| Titel: | Die Entwicklung der angewandten Kältetechnik seit einem Halbjahrhundert. | 
| Fundstelle: | Band 341, Jahrgang 1926, S. 180 | 
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                        Die Entwicklung der angewandten Kältetechnik seit
                           								einem Halbjahrhundert.
                        LANDGRAEBER, Die Entwicklung der angewandten Kältetechnik seit
                           								einem Halbjahrhundert.
                        
                     
                        
                           Kältemaschinen sind durch die sogenannten offenen und geschlossenen
                              									Kaltluftmaschinen seit mehr als 50 Jahren bekannt. Die erste offene Maschine wurde
                              									in Amerika von Gorrie im Jahre 1850, und die erste
                              									geschlossene im Jahre 1862 von Kirk konstruiert. Die
                              									Wirtschaftlichkeit dieser Systeme war jedoch nicht so, daß sie sich halten konnten.
                              									Sie wurden abgelöst durch Kompressionsmaschinen, die heute unstreitig die
                              									wichtigsten Kältemaschinen sind. Sie leisten auf eine indizierte Pferdestärke etwa
                              									3500 WE, während die offenen Kaltluftmaschinen günstigenfalls nur 400 WE, und die
                              									geschlossenen 800 WE für 1 PS. erzielten.
                           Vor 50 Jahren begann unser Altmeister der Kälteindustrie Karl
                                    										v. Linde, sich mit dem Problem der mechanischen Kälterzeugung zu befassen.
                              									Er ahnte wohl kaum die Tragweite, die seine Forschertätigkeit auf diesem Gebiete
                              									bekommen würde. v. Linde war, 25jährig, bereits Vorstand des Konstruktionsbüros der
                              									damals neugegründeten Lokomotivfabrik von Krauß in München. Von hier aus übernahm er
                              									eine Professur für theoretische Maschinenlehre am Polytechnikum München. Dort konnte
                              									er seine hohe Begabung für die Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnis in praktische
                              									Konstruktionen glänzend entfalten. In diese Zeit entfallen seine ersten bedeutsamen
                              									Veröffentlichungen über die Entziehung von Wärme. Ausgehend von der mechanischen
                              									Wärmetheorie führten ihn seine Studien zur Erkenntnis der mechanischen
                              									Kälterzeugung. Diese wiederum und seine Versuche behufs Vervollkommnung der bereits
                              									vorhandenen Eismaschinen führte ihn zur Erfindung der nach ihm benannten
                              									Kälteerzeugungsmaschine. Als erste Frucht erschien die Linde'sche Kältemaschine.
                              									Einige Zeit später wurde zur Auswertung seiner Erfindung mit Unterstützung des
                              									Besitzers der Spatenbrauerei, dem „alten“ Sedlmayer, und dem Chef der
                              									Krauß'schen Fabrik, Georg Krauß, die „Gesellschaft für Lindes Eismaschinen“
                              									ins Leben gerufen. Linde übernahm im Jahre 1879, nachdem er seine Professur
                              									niedergelegt hatte, selbst die Leitung dieser Gesellschaft, die in Wiesbaden ihren
                              									Sitz hatte. Gestützt auf ein hervorragendes Organisationstalent und eine
                              									erstaunliche Sicherheit in der praktischen Erkenntnis führte er das Unternehmen in
                              									ununterbrochenem Aufstieg zu Achtung gebietender Höhe sowie zu nie geahnter
                              									Erweiterung der Anwendung künstlicher Kälte. Linde war als praktischer Geschäftsmann
                              									ebenso genial wie als Erfinder. Er verstand das klug Ersonnene mit beispiellosem
                              									Geschick zu verwirklichen. Seine Maschinen und sein System sind heute auf der ganzen
                              									Welt verbreitet.
