| Titel: | Der gegenwärtige Stand der Kohleverflüssigung. | 
| Autor: | Ludwig Schuster | 
| Fundstelle: | Band 345, Jahrgang 1930, S. 184 | 
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                        Der gegenwärtige Stand der
                           								Kohleverflüssigung.
                        Von Dr.-Ing. Ludwig Schuster, München.
                        SCHUSTER, Der gegenwärtige Stand der
                           								Kohleverflüssigung.
                        
                     
                        
                           Die Treibstoffe spielen im heutigen Wirtschaftsleben eine derart bedeutende
                              									Rolle, daß man fast von einem Zeitalter des Benzines sprechen kann.
                           Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn die gewaltig gestiegene Erdölproduktion mit
                              									Bedenken betrachtet wird und man für die Zukunft besorgt ist, die natürlich noch
                              									einen um das Vielfache gesteigerten Benzinbedarf mit sich bringt. Man schätzt das
                              									gesamte Erdölvorkommen der Erde auf etwa 12 Milliarden Tonnen; bei einer jährlichen
                              									Förderung von 200 Millionen To. (d. i. die Förderung im Jahre 1929) müßte der
                              									Erdölvorrat in 50 Jahren, bei stärkerer Förderung noch früher erschöpft sein.
                           Die Förderung, die im Jahre 1884 noch ca. 6 Millionen To. betrug, hat sich also mehr
                              									als verdreißigfacht.
                           Von den 184 Millionen To. Gesamtförderung des Jahres 1928 produzierten die
                              									Vereinigten Staaten 125,4 Mill., Venezuela 14,74 Mill. und Rußland 12,21 Mill. Dann
                              									folgen Mexiko, Persien, Rumänien und Niederländisch-Indien, die zusammen etwa 22
                              									Mill. förderten. Der Rest verteilt sich auf die übrigen Länder, darunter auch
                              									Deutschland mit 0,09 Mill.
                           Mit nahezu 70% der Erdölförderung stehen die Vereinigten Staaten weitaus an der
                              									Spitze. Ueberraschend ist, daß heute nicht mehr Rußland, sondern Venezuela das
                              									zweitgrößte erdölproduzierende Land der Erde ist. Das edelste und wichtigste Produkt
                              									des Erdöles ist das Benzin, doch liefert leider die Verarbeitung des Erdöles nur
                              									einen kleinen Anteil leichtsiedender Kohlenwasserstoffe, also Benzine. Es ist
                              									deshalb, um einen Raubbau des Erdöles zu vermeiden, die Hauptaufgabe der
                              									erdölverarbeitenden Industrie geworden, diesen Benzinanteil zu vergrößern oder auf
                              									anderen Wegen zu Benzin oder benzinähnlichen Produkten zu gelangen.
                           Nachstehendes Schema zeigt, daß man innerhalb 10 Jahren den Benzinanteil des
                              									Rohpetroleums auf das Doppelte gesteigert hat. Er beträgt heute ca. 40%.
                           Diese Erhöhung des Benzinanteiles wurde folgendermaßen erreicht:
                           1. Erweiterung des Benzindestillationsbereiches: Während man vor dem Kriege nur
                              									Destillate bis zum Siedepunkt von 150° C als Benzin bezeichnete, geht man heute mit
                              									der Benzinfraktion bis 225° C.
                           
