| Titel: | 150 Jahre Kälte-Industrie und ihre Fortschritte. | 
| Autor: | Fr. W. Landgraeber | 
| Fundstelle: | Band 345, Jahrgang 1930, S. 109 | 
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                        150 Jahre Kälte-Industrie und ihre
                           								Fortschritte.
                        Von Bergwerksdirektor Fr. W. Landgraeber.
                        FR. W. LANDGRAEBER, 150 Jahre Kälte-Industrie.
                        
                     
                        
                           Vor 150 Jahren wurde damit begonnen, die bis dahin üblichen Verfahren zur
                              									Erzeugung gekühlter Räume und Gefäße, die auf dem Prinzip der Verdampfung von
                              									Flüssigkeiten beruhen, zur künstlichen, maschinellen Kälteherstellung überzugehen.
                              									Es war Cavallo, der um jene Zeit zum ersten Male versuchte, durch Dämpfe Kälte zu
                              									erzeugen. Bis um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts kamen derartige Probleme
                              									kaum über Laboratoriumsversuche hinaus. Dann gingen Ingenieure verschiedener Länder
                              									daran, künstliche Kälte in den Dienst der Industrie zu stellen. Kältemaschinen
                              									wurden 1850 von Gorrie, 1862 von Kirk, 1867 von Behrend und 1870 von Windhausen
                              									gebaut. Es blieb jedoch deutscher Technik und Wissenschaft vorbehalten, auf dem
                              									vorgezeichneten Wege wirklich Ersprießliches zu leisten. Nicht unerwähnt seien die
                              									vielfach auch von deutschen Fabriken gebauten Absorptionsmaschinen von Carre,
                              									besonderen Erfolg hatten jedoch die Lindesschen Eismaschinen, sog.
                              									Kompressions-Kältemaschinen, die aus dem Kompressor, dem Kondensator, dem Verdampfer
                              									und dazugehörigen Verbindungsleitungen bestehen. Die geniale Erfindung unseres
                              									Altmeisters der Kältetechnik Prof. Carl v. Linde hat sich in den letzten Jahrzehnten
                              									die ganze Welt erobert, und wie auf so vielen anderen Gebieten hat deutsche
                              									Wissenschaft und Technik den größten Anteil an dem heutigen hohen Stande der
                              									Entwicklung und Vervollkommnung der Eis- und Kältemaschinen. Nicht nur ist es
                              									gelungen durch glänzende technische Anordnung Tieftemperaturen zu erreichen, bei
                              									welchen Luft flüssig wird, sondern es ist nach etwa 50jährigen Bemühungen erreicht,
                              									fast bis zum absoluten Nullpunkt bei – 273 Grad heranzukommen und – was früher als
                              									unmöglich galt – Wasserstoff sowie das hartnäckigste aller Edelgase, das Helium, zu
                              									verflüssigen.
                           Für die Wissenschaft sind derartige Fortschritte von ungeahnter Bedeutung. Sie
                              									bedürfen allerdings noch weiterer Erklärungen.
