| Titel: | Technische Schreibdummheiten. | 
| Autor: | Karl Ammon | 
| Fundstelle: | Band 338, Jahrgang 1923, S. 55 | 
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                        Technische Schreibdummheiten.
                        Von Karl Ammon.
                        AMMON, Technische Schreibdummheiten.
                        
                     
                        
                           Wenn ich der selige Georg Wustmann gewesen wäre, so hätte ich mein Buch nicht
                              										„Allerhand Sprachdummheiten“, sondern „Allerhand
                                 										Schreibdummheiten“ genannt, handelt es doch in der Hauptsache vom
                              										„papierenen Stil“. Wenn wir sprechen, wirkt in uns noch das lebendige
                              									Sprachgefühl und hindert uns an der Aussprache aller der Sprachdummheiten, die Halb
                              									–oder noch weniger Gebildete ersonnen haben; und wie das Dumme meist mehr Nachahmung
                              									findet, als das Gute und Richtige, so haben auch diese Papiermenschen leider
                              									Nachahmer gefunden, die sich auf die Feinheit ihres papierenen Stils wunder weiß was
                              									einbilden, statt daß sie einfach schreiben, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist.
                              									Sprechen könnten sie freilich ihre Stilblüten überhaupt nicht, denn sie würden damit
                              									bei jedem Zuhörer nicht die erwartete Bewunderung, sondern ein homerisches Gelächter
                              									ernten. Denken Sie sich nur, irgend ein Bekannter träfe Sie auf der Straße und sagte
                              									zu Ihnen: „Empfing Ihr Geehrtes vom Gestrigen, und habe ich dasselbe mit
                                 
                                 										Interesse gelesen“ – oder noch schöner: „Bekenne mich zum
                                 										Empfang....“ Sie würden ganz sicher annehmen, er wolle Ihnen nicht nur für
                              									Ihren Brief danken, sondern sich auch über den papierenen Inhalt lustig machen.
                           Schon höre ich Ihren Einwand: So schreibt natürlich nur ein Kaufmann. Wir Techniker
                              									haben die richtige Wortstellung gepachtet; wir schreiben nie die falsche Umkehrung
                              									nach „und“, auch nie „Mark 2.–“ und nie „Katz Gebrüder“,
                              									sondern ganz richtig „2 Mark“ und „Gebrüder Katz“. „Derselbe“
                              									schreiben wir selbstverständlich auch nur dann, wenn wir den Gleichen meinen, sonst
                              									schreiben wir immer „er“, weil es kürzer und richtiger ist, oder dieser, wenn
                              									wir auf das letzte Hauptwort Bezug nehmen wollen. Der „erste“ and der
                              										„letzte“, oder gar die Steigerung davon: der „erstere“ und der
                              										„letztere“ vermeiden wir immer. „Wie“ und „als“
                              									unterscheiden wir ganz genau; wir schreiben nie, daß etwas größer ist, wie etwas
                              									anderes, denn wir wissen, daß es nach einer Steigerung immer „als“ heißen
                              									muß. Wenn unser größter Dichter-Ingenieur fortwährend gegen diese Regeln verstößt,
                              									so bedenken wir: quod licet lovi, non licet bovi, und schreiben zur Vermeidung aller
                              									Schwierigkeiten: „Die Maschine läuft schneller oder ebenso schnell, als wie die
                                 										andere“, indem wir hinzufügen: Das Nichtgewünschte bitten wir zu
                              									streichen.
                           Und doch! Trotzdem wir das alles richtig machen, hat man doch manchmal das Gefühl,
                              									daß auch die Techniker ein ganz klein bißchen besseres Deutsch schreiben könnten,
                              
