| Titel: | Werner Siemens' wissenschaftliche Tätigkeit. | 
| Autor: | E. Budde | 
| Fundstelle: | Band 331, Jahrgang 1916, S. 400 | 
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                        Werner Siemens' wissenschaftliche Tätigkeit.
                        Von Professor Dr. E. Budde, Berlin-Wilmersdorf.
                        BUDDE: Werner Siemens' wissenschaftliche Tätigkeit.
                        
                     
                        
                           Es ist nicht ganz leicht, die rein wissenschaftlichen Leistungen Werner Siemens' von seinen technischen zu trennen, da ja
                              									sein Lebenswerk gerade dadurch so bedeutend wurde, daß er stets darauf ausging, die
                              									technischen Arbeiten auf wissenschaftliche Erkenntnis zu stützen. Wir wollen hier
                              									speziell diejenigen Schriften in Betracht nehmen, in welchen er rein
                              									wissenschaftliche Beobachtungen und Betrachtungen veröffentlicht oder neue
                              									Hilfsmittel der Messung und Begriffsbildung angegeben hat.
                           Die Reihe beginnt mit einer Abhandlung „Ueber die Anwendung der erhitzten Luft als
                                 										Triebkraft“,D. p. J. Bd. 97 S.
                                    											324. 1845. welche in dieser Zeitschrift erschienen ist. Er lenkt
                              									in dieser Schrift die Aufmerksamkeit der Deutschen auf eine in Dundee aufgestellte
                              									Heißluftmaschine und versucht, nach einer brieflichen Mitteilung, die ihm aus
                              									England zugegangen war, die Funktion derselben klar zu stellen. Die Mitteilung
                              									scheint aber mangelhaft gewesen zu sein, und zu einer wirklichen Theorie der
                              									Maschine fehlte damals die unentbehrliche Grundlage, die mechanische Wärmelehre. Was
                              									heute noch an dem Aufsatz interessiert, ist weniger der beschreibende Inhalt, als
                              									die Begeisterung des wissenschaftlichen Technikers für neue fruchtbare Gedanken von
                              									allgemeiner Bedeutung.
                           In demselben Jahre berichtet er über „Die Anwendung des elektrischen Funkens zur
                                 										Geschwindigkeitsmessung“.Pogg. Ann. 66, 435; 1845. Er selbst
                              									bezeichnet den Plan, elektrische Funken zur Geschwindigkeitsmessung zu benutzen, als
                              									einen „früheren“, sein Grundgedanke ist also älter als 1845, doch liegt keine
                              									nähere Andeutung über die Zeit der Entstehung vor. Sein Chronoscop ist einfach ein
                              									genau gearbeiteter rotierender Zylinder von poliertem Stahl, dem eine isolierte
                              									Metallspitze gegenübersteht, und die grundlegende Bemerkung ist die, daß der durch
                              									irgend ein Ereignis ausgelöste elektrische Funke den Zeitpunkt des Ereignisses
                              									schneller und schärfer markiert als irgend eine mechanische Vorrichtung, welche
                              									stets Trägheit und Reibungshindernisse zu überwinden hat. Seine Versuche hatten ihn
                              									gelehrt, daß jeder, wenn auch schwache Funke, auf dem Stahl einen scharf begrenzten
                              									und deutlich sichtbaren Punkt macht. Damit ist das Prinzip gegeben: Man kann auf dem
                              									Zylinder Sekundenpunkte markieren und läßt durch die zu beobachtende Erscheinung
                              									einen Funken auslösen, der sich gleichfalls auf dem Zylinder abzeichnet. Teilt
                              									man den Umfang des Zylinders in 1000 Teile, läßt ihn zehn mal in der Sekunde
                              									umlaufen und schätzt noch Zehntel des Abstandes zwischen zwei Teilstrichen, so kommt
                              									man auf eine Genauigkeit von 0,00001 Sekunden. Als Hauptfehlerquelle betrachtet er
                              									etwaige Unregelmäßigkeiten der Drehung des Zylinders, bemerkt aber gleich, daß diese
                              									bei der großen Drehgeschwindigkeit durch die Trägheit unschädlich gemacht
                              									werden.