                           Die Erfindung der Kältemaschinen beruht auf dem Prinzip der Kompression- oder
                              									Kaltdampfentwicklung. Es wird in ihnen beim Übergang einer Flüssigkeit in den dampf-
                              									oder gasförmigen Zustand eine erhebliche Wärmemenge gebunden. Sie bestehen aus
                              									Kompressoren (Verdichter), Kondensatoren (Verflüssiger) und Generatoren (Verdampfer
                              									mit Eiserzeuger). An Stelle des Generators tritt, falls Raumkühlung in Frage kommt,
                              									ein System von Kühlrohren oder Luftkühlapparaten. In den Kompressoren wird Ammoniak
                              									oder Kohlensäure angesaugt und verdichtet. Der Druck entspricht dem, bei dem das
                              									Gas, genügend gekühlt, in den flüssigen Zustand übergeht. Die Verflüssigung tritt in
                              									den Kondensatoren ein. Der Kälteerzeuger macht einen ununterbrochenen Kreislauf
                              									zwischen den vorbenannten Zubehörteilen der Kühlanlage. Auf dem Wege vom Kondensator
                              									zum Generator mit seinen Verdampferschlangen muß er ein sogenanntes Reduzier- oder
                              									Expansionsventil passieren, wodurch er bei starker Druckminderung wieder in
                              									gasförmigen Zustand übergeht. Dabei muß er die zur Verdampfung erforderliche
                              									Wärmemenge seiner Umgebung entziehen.
                           Als eine der größten Eisfabriken der Welt dürfte wohl die der Stadt Wien gelten. Sie
                              									ist 300 m lang und über 50 m breit. In zwei Kesselhäusern mit acht Kesseln wird die für die
                              									Kompressoren, Pumpen und Maschinen benötigte Energie erzeugt. Der tägliche
                              									Wasserverbrauch zur Eiserzeugung beträgt 1000000 Liter.
                           Die Kältetechnik spielt heute in der Weltindustrie eine hervorragende Rolle.
                              									Kältemaschinen und Kühlhäuser sind Einrichtungen im Wirtschaftsleben geworden, die
                              									nicht mehr zu missen sind. Beruht doch die Frischhaltung der wertvollsten
                              									Nahrungsmittel und die Konservierungstechnik größtenteils auf der Anwendung
                              									künstlicher Kälte. Der modernen Kältetechnik ist es gelungen, einen solchen
                              									Höhepunkt an Wirtschaftlichkeit und Sicherheit des Kühlbetriebes zu erklettern, daß
                              									frühere Bedenken gegenstandslos geworden sind. Der Kühlvorgang vermag die Ware in
                              									ihrer ursprünglichen Beschaffenheit und Güte zu erhalten. Die Kühlanlagen der
                              									Brauereien, Schlachthöfe, Markthallen, Fischlager, Molkereien, Schokoladenfabriken,
                              									Weinkeltereien usw. sind alle Erzeugnisse der Lindeschen Erfindung. Von ebenso
                              									großer Bedeutung dürfte die Versorgung mit überseeischem Gefrierfleisch sein. In den
                              									Vereinigten Staaten von Amerika werden jährlich 15 Millionen t Eis im Werte von 25
                              									Millionen Mark für Kühltransporte verwendet. England, das sich früher gegen das
                              									argentinische Gefrierfleisch ausgesprochen hat, ist jetzt dessen Hauptabnehmer. Seit
                              									Langem bildet das Gefrierfleisch nahezu die einzige Fleischnahrung der großen Massen
                              									in dem gutlebenden, verwöhnten England mit seinem wie bekannt gesündesten
                              									Menschenschlag. Gefrierfleisch ist heute nahezu um die Hälfte billiger als anderes
                              									Fleisch und dank der Höhe der Schlachthausindustrie nach Ansicht hervorragender
                              									Autoritäten ihm ebenbürtig. Der deutsche Gefrierfleischkonsum beträgt z. Z. mehr als
                              									100000000 kg, während vor dem Kriege kaum etwas zu uns kam.
                           Mit dem bisher Erwähnten ist aber die Reihe der Erfolge, die v. Linde mit seiner
                              									Erfindung erzielte, noch nicht vollzählig. Erwähnenswert ist die Anwendung der
                              									Kältetechnik im Bergbau insonderheit auf dem Gebiete des Schachtbaues unter
                              									schwierigen Verhältnissen. Um einige Zahlenbeispiele anzuführen, sei erwähnt, daß
                              									ehevor, als man die Gefriermethode noch nicht kannte, etwa 20 Jahre an Zeit und
                              									riesige Kapitalien aufgewandt werden mußten, um einen Schacht (Rheinpreußen) von
                              									etwa 80 m Tiefe durch lose und wasserreiche Tertiärschichten niederzubringen.
                              									Mittels Gefrierverfahrens würde man heute dazu höchstens ein halbes Jahr benötigen.