                           Auf die Wirkungsweise der Kompressions-Kältemaschinen soll hier nicht näher
                              									eingegangen werden, da die wissenschaftlichen Grundlagen für die Erzeugung tiefer
                              									Temperaturen bereits seit 8 Jahrzehnten festliegen. Allerdings steckt die
                              									wissenschaftliche Durchdringung selbst bei den ältesten Verwendungsgebieten noch in
                              									den Kinderschuhen. In dieser Hinsicht stehen der Kälteindustrie noch große
                              									Zukunftsaufgaben bevor, insonderheit auf dem Gebiet der Lebensmittelkühlung, bei der
                              									sie bekanntlich schon jetzt eine große Rolle spielt. Die Nachfrage nach
                              									Gefrierfleisch wird in den Kontinentalstaaten auf mehr als 500000 t geschätzt und
                              									trotzdem sind die beim Gefrieren in den Zellen eintretenden Veränderungen heute noch
                              									sehr wenig geklärt. Wir kennen heute noch nicht einmal die günstigsten Gefrier- und
                              									Lagertemperaturen für Gefrierfleisch. Trotzdem ist die Gefrierware, die heute auf
                              									den Markt gebracht wird, qualitativ unvergleichlich höher als diejenige, die während
                              									des Krieges ins Land kam. Wie bedeutsam die Kälteindustrie für die
                              									Lebensmittelkonservierung geworden ist, geht daraus hervor, daß in Amerika allein
                              									jährlich 50 Millionen Tonnen Kunsteis und 1½ Millionen Tonnen Speiseeis hergestellt
                              									werden. Dort steht diese Industrie unmittelbar hinter der Autoindustrie, und zwar an
                              									sechster Stelle in bezug auf andere Industrien. Das Leistungsvermögen der Berliner
                              									Kunsteisfabriken beträgt monatlich 1000000 Ztr. Weitere Anwendungsgebiete sind die
                              									Farbenindustrie, die Stickstofferzeugung und andere. Bedeutsame Fortschritte sind in
                              									der Konservierung von Molkereiprodukten sowie von Obst und Gemüse durch Kälte
                              									erzielt worden. Die Kaltaufbewahrung von Lebens- und Genußmitteln gehört überhaupt
                              									zu den wichtigsten volkswirtschaftlichen Aufgaben. Zu den vielen technischen
                              									Erfolgen auf diesem Gebiete gehört auch das neue Holztrocknungsverfahren durch
                              									Kälte. Es klingt nun zunächst sonderbar, daß nach dem neuen Verfahren das Holz nicht
                              									durch Wärme, sondern durch Kälte zum Trocknen gebracht wird. Das Verfahren besteht
                              									darin, daß Holz in einem Schuppen aufgestapelt wird, in welchem der Tür gegenüber
                              									eine Kälteanlage eingerichtet ist. Durch diese wird die Feuchtigkeit der Luft in
                              									eine Art Rauhreif verwandelt, die Luft selbst also trocken gehalten. Tritt nun
                              									Feuchtigkeit aus dem Holz in die Luft über, so wird diese von neuem in Rauhreif
                              									verwandelt usf. Es leuchtet ein, daß auf diese Weise eine zwar nicht
                              									allzugeschwindes, aber doch derart schnelles Trockenwerden der Luft stattfindet, daß
                              									Risse und Sprünge hierbei vermieden werden. Jene Risse und Sprünge, wie sie durch
                              									Anwendung von Wärme entstehen, machen bekanntlich in vielen Fällen das Holz für eine
                              									praktische Verwendung unbrauchbar.
                           Die chemische Industrie ist für die Anwendung künstlicher Kälte ein äußerst
                              									umfangreiches Anwendungsgebiet. Sie dient nicht nur zur Gaskühlung, sondern auch zur
                              									Gastrocknung sowie zur Gasverflüssigung, zur Trennung von Gasgemischen, zum
                              									Auskristallisieren von Salzen aus Laugen und ferner zur Regulierung von Lösungs- und
                              									Erstarrungsvorgängen und zur Ableitung chemischer Reaktionswärme. Die moderne
                              									chemische Großindustrie muß nicht nur über hohe, sondern auch über tiefe
                              									Temperaturen in den weitesten Grenzen unumschränkt verfügen, um den Reaktionen die
                              									gewünschte Richtung und Geschwindigkeit zu geben. Nur einige Beispiele sollen hier
                              									gegeben werden. Das Schwelgas, das bei der Verschwelung von Brennstoffen und anderer
                              									Bitumina gewonnen wird, enthält eine Reihe wertvoller Bestandteile, vornehmlich
                              									Benzine sowie Aethylen, Aethan und ihre höheren Homologene (Propan, Butan, Butylen
                              									u.a.m.). Jede Gruppe von Bestandteilen wird nun nach dem von Prof. v. Linde
                              									herausgebrachten Verfahren für sich aus dem Gase herausgeholt. Die Benzine werden
                              									nach dem Linde'schen Verfahren verflüssigt und in Sammelbehältern untergebracht. Die
                              									Bestandteile der zweiten Gruppe wie Aethylen usw., die bei gewöhnlicher Temperatur
                              										und Druck
                              									gasförmig sind, werden nach dem Verfahren der Zerlegung von Gasen nach Linde aus dem
                              									Schwelgase abgetrennt, unter Druck verflüssigt und als Gasol in den Handel gebracht.