                           Die ganze Einrichtung ist zunächst auf die Messung von Geschoßgeschwindigkeiten
                              									zugeschnitten, doch verweist er selbst auf andere Anwendungen, insbesondere auf die
                              									Messung der damals noch recht ungenau bekannten Geschwindigkeit, mit welcher
                              									elektrische Störungen in Metalldrähten fortschreiten. Diesen Gedankengang hat er
                              									später wieder aufgenommen und berichtet über seine diesbezüglichen Versuche in einer
                              									Abhandlung, welche den Titel führt: „Messung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit
                                 										der Elektrizität in suspendierten Drähten“.Ber. d. Berl. Akad. 6. Dezember
                                    										1875. Das Chronoscop ist im wesentlichen dasselbe geblieben, nur ist
                              									der Stahlzylinder berußt, um die Funkenmarkierungen deutlicher hervortreten zu
                              									lassen. Der Körper des Chronoscops wird an Erde gelegt, und es werden zwei Leydener
                              									Flaschen, deren äußere Belege leitend miteinander verbunden sind, isoliert
                              									aufgestellt; die inneren Belege beider Flaschen sind mit dem funkengebenden Stift
                              									des Chronoscops verbunden, und zwar eine durch einen ganz kurzen Draht, die andere
                              									durch eine Telegraphenleitung von rund 3½ bis 25 km Länge. Verbindet man die äußeren
                              									Belegungen beider Flaschen plötzlich mit der Erde, so entladen sich beide durch den
                              									Stift, und zwar die eine auf dem Wege von verschwindender Länge, die andere auf dem
                              									langen Wege durch die Telegraphendrähte. Es entstehen also auf dem Stahlzylinder
                              									zwei Funkenmarken, deren Abstand die Zeit angibt, um welche die Entladung durch den
                              									langen Draht hinter derjenigen durch den kurzen Draht zurückbleibt. Er findet für
                              									eiserne Drähte von 25⅓, 23⅓ und 3⅓ km Länge Verzögerungen, welche auf eine lineare
                              									Fortpflanzungsgeschwindigkeit von 202600–241800 km/sec–1 schließen lassen. Seine Zahlen kommen der Lichtgeschwindigkeit näher
                              									als diejenigen von Fizeau und Gounelle, welche damals als die besten galten. Sowohl im Titel wie im Text
                              									spricht er von Fortpflanzungsgeschwindigkeit schlechthin; er ist sich aber klar
                              									darüber, daß die
                              									Größe, welche eigentlich gemessen wird, nicht eine reine
                              									Fortpflanzungsgeschwindigkeit ist, sondern daß das gemessene Zeitintervall die
                              									Differenz derjenigen Zeiten bedeutet, in welchen die funkengebende Spitze bis zur
                              									Schlagweite geladen wird. Er hat auch früher schon die Kapazitätsladung der Drähte
                              									erkannt, bestimmt die Verzögerung, welche durch diese hervorgebracht wird, und
                              									findet, daß sie im gegenwärtigen Fall nur einen sehr kleinen Bruchteil der
                              									gemessenen Gesamtverzögerung ausmacht, daß also die Verzögerung in der Hauptsache
                              									tatsächlich auf die Leitung durch den langen Eisendraht zurückgeführt ist. Er plant
                              									auch Versuche mit Kupferdrähten, die aber nicht zur Ausführung gekommen zu sein
                              									scheinen. Nebenher wird beobachtet, daß die Flaschenentladung auf der berußten
                              									rotierenden Stahlfläche nicht eine Marke, sondern eine
                              									Reihe von Marken zurückläßt. Bei dem kurzen Draht mag die Oszillation der Entladung
                              									mitgespielt haben; für die Erscheinung, welche sich bei der Benutzung des langen
                              									Drahtes herausstellt, gibt er eine rationelle Erklärung durch den Umstand, daß der
                              									Funkenkanal von dem rotierenden Zylinder bis zu einer gewissen Grenze mit
                              									fortgeführt wird. Findet also ein kontinuierlicher Nachschub von Elektrizität an die
                              									Spitze statt, so wird sich der Kanal zuerst verlängern, dann abkühlen und abreißen,
                              									und ein neuer Funke wird unmittelbar unter der Spitze einsetzen.
                           Die Anfänge zu weiteren Aufschlüssen von erheblicher Tragweite finden sich in seinem
                              									ersten Artikel über telegraphische Leitungen und Apparate.Pogg. Ann. 79, 481;
                                    											1850. Dieser ist zum Teil technischen Inhalts und führt
                              									insbesondere die nahtlos umpreßten Guttaperchadrähte ein, eine Tat, die sich
                              									bekanntlich auch für die Praxis der physikalischen Experimente als hervorragend
                              									wichtig erwiesen hat. Ferner werden zum ersten Male die Erscheinungen erwähnt,
                              									welche die atmospärische Elektrizität, auch abgesehen von Gewittern, an isoliert
                              									aufgehängten Luftleitungen hervorruft. Es wird erkannt, daß die Störungen in
                              									bergigen Gegenden stärker sind als in der Ebene, sowie auch, daß sie durch Regen und
                              									namentlich durch Schneefall verstärkt werden. Auch sind schon Ströme erwähnt, die
                              									durch Schwankungen des Erdmagnetismus (zunächst nur bei Nordlichtern; später werden
                              									auch Erdströme erwähnt, die ohne Nordlicht auftreten), in unterirdischen Leitungen
                              									induziert werden.
                           Dann aber folgt erstens die Methode zur Berechnung der Lage eines Isolationsfehlers
                              									in einem unterirdischen Kabel. Diese wird in zwei späteren Aufsätzen „Umriß der
                                 										Prinzipien und des praktischen Verfahrens bei der Prüfung submariner
                                 										Telegraphenleitungen auf ihren Leitungszustand“ von W. Siemens und C. William Siemens,British Association Oxford, 3. Juli
                                    										1860. und „Beiträge zur Theorie der Legung und Untersuchung
                                 										submariner Telegraphenleitungen“Ber. d.
                                    											Berl. Akad. 17. Dezember 1874. weiter erörtert. Die letztere
                              									dieser beiden Abhandlungen enthält zugleich die Theorie der mechanischen
                              									Vorgänge bei der Legung eines Kabels in tiefem Wasser. Der Inhalt gestattet
                              									keinen kurzen Auszug, man weiß allgemein, daß er grundlegend für die ganze
                              									Telegraphie geworden ist.