                              									denn gerade die Technik erzieht ja zum folgerichtigen Denken; das sollte
                              									eigentlich auch in der Art zum Ausdruck kommen, wie der Techniker seine Gedanken
                              									niederschreibt.
                           Da steht z.B. der ganz einfache Satz: „Der Motor besitzt eine Kurbel, um andrehen
                                 										zu können“. Liest man solche Sätze nicht alle Tage in technischen
                              									Zeitschriften, Patentschriften und dergleichen? Leider hat man sich schon so an
                              									dieses Deutsch gewöhnt, daß man darüber wegliest, ohne das gebotene öffentliche
                              									Aergernis zu nehmen. Ob das Wort „besitzt“ besonders geschmackvoll ist,
                              									wollen wir später untersuchen – vor allem wollen wir uns fragen: Wen oder was soll
                              									denn der Motor andrehen? Denn wir sind uns doch darüber klar, daß sich der Satz mit
                              										„um zu“ immer auf das Subjekt des Hauptsatzes bezieht. Wir meinen
                              									natürlich nicht, daß der Motor irgend etwas anderes andrehen soll, sondern daß er
                              									selbst mit der Kurbel angedreht werden soll. Wenn wir das aber meinen, so müssen wir
                              									es auch sagen, z.B. so: „Der Motor hat eine Kurbel, mit der er (nicht
                                 											„derselbe“!) angedreht wird“ oder „Der Motor wird mit einer
                                 										Kurbel angedreht“.
                           Aehnlich ist es mit „ohne zu“. Tausendfach kann man Sätze lesen, wie: „Die
                                 										Maschine läuft einen Monat, ohne schmieren zu müssen“. Der Herr Verfasser
                              										(„Herr“ kann man allenfalls weglassen, das Geschlechtswort „der“
                              									muß er aber haben!) will jedoch eine Maschine anpreisen, die läuft „ohne
                                 										geschmiert werden zu müssen“, oder eine, die ohne neue Schmierung einen
                              									Monat läuft.
                           Die Fehler mit „um zu“ und „ohne zu“ liest man besonders häufig in
                              									Patentansprüchen. Auch in Ueberschriften kommen sie vor: „Vorrichtung um zu
                                 										bremsen“, statt: „Vorrichtung zum Bremsen“.
                           Oben steht: „Der Motor hat eine Kurbel, mit der er angedreht wird“. Der Satz
                              									ist zweifellos richtig. Und doch schreibt ihn jeder Techniker anders. Er schreibt
                              									nämlich nicht „mit der“, sondern „mittels deren“ und glaubt damit eine
                              									ganz besondere Feinheit verzapft zu haben. Es fährt zwar kein Mensch mittels der
                              									elektrischen Bahn nach Hause, sondern mit der Bahn; kein Techniker ißt bekanntlich
                              									mittels des Messers, sondern mit der Gabel – aber nur, wenn er davon spricht. Sobald
                              									er es aber aufschreibt, so begeht er alle diese Handlungen „mittels“. Zur
                              									Erklärung hat mir einmal ein besonders scharfer Denker gesagt: Sei man „mit“
                              									der elektrischen Bahn gefahren, so bedeute das noch lange nicht, daß man auch
                              									wirklich drin gesessen habe, sondern nur, daß man gleichzeitig mit ihr abgefahren
                              									und angekommen sei. Daraus ist zu schließen, daß der Ausdruck „mit der Gabel essen“ den
                              									Eindruck erwecken muß, als habe man ein Essen eingenommen – etwa indem man es
                              									mittels der Finger dem Munde zugeführt habe – und habe die Gabel gleichzeitig
                              									gefüttert.
                           Die Schriftsteller, die hinter „mittels“ auch noch das Geschlechtswort
                              									weglassen und „mittels Messers“ essen, sind glücklicherweise ausgestorben,
                              									desgleichen die noch schöneren Formen „mittelst“ und „vermittelst“.
                              									Hoffentlich wirft man ihnen das Scheusal „mittels“ bald in die Wolfsschlucht
                              									nach!
                           Oben haben wir auch noch von Besitzen gesprochen. Es gibt eine Menge Leute, die das
                              									einfache und schöne Wort „haben“ gar nicht mehr zu kennen scheinen –
                              									natürlich nur, wenn sie schreiben. Beim Sprechen sagen sie ganz brav: „Ich habe
                                 										kein Geld, ich habe eine Nase“. Wenn sie aber schreiben, so kriegen sie es
                              									mit der Feinheit und „besitzen“ kein Geld, aber eine Nase. So besitzt der
                              									Motor eine Wicklung, wenn ein Techniker ihn beschreibt. Besitzen ist ein bildlicher
                              									Ausdruck. Er veranschaulicht, daß man sich auf eine Sache setzt, damit sie keiner
                              									wegnehmen kann. Besitzen kann also nur jemand etwas, der sitzen kann, also eine
                              									Person. Und selbst diese kann im wesentlichen nur Dinge besitzen, die nicht zu ihr
                              									selbst gehören. „Ich besitze eine Nase“ kann also eigentlich nur jemand
                              									sagen, der entweder seine eigene Nase abgeschnitten hat, oder außer über seine feste
                              									Nase noch über eine abgeschnittene Nase verfügt, denn eine angewachsene Nase kann
                              									selbst ein Elefant nur mit den größten Schwierigkeiten „besitzen“, wenn es
                              									überhaupt geht. Also besitzt der Motor auch keine Wicklung, denn die Wicklung ist
                              									ein wesentlicher Bestandteil des Motors, ohne die er gar kein Motor ist. Er hat ganz
                              									einfach eine Wicklung; so sagt man, und so ist es auch geschrieben durchaus richtig;
                              									man braucht durchaus nicht zu sagen, er sei mit einer Wicklung versehen, oder am
                              									Motor sei eine Wicklung „vorgesehen“. Die Vorsehung macht sich leider in
                              									technischen Abhandlungen auch immer breiter. Die vorgesehenen Sachen sind meistens
                              									gar nicht vorgesehen, sondern schon vorhanden.
