt, daß dieser für einen Geschäftsmann und Dirigenten vieler Leute
                              									sehr störenden Eigenschaft die andere gegenüberstand, daß er sehr leicht in Zorn
                              									versetzt werden konnte, so wußten allerdings seine Untergebenen, von denen er
                              									übrigens vergöttert wurde, auch hiervon ein Lied zu singen. Er hieß bei ihnen
                              										„der liebe Gott“ wohl im Hinblick auf das Wohltun beim Hallen seiner
                              									Gebote, wobei aber auch der Hinweis: „denn ich, der Herr, Dein Gott, bin ein
                                 										starker und eifriger Gott“ keine untergeordnete Rolle spielte. Dieser Zorn
                              									verrauchte indessen ebenso schnell, wie er gekommen war und hatte nie nachteilige
                              									Folgen.
                           Wie weit sein wissenschaftliches Interesse selbst bei scheinbar unwichtigen Dingen
                              									ging, davon noch eine Probe: Er hatte mich mit Versuchen über das elektrische
                              									Erdpotential betraut, wobei seine Theorie des Erdmagnetismus, den er aus den Rowlandschen Konvektionströmen herzuleiten bemüht war,
                              									eine Rolle spielte. Hierzu erwies sich die Wiederholung des Rowlandschen Versuchs der Ablenkung einer Magnetnadel durch
                              									Konvektionströme als notwendig. Da die Wiederholung dieses Versuchs bisher noch
                              									niemandem geglückt war, so war eine solche zunächst wünschenswert. Diese Versuche
                              									wurden von ihm mit größtem Interesse verfolgt, und da die Vorbereitungen dazu
                              									ziemlich lange Zeit in Anspruch nahmen, so stieg seine Ungeduld von Tag zu Tag mehr.
                              									Als ich ihm endlich ein positives Resultat mitteilen konnte, befand er sich gerade
                              									auf einem Spaziergange in seinem Park mit dem amerikanischen Politiker Karl Schurz. Nichtsdestoweniger suchte er mich sofort im
                              									Laboratorium auf und gab seiner Befriedigung über das Gelingen dadurch Ausdruck, daß
                              									er sagte: „Ich mußte das sofort sehen, denn wenn ich bis morgen darüber
                                 										hinwegsterben würde, so wäre ich um ein interessantes Erlebnis
                                 									gekommen“.
                           Zum Erzieher der Jugend eignete er sich vielleicht weniger, wie folgender Vorfall
                              									beweist. Als seine Gattin sich eines Tages über das Betragen seines jüngsten,
                              									ziemlich wilden Sprößlings Karl beklagte und energisches
                              									Einschreiten von ihm verlangte, tröstete er sie lächelnd mit den Worten: „Liebe
                                 										Toni, ganz wie ich!“
                           Werner Siemens konnte am Schlusse seines Lebens mit
                              									Befriedigung auf sein Lebenswerk zurückblicken. Nicht nur eine Weltfirma hatte er
                              									geschaffen, deren Lebensfähigkeit außer allem Zweifel stand, nicht nur die höchsten
                              									Ehrungen wurden ihm zu Teil, zu denen auch noch die Erhebung in den erblichen
                              									Adelsstand kam, sondern auch der Wunsch, der wie ein Leitstern ihn sein ganzes Leben
                              									hindurch beseelt hatte, für seine Geschwister zu sorgen und ihnen eine sorgenlose
                              									Zukunft zu sichern, war glänzend in Erfüllung gegangen.
                           Wie er seine Lebenserinnerungen mit dem Psalmwort: „Unser Leben währet siebenzig
                                 										Jahre und wenn es hochkommt, so sind es achtzig Jahre“ begann, so konnte er
                              									sie mit den Worten abschließen: „und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe
                                 										und Arbeit gewesen“, Ja, Mühe und Arbeit war sein Leben, aber köstlich war
                              									es, da diese Mühe und Arbeit nicht umsonst gewesen, ist. Seine Arbeit werden ihm
                              									noch künftige Generationen danken, die auf seiner Grundlage weiterbauen an
                              									einem Werk, dessen Schöpfer allen in Erinnerung bleiben wird.