                           Zweitens aber findet sich in der Abhandlung vom Jahre 1850 zum ersten Male die
                              									Entdeckung der Kapazitätsladung bei isolierten Drähten, welche in einer leitenden
                              									Umgebung verlegt sind. Der isolierende Ueberzug der Drähte tritt nach dem Ausdruck
                              									von W. Siemens als kolossale Leydener Flasche auf, deren
                              									eine Belegung der Draht, deren andere die Feuchtigkeit des Erdbodens bildet und zu
                              									deren Ladung ein Teil des in den Draht eindringenden elektrischen Stromes verwendet
                              									wird. In der zitierten Abhandlung betrachtet er diese Erscheinung zunächst vom
                              									praktischen Gesichtspunkt aus. Später aber führt er seine Bemerkungen weiter aus in
                              									einem Artikel über die elektrostatische Induktion und die Verzögerung des Stromes in
                              										Flaschendrähten.Pogg. Ann. 102, 66; 1857. In diesem
                              									Aufsatz ist er zu der Erkenntnis fortgeschritten, daß auch oberirdische Leitungen
                              									mit der gegenüberliegenden Erde einen Kondensator bilden, dessen Dielektrikum die
                              									Luft darstellt, daß also auch sie eine Kapazitätsladung annehmen. Um die Bedeutung
                              									seiner Leistung zu würdigen, muß man sich den damaligen Stand der Theorie in
                              									Deutschland vergegenwärtigen. William Thomson hatte kurz
                              									vorher seine bekannten Abhandlungen über die peristaltische Bewegung der
                              									Elektrizität in Kabeln veröffentlicht. Die technische Frage war dadurch in der
                              									Hauptsache erledigt, und Siemens wendet sich mehr der
                              									rein wissenschaftlichen Seite zu. Die Anschauungen Faradays fingen an, sich in Deutschland zu verbreiten, fanden aber bei uns
                              									nur langsam Aufnahme und noch mancherlei Widerspruch; es sei daran erinnert, wie sie
                              									unter anderen von Peter Rieß bekämpft wurden. Es fehlte
                              									noch der von Maxwell später gelieferte Nachweis, daß
                              									Fernwirkungstheorie und Nahewirkungstheorie in letzter Linie zu den gleichen
                              									ponderomotorischen und elektromotorischen Ergebnissen führen – sie unterscheiden
                              									sich im Grunde nur dadurch, daß die eine die Wirkung an den greifbaren Objekten, die
                              									andere aber dieselbe Wirkung am kraftübertragenden Medium beziffert. Diese
                              									Auffassung war noch nicht klar durchgebildet. Man wußte auch schon seit Volta, daß zwischen der „Volta-Elektrizität“ und
                              									der mittels der Elektrisiermaschine erzeugten kein wesentlicher Unterschied sei.
                              									Aber der Begriff der konstanten Potentialdifferenz zwischen den beiden Polen einer
                              									galvanischen Säule war noch nicht so allgemein eingedrungen, daß man sie nicht noch
                              									gelegentlich als etwas besonderes betrachtet hätte. W. Siemens hatte erkannt, daß gerade diese konstante Potentialdifferenz ein
                              									bequemes Hilfsmittel zur Untersuchung von Kondensatorladungen abgeben würde und
                              									stellte sich die Aufgabe, auf dem reinen Versuchswege die Gesetze der Ladung eines
                              									Kondensators durch Volta-Elektrizität zu finden. Er beschreibt zuerst die
                              									experimentellen Mittel, deren er sich bedient, und stellt dann empirisch die Sätze
                              									fest:
                           
                           1. Die Ladung eines Kondensators durch eine Batterie ist proportional der
                              									elektromotorischen Kraft der Batterie.
                           2. Sie ist unabhängig vom Widerstände der Zuleitungsdrähte und unabhängig von der
                              									Lage des Ortes, an welchem der Zuleitungsdraht die Belegung des Kondensators
                              									berührt.
                           3. Sie wird durch ableitende Berührung eines Batteriepols oder einer Belegung nicht
                              									geändert.
                           Man sieht ohne weiteres, daß die drei Sätze den Satz vom konstanten
                              									Potentialunterschied an den beiden Polen einer Volta-Batterie bestätigen. Dann aber
                              									geht er weiter und bestätigt die von Faraday entdeckte
                              									Abhängigkeit der Ladung von der Dielektrizitätskonstante des Isolators, der die
                              									beiden Belegungen des Kondensators trennt. Er bestätigt ferner die Faradaysche Ansicht, daß ein sogen, geladener Konduktor
                              									stets nur die eine Hälfte eines Kondensators bildet, dessen andere Belegung durch
                              									die Zimmerwände oder die Erdoberfläche dargestellt wird. Kurz, seine Abhandlungen
                              									gestalten sich immer mehr zu einer Apologie der Faradayschen Feldtheorie. Dabei zeigt sich bei ihm ganz deutlich die intuitive
                              									Einsicht, daß, was ponderomotorische und elektromotorische Wirkungen angeht, die
                              									Faradaysche Theorie von der Fernwirkungslehre in ihren Endergebnissen nicht zu
                              									unterscheiden sein würde. Er schreibt „wahrscheinlich wird sich die Bedingung,
                                 										daß die freie Oberfläche der elektrischen Schicht eine Gleichgewichtsfläche sein
                                 										müsse, aus dem Molekularverteilungsgesetz (Nahewirkungstheorie) herleiten lassen
                                 										– wodurch der Widerspruch zwischen beiden Theorien beseitigt würde“.