                           
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 339, S. 185
                              
                           2. Die Crackung: Die höher siedenden Bestandteile des Erdöles werden bei erhöhter
                              									Temperatur und unter Druck erhitzt, „gecrackt“, sie erleiden dadurch eine
                              									Aufspaltung und zerfallen in leichter siedende Bestandteile, also Benzine einerseits
                              									und in Koks andererseits. Durch Destillation und Crackung kann die Benzinausbeute
                              									des Erdöles bis zu 60% gesteigert werden. Für die Crackung lassen sich allerdings
                              									nur schwefel- und asphaltarme Oele verwenden. Besonders für Deutschland
                              									bedeutungsvoll sind die Kraftstoffe, die als Nebenprodukte der Kokereien und
                              									Braunkohlenschwelereien gewonnen werden. Während das aus den Braunkohlen gewonnene
                              									Benzin bis jetzt nur eine untergeordnete Rolle spielt, ist das aus den Kokereien
                              									stammende Benzol, als ganz hochwertiger und ausgezeichneter Kraftstoff, sehr
                              									geschätzt. Fast ein Drittel des deutschen Kraftstoffbedarfes wird durch Benzol oder
                              									Benzol-Benzingemische gedeckt. – Durch enge Zusammenarbeit von Wissenschaft und
                              									Technik wurden in den letzten Jahren Verfahren ausgearbeitet, die eine neue, in
                              									Zukunft vielleicht ausschlaggebende Quelle der Gewinnung von Benzinen vorstellen.
                              									Diese Verfahren werden unter dem Namen „Kohleverflüssigung“
                              									zusammengefaßt.
                           Das erste Patent auf diesem Gebiete meldete F. Bergius am 6. Mai 1913 an: Es bezieht
                              									sich auf die Spaltung hochsiedender Kohlenwasserstoffe in Benzin und
                              									gleichzeitige Ueberführung der dabei entstehenden ungesättigten Verbindungen in
                              									gesättigte durch Zuführung von Wasserstoff.
                           Vier Verfahren haben heute größere Bedeutung erlangt:
                           
                              1. Das Bergiusverfahren,
                              2. Das Verfahren von Fischer-Tropsch,
                              3. Die Methanolsynthese der I. G. Farben A. G.
                              4. Die Braunkohlehochdruckhydrierung der I. G. Farben A.
                                 										G.
                              
                           Untenstehendes Schema gibt ein kurzes Bild der Verarbeitung der Rohstoffe auf
                              									Kraftstoffe.
                           Es sei nun kurz auf die einzelnen Verfahren eingegangen.
                           1. Das Bergiusverfahren: Braunkohle wird mit Schwerölen gemischt, zu einer Paste
                              									verrieben und mit Wasserstoff zusammen unter Druck in den Reaktionsraum eingepreßt,
                              									in dem die Hydrierung stattfindet. Der mit Benzindampf beladene Wasserstoff verläßt
                              									auf der anderen Seite die Apparatur, wo das Benzin kondensiert wird. Durch einen,
                              									über dem Reaktionsraum aufgesetzten Rückflußkühler wird ein Ueberreißen der schwerer
                              									siedenden Oele vermieden, sie fließen in den Reaktionsraum zurück. Das
                              									Bergiusverfahren ist also eine Hochdruckhydrierung unter Anwendung von hoher
                              									Temperatur und Druck ohne Verwendung von Katalysatoren.
                              									Eine Versuchsanlage größeren Umfanges befindet sich in Mannheim-Rheinau.
                           2. Das Verfahren von Fischer-Tropsch: Dieses gelangt auf dem Umwege über die
                              									gasförmige Phase der Kohle zu flüssigen Kraftstoffen: d.h. Steinkohle wird zu
                              									Kohlenoxyd verbrannt und dieses, gemischt mit Wasserstoff (praktisch wird Wassergas
                              									verwendet), bei 280–350° C über Katalysatoren, meist Metalloxyde, wie Zinkoxyd,
                              									Chromoxyd usf. geleitet. Man erhält dann leicht siedende Kohlenwasserstoffe
                              									(Benzine), die mit sauerstoffhaltigen Produkten (Alkohole) gemischt sind. Fischer
                              									bezeichnet dieses Gemisch als Synthol. Wenn auch dieses Verfahren noch im
                              									Versuchsstadium steckt, so kann ihm eine große Zukunft prophezeit werden, besonders
                              									da Fahrversuche mit Synthol seine Brauchbarkeit hervorragend bewiesen haben.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 339, S. 185
                              