                              									Die Methode der Zerlegung von Schwelgas zwecks Benzin- und Gasolgewinnung nach dem
                              									Gefrierverfahren besteht nun darin, daß das Gas soweit komprimiert und auf tiefe
                              									Temperaturen abgekühlt wird, daß der Partialdruck der zu kondensierenden Anteile
                              									weit überschritten wird und die betreffenden Anteile sich flüssig ausscheiden. Durch
                              									die Anwendung verschiedener Druckstufen können die Hauptgruppen der Bestandteile des
                              									Gases getrennt werden. Eine weitere Zerlegung ist erforderlichenfalls durch
                              									Rektifizierung der Flüssigkeit möglich.
                           In der Kali-Industrie können sehr große Mengen Glaubersalz aus den Abfallprodukten
                              									durch Ausfrieren aus den Mutterlaugen gewonnen werden. In jener Industrie sind
                              									bereits Gefriermaschinenanlagen mit Leistungen von 10000000 kcal/h in Anwendung. Sie
                              									sind die größten Aggregate dieser Art auf der Welt. Ihre Kälteleistung beträgt
                              									100000 kg Kunsteis pro Stunde.
                           Zur industriellen Herstellung von Kunst-Stickstoff, der für unsere Ernährung so
                              									hochbedeutsam geworden ist, ist eine Verflüssigung der Luft bei einer Temperatur von
                              									–190 Grad zum Zwecke der nachfolgenden Trennung von Sauerstoff und Stickstoff
                              									notwendig. Auch dieses geschieht mittels moderner Kältemaschinen. Bei der Gewinnung
                              									von Zechenstickstoff aus den Koksofengasen, der in neuerer Zeit eine ganz neue
                              									Industrie auf den Plan gerufen hat, wird mittels Anwendung künstlicher Kälte reiner
                              									Wasserstoff hergestellt, der auf katalytischem Wege mit Stickstoff zu Ammoniak
                              									vereinigt wird.
                           Künstliche Kälte hat neuerdings Eingang bei der Herstellung von Leuchtgas gefunden.
                              									Hierbei werden durch Abkühlung des Leuchtgases auf Temperaturen unter null Grad
                              									wertvolle Nebenprodukte gewonnen, insonderheit Naphtalin. Dieses Verfahren hat einen
                              									doppelten Zweck, erstens die Gewinnung von Naphtalin, zweitens die Entfernung dieses
                              									an und für sich ungern gesehenen Bestandteiles, weil es zu Verstopfungen und anderen
                              									Störungen der Leuchtgasleitungen Veranlassung gibt.
                           Bei Behandlung des Leuchtgases durch künstliche Kälte wird diesem durch Tiefkühlung
                              									der Gehalt an giftigem Kohlenoxyd entzogen.
                           Nicht unerwähnt sei die wissenschaftliche Bedeutung des Verfahrens der Raffination
                              									von Erdöldestillation mittels tiefgekühlter schwefliger Säure.