                              									Bezeichnend für seine praktische Art ist, daß am Schlusse seines Artikels nebenher
                              									die Ozonröhre erfunden wird. Dann kehrt er wieder zur Faradayschen Auffassung zurück und faßt die elektrischen Leiter auf als
                              										„polarisierte Räume im elektrisch polarisierten Medium (Dielektrikum) mit der
                                 										Eigenschaft, die Polarisation ihrer Umgebung von einem Punkte ihrer Grenzfläche
                                 										zu jedem anderen übertragen zu können“, in heutiger Ausdrucksweise als
                              									Lücken im Dielektrikum mit unmerklich kleiner Relaxationszeit.
                           Im gleichen Sinne ist eine spätere Abhandlung über Erwärmung der Glaswand der
                              									Leydener Flasche durch die LadungPogg. Ann. 125, 137; 1864. gehalten.
                              									Er setzt einen Kondensator aus zwei belegten Glasplatten zusammen und legt zwischen
                              									die beiden Platten, also in das Innere des Dielektrikums, eine in isolierenden Kitt
                              									eingebettete Thermosäule. Werden die Belegungen abwechselnd ge- und entladen, so
                              									zeigt die Thermosäule eine sofort beginnende und bei Fortsetzung der Operation
                              									beständig steigende Wärmeerzeugung im Innern des Dielektrikums an. Er zeigt, daß
                              									diese Erwärmung weder durch Leitung, noch durch Kompression, noch auch durch
                              									Rückstandsbildung erklärt werden kann, und beweist damit, daß sie durch die
                              									Polarisation des Dielektrikums hervorgebracht ist.
                           Wir berühren hier eine weitere Abhandlung „Beiträge zur Theorie des
                                 										Eletromagnetismus“,Ber. d. Berl. Akad.
                                    											23. Juni 1881. die mit dem Vorstehenden durch Verwandschaft
                              									der Gesichtspunkte zusammenhängt. Wie früher die Polarisation des Dielektrikums, so
                              									betrachtet er hier die Magnetisierung als molekularen Vorgang, und zieht aus der Ampère-Weberschen Theorie den Schluß: Sind im Eisen
                              									Elementarmagnete in gegebener begrenzter Zahl vorhanden, und beruht die
                              									Magnetisierung darauf, daß diese Elementarmagnete in die gleiche Richtung gedreht
                              									werden, ohne daß ihre Anzahl sich wesentlich ändert, so kann eine magnetisierende
                              									Kraft auf ein und dasselbe Stück Eisen nicht die gleiche Wirkung haben, wenn sie das
                              									eine Mal allein vorhanden ist, und wenn das andere Mal neben ihr bereits eine zu ihr
                              									senkrechte magnetisierende Kraft besteht. Er bestätigt diesen Schluß, indem er ein
                              									Eisenrohr mit zwei Wicklungen umgibt, derart, daß die Windungsebenen der einen
                              									Wicklung senkrecht zur Achse des Rohres stehen, die anderen aber der Achse parallel
                              									sind. Die Wicklungen erster Art magnetisieren also das Rohr longitudinal, diejenigen
                              									zweiter Art tangential. Es zeigt sich, daß der longitudinale Magnetismus bei
                              									unverändertem Strom sofort geschwächt wird, wenn man durch die Windungen zweiter Art
                              									die tangentiale Magnetisierung eintreten läßt. An diesen Versuch knüpft er weiter
                              									theoretische Betrachtungen, auf deren Grundlage wir später noch zurückkommen. Es
                              									gelingt ihm ferner, die Schirmwirkung des Eisens gegen magnetische Kraft
                              									experimentell nachzuweisen.
                           Es folgt nun eine seiner bedeutendsten Taten, die Einführung der Siemenseinheit. Die
                              									Abhandlungen über diesen Gegenstand sind unten zitiert.Werner Siemens,
                                    											Vorschlag zu einem reproduzierbaren Widerstandsmaße, Pogg. Ann. 110, 1; 1860. – Ueber die Widerstandsmaße und die
                                    											Abhängigkeit des Leitungswiderstandes der Metalle von der Wärme. Pogg. Ann. 113, 91; 1861.Poggendorff in Pogg.
