| Titel: | Diphenyl-Oxyd – ein neuer Betriebsstoff für Dampfkraftanlagen. | 
| Autor: | Prätorius | 
| Fundstelle: | Band 341, Jahrgang 1926, S. 216 | 
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                        Diphenyl-Oxyd – ein neuer Betriebsstoff für
                           								Dampfkraftanlagen.
                        PRÄTORIUS, Diphenyl-Oxyd – ein neuer Betriebsstoff für
                           								Dampfkraftanlagen.
                        
                     
                        
                           Bekanntlich ist der thermische Wirkungsgrad einer Wärmekraftmaschine in erster
                              									Linie abhängig von der Verdampfungstemperatur des Frischdampfes und der
                              									Temperatur im Kondensator. Der Carnotsche Kreisprozeß ergibt den günstigsten
                              									Wirkungsgrad, der bei der Dampfmaschine niemals völlig erreicht werden kann, da einmal die
                              									adiabalische Expansion praktisch nicht möglich ist, anderseits auch die Vorwärmung
                              									des Speisewassers durch Anzapfdampf in unendlich viele Stufen bis zur
                              									Kesseltemperatur sich auch nicht restlos durchführen läßt.Zerkowitz [Zeitschrift d. V. d. I. Bd. 68
                                    											(1294) S. 1093/96], hat den Beweis erbracht, daß der Clausius-Rantine-Prozeß
                                    											der Dampfmaschine nur theoretisch, und zwar bei Speisewasservorwärmung durch
                                    											Anzapfdampf bis zur Kesseltemperatur mit unendlich vielen Stufen den
                                    											gleichen Wirkungsgrad erreicht wie der Carnot-Prozeß. Allerdings
                              									wird durch die Überhitzung bei gleichbleibendem Druck, die beim Carnot-Prozeß nicht
                              									möglich ist, der thermische Wirkungsgrad wieder etwas verbessert, so daß man den
                              									Idealprozeß der Dampfmaschine (d.h. bei Annahme adiabatischer Expansion) doch
                              									ungefähr mit dem Carnot-Prozeß vergleichen kann.
                           Die Formel für den thermischen Wirkungsgrad beim Carnot-Prozeß lautet:
                              										\eta=\frac{T_1-T_2}{T_1}, worin T1 die absolute Frischdampftemperatur, T2
                              									die absolute Kondensatortemperatur ist. Der thermische Wirkungsgrad beträgt also
                              									ungefähr für
                           
                              
                                 Kesseldruck
                                 Verdampfungs-temperatur.
                                 Kondensator-druck
                                 Kondensator-temperatur.
                                 ThermischerWirkungsgrad
                                 
                              
                                 ata
                                 °C.
                                 ata
                                 °C.
                                 %
                                 
                              
                                   10
                                 179
                                 0,05
                                 32,5
                                 34,6
                                 
                              
                                   20
                                    211,4
                                 0,05
                                 32,5
                                 39,3
                                 
                              
                                   40
                                    249,2
                                 0,05
                                 32,5
                                 41,5
                                 
                              
                                 100
                                    309,5
                                 0,05
                                 32,5
                                 47,5
                                 