                              									Im vergangenen Jahre waren 40 Jahre vergangen, seit erstmalig dieses Verfahren im
                              									Bergbau durchgeführt wurde. Der erste Schacht hatte nur eine Tiefe von 38,5 m. Es
                              									hat fast 15 Jahre gedauert, bis man sich an Teufen über 100 m heranwagte. Der erste
                              									tiefere Gefrierschacht in Deutschland wurde im Jahre 1899 von 62 bis 115 m auf dem
                              									Kalibergwerk Hansa-Silberberg fertiggestellt. Mehr als 20 Jahre vergingen, bis
                              									erstmalig in 300 m Tiefe vorgegangen wurde. Ein 400 m tiefer Gefrierschacht wurde um
                              									1910 niedergebracht. Im Jahre 1913 wurden die Wallachschächte der Solvay-Werke bis
                              									540 m begonnen und kürzlich ist eine Spitzenleistung auf diesem Gebiete durch die
                              									Vollendung eines Schachtes in der Campine mit 560 m vollbracht.
                           Von dem Umfang der Eismaschinenanlagen, die hierzu notwendig sind, bekommt man einen
                              									Begriff, wenn man bedenkt, daß für mittlere Brauereien Kühlanlagen etwa 10- bis
                              									20000 WE benötigt werden, während für die tieferen Gefrierschächte solche von etwa
                              									3000000 Frigorien stündlich in Frage kommen. Hier wird die Salzlösung in den
                              									Eisgeneratoren nicht nur bis auf minus 8 Grad, sondern bis auf minus 28 Grad C und
                              									beim Tiefkälteverfahren sogar bis auf minus 50 und minus 55 Grad C abgekühlt.
                              									Anfänglich nahm man zur Kälteerzeugung Schweflichsäure, während heute, wo sie alle
                              									nach dem Linde'schen Verfahren arbeiten, entweder Kohlensäure oder Ammoniak
                              									Verwendung findet. Statt Salzwasser als Kälteträger nimmt man Chlorkalcium oder
                              									Chlormagnesiumlauge. Ein Gefrierschacht von 550 m kommt auf etwa 7 Millionen Mark
                              									und dauert bis zur Fertigstellung vier bis fünf Jahre.
                           Das geniale Verfahren besteht darin, das Erdreich des abzuteufenden Schachtes wegen
                              									seiner mangelnden Standfestigkeit oder starken Wasserführung vorübergehend in einen
                              									für das Abteufen geeigneten festen Aggregatzustand zu versetzen. Man erzeugt zu
                              									diesem Zwecke durch Entnahme latenter Wärme und Überführung des Wassers in den
                              									festen Aggregatzustand einen gefrorenen Gebirgsklotz unter dem Schachtansatzpunkt.
                              									In dem gefrorenem Erdreich teuft man den Schacht ab und sichert die Schachtwände
                              									durch Auskleidung in Eisen (Tübbings) oder Eisenbeton; Überall, wo andere
                              									Kunstverfahren versagen, wendet man das Gefrierverfahren an. Mit ihm ist man
                              									imstande, aller Schwierigkeiten bis in jede für die Praxis in Frage kommende Tiefe
                              									Herr zu werden. In der industriellen Erzeugung von sogenannter Tiefkälte ist man
                              									neuzeitlich so weit fortgeschritten, daß selbst gesättigte Laugen in tieferen
                              									Erdschichten ausgefroren werden können. Derartige Gefriermaschinenanlagen
                              									unterscheiden sich von den allgemein üblichen dadurch, daß der Kälteerzeuger
                              									(Kohlensäure) mittels Stufenkompression in Nieder- und Hochdruckkompressoren
                              									verdichtet wird. In den ersten findet eine Pressung auf 25–30 at und in den
                              									letzteren eine solche bis auf 80 at statt. Außer der ersten eingangs erwähnten
                              										„Gesellschaft für Lindes Eismaschinen“ werden Kühlanlagen von einer
                              									großen Anzahl derartiger Fabriken hergestellt.
                           Ein Holländer, van Kamerbeel, hat eine neuartige Erfindung
                              									auf den Markt gebracht, die im wesentlichen darin besteht, Kühlvorrichtungen ohne
                              									Kompression und andere bewegliche Armaturen zu betreiben. Ferner soll dieser
                              									Kühlprozeß den Vorteil bieten, die drei Hauptbestandteile voneinander getrennt an
                              									verschiedenen Stellen unterzubringen.