                                    											Ann. 120, 512; 1863.W. Siemens. Zur Frage
                                    											der Widerstandseinheit. Pogg. Ann. 127, 327;
                                    											1866. Der Gedanke, daß ein bei gewöhnlicher Temperatur flüssiges
                              									halbedles Metall, und nur ein solches, sich hinreichend homogen und reproduzierbar
                              									erweisen würde, um den besten Etalon für Widerstandsgrößen abzugeben, lag nahe und
                              									war schon vorher geäußert; aber Siemens begnügte sich
                              									nicht mit dem unbestimmten Gedanken, sondern er wies nach, daß Quecksilber sich mit
                              									ausreichender Zuverlässigkeit reinigen läßt und gab gleichzeitig die Maßregeln an,
                              									welche erforderlich sind, um reproduzierbare Ureinheiten mit einer Genauigkeit
                              									herzustellen, welche der Meßgenauigkeit entspricht. Wie er durch Herstellung und
                              									Verbreitung bequemer Widerstandskästen usw. für die Ausbreitung seines rationellen
                              									Meßverfahrens gesorgt hat, ist allbekannt. Die Wohltat, welche er damit dem ganzen
                              									Meßwesen erzeigte, wird seit nahe zwei Generationen als selbstverständlich
                              									hingenommen; nur die älteren Physiker erinnern sich heute noch des Zustandes, aus
                              									welchem sie durch W. Siemens erlöst wurden. Die
                              									durchschlagendste Anerkennung findet sein Vorgehen in der Tatsache, daß das
                              									internationale Ohm noch heute praktisch als 1,06 SE definiert ist.
                           
                           In der gleichen Richtung hat er später weitergearbeitet. Zuerst 1874 durch
                              									Einführung seiner Methode für die direkte Messung des (inneren) Widerstandes
                              									galvanischer Ketten.Pogg. Ann. Jubelband, 445; 1874. Diese
                              									ist jedem Elektriker bekannt. Ferner hat er sich nach den Pariser Konferenzen von
                              									1881 und 1884 bemüht, auch für die in Paris angenommene Viollesche Lichteinheit einen bequemen Etalon zu schaffen. Er weicht
                              									insofern von Violles ursprünglichem Vorschlag ab, als er
                              									nicht die Leuchtkraft des erstarrenden, sondern diejenige des schmelzenden Platins
                              									für die Einheit zugrunde legt. Wenn er damit keinen dauernden Erfolg erzielt hat, so
                              									liegt die Schuld nicht an ihm – sein Etalon ist vielmehr immer noch der beste unter
                              									den damals versuchsweise eingeführten –, sondern daran, daß die Viollesche Einheit längst als wenig brauchbar erkannt
                              									ist. Siemens selbst hatte in Paris die Hefnerlampe als Einheit vorgeschlagen, die sich dann auch
                              									als brauchbares Provisorium erwiesen hat.
                           Um 1865 trat an ihn die Aufgabe der Rohrpostbeförderung heran. Für die Bewältigung
                              									des Problems fehlte noch die wissenschaftliche Grundlage, nämlich Messungen über die
                              									Geschwindigkeiten, welche die Luft in einem Rohr von einigen Kilometern Länge und
                              									einem Durchmesser von etwa 8 cm (3 Zoll) annimmt, wenn zwischen den beiden Enden des
                              									Rohres eine gegebene Druckdifferenz besteht. Diese Lücke füllte er durch eigene
                              									Versuche aus und berichtet darüber in einer Abhandlung über das Bewegungsgesetz der
                              									Gase in Röhren.Zeitschr. d.
                                    											deutsch-österr. Telegraphenvereins 13; 1866. Das Hauptergebnis
                              									ist eine empirische Formel für die Geschwindigkeit v
                              									der Luft in der Entfernung x vom Rohranfang, welche die
                              									Gestalt hat
                           
                              v=a\,\frac{(l-x)\,h_1+x^h}{l}\cdot
                                 										\frac{h-h_1}{h_2}\,\sqrt{\frac{d}{l}}.
                              
                           Darin ist l die Länge des Rohres,
                              										d sein lichter Durchmesser, h der Druck an der Eintrittsöffnung, h1 der Druck an der Austrittsöffnung, und a eine Konstante, welche von der Natur der inneren
                              									Rohrfläche abhängt. Er bestimmt diese Konstante für sein Material zu 15950 und
                              									begründet die in den Messungsergebnissen auftretenden kleinen Abweichungen von der
                              									Formel durch die Adhäsion einer Luftschicht an der metallenen Innenwand des Rohres.
                              									(Der Faktor von a in der Formel ist, wie man leicht
                              									sieht, eine reine Zahl, also gilt der Wert der Konstante a für die damals gebräuchliche Längeneinheit, d.h. für preußische
                              									Fuß.)
                           Weiter folgt 1874 eine Untersuchung über die Abhängigkeit der elektrischen
                              									Leitungsfähigkeit der Kohle von der Temperatur,Ber.
                                    											d. Berl. Akad. 5. Januar 1874. zu der offenbar die Erfindung der
                              									Dynamomaschine und die Bedeutung der Kohle als Stromträger Veranlassung gegeben
                              									hatte. Die Frage, ob der Leitungswiderstand der Kohle bei steigender Temperatur
                              									wächst oder fällt, war damals viel umstritten; Siemens
                              									erkannte die Hauptschwierigkeit: sie liegt darin, daß Kohle, die man in Quecksilber
                              									taucht, mit einer Luftschicht überzogen bleibt, die einen mit der Temperatur
                              									veränderlichen Uebergangswiderstand leistet. Er umging dieses Hindernis, indem er
                              									die Kohle galvanisch verkupferte, wobei die Verkupferungsflüssigkeit selbst die
                              									adsorbierte Luft auflöst. So konnte er für Gasretortenkohle die Beobachtung von Matthiessen bestätigen, daß diese die Elektrizität bei
                              									höherer Temperatur besser leitet, während die Kunstkohlen sich ungleich
                              									verhielten.