                              
                           Eine Drucksteigerung über 100 ata kommt bei der Dampfmaschine aus betriestechnischen
                              									und wirtschaftlichen Gründen kaum in Frage. Außerdem ist aber auch die obere
                              									Temperatur theoretisch begrenzt durch die kritische Temperatur des Wasserdampfes,
                              									die bei 225 ata 374° C. beträgt. Bei dieser Temperatur, die, wie gesagt, praktisch
                              									für Dampfmaschinen keine Bedeutung hat, würde der thermische Wirkungsgrad 52,9%
                              									betragen.
                           Um den thermischen Wirkungsgrad noch weiter zu erhöhen, müßte man die Dampfmaschine
                              									mit einem Stoff betreiben, der bei hohen Temperaturen geringere Dampfdrücke hat als
                              									Wasserdampf und dessen kritische Temperatur erheblich höher liegt. Auf Grund dieser
                              									Überlegungen baute Obering. Emmet vor einigen Jahren die bekannte
                              									Zweistoff-Dampfmaschine, bei der in der ersten Stufe Quecksilber, in der zweiten
                              									Wasser als Betriebsstoff benutzt wird. Als Quecksilber-Frischdampftemperatur wählte
                              									Emmet 400° C, das bis 0,04 ata entspannt wird und durch Abgabe seiner
                              									Verdampfungswärme Wasserdampf von 20 ata Spannung erzeugt. In der zweiten Stufe wird
                              									der Wasserdampf auf 0,05 ata entspannt. Der thermische Wirkungsgrad der Gesamtanlage
                              									errechnet sich zu:
                           \eta=\frac{400-32,5}{400+273}=54,6 %,
                           er ist also um \frac{54,6-47,5}{47,5}=14,9
                              									% besser als bei einer Höchstdruckdampfmaschine von 100 ata Frischdampfdruck.
                           Die thermischen Vorteile einer Quecksilber-Wasser-Dampfmaschine sind also sehr
                              									erheblich. Dem stehen jedoch auch schwerwiegende Nachteile gegenüber, von denen der
                              									hohe Preis des Quecksilbers und die sehr giftigen Eigenschaften der
                              									Quecksilberdämpfe, die bei etwaigen Undichtigkeiten an Kessel, Rohrleitungen oder,
                              									Maschine das Bedienungspersonal gefährden, in erster Linie zu erwähnen snd. Auch die
                              									geringe Wärmespeicherfähigkeit des Quecksilbers (die Flüssigkeitswärme ist nur sehr
                              									klein) und das hohe spezifische Gewicht ist betriebstechnisch sehr ungünstig, das
                              									letztere namentlich deshalb, weil schon bei rd. 1,5 m Höhenunterschied im
                              									Kessel die Druckunterschiede zwischen oben und unten rd. 2 at betragen würden;
                              									dadurch entstehen erhebliche Temperaturunterschiede in den einzelnen
                              									Kesselteilen.
                           Man ist daher schon seit längerer Zeit bestrebt, einen Stoff zu finden, der ähnlich
                              									günstige thermische Eigenschaften hat wie das Quecksilber, ohne dessen
                              									betriebstechnische Nachteile aufzuweisen. Wie H. DowMechanical Engineering, August 1926.
                              									mitteilt, ist es nunmehr gelungen, einen solchen Stoff herzustellen, und zwar das
                              									sogenannte Diphenyl-Oxyd. Dieser Stoff, über dessen chemische Zusammensetzung und
                              									Art der Herstellung Dow keine näheren Angaben macht, ist ein bei gewöhnlicher
                              									Raumtemperatur fester weißer Körper, der aber schon bei geringer Verunreinigung
                              									schmilzt. Der Schmelzpunkt des reinen Stoffes liegt bei 27° C, der Siedepunkt für
                              									athmosphärischen Druck bei 258° C. Die thermischen Eigenschaften sind zwar nicht
                              									ganz so günstig wie beim Quecksilber, aber bedeutend vorteilhafter als die vom
                              									Wasserdampf. Der kritische Punkt liegt bei 530° C und 32,5 ata, also weit über der
                              									Temperatur, die bei unseren heute zur Verfügung stehenden Materialien anwendbar ist.
                              									Wenn die mit Diphenyl-Oxyd und Wasser betriebene Dampfmaschine mit 450° C
                              									Anfangstemperatur (entsprechend etwa 16 ata Druck des Diphenyl-Oxyd-Dampfes) und
                              									32,5° C Kondensatortemperatur arbeitet, so ergibt sich ein thermischer Wirkungsgrad
                              									von
                           \eta=\frac{450-32,5}{450+273}=58 %.
                           Die thermischen Vorzüge des Diphenyl-Oxyds sind demnach die gleichen wie die von
                              									Quecksilber. Erst wenn es möglich wäre, Kessel- und Maschinenbaustoffe zu verwenden,
                              									die Flüssigkeits- und Dampftemperaturen über 530° C zulassen, wäre Quecksilber als
                              									Betriebsstoff überlegen.
                           Von besonderer Wichtigkeit ist es aber, daß in wirtschaftlicher und
                              									betriebstechnischer Hinsicht das Diphenyl-Oxyd ganz erhebliche Vorteile aufweist. In
                              									erster Linie ist der weit geringere Preis und die Möglichkeit, den Stoff in
                              									unbegrenzter Menge zu erzeugen, zu nennen. Der Preis beträgt nach Dow 30 cents pro
                              									lb., d.h. rd. 2,80 M/kg, während der Quecksilberpreis nach den letzten Notierungen
                              									9,30 M/kg, also mehr als das Dreifache, beträgt. Berücksichtigt man noch, daß beim
                              									Bau großer Quecksilber-Kraftwerke die augenblickliche Quecksilbergewinnung der
                              									ganzen Welt nicht annähernd ausreichen würde, um den Bedarf zu decken, so würde die
                              									gesteigerte Nachfrage wahrscheinlich eine wesentliche Preiserhöhung zur Folge haben,
                              									während dies bei Diphenyl-Oxyd, das aus vorhandenen Stoffen in unbegrenzter Menge
                              									hergestellt werden kann, nicht zu befürchten ist.
                           Der weitere große Nachteil des Quecksilbers und seiner Dämpfe ist die Giftigkeit.
                              									Nach Dows Mitteilungen hat sich bei den bisherigen Versuchen mit Diphenyl-Oxyd
                              									ergeben, daß es weder in flüssiger Form noch als Dampf gesundheitsschädliche
                              									Eigenschaften hat. Sein spezifisches Gewicht ist kaum höher als das von Wasser
                              									(1,083), so daß also auch im Kessel keine wesentlichen Temperaturunterschiede
                              									zwischen den oberen und unteren Teilen auftreten, wie das bei Quecksilber der Fall
                              									ist. Auch das bedeutet einen ganz wesentlichen Vorteil, da keine besonderen
                              									Kesselbauarten wie beim Quecksilber notwendig sind; würde nämlich zwischen unterem
                              									Teil der Siederohre und oberem Quecksilberspiegel ein Höhenunterschied von 5 bis 6 m
                              									wie bei den heutigen Steilrohrkesseln bestehen, so würde der Druckunterschied
                              									zwischen oben und unten 6,8 bis 8,2 ata betragen und die entsprechende
                              									Temperaturdifferenz 100 bis 130° C. Schon aus diesem Grunde ist es bei
                              									Quecksilberdampfmaschinen kaum möglich, über 400° C Dampftemperatur im Kessel
                              									heraufzugehen, während bei Diphenyl-Oxyd, bei dessen Benutzung auch in hochgebauten
                              									Kesseln Temperaturunterschiede von praktischer Bedeutung nicht auftreten, eine
                              									Kesseltemperatur von 450° C durchaus möglich erscheint.
                           Besondere Erwähnung verdient noch die außerordentliche Dampfdichte, die nach Dows
                              									Untersuchungen durchschnittlich das 9,4fache der Wasserdampfdichte beträgt. Da der
                              									Wärmeinhalt des Diphenyl-Oxyd-Dampfes, je nach der Verdampfungstemperatur, etwa ⅙
                              									bis 1/7 des
                              									Wärmeinhalts von Wasserdampf ausmacht, so würde, selbst auf gleichen Wärmeinhalt
                              									bezogen, im ungünstigsten Falle die Dichte noch \frac{9,4}{7}=1,35\mbox{
                                 										mal} so groß sein als bei Wasserdampf. Mit anderen Worten, bei
                              									Benutzung von Diphenyl-Oxyd können die Maschinenabmessungen bedeutend kleiner sein
                              									als bei einer Wasserdampfmaschine gleicher Leistung, oder bei gleichen Abmessungen
                              									kann die Umdrehungszahl wesentlich verringert werden.
                           Nur ein Bedenken scheint gegen die Verwendung des neuen Stoffes zu sprechen: seine
                              									Zersetzung bei hohen Temperaturen. Dadurch wurde auch seinerzeit Emmet, dem die
                              									günstigen thermischen Eigenschaften des Diphenyl-Oxydes bereits bekannt waren,
                              									veranlaßt, einen anderen Betriebsstoff für seine Zweistoff-Turbine zu wählen. Wie
                              									die neueren Untersuchungen von Dow aber gezeigt haben, ist diese Zersetzung einmal
                              									so geringfügig, daß sie praktisch vernachlässigt werden kann, dann aber hat das
                              									Zersetzungsprodukt, Phenol, selbst thermisch fast ebenso günstige Eigenschaften wie
                              									Diphenyl-Oxyd, so daß es den Arbeitsprozeß nur ganz unwesentlich verschlechtert. Dow
                              									hat in einem eisernen Kessel während eines Monats Tag und Nacht das Diphenyl-Oxyd
                              									bei 440° C sieden lassen und durch genaue Messungen festgestellt, daß im Höchstfalle
                              									während dieser Zeit 2% der Gesamtmenge sich zersetzt haben.
                           Diphenyl-Oxyd scheint tatsächlich in jeder Hinsicht geeignet zu sein, das teure und
                              									giftige Quecksilber bei der Zweistoff-Dampfmaschine zu ersetzen. Es wäre daher sehr
                              									wünschenswert, wenn in nächster Zeit eine Versuchsanlage gebaut und durch genaue
                              									Untersuchungen die Frage geklärt würde, ob eine solche Anlage nicht nur thermisch,
                              									sondern auch wirtschaftlich den neuzeitlichen Hochdruck-Dampfmaschinen überlegen
                              									ist. Eine Gegenüberstellung zweier Maschinen, von denen die reine Dampfmaschine
                              									mit doppelter Überhitzung (Anfangs- und Zwischenüberhitzung auf je 400° C), die
                              									Zweistoffmaschine dagegen nur mit Sattdampf arbeitet, ist in der folgenden
                              									Zahlentafel gegeben:
                           