                           
                           3. Die Methanolsynthese der I. G. Farben A. G.: Hier wird Kohlenoxyd unter
                              									Hochdruck mit Hilfe von Katalysatoren mit Wasserstoff (aus Wassergas gewonnen)
                              									hydriert. Es bildet sich hauptsächlich Methanol (Methylalkohol) neben geringen
                              									Mengen leicht siedender Kohlenwasserstoffe. Dieses Verfahren wird im größten
                              									Maßstabe im Werk Leuna der I. G. durchgeführt.
                           4. Das Braunkohlehydrierungsverfahren der I. G. Farben A. G.: Eine große Anlage
                              									dieses Verfahrens befindet sich ebenfalls in Leuna. Es sei darauf ausführlicher
                              									eingegangen, da es das einzige Verfahren ist, das bis jetzt eine größere praktische
                              									Bedeutung erlangt hat. Die Produktion an synthetischem Benzin in Leuna dürfte 1929
                              									ca. 80000 To. erreicht haben, das gewonnene Benzin ist von ausgezeichneter Qualität
                              									und fast vollkommen klopffest. Als Rohmaterial dient Braunkohle. Diese wird zuerst
                              									gebrochen und auf Nußgröße vermählen. In einer Mühle wird sie dann, gemischt mit
                              									Schwerölen (entweder höhersiedende Erdöldestillate oder Zwischenprodukte der
                              									Hydrierung selbst) zu einem feinen Brei vermählen. In einem Kohlebreisilo wird
                              									dieser Kohlebrei ein zweites Mal mit Schweröl angerieben.
                           Der erforderliche Wasserstoff wird aus Wassergas gewonnen. Man setzt dieses mit
                              									Wasserdampf zu Kohlensäure und Wasserstoff um. Die Kohlensäure wird bei 30 at mit
                              									Wasser herausgewaschen und das so gereinigte Gas durch Kompressoren, die in 5–6
                              									Stufen arbeiten, auf 200 at komprimiert.
                           Durch eine Presse wird der Kohlebrei ebenfalls auf einen Druck von 200 at gebracht.
                              									Er gelangt nun mit Wasserstoff zusammen in den Hochdruckofen, den sog. Kohleofen.
                              									Hier befindet sich der Katalysator und hier findet die eigentliche Hydrierung statt.
                              									Die Auswahl der Katalysatoren bereitete große Schwierigkeiten, da sie besonders
                              									gegen Schwefel unempfindlich sein mußten. Nach langwierigen Versuchen ist es aber
                              									der I. G. gelungen, geeignete Katalysatoren für die Hydrierung zu finden. Die
                              									Kohleöfen sind 18 m hohe Stahlzylinder, die in Betonkammern eingebaut sind. Durch
                              									den enormen Druck und die hohe Temperatur sind sie sehr beansprucht. Die Wärme der
                              									aus dem Ofen strömenden Gase wird durch Regeneratoren auf die zum Ofen strömenden
                              									Gase übertragen.
                           Die aus dem Ofen strömenden Gase, bestehend aus unverbrauchtem Wasserstoff und Oelen,
                              									werden abgekühlt. Im Kohleabstreifer wird der Wasserstoff abgetrennt und die Oele in
                              									Benzin, Mittel- und Schweröl destilliert. Während das Schweröl, mit Kohle verrieben,
                              									den Kreislauf von neuem beginnt, wird das Mittelöl im Benzinofen nochmals hydriert.
                              									Es wird wieder auf 200 at gebracht und mit Wasserstoff zusammen in den Benzinofen
                              									geleitet. Hier findet mit Hilfe des Katalysators nochmals eine Aufspaltung und
                              									Wasserstoffanlagerung des Oeles statt. Aehnlich wie oben, werden im Benzinabstreifer
                              									Gas und flüssige Kohlenwasserstoffe getrennt, die durch Destillation wieder in
                              									Benzin und Mittelöl zerlegt werden. Das Gas wird durch Waschöle von den letzten
                              									Resten leichtflüchtiger Kohlenwasserstoffe befreit und geht nach Kompression in
                              									den Kreislauf zurück.