                           Im Jahre 1873 wurde die Einwirkung des Lichtes auf die elektrische Leitungsfähigkeit
                              									des Selens bekannt. Sie erregte bei W. Siemens lebhaftes
                              									Interesse und veranlaßte ihn, eingehende UntersuchungenUeber den Einfluß der Beleuchtung auf die Leitungsfähigkeit des kristallinischen Selens, Ber. d. Berl. Akad. 13. Mai 1875.Ueber die Abhängigkeit der elektrischen Leitungsfähigkeit des Selens von Wärme und Licht, Ber. d. Berl. Akad. 17. Feb. 1876
                                    und ebenda 7. Juni 1877.Ueber die von Fritts in New York entdeckte elektromotorische Wirkung des beleuchteten Selens, Ber. d. Berl. Akad. 13. Mai 1875 und 7. Juni 1877. vorzunehmen. Die zahlreichen
                              									Einzelheiten, über die er berichtet, lassen sich nicht wohl kurz wiedergeben. Er
                              									gibt aber zum ersten Mal eine umfassende Uebersicht über die Eigenschaften, welche
                              									das Selen annimmt, wenn es verschiedenen Temperaturen ausgesetzt wird. In der
                              									Hauptsache stellt er fest, daß das Selen in drei Modifikationen existiert. Die
                              									erste, das glasige Selen, entsteht, wenn das geschmolzene Selen schnell auf
                              									gewöhnliche Temperatur abgekühlt wird – wir würden sie heutzutage als
                              									Unterkühlungsprodukt des geschmolzenen Selens bezeichnen. Ihr Leitungswiderstand ist
                              									unmeßbar groß und das Licht wirkt nicht merklich auf sie. Die zweite ist
                              									kristallinisch und entsteht, wenn das Selen auf einer Temperatur zwischen 100 und
                              									160° gehalten wird. Sie ist mäßig lichtempfindlich. Die dritte nennt er metallisch;
                              									sie entsteht bei längerer Erwärmung auf 200 bis 210°, leitet erheblich besser als
                              									die zweite und besitzt die ausgesprochenste Lichtempfindlichkeit. Bei 217° tritt die
                              									Schmelzung ein. Die Leitungsfähigkeit geht wieder herab und steigt bei längerem
                              									Erhitzen langsam. Siemens legt die Verhältnisse in Kurven
                              									dar, untersucht eingehend die merkwürdigen Veränderungen, welche eintreten, wenn man
                              									das Selen längere Zeit auf höherer Temperatur hält, konstatiert (auch gegen
                              									Widerspruch), daß das Selen der einzige bekannte Körper ist, der diese besondere
                              									Lichtempfindlichkeit zeigt, erklärt die Ermüdungserscheinungen dadurch, daß sich bei
                              									längerer Bestrahlung eine weniger durchsichtige Schicht bildet, und bestätigt durch
                              									spätere Versuche die Frittssche Entdeckung, daß im
                              									beleuchteten Selen auch eine elektromotorische Wirkung auftritt. Er dachte von
                              									vornherein daran, den Stoff zur Konstruktion eines objektiven Photometers zu
                              									verwerten, hat auch Selenzellen gebaut, deren Form sich für diesen Zweck eignete,
                              									aber die bekannten großen Unregelmäßigkeiten, welche vom Selen nicht zu trennen
                              									sind, haben, wie jedermann weiß, schließlich dahin geführt, daß die Selenphotometer
                              									keinen dauernden Boden gewonnen haben. Es findet sich bei ihm auch schon der Satz, der in
                              									späteren Versuchen, die Eigenschaften des Selens näher zu deuten, eine große Rolle
                              									spielt: Man muß annehmen, daß ein wesentlicher Teil des Widerstandes des Selens in
                              									den Grenzschichten an den Zuleitungsflächen seinen Sitz hat, und daß diese
                              									Grenzschichten durch den elektrischen Strom elektrolytisch verändert werden.
                           Darüber hinaus findet man in der Abhandlung vom Jahre 1876 einen ersten Versuch zu
                              									einer Theorie der metallischen Leitung. Nach seiner Ansicht soll der Widerstand
                              									wesentlich auf der Wärme beruhen, und die Metalle im festen Zustande sollen keine
                              									latente Wärme enthalten. Gerade darin soll die Bedingung der metallischen Leitung
                              									liegen. Bekanntlich hat Clausius im Jahre 1858 aus den
                              									von Arndtsen gegebenen Zahlen den Satz abgeleitet, daß
                              									der Leitungswiderstand der einfachen Metalle im festen Zustande der absoluten
                              									Temperatur angenähert proportional ist. W. Siemens sieht
                              									in seinem Satz eine Erklärung hierfür, sowie für die weitere Tatsache, daß beim
                              									Schmelzen (und schon in der Nähe des Schmelzpunktes) eine erhebliche Zunahme des
                              									Widerstandes eintritt. Man kann darin eine Vorahnung derjenigen Theorien erblicken,
                              									welche die metallische Leitung durch Konvektion der Elektronen erklären; für diese
                              									besteht das Wesen des Leitungswiderstandes darin, daß die durch die
                              									elektromotorischen Kräfte nach einer bestimmten Richtung verschobenen Elektronen
                              									immer wieder in die Wärmebewegung hineingerissen werden und dadurch ihre einseitige
                              									Verschiebungsgeschwindigkeit immer wieder verlieren. Vom Gesichtspunkte dieser
                              									Theorie aus erscheint der Grundgedanke richtig, daß die Wärme im Metall den
                              									Leitungswiderstand bedinge.
