| Titel: | Wärmewissenschaftliche Behandlung wirklicher, mit endlicher Geschwindigkeit verlaufender Vorgänge am Beispiel des Eindampfens von Lösungen. | 
| Autor: | K. Schreber | 
| Fundstelle: | Band 346, Jahrgang 1931, S. 62 | 
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                        Wärmewissenschaftliche Behandlung wirklicher, mit
                           								endlicher Geschwindigkeit verlaufender Vorgänge am Beispiel des Eindampfens von
                           								Lösungen.
                        Von Dr. K. Schreber-Aachen.
                        SCHREBER, Wärmewissenschaftliche Behandlung.
                        
                     
                        
                           II. Die Thermodynamik der Vorgänge.
                           (2. Fortsetzung und Schluß).
                           9. Ausblick auf benachbarte Gebiete. a) Physiologie. Der einseitige Vorgang des Lebens besteht
                              									aus einer unendlichen Anzahl von zweiseitigen nichtumkehrbaren Vorgängen der
                              									gewöhnlichen Art. Wir können in der Zelle Aufbau- und Abbauvorgänge unterscheiden.
                              									Der Betrag der Nichtumkehrbarkeit kann verschieden sein. Vielleicht macht sich
                              									Krankheit, seelische Erregung und dergl. durch einen größeren Betrag der
                              									Nichtumkehrbarkeit der Einzelvorgänge bemerkbar.Schreber: Der Mensch als Maschine. Techn. u. Kultur 1931.
                                    										19.
                           Alle diese Vorgänge schließen sich so an einander an, daß sie für den Gesamtvorgang
                              									des Lebens nur eine Richtung geben, welche für die einfachsten Lebewesen nur dadurch
                              									zum Ausdruck kommt, daß sie immer größer werden, bis zu einer, jeder Art
                              									eigentümlichen Größe, bei welcher sie sich teilen; ihre mittlere Zusammensetzung
                              									bleibt während des Wachsens vollständig ungeändert. Bei den zusammengesetzter
                              									gebauten Tieren zeigt sich aber auch eine langsame Aenderung der mittleren
                              									Zusammensetzung. Sie geht bis zu einer bestimmten Grenze, bei welcher sie so
                              									geworden ist, daß das Lebewesen keine Nahrung mehr aufnehmen kann, und der andere
                              									einseitige Vorgang, das Verwesen, eintritt. Den Uebergang vom einen zum anderen
                              									einseitigen Vorgang nennen wir Tod. Die einfachsten Lebewesen, bei welchen keine
                              									Aenderung der mittleren Zusammensetzung eintritt, sterben auch nicht, während man
                              									bei den zusammengesetzter gebauten Tieren und Pflanzen sagen darf, daß sie vom
                              									Augenblick der Geburt an sterben, denn die Aenderung der mittleren Zusammensetzung
                              									ist die Eigenschaft des Totseins. Vor dem Tod ist die Aenderung langsam, nach dem
                              									Tod ist sie schnell.
                           Auch in der unbelebten Natur haben wir solche Grenzen der Aenderungsmöglichkeit,
                              									hinter welcher ein anderer Vorgang eintritt: z.B. kann flüssiges Wasser bei
                              									atmosphärischem Druck nicht wärmer werden als 100°; bei weiterer Wärmezuführung
                              									tritt Verdampfung ein.
                           Trotzdem ist ein Unterschied zwischen belebter und unbelebter Natur vorhanden, denn
                              									es ist zu beachten, daß gleichzeitig mit dem Uebergang von der langsamen zur
                              									schnellen Aenderung der mittleren Zusammensetzung sich auch Geist und Seele der
                              									verwickelter gebauten Tiere, namentlichdes Menschen, vom Leib trennen. Aus den
                              									Beobachtungen der Physiologen folgt, daß Geist und Seele keine physikalischen
                              									Begriffe sind, daß sie nicht mit energetischem oder daraus abgeleitetem Maß gemessen
                              									werden können, während wohl, wie eben bemerkt, seelische Erregungen die
                              									Nichtumkehrbarkeit der Einzