| Titel: | Ein Halbjahrhundert Automobil und die Entwicklung des Kraftwagens. | 
| Autor: | W. Landgraeber | 
| Fundstelle: | Band 341, Jahrgang 1926, S. 107 | 
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                        Ein Halbjahrhundert Automobil und die Entwicklung
                           								des Kraftwagens.
                        Von Bergwerksdirektor W. Landgraeber.
                        LANDGRAEBER, Ein Halbjahrhundert Automobil.
                        
                     
                        
                           Die ersten Nachrichten von der Bedeutung selbsttätiger Fahrzeuge verschwinden im
                              									Nebel der Zeiten. Nur in Aegypten ist aus dem Altertum ein Denkmal vorhanden, das
                              									Zeugnis gibt von Versuchen, den „pferdelosen“ Wagen in den Dienst des
                              									Verkehrs zu bringen. Dieser auf einem Gedenkstein abgebildete Wagen sollte mittels
                              									Dampf, der aus einer engen Oeffnung auspuffte, durch den so erzeugten Rückstoß
                              									bewegt werden. Im alten Testament berichtet Nehum, der Prophet, von automobilen
                              									Wagen und sagt: „Die Wagen rollen auf den Gassen und rasseln auf den Straßen, sie
                                 										glänzen wie Fackeln und fahren untereinander wie Blitze“.
                           Seit dem Untergange der stolzen Orientalen Reiche sind lange Zeit die Versuche und
                              									Bestrebungen, die mechanische Kraft in den Dienst des Verkehrs zu stellen, scheinbar
                              									unterblieben, oder die Nachrichten in Vergessenheit geraten. Erst nach Jahrhunderten
                              									und zwar zur Kaiserzeit der Römer nahm man sich derartiger Erfindungen wieder an. Es
                              									bestehen Dokumente, aus denen hervorgeht, daß zu Anfang der christlichen
                              									Zeitrechnung und zwar z. Zt. Pertinax das römische Volk geistreiche Konstruktionen
                              									besaß, um automobile Fahrzeuge in Betrieb zu setzen. Der Erfinder soll glaublich der
                              									bekannte Nero von Alexandrien, einer unserer Altmeister der Physik, gewesen sein.
                              									Dieses Gefährt soll verbrannt worden sein. Seit jener Zeit sind wieder tausend Jahre
                              									vergangen, bis von neuem Versuche auf diesem Gebiete angestellt wurden. Dann aber
                              									tauchen in ununterbrochener Reihenfolge allenthalben Gerüchte über Pläne von
                              									Kunstwagen auf. Es seien nur die wichtigsten aufgeführt. Im 13. Jahrhundert
                              									berichtet Roger Bacon (ein gelehrter Fransziskaner) von pferdelosen Wagen und
                              									Schiffen ohne Segel. Professor Giovanni Fontana in Padua verfertigte wohl die
                              									älteste bekannt gewordene Zeichnung eines Automobils. Es muß dieses in den ersten
                              									beiden Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts gewesen sein. Haspelantrieb seitens der
                              									Fahrenden sollte das Fahrwerk bewegen. In Ulm erschien – nach einer alten Chronik –
                              									Mitte des 15. Jahrhunderts „ein rechter Wagen vom Kalchthor herein bis an den
                                 										Markt und wieder hinaus ohne Rosse, Rinder und Leute, und war wohl verdeckt,
                                 										doch saß der Meister, der ihn gemacht, darin“. Um etwa die gleiche Zeit
                              									entwarf ein italienischer Ingenieur eine Abbildung eines Wagens, der durch Windräder
                              									angetrieben werden sollte. Etwas ähnliches wie in Ulm geschah 1504 zu Pirna. Während
                              									der Pirnaer Versuch kläglich endete, übermittelte keine geschichtliche Urkunde etwas
                              									über den Verbleib der Ulmer Kraftfahrzeuge. Beide Gefährte erregten jedenfalls
                              									damals großes Aufsehen.
                           Zwei Jahrzehnte später beschäftigte sich Albrecht Dürer mit dem Entwerfen von
                              									automobilen Wagen und etwa ein halbes Jahrhundert später ein Nürnberger namens
                              									Berthold Holzschuber. Beide sahen als Fortbewegungsmittel durch von Hand oder Fuß
                              									bediente Räder vor, auch Triebkurbeln sollten in Anwendung kommen.