                           Wir wollen nun zu unserem angedrehten Verbrennungsmotor zurückkehren und ihn in dem
                              									Zustande weiter betrachten, wenn er, wie der Techniker sagt, „auf Touren
                                 										gekommen“ ist. Da wir aber keine Fremdwörter brauchen, und nicht von der
                              									Tourenzahl, sondern von der Drehzahl sprechen, so wollen wir unseren Techniker
                              									schreiben lassen: „Wenn der Motor sich dreht...“ – ja, wenn der Motor sich
                              									drehen kann, warum ist er dann überhaupt angedreht worden, wozu hat er dann eine
                              									Kurbel, um andrehen zu können? Wenn der Motor sich drehen kann, dann braucht ihn
                              									doch kein anderer anzudrehen! Wenn unser Techniker freilich meinen sollte: „Wenn
                                 										sich der Motor dreht....“, dann mußte der Motor allerdings angedreht werden.
                              									Der Unterschied ist leider in der technischen Schriftsprache schon so verwischt, daß
                              									ihn die meisten gar nicht mehr empfinden und beide Ausdrücke fortgesetzt
                              									verwechseln. Man muß schon ein Beispiel aus dem alltäglichen Leben nehmen, um den
                              									Unterschied deutlich zu machen. Wenn man erzählt: „Er hat sich heute
                                 									rasiert“, so meint man damit weiter nichts, als daß er sich eben heute geschabt
                              									hat, und zwar im Gesicht. Sagt man aber: „Er hat heute sich rasiert“, so kann
                              									man das eigentlich nur von einem Barbier erzählen, denn das unbetonte „sich“
                              									muß im Satz so weit vorn wie möglich stehen. Steht „sich“ weiter hinten, so
                              									wird es betont und gewinnt die Bedeutung von „sich selbst“. „Er hat heute
                                 										sich rasiert“ bedeutet also, daß er gewöhnlich andere zu rasieren pflegt,
                              									daß er aber heute ganz ausnahmsweise sich selbst rasiert hat.
                           Und nun lesen Sie einmal irgend welche technischen Zeitschriften oder
                              									Patentschriften und sehen Sie sich die Stellung des Wortes „sich“ an! Selbst
                              									das Reichspatentamt, das sich sonst bemüht, ein vorzügliches Deutsch zu schreiben
                              									und darin wirklich vorbildlich wirkt, macht diesen Fehler im ersten Satz jeden
                              									Bescheides, indem es den Anmelder auffordert, „binnen 2 Monaten sich zu
                                 										äußern“, während es gar nicht betonen will, daß gerade der Anmelder sich
                              									selbst äußern soll, denn das ist selbstverständlich und einen anderen kann man
                              									überhaupt nicht äußern. Gemeint ist natürlich, daß sich der Anmelder binnen 2
                              									Monaten äußern soll. Die 2 Monate sollen betont werden, nicht der Anmelder. Die
                              									falsche Stellung von „sich“ kommt an dieser Stelle daher, daß die Worte bis
                              									einschließlich „binnen“ früher meist vorgedruckt waren, und daß dann der Rest
                              									mit „sich“ handschriftlich angehängt wurde. Im Patentgesetz steht die
                              									richtige Wortstellung. Im übrigen hat die Verspätung von „sich“ meist darin
                              									ihren Grund, daß man einen Satz angefangen hat, ohne daran zu denken, daß man ein
                              									Zeitwort mit „sich“ verwenden will. Auf einmal merkt man es. Man will es nun
                              									nicht mehr einflicken und setzt es dann eben einfach hinterher. Das ist sehr
                              									bedauerlich, weil dadurch eine Feinheit der deutschen Sprache verloren geht, durch
                              									die man seine Aussage lediglich durch das Mittel der Wortstellung färben kann.
                           Der Motor dreht sich also nun. Wir wollen ihn jetzt stillsetzen und ihn dazu bremsen.
                              									Wie drückt das der Techniker aus? Er erzählt – aber auch wieder nur, wenn er
                              									schreibt – nicht etwa, daß der Motor gebremst wird, nein, er schreibt: „Die
                                 										Bremsung des Motors erfolgt mittels (einer) Backenbremse“. Dieses
                              										„erfolgt“ verfolgt den Leser durch den ganzen Aufsatz. Es ist so bequem.
                              									Man braucht gar keine verschiedenen Zeitwörter mehr. Es „erfolgt“ eben
                              									einfach alles: Die Bremsung, die Kühlung, die Stillsetzung, die Ingangsetzung (!),
                              									die Aus- und die Einschaltung. Es ist eine Seuche, die ihr kaufmännisches Gegenstück
                              									im „Tätigen“ hat. Der Kaufmann schließt keinen Vertrag mehr, er
                              										„tätigt“ ihn, er macht keinen Abschluß, er „tätigt“ ihn auch –
                              									vielleicht „tätigt“ er demnächst auch noch das Essen, das beim Techniker
                              									natürlich „erfolgt“. Aber ich will dem Techniker nicht Unrecht tun. Wenn in
                              									einer Spalte etwa 50 mal etwas erfolgt ist, dann bäumt sich ein kümmerlicher Rest
                              									von Sprachgefühl in ihm auf, ohne daß er die Ursache davon erkennt, und dann
                              									schreibt er zur Abwechslung, daß die Bremsung „bewerkstelligt“ wird.
                              										„Bewerkstelligt“ ist die Krone der Schöpfung.
                           Nun wird dagegen eingewendet, man wolle durch Voranstellung der „Bremsung“
                              									betonen, daß jetzt ein Abschnitt über das Bremsen komme. Das ist aber auch anders
                              									möglich, z.B. indem man ganz einfach anfängt: Gebremst wird der Motor....; dann geht
                              									es ganz ohne Bewerkstelligung.
                           Durch das erfolgen lassen, bewerkstelligen, in Anwendung bringen, zur Wirkung
                              									gelangen lassen und Genossen werden die Beschreibungen schwülstig und langstielig.
                              									Wenn man liest, daß etwas zur Wirkung gelangen soll, so weiß man auch nie, ob es nur
                              									ganz einfach wirken soll, oder ob es zu wirken beginnen soll. Und das ist das
                              