                           Ein Zwischenstück bildet seine Abhandlung über das Leuchten der Flamme,Ber. d. Berl. Akad. 9. November
                                    										1882. welche an eine Sonnentheorie seines Bruders William Siemens anknüpft, aber durchaus unabhängig die
                              									Frage behandelt, ob reine, staubfreie Gase, insbesondere Verbrennungsprodukte, Licht
                              									aussenden. Die Experimente wurden teils an dem gasförmigen Inhalt der Glasöfen von
                              										Friedrich Siemens in Dresden, teils an einem eigens
                              									dazu aufgestellten Apparat vorgenommen. Ihr Ergebnis lautet: Staubfreie Gase senden
                              									auch bei einer Temperatur zwischen 1500 und 2000° C keine merkliche Menge von
                              									sichtbarem Licht aus, wohl aber eine geringe Menge von ultraroten Wärmestrahlen. Er
                              									zieht den weiteren Schluß, daß das Leuchten der (rußfreien) Flamme mit der
                              									chemischen Aktion zusammenhänge. Diese Aktion wird als elektrochemisch aufgefaßt und
                              									demgemäß in Analogie mit dem elektrischen Licht gebracht.
                           Die theoretischen Erwägungen, welche er in der oben erwähnten Abhandlung vom Jahre
                              									1881 anstellte, haben offenbar in ihm nachgewirkt und nach drei Jahren in einer
                              									Abhandlung „Beiträge zur Theorie des Magnetismus“Ber. d. Berl. Akad. 23. Oktober
                                    										1884. eine Frucht getragen, die später sehr bedeutungsvoll wurde. Er
                              									kommt wieder auf die Faradaysche Kraftlinientheorie
                              									zurück und findet als Hauptergebnis die mathematische Analogie zwischen magnetischen
                              									Kraftlinien und elektrischen Stromlinien. Ein in sich geschlossener magnetisierter
                              									Eisenring kann danach formal behandelt werden wie ein in sich geschlossener
                              									stromleitender Ring; dabei entspricht die Kraftlinienzahl der Intensität des
                              									elektrischen Stromes, die magnetisierende Kraft der elektromotorischen Kraft, die
                              									Permeabilität der elektrischen Leitungsfähigkeit. Ist ein Elektromagnet nicht in
                              									sich geschlossen, so laufen die magnetischen Kraftlinien doch in sich zurück und der
                              									umliegende mit nichtmagnetischer Materie erfüllte Raum (evtl. das umgebende Vakuum)
                              									ist dabei einfach mit einer formalen Leitungsfähigkeit, also mit einer Permeabilität
                              									in Rechnung zu setzen, die bedeutend kleiner ist als diejenige des Eisens. Für den
                              									Durchschnitt seiner Versuche setzte er die Permeabilität der Luft vorläufig 500 mal
                              									kleiner als die des Eisens bei mittlerer magnetisierender Kraft. Hiermit war die
                              									Grundlage gegeben, auf der später zuerst von G. Kapp und
                              									dann von den Brüdern Hopkinson die Theorie der
                              									magnetischen Kreise und speziell der Dynamomaschine aufgebaut wurde.
                           Schließlich ist noch ein Blick auf Siemens' Beiträge zur
                              									kosmischen Physik zu werfen. Die „Beschreibung ungewöhnlich starker elektrischer
                                 										Erscheinungen auf der Cheops-Pyramide bei Cairo während des Wehens des
                                 										Chamsins“Pogg. Ann. 109, 355; 1860. stellt
                              									fest, daß der vom Chamsin in die Höhe gewirbelte Wüstensand eine kräftige
                              									elektrische Ladung besitzt, welche durch die Spitzenwirkung der Pyramide gerade auf
                              									ihrem Gipfel besonders merklich wird.
                           Auch der spätere Aufsatz „Physikalisch-mechanische Betrachtungen, veranlaßt durch
                                 										eine Beobachtung der Tätigkeit des Vesuvs im Mai 1878“Ber. d. Berl. Akad. 17. Oktober
                                    										1878. knüpft an eine zufällige Beobachtung an und stellt die
                              									Hypothese auf, daß der Vesuvkrater nicht überhitzte Wasserdämpfe, sondern brennbare
                              									Gase ausstößt, welche sich periodisch mit Luft mischen und dadurch zu den
                              									beobachteten heftigen Explosionen Anlaß geben. Daran schließen sich allgemeine
                              									Betrachtungen über Vulkanismus und Konstitution der Erde, von denen zwei noch
                              									heutigen Tages beachtenswert erscheinen. Die eine bezieht sich auf die Frage, wie es
                              									zugeht, daß die alten Lavawege ruhender Vulkane sich bei späteren Ausbrüchen wieder
                              									öffnen; er findet die Erklärung darin, daß die Lava sich beim Erstarren stark
                              									zusammenzieht und daß dadurch Zerklüftungen und Kanäle entstehen, welche später
                              									brennbaren Gasen, glühenden Wasserdämpfen und schließlich auch neuer Lava den
                              									Durchgang gestatten. Die andere wirft die Frage auf, wie die hochliegenden
                              									Kontinente existieren können, ohne das statische Gleichgewicht zwischen Bergland und
                              									Meeresboden zu stören; er löst sie durch die Annahme, die spezifischen Gewichte der
                              									unter der Erdkruste befindlichen Massen seien so verteilt, daß der Druckunterschied
                              									dadurch ausgeglichen wird. Damit ist eine Theorie angedeutet, die bekanntlich später
                              									von einem ganz
                              									anderen Ausgangspunkt, von den Messungen der Erdschwere, aus aufgestellt wurde.