                           Erst um die Mitte des 17. Jahrhunderts wurde ein Wagen gebaut, der sich wirklich auf
                              									den Straßen bewegen konnte. Es war der sogen. Nürnberger „Triumphwagen“, der
                              									mit 15 km stdl. Geschwindigkeit mittels Uhrwerk, das alle paar Minuten aufgezogen
                              									werden mußte, fahren konnte. Dieses Auto besaß bereits eine Huppe in Gestalt eines
                              									Posaunenengels und einem Drachen, der Wasser spie, falls die Huppe für das erregte,
                              									schaulustige Volk nicht ausreichte. Das Gefährt gefiel jedenfalls dem Prinzen Adolf
                              									von Schweden so gut, daß er es dem Erfinder, namens Hautzsch, seines Standes
                              									Uhrmacher, oder Zirkelschmied, um den Preis von 500 Reichsthalern abkaufte.
                           Weitere Versuche, automobile Wagen zu bauen, unternehmen 1663 Isaac Newton, der
                              									bekannte Naturforscher, 1689 ein Nürnberger Uhrmacher, Stefan Traffler, und 1693 ein
                              									französischer Arzt, Elie Richard in Paris. Newton benützte wie die Pharaonen
                              									auspuffenden Dampf, Traffler ein durch Handkurbeln bewegtes Dreirad und der Franzose
                              									ließ eine Kurbel durch einen hinten aufgestellten Diener treten und sich
                              									fortbewegen.
                           Während die bisher geschilderten Versuche fast durchweg sporadisch auftraten und
                              									gewissermaßen nur Spielereien waren, mehren sich im 18. Jahrhundert die Vorschläge
                              									immer mehr. Es tauchen auch bereits eine erhebliche Anzahl brauchbarer Wagen auf.
                              									Genannt seien aus der Fülle des Materials nur die interessantesten und zwar die
                              									Wagen des Uhrmachers G. Graupner aus dem Jahre 1738, der als Segelwagen u;nd
                              									zugleich als Schiff verwandt werden konnte. Ferner seien erwähnt das Gefährt des
                              									Mechanikers de Vancanson (1748) mit Kurbelantrieb, der große in Augsburg gebaute
                              									Wagen eines unbekannten Meisters, um Geschütze mittels Dampf- und Menschenkraft
                              									fortzubewegen. Die Erfindung des selbstlaufenden Wagens eines im Gefängnis
                              									eingesperrten Bauern, Schamschurenko, der seine Freiheit dadurch wieder erlangen
                              									wollte, fällt ebenfalls in die Zeit der Mitte des 18. Jahrhunderts. Nikolaus Egnot
                              									baute 1765 ein Fahrzeug zum Transport von Geschützen. Bei der ersten Probefahrt fuhr
                              									er jedoch so hastig gegen eine Mauer, daß beide zerstört wurden. 1771 wurde von
                              									demselben Erfinder ein neuer brauchbarer Wagen gebaut. 1779 fuhr Pierre Blanchard
                              									einen Wagen vor, der in der kurzen Zeit von etwas mehr als 2 Stunden von Paris nach
                              									Versailles fuhr.
                           Um jene Zeit entstanden auch die zahlreichen Versuche der ältesten Dampfwagen von
                              									James Watt (1759), Josse Egnot (1769), Oliver Evans (1772), William Murdoch (1781),
                              									Aynnington (1786), Walter Hancock 1779 bis 1852) und Provith (1802). Obwohl fast
                              									alle diese Konstruktionen wenig befriedigten, so waren die bescheidenen Erfolge und
                              									die Frucht zahlreicher nunmehr einsetzender Versuche für Dampfstraßenwagen für die
                              									Entwicklung des Automobils von Bedeutung. Als erstes Automobil ist Hancocks großer
                              									Dampfomnibus (1830 bis 1831) zu betrachten. Die Idee stammte von dem Engländer
                              									Grunay, mit dessen Wagen (1822) erstmalig Berge gewonnen werden konnten. In England
                              									fuhren bald darauf eine große Anzahl derartiger schwerer Omnibusse, zum Teil mit
                              									sechs Schornsteinen und erregten gewaltiges Aufsehen. Es dauerte nicht lange, und es
                              									waren an die hundert derartige Dampfrosse in Betrieb. Ihnen wurde aber bald das
                              									Handwerk durch eine kurzsichtige Gesetzesmachung gelegt. Dem Neid der Konkurrenz,
                              									der Eisengesellschaften, gelang es durchzudrücken, daß derartige Wagen nicht
                              									schneller als mit 4 km Geschwindigkeit in den Straßen fahren durften. Damit war der
                              									Entwicklung des Automobilismus in England ein Ende bereitet. An seine Stelle nahmen
                              									Frankreich und andere Länder das Projekt wieder auf. Anstatt der Dampfkraft und des
                              									damit verbundenen Mitschleppens von Ballast an Kohlen, Wasser und Dampfkesseln, die
                              									plumpe und schwere Wagen zur Bedienung hatten, versuchte man zum Beginn der
                              									siebziger Jahren leichtere Wagen zu konstruieren und andere Betriebsmittel
                              									anzuwenden. Schon 1835 hatte der Techniker Strathing in Groningen begonnen, eine
                              									Maschine durch Elektromagnetismus zu treiben. Einige Jahre später (1841) behauptete
                              									der Mechaniker Joh. Phil. Wagner (Frankfurt), daß nur die elektrisch betriebenen
                              									Wagen zum Antrieb von Fahrzeugen praktisch in Frage kämen und die Dampfkraft
                              									ersetzen würden. Es dauerte auch gar nicht lange, da machten sich schon die ersten
                              									Anfänge des bedeutsamsten Verkehrsmittels der Zukunft, des fundamentalen
                              									Wirtschaftsfaktors im Fortschritt der Völker – das Benzinauto – bemerkbar.