                              									Allerübelste. Der Schwulst „erfolgt“ selbstverständlich bei einem Techniker
                              									nur als Folge der schlechten Vorbilder, nie aber zu dem Zweck, das Geisteskind, das
                              									er in seiner Abhandlung vorführt, als ein ganz besonderes schwieriges Erzeugnis
                              									erscheinen zu lassen. Es werden auch nie Fremdwörter zu diesem Zweck angewendet. Das
                              									kommt nur manchmal ganz mißtrauischen Leuten so vor, ist aber immer ein ganz grober
                              									Irrtum.
                           
                           Und nun noch einige Kleinigkeiten: Daß man zwar absatzweise arbeiten kann, daß
                              									es aber nicht weise ist, von der „absatzweisen Arbeit“, vom „teilweisen
                                 										Ersatz“, vom „gemeindeweisen Blitzschutz“ zu sprechen, weiß jeder
                              									Techniker. Es ist allen durchaus bekannt, daß die Wörter auf „–weise“ keine
                              									Eigenschaftswörter, sondern Umstandswörter sind. Der Absatzweise ist der Schuster,
                              									der Gemeindeweise nicht der Blitzschutz, sondern der Bürgermeister, der nur
                              									Teilweise gehört in den Drallkasten. Aber hoffentlich bekommen wir bald in die aufe
                              
                              									Hand eine erfreulicherweise Gehaltserhöhung.
                           Ueber die Schönheit und Zweckmäßigkeit des herrlichen Wortes be–zie–hungs–weise hat
                              									sich Wustmann so eingehend geäußert, sodaß es sich wohl kaum lohnt, hier noch darauf
                              									einzugehen. Für technische Abhandlungen ist es neben seiner Scheußlichkeit deshalb
                              									besonders unangebracht, weil man oft nicht weiß, ob „und“ oder „oder“
                              									damit gemeint ist. Technische Abhandlungen erfordern aber mehr als alle anderen
                              									jeden Zweifel ausschließende Angaben.
                           Leider dringen außer den eigentlichen Fremdwörtern auch andere wenig schöne
                              									Fremdlinge in unsere technische Schriftsprache ein, die man unter „Annahme
                                 										verweigert“ dahin zurücksenden sollte, wo sie hergekommen sind, z.B. das
                              									begründende „nachdem“ nach Oesterreich. Neulich habe ich sogar den Satz
                              									gelesen: Nachdem in Hinkunft
                              									folgendes der Fall sein dürfte...“ In gutem Deutsch beginnt der Satz: Da
                              									wahrscheinlich künftig....
                           Ich habe vorstehend nur einige Papierblüten aus dem großen Strauß überreichen können,
                              									an dem wir täglich riechen müssen. Es wird wohl genügen, denn ich wollte keine
                              									deutsche Grammatik für Techniker schreiben, sondern nur etwas zum Nachdenken
                              									anregen. Hoffentlich hilft's etwas!
                           Und nun zum Schluß noch eine kleine Anfrage: Haben Sie schon einmal irgend etwas
                              										„benötigt“, wenn Sie sprachen? Ich auch nicht! Also wollen wir dieses
                              									papierene Wort in den Orkus versenken!