                              
                                 
                                 mit Zwischenüberhitzung.
                                 Diphenyl-Oxydml
                                 
                              
                                 Frischdampf
                                 50 ata 400° C
                                 10 ata 400° C Diph.-Ox.
                                 
                              
                                 Abdampf
                                 0,05 ata 32,5° C
                                 0,05 ata 32,5° C Wasserd.
                                 
                              
                                 Thermischer Wir-  kungsgrad
                                 40,5%
                                 49%
                                 
                              
                                 Gütegrad der Ma-  schine
                                 82%
                                 83%
                                 
                              
                                 Mechanischer und  elektr. Wirkungs-  grad
                                 85%
                                 85%
                                 
                              
                                 Kessel-Wirkungs-  grad
                                 93%
                                 93%
                                 
                              
                                 Verfügbare Kraft  abzügl. Kraftver-  brauch für
                                    											Hilfs-  maschinen)
                                 95%
                                 94%
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
                                 
                              
                                 Wirtschaftlicher  Wirkungsgrad
                                 24,9%
                                 30,2%
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––
                                 –––––––––
                                 
                              
                                 Gewinn
                                 –
                                 21,3%
                                 
                              
                                 
                                 
                                 ––––––––––
                                 
                              
                           Die Zusammenstellung zeigt, daß auch der wirtschaftliche Wirkungsgrad der
                              									Zweistoffkraftanlage bedeutend höher ist als bei der Hochdruckmaschine. Für
                              									Hilfsmaschinen muß etwas mehr Kraft bei der Zweistoff-Maschine aufgewandt werden;
                              									dafür ist aber ihr Gütegrad etwas besser, vor allem deshalb, weil die Expansion in
                              									der ersten Stufe durchweg im Heißdampfgebiet erfolgt. Denn wie das Entropiediagramm
                              									erkennen läßt, verläuft die Sättigungskurve derartig, daß bei jeder adiabatischen
                              									oder annähernd adiabatischen Expansion der ursprünglich trockene Diphenyl-Oxyd-Dampf
                              									überhitzt wird, obwohl die absolute Temperatur natürlich sinkt.
                           Über die eigentlichen Gestehungskosten, die für die Wirtschaftlichkeit jeder
                              									Kraftanlage von mindestens gleicher Bedeutung sind wie die Brennstoffkosten, können
                              									bisher noch keine Angaben gemacht werden. Der Betriebsstoff ist, wenn auch viel
                              									billiger als Quecksilber, im Verhältnis zu Wasser doch noch recht teuer und ebenso
                              									wird die doppelte Maschinen- und Kondensatoranlage die Anlagekosten stark belasten.
                              									Ein endgültiges Urteil darüber und ebenso über Lohn- und Unterhaltungskosten wird
                              									erst möglich sein, wenn Betriebsergebnisse einer Zweistoff-Kraftanlage mit
                              									Diphenyl-Oxyd vorliegen.
                           Prätorius.