                           Zwei Amerikaner, Josephson und Shade haben eine neue Gefriermethode erfunden, die vornehmlich für
                              									Warentransporte infolge geringerer Raumbeanspruchung in Frage kommt. Hierbei wird zu
                              									Eis gefrorene feste Kohlensäure in Blockform und mit einer Temperatur von mehr als –
                              									80° C in Gefäße (Tuben) mit einer regulierbaren Austrittsöffnung verpackt. Derartige
                              									Tuben mit Kohlensäure werden z.B. in Kühlwagen untergebracht. Das entweichende kalte
                              									Kohlensäuregas preßt die vorhandene Luft nach Bedarf heraus, wodurch eine
                              									bakterientötende Atmosphäre in dem betreffenden Raum erzeugt wird. Die Temperatur
                              									kann auf jede erforderliche Höhe bis zu – 80° C reguliert und auf weite Strecken
                              									unverändert beibehalten werden. Dieser Kohlensäureschnee hat gegenüber dem
                              									gewöhnlichen Eis infolge der langsamen Verdunstung eine zehnmal stärkere Wirkung.
                              									Seine Herstellung erfolgt auf mechanischem Wege.
                           Außer den bisher üblichen örtlichen Kühlanlagen geht man neuzeitlich dazu über, sog.
                              									Fernkühlanlagen zu bauen. Unter Ausnutzung aller technischen Neuerungen auf diesem
                              									Gebiete hat die Fernkühlung in Amerika bereits eine hohe wirtschaftliche Bedeutung
                              									bekommen. Dem Fernkühlwerk des Geschäftsviertels von New-York sind bereits über 400
                              									Kühlräume durch Rohrleitungen, die zwei Meter unter der Erde liegen und durch
                              									Haarfilz isoliert sind, angeschlossen. Mittels Zentrifugalpumpen wird die auf minus 18 Grad gekühlte
                              									Lauge bei einer Leistung von 190 l/sek und einer Geschwindigkeit von 1,25 m/sek
                              									durch ein Straßenrohrsystem in die angeschlossenen Kühlräume gedrückt.
                           Auf dem Gebiete der Verflüssigung von Gasen, die neuerdings für die Herstellung von
                              									Elektronenröhren in der Funktechnik sowie von Röntgenröhren benötigt werden, ist es
                              									gelungen, nach dem Verfahren des Müncheners v. Linde nicht nur Luft, Wasserstoff
                              									u.a. Gase zu verflüssigen, sondern auch das hartnäckigste aller Gase, das Helium, in
                              									den flüssigen Zustand zu versetzen.
                           Es ist noch nicht allzulange her, da glaubte man mit der Erforschung von minus 200
                              									Grad C sei das technisch Mögliche erreicht. Neuerdings ist man infolge Verflüssigung
                              									von Wasserstoff und Helium nicht nur bis zu Temperaturen von – 269° C, sondern sogar
                              									durch die Arbeiten von Kamerlingh Onnes mit minus 272,5
                              									Grad bis fast an den bei –273,2 Grad liegenden absoluten Nullpunkt gelangt. Die
                              									Bedeutung dieser Forschungsarbeiten sind von ungeheurer Wichtigkeit. Bei derartigen
                              									extrem tiefen Temperaturen ändert sich z.B. der Zustand der Stoffe so, daß sie
                              									ganz merkwürdige Eigenschaften annehmen. Selbst die geheimnisvolle Kraft der
                              									Elektrizität zeigt ein ganz fremdes Wesen. Die elektrische Leitfähigkeit
                              									verschiedener Metalle verschwindet in der Nähe des absoluten Nullpunktes. Das
                              									grundlegende Ohmsche Gesetz verliert seine Gültigkeit vollkommen. Andererseits
                              									behalten Legierungen ihren normalen Widerstand. Auch die Lebensbedingungen von
                              									Organismen äußern sich ganz anders. Bei Getreidekörnern hört die Lebensfähigkeit in
                              									flüssiger Luft (–191 Grad C) gänzlich auf. Sie werden glashart. Taut man sie auf, so
                              									verhalten sie sich, als wenn nichts geschehen wäre, als hätten sie nur geschlummert.
                              									Frösche erstarren ebenfalls zu glasharten Gebilden, leben aber nach dem Kältezustand
                              									wieder weiter, wenn sie aus diesem künstlichen Winterschlaf erweckt werden. Eine
                              									Erklärung für diese wunderbaren Vorgänge ist bislang noch nicht möglich. Neue
                              									Probleme der angewandten Chemie stehen bevor für weitere nutzbringende praktische
                              									Ergebnisse auf diesem noch wenig erforschten Betätigungsfeld.
                           Landgräber.