                           Im Jahre 1883 behandelt SiemensBer. d. Berl. Akad. 31. Mai 1883. Wied. Ann. 20, 108; 1883 die
                              										„Zulässigkeit der Annahme eines elektrischen Sonnenpotentials und dessen
                                 										Bedeutung zur Erklärung terrestrischer Phänomene“ auf Grund einer Abhandlung
                              										„on the conservation of solar energy“ seines Bruders William. Daß die Sonne ein erhebliches elektrisches
                              									Potential hat, ist durch die elektromagnetische Veränderung, welche ihre
                              									Spektrallinien in der Umgebung der Flecken erleiden, in den letzten Jahren
                              									festgestellt worden. W. Siemens behandelt hauptsächlich
                              									die Frage, wie sich die Existenz des Potentials für die Erklärung terrestrischer
                              									Erscheinungen verwenden läßt. Einen kurzen Auszug gestatten seine Betrachtungen
                              									nicht; auch fehlte damals noch die Kenntnis von der Jonisierung der Luft, von der
                              									Kollektorwirkung des Regens, kurz von alledem, was die neuere Forschung zur Theorie
                              									des Gewitters beigebracht hat – und auch damit sind wir heute noch, was die Deutung
                              									der Gewittererscheinungen angeht, sehr im Rückstande.
                           Zuletzt folgt seine AbhandlungBer. d.
                                    											Berl. Akad. 4. März 1886, Wied. Ann. 28, 263;
                                    											1886.
                              									„Ueber die Erhaltung der Kraft im Luftmeere der Erde“. Die Buys-Ballotsche Beschreibung der irdischen
                              									Windverhältnisse durch zyklonische und antizyklonische Regionen genügt ihm nicht; er
                              									verlangt einen Nachweis für die Entstehung der barometrischen Maxima und Minima und
                              									für die Energiemenge, welche in ihnen zur Erscheinung gelangt. Zu dem Ende
                              									rekonstruiert und erweitert er die Dovesche Theorie der
                              									Aequatorial- und Polarströmungen und fügt den Gedanken hinzu, daß der obere vom
                              									Aequator kommende Strom auf die unteren Schichten eine Saugwirkung ausübt,
                              									ähnlich derjenigen, die man erhält, wenn man einen künstlichen Luftstrom
                              									rechtwinklig über die Oeffnung eines Glasrohres hingehen läßt. Die
                              									Unregelmäßigkeiten in der Verteilung der Minima finden ihren Grund in gelegentlichen
                              									Anstauungen der allgemeinen Strömungen. Ist dadurch einmal an irgend einer Stelle
                              									ein Auftrieb erhitzter Luft eingeleitet, so ergibt sich aus seinen Prämissen
                              									dieselbe Betrachtungsweise, welche heutiges Tags auf Grund der Helmholtz-Hannschen Föhntheorie und der Reyeschen Wirbelstromlehre ziemlich allgemein angenommen ist. Als Ursache für
                              									die Entwertung der durch die lebendige Kraft der Luftbewegung gegebenen Energie
                              									betrachtet er nicht sowohl die Reibung der Luft am Erdboden, wie die
                              									Wirbelbewegungen, welche in der Atmosphäre selbst entstehen und sich durch innere
                              									Reibung in Wärme umsetzen. Diesen Satz hat Helmholtz in
                              									seinem Aufsatz über atmosphärische Bewegungen vom Jahre 1888 eingehend
                              									bestätigt.
                           Die Rücksicht auf den Raum gestattet hier kein näheres Eingehen, das Gesagte genügt
                              									aber, um zu zeigen, wie Werner Siemens seinen offenen
                              									Blick stets auf die Naturerscheinungen gerichtet hielt, und wie er seine
                              									weitreichenden Kenntnisse im Dienste eines stets regen Kausalitätsbedürfnisses zu
                              									verwenden verstand. Technik und Wissenschaft sind im Laufe der Zeit über seinen
                              									Standpunkt hinausgewachsen; was der einzelne Mann seinerzeit aus persönlicher
                              									Initiative heraus geleistet hat, das wird jetzt von großen Gruppen seiner Nachfolger
                              									fortgesetzt. Aber gerade, daß er durch seine geniale Initiative diese Nachfolger
                              									herangezogen und mit dem Geist des wissenschaftlichen Sehens und Strebens erfüllt
                              									hat, das ist eine Nachwirkung seines Daseins, die ihm einen Platz unter den großen
                              									Erziehern des deutschen Volkes sichert.