                           Viel zu wenig bekannt ist die Anwendung von Kälte mittels Gefrierverfahren im
                              									Bergbau. Stände der Bergtechnik nicht dieses modernste aller Schachtbau verfahren
                              									zur Verfügung, so würden zahlreiche volkswirtschaftlich äußerst wertvolle
                              									Naturschätze an Kali und Kohlen der Allgemeinheit nicht dienstbar gemacht worden
                              									sein bzw. nicht verwertet werden können. Große Mengen deutschen Bergsegens liegen
                              									unter einem Deckgebirge verborgen, das nur mittels Gefrierverfahren bezwungen werden
                              									kann. Zu diesem Zwecke wird das gesamte Erdreich im Bereich des zu teufenden
                              									Schachtes ausgefroren. D.h. es werden in Abständen von einem Meter Bohrlöcher bis in
                              									die vorgesehene Schachtteufe rund um den Schacht herum ins Erdreich gestoßen, mit
                              									zwei Rohrtouren versehen und an eine sog. Kältemaschinenanlage angeschlossen. In
                              									diesem Kältemaschinenhaus wird Chlorkalziumlauge bis auf minus 25 Grad G und beim
                              									Tiefkälteverfahren sogar bis auf über minus 50 Grad G abgekühlt und durch Pumpen in
                              									die Gefrierrohre gepreßt. In dem engeren der beiden Rohre fällt die Lauge bis zum
                              									tiefsten Punkt hinunter und fließt durch die weitere Rohrtour ins
                              									Gefriermaschinenhaus zurück. Auf dem Wege gibt sie die Kälte an das Erdreich ab und
                              									verwandelt dieses allmählich in einen Eisklotz, in dessen Schutz alsdann die
                              									eigentlichen Abteufarbeiten vorgenommen werden können. Zum Abteufen eines 600 m
                              									tiefen Schachtes ist eine Gefriermaschinen-Anlage mit einer Leistung von 1500000
                              									Frigorien (neg. Kalorien) notwendig. Der laufende Meter eines derartigen
                              									Gefrierschachtes kostet 14000–15000 Mk. Um ein Umfallen des Turms von Pisa zu
                              									verhindern, sollen die Fundamente nach dem bergtechnischen Gefrierverfahren
                              									eingefroren werden. Es ist dieses ein typisches Beispiel, wie mit den Mitteln der
                              									fortgeschrittenen neueren Technik alte Kunst und Kultur erhalten werden kann.
                           Aber noch in anderer Hinsicht ist die Kälteerzeugung für den Bergbau von Bedeutung.
                              									Viele tiefe Gruben haben so hohe Temperaturen an den Betriebspunkten, daß ein
                              									achtstündiges oder sogar nur sechsstündiges Arbeiten unmöglich ist. Das einzige
                              									durchführbare Hilfsmittel, diesem Uebelstande abzuhelfen, ist die künstliche Kühlung
                              									der Grubenluft mittels Kältemaschinen. In der Neuzeit ist bereits manchenorts hierzu
                              									übergegangen. Die Leistungssteigerung der beschäftigten Personen wurde dadurch
                              									bedeutend erhöht.
                           Ebenso wie man sich in heißen Gruben vor hohen Temperaturen durch die Hilfsmittel der
                              									Kältetechnik schützt, dürfte dieses wohl auch künftig gegen Sommerhitze in Fabrik-
                              									und Wohnräumen geschehen. Uns allen ist bekannt, wie die Arbeitsfähigkeit in einer
                              									schwülen, heißen Atmosphäre sinkt. Warum sollte nicht auch bei entsprechender
                              									Luftbehandlung durch Kühlung eine Steigerung der Leistung und ein angenehmerer
                              									Aufenthalt möglich sein? Die Anlagekosten für eine Raumkühlung würden sich bald
                              									bezahlt machen.
                           In Tropengebieten wird die Vornahme von ärztlichen Operationen häufig dadurch stark
                              									beeinträchtigt, daß infolge tropischer Hitze die Instrumente beschlagen und nicht
                              									steril bleiben. Die Heilung der Wunden wird hierdurch verlangsamt. Eine Raumkühlung
                              									würde außer einer besseren Brauchbarkeit der Operations-Instrumente auch noch einen
                              									Aufenthalt in den Hospitälern verbessern.
                           Außer den genannten Vorteilen und Fortschritten der Verwendung künstlicher Kälte
                              									steht diesem Zweig der Technik noch manches Zukunftsproblem bevor. Ihre Mission im
                              									Dienste der Wissenschaft, Industrie, Wirtschaft und Menschheit ist noch lange nicht
                              									erschöpft.