| Titel: | Ein Jahrhundert Turbinenbau. | 
| Autor: | Landgräben | 
| Fundstelle: | Band 341, Jahrgang 1926, S. 203 | 
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                        Ein Jahrhundert Turbinenbau.
                        Ein Jahrhundert Turbinenbau.
                        
                     
                        
                           Vor hundert Jahren setzte die Gesellschaft zur Förderung von Wissenschaft und
                              									Technik in Paris einen Preis von 6000 Franken für die Herstellung einer brauchbaren
                              									Turbine aus. Alle bis dahin angestellten Versuche, die bis in die Antike
                              									zurückreichen, waren nicht in der Lage, dieses für die Kulturwelt so bedeutsame
                              									Problem befriedigend zu lösen. Die ältesten Vorläufer dieser Maschinen sind
                              									wahrscheinlich die alten tibetanischen Gebetsmühlen (zu sehen im Berliner Museum für
                              									Völkerkunde), sowie altrumänische Mühlen (zu sehen im Deutschen Museum in München),
                              									die bereits ein dem Peltonrad im heutigen Turbinenbau ähnelndes Wasserrad besaßen.
                              									Der Erfinder des Wasserrades, aus dem die Turbinen hervorgegangen sind, ist
                              									unbekannt geblieben. Bei den Aegyptern, Assyrern und Chinesen war es zum Antrieb von
                              									Getreidemühlen in vorgeschichtlichen Zeiten bekannt. In Deutschland finden wir es
                              									seit dem 4. Jahrhundert n. Chr. Schon damals versuchte man, senkrechte Achsen wie
                              									bei modernen Turbinen anzuwenden. Es vergingen jedoch viele Jahrhunderte, ehe man an
                              									eine Verbesserung der alten Wasserräder heranging. Um 1600 erschien in Venedig
                              									eine Abhandlung und um 1629 eine ähnliche von Jakobus de Strada (in Frankfurt a. M.)
                              									über die Theorie einer turbinenähnlichen Wasserkraftmaschine. Giovanna Branca, der
                              									in demselben Jahre ein Werk „Le maschine“ veröffentlichte, hatte 1637 das
                              									Turbinensystem und zwar als Dampfturbine erfunden, die erst in neuerer Zeit von
                              									Laval und Parson wieder ans Tageslicht gezogen und zu hoher technischer
                              									Vervollkommnung entwickelt wurde. Etwa 90 Jahre nach Brancas Erfindung bewies Daniel
                              									Bernoulli (1730) die Reaktionswirkung des Wassers und 1750 konstruierte der
                              									Göttinger Segner die einfachste Radialturbine, das Segnersche Wasserrad. Der
                              									Erfinder des Leitapparates war Leonhard Euler, der um jene Zeit (1750) die
                              									Turbinentheorie entwickelte. Von Burdin stammt der Name Turbine. Er benannte so ein
                              									von ihm im Jahre 1824 erfundenes horizontales Wasserrad. Außer Parent, Borda,
                              									Gerstner, Smeaton und Brossul haben sich Poncelet und Fourneyron um die
                              									Vervollkommnung der Turbinen verdient gemacht. Fourneyron konstruierte 1827 die
                              									erste brauchbare Turbine. Er gewann 1833 unter vielen Bewerbern den eingangs erwähnten
                              									Preis der Pariser Gesellschaft.
                           Seit jener Zeit wurde auch in Deutschland der Turbinenbau mit größerem Eifer
                              									betrieben. Die bekannte Maschinenfabrik Henschel u. Sohn in Cassel erhielt 1837 ein
                              									Patent auf Achsialturbinen und fast gleichzeitig der Mühlhauser Werkmeister Jonval.
                              									Die erste Henschel-Jonval-Turbine wurde 1841 in Holzminden in Betrieb genommen. Bis
                              									gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts war dieses Reaktions-Achsialsystem
                              									vorherrschend in Europa. Es wurde später durch die Girardsche Aktions- und
                              									Partialturbine verbessert. Einige Jahre nach der Henschel-Jonvalschen Erfindung
                              									baute ein amerikanischer Ingenieur (1849) die nach ihm benannten Francis-Turbinen.
                              									Bei diesem System erfolgt bekanntlich die Zuführung des Wassers von außen. Das
                              									Laufrad dreht sich im Leitrad. Die Anregung zu dieser Bauart, die wegen ihres hohen
                              									Nutzeffektes häufig angewandt wird, stammt von Professor Redtenbacher in Karlsruhe.