                           Wer der eigentliche Erfinder ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Ein
                              									Franzose, Pierre Ravel, hat jedenfalls schon vor dem Kriege 1870/71 ein Patent
                              									erhalten. Sein Modell soll angeblich während des Krieges bei der Belagerung von
                              									Paris in der Verteidigungslinie in einem Schuppen gestanden haben und bei dieser
                              									Gelegenheit durch einen Festungswall verschüttet worden sein, euere Forschungen
                              									haben jedoch ergeben, daß sich Siegfried Marcus, ein geborener Oldenburger, in Wien
                              									im Jahre 1862 mit der Konstruktion eines Benzinmotores beschäftigte, nachdem er
                              									bereits 1861 versucht hatte, einen Kraftwagen mittels vergasten Petroleums
                              									anzutreiben. Damals mußte das Benzin ein Laboratoriumserzeugnis, aus Deutschland
                              									bezogen werden, und kostete 3 Mk. das Liter.
                           Trotz mancher Schwierigkeiten gelang es Marcus einen Benzinmotor herzustellen und
                              									auch einen Wagen damit auszustatten und zu betreiben. Wenn auch dieser Wagen alles
                              									andere als ein schönes Versuchsobjekt war, gefahren ist er doch. Nach und nach hat
                              									Marcus an dem Benzinmotor immer wieder Verbesserungen vorgenommen und einen
                              									liegenden Viertaktmotor mit magneto-elektrischer Zündung konstruiert. Das
                              									Geburtsjahr des modernen Automobils ist demnach etwa in das Jahr 1875 zu
                              									verlegen.
                           Marcus selbst hat diese verkehrstechnische Neuerung später nicht mehr mit genügendem
                              									Interesse verfolgt Er wurde verärgert, weil die Polizei die Fahrten, die
                              									befriedigend verliefen, wegen „zu großen Geräusches“ untersagte.
                           Die weitere Entwicklung und den heutigen Aufschwung des Automobilismus ist eng an die
                              									Namen Gottlieb Daimler, Benz u.a. geknüpft. Daimler erfand 1885 eine Schnellaufende
                              									Gasmaschine, die er zunächst in ein Zweirad einbaute und damit in demselben Jahre
                              									eine Probefahrt unternahm. Im Jahre 1887 machte er mit der ersten vierräderigen
                              									Kraftmaschine die erste Probefahrt in Eßlingen. Die Eßlinger Zeitung schreibt
                              									darüber am 13. Juli desselben Jahres wie folgt: „Heute vormittag um 10 Uhr
                                 										passierte die Station Unterboihingen behufs einer Probefahrt von Eßlingen
                                 										kommend in der Richtung nach Kirchheim eine durch Gasölkraft getriebene
                                 										Draisine, sowie ein durch die gleiche Kraft in Bewegung gesetzter elegant
                                 										gebauter kleiner Personenwagen. Die auf beiden Fahrzeugen sich befindenden
                                 										Apparate nahmen einen äußerst kleinen Raum ein. Die Fahrgeschwindigkeit beträgt
                                 										ca. 350 m in der Min. Die Draisine kam um 6 ½ Uhr auf die Station Unterboihingen
                                 										zurück, um nach halbstündigem Aufenthalt wieder nach Kirchheim zu fahren.“
                              									Der zweite Erfinder und Altmeister des Automobilismus, Karl Benz, konstruierte im
                              									Jahre 1886 ein dreiräderiges Fahrzeug mit Benzinmaschine. Sie befindet sich heute
                              									noch im deutschen Museum in München.
                           
                           Auf der ganzen Welt dürften heute trotz der geringen Zeitspanne von 50 Jahren
                              									etwa 20 Millionen Personen- und Lastkraftwagen und 2 Millionen Motorräder im
                              									Verkehr sein. Die größte Autostraße der Welt verbindet Mailand mit dem Lago Maggiore
                              									und ist 44500 m lang.