                           Man unterscheidet also den Mittelölkreislauf im Benzinofen und den Schwerölkreislauf
                              									im Kohleofen. Der größere Teil des gewonnenen Benzines stammt aus dem Benzinofen.
                              									Das Rohbenzin wird raffiniert, und zwar mit Natronlauge, dann verdünnter
                              									Schwefelsäure und endlich mit Wasser gewaschen. Schließlich wird das Benzin noch in
                              									Pfannen destilliert, und zwar in 3 Anlagen: 1. Das Benzin des Kohleofenkreislaufes,
                              									2. des Benzinkreislaufes und 3. das raffinierte Benzin.
                           Die Beheizung der Destillationsanlage erfolgt durch hochgespannten Heißdampf. Die
                              									niedrigsiedenden Bestandteile des Benzines werden bei gewöhnlichem Druck, die höher
                              									siedenden im Hochvakuum destilliert. Die ganze Destillationsanlage ist aus Gründen
                              									der Betriebssicherheit durch Stickstoff abgesperrt.
                           Damit ist kurz die technische Anlage der Kohleverflüssigung in Leuna skizziert, und
                              									es erübrigt sich, noch etwas auf den Chemismus der Hydrierung einzugehen.
                           Trotz der gewaltigen Fortschritte auf dem Gebiete der Kohleverflüssigung muß
                              									festgestellt werden, daß eine eigentliche Verflüssigung der Kohle selbst noch nicht
                              									gelungen ist. Aus Kohle allein (ohne Vermischung mit Oelen) wurden keine oder nur
                              									wenig benzinähnliche Stoffe erhalten. Nur das Fischer'sche Verfahren kommt ohne
                              									Verwendung von Schwerölen, allerdings auf dem Wege Kohle – Gas – Kraftstoff zu
                              									flüssigen Produkten.
                           Ihrem chemischen Aufbau nach stellt die Kohle ein sehr kompliziertes Gebilde vor. Man
                              									kann annehmen, daß dieses hochmolekulare Gebilde zuerst eine Aufspaltung (Crackung)
                              									erfährt und mit Hilfe des Katalysators Wasserstoff angelagert wird und so gesättigte
                              									und ungesättigte Kohlenwasserstoffe entstehen.
                           Besonders bedeutungsvoll ist das Zusammengehen der I. G. Farben A. G. mit der
                              									Standard Oil Co., die zur Gründung der Standard I. G. Co führte. Der Zweck dieser
                              									Gründung ist die Anwendung des Hydrierungsverfahrens auf den Crackprozeß.
                           Bekanntlich werden durch die Crackung die höhersiedenden Erdölbestandteile in
                              									leichter siedende gespalten. Durch diese Aufspaltung bilden sich aber infolge
                              									Wasserstoffmangels viel ungesättigte Kohlenwasserstoffe, d.h. wasserstoffärmere
                              									Kohlenwasserstoffe, und als unerwünschtes Nebenprodukt, Koks.
                           Der große Gehalt an ungesättigten Kohlenwasserstoffen (ev. auch Schwefel) verleiht
                              									den Crackbenzinen einen stechenden Geruch und macht sie, reinen Erdöldestillaten
                              									gegenüber, minderwertig.
                           Hebt man diese Wasserstoffverarmung durch Zuführung von Wasserstoff (Hydrierung) auf,
                              									so werden nicht nur die ungesättigten Kohlenwasserstoffe in gesättigte übergeführt,
                              									sondern auch die Ausbeute an guten reinen Benzinen wird gewaltig erhöht, da ein
                              									Koksrückstand völlig ausgeschaltet wird.
                           
                           Die hydrierende Crackung ist das Ziel, das sich die Standard I. G. Co gesteckt
                              									hat und damit ist die Gefahr des Versiegens des kostbaren schwarzen Nasses, des
                              									Petroleums, auch in Zukunft in weite Fernen gerückt, da alle diese technischen
                              									Prozesse zusammen uns in die Lage versetzen, aus dem Erdöl einen hohen Anteil
                              									wertvoller Treibstoffe herauszuholen oder dieselben auf anderen Wegen zu
                              									gewinnen.