                              									Seine Vorschläge wurden jedoch damals in Deutschland wenig beachtet. Bedeutsamen
                              									Anteil an der Entwicklung dieser Maschinen hat ein anderer Amerikaner, der Ingenieur
                              									Pelton. Seine im Jahre 1880 erfundenen Pelton-Räder dienen vornehmlich zur
                              									Ausnützung von Wasserläufen mit hohem Gefälle. Vor einigen Jahren wurde eine
                              									Peltonturbine mit der hohen Leistung von 20 000 PS hergestellt, bei dem der
                              									Höhenunterschied zwischen Oberwasser- und Unterwasserspiegel der Kraftanlage fast
                              									900 m beträgt. Die sek. Wassermenge stellt sich auf nur 2 cbm. Der Wirkungsgrad
                              									beläuft sich auf 83,5.
                           Zu den vorhandenen bewährten Turbinenbauarten hat sich in neuerer Zeit die
                              									Kaplanturbine gesellt, die mancherlei Vorzüge aufweist. Ihr guter Wirkungsgrad wird
                              									dadurch erreicht, daß auch die Laufradschaufeln während des Betriebes automatisch
                              									durch Regler verstellt werden können. Große Aehnlichkeit mit den Maschinen von
                              									Kaplan haben die Movdy-Räder. Sie besitzen indessen viel dichter stehende Schaufeln
                              									als jene und nähern sich in dieser Hinsicht den Francis-Turbinen.
                           In neuerer Zeit sind bei fast allen Systemen gewaltige Fortschritte zu verzeichnen.
                              									Die Leistungsfähigkeit ist gegen einst zu nie geahnter Höhe gesteigert. Im großen
                              									und ganzen gibt es in der Jetztzeit nur mehr zwei Turbinengattungen. Es sind dieses
                              									die Francis-Turbinen und die Freistrahlturbinen in verschiedener Ausführungsart.
                              									Alle oben genannten älteren Bauarten sind heute kaum noch dem Namen nach bekannt.
                              									Einige Zahlen über die größten Wasserturbinen kennzeichnen den neuerlichen
                              									unaufhörlichen Fortschritt. Deutsche Riesenwasserturbinen laufen in den Kraftwerken
                              									Aufkirchen und Eiting an der mittleren Isar. Der Eintrittsdurchmesser des
                              									Spiralgehäuses beträgt dort 4 Meter und die größte diametrale Erstreckung 14 Meter.
                              									Eine moderne Schnellzugslokomotive hätte bequem Platz darin. Sie sind ebenso groß
                              									wie die bekannten amerikanischen Aggregate. Im Kachlet-Werk bei Passau werden zur
                              									Zeit Turbinen aufgestellt, von denen jede fast 10 000 PS leistet und eine
                              									Wassermenge von 92,5 cbm/sec schluckt. Das Laufrad, das größte in Deutschland, hat
                              									einen Durchmesser von 4,6 Metern und besitzt 6 Schaufeln aus Stahlguß. Die größte
                              									bei uns in Betrieb befindliche Wasserturbine dürfte die 27000 PS Tangential-Turbine
                              									des Murg- und Schwarzenbach-Werkes sein. Während die großen Turbinen des
                              									Walchenseekraftwerkes 18000 PS leisten, sollen in Norwegen 8 von Deutschland
                              									gelieferte Freistrahlturbinen von je 36000 PS aufgestellt werden In Schweden sind
                              									Turbinen gebaut, die einen Durchmesser von 6 m haben und 63000 kg wiegen. Die größte
                              									Turbinenanlage besitzt das bekannte Kraftwerk am Niagarafall. Die dort vor 6–7
                              									Jahren aufgestellten Aggregate von je 37500 PS wurden im vergangenen Jahre durch
                              									solche von 70000 PS und nunmehr durch 3 neue Francis-Turbinen von je 84000 PS
                              									Leistung ergänzt. Jede wiegt 635 t und das Laufrad allein 54 t. Es ist aus einem
                              									Stück gegossen. Die Hauptwelle ist 5,4 m lang und aus einem Stück geschmiedet.
                              									Fertig ausgebaut soll diese Anlage unter einem Dach über 500000 PS verfügen. Um die
                              									gleiche Leistung wie eine 70 000 PS Turbine im Betriebsjahre zu erzeugen, sind rund
                              									500000 t bester Steinkohle bei bester Ausnützung erforderlich.
                           Eine neuere Erfindung zur Gewinnung von Elektrizität aus Wasser ist die sog.
                              									Freistromturbine des Wiener Ingenieurs Eduard Sueß. Sie bezweckt Energie ohne
                              									Gefälle, d.h. unter Umgehung kostspieliger hydroelektrischer Kunstbauten, wie
                              									bisher, zu erzeugen. In das konische Gehäuse einer solchen Turbine, wie sie kürzlich
                              									in der Donau bei Wien in Betrieb gesetzt wurde, ist ein vierflügeliger, einer
                              									Schiffsschraube ähnlich sehender Propeller eingebaut. Der Eintrittsquerschnitt
                              									beträgt 1,5 qm und der des Austritts 2 qm. Die Länge des Gehäuses ist 2 m. Der
                              									engere Teil muß gegen den Strom gerichtet sein. Diese Anordnung bewirkt, daß die
                              									Wassergeschwindigkeit im Gehäuse selbst verringert wird. Die umfließenden
                              									Wassermengen üben infolgedessen eine Saugwirkung auf das durchströmende Wasser aus,
                              									wodurch sie die Wirkung auf den Propeller so erheblich verstärken, daß eine
                              									wirtschaftliche Gewinnung elektrischer Energie möglich wird. Diese Turbine
                              									funktioniert überraschend befriedigend. Das Ergebnis beträgt bei einer
                              									Strömungsgeschwindigkeit der Donau von 3,5 m zwischen 12 bis 14 PS eff. Leistung.
                              									Der Wirkungsgrad erreicht 74%. Er kommt demnach dem der Gefälleturbinen neuerer
                              									Konstruktion gleich. Etwa 10 Meter stromabwärts hat das Flußwasser wieder die volle
                              									Geschwindigkeit. An dieser Stelle könnte demnach eine neue Freistromturbinen-Anlage
                              									versenkt werden.
                           Die Entwicklung der Dampfturbine hat seit ihrer Erfindung lange Zeit geruht. Aber
                              									auch sie hat in der Jetztzeit bedeutende Fortschritte gemacht, die vor allem auf
                              									Verbesserungen der Konstruktionen und widerstandsfähiger Baustoffe (Stahlguß,
                              									legierte Stähle und Sondermetallegierungen) beruhen. Kürzlich ist ein Stahl für
                              									Dampfturbinenschaufeln erfunden, der bei Temperaturen von 90° einwandfrei arbeitet.
                              									Vor etwa einem Jahrzehnt baute man Dampfturbinen von 3000 bis höchstens 8000 PS.
                              									Neuzeitlich beträgt die erzielte Leistung schon 30000 und die der größten der Welt
                              									sogar 100000 PS (Kraftwerk Rummelsburg). Die größte derartige Turbogruppe mit 280000
                              									PS Dauerleistung ist kürzlich der amerikanischen Brown-Boveri-Gesellschaft in
                              									Auftrag gegeben. Die einzelnen Teile – sie besteht aus einem Hochdruckteil von 75000
                              									KW bei 1800 Umdr./min und dem Niederdruckteil mit 85000 KW bei 1200 Umdr./min –
                              									werden in den deutschen Anlagen dieser Werke ausgeführt.
                           Große Bedeutung scheint die Technik der Turbo-Lokomotiven zu bekommen. Auf diesem
                              									Betätigungsgebiet ist ein hochgemutes Vorwärtsdringen und bienenemsiger Fleiß zu
                              									beobachten.
                           Die Entwicklung der Gasturbinen hat zwar eine vielhundertjährige Geschichte, aber nur
                              									wenig Fortschritte zu verzeichnen. Bereits im Jahre 1791 erhielt Barber ein
                              									englisches Patent (Nr. 1833) auf eine Verbrennungsmaschine, die nach dem Prinzip
                              									einer Turbine betrieben werden sollte. Diese Idee wurde erst in der zweiten Hälfte
                              									des vergangenen Jahrhunderts wieder aufgenommen. Es entstanden damals die
                              									Explosions-Gasturbinen und andere Abarten (Dalwitzsche Petroleum -Gasturbinen). Versuche von
                              									Dünkel (1903), von Lemale, Holzwarth-Junghans u.a. litten an dem Mangel eines
                              									geeigneten Baustoffes zur Herstellung der Turbinenschaufel sowie an der Durchführung
                              									geeigneter Kühlung. Praktische Eroberungen liegen bisher nicht vor. Nach Leich soll
                              									zwar eine von ihm konstruierte 15000 PS Gasturbine in einem Stockholmer
                              									Elektrizitätswerk laufen. Nähere Daten sind hierüber jedoch nicht zu erhalten.
                              									Ebenso liegen über die Erfindung einer neuen Gasturbine des norwegischen Ingenieurs
                              									Elling keinerlei Nachrichten vor. Vielleicht gelingt es dem deutschen Professor
                              									Stauber, in absehbarer Zeit seine Gasturbine befriedigend auszugestalten.
                           Eine umwälzende Erfindung soll die Motorturbine eines englischen Ingenieurs im Auto-
                              									und Flugverkehr bringen. Diese neuartige Turbine soll eine Effektivität von nahezu
                              									80% gegen nur 25% bei einem gewöhnlichen Benzinmotor ergeben. Ob die Versuche mit
                              									Windkraftturbinen jemals von Erfolg begleitet sein werden, muß erst die Zukunft
                              									beweisen.
                           
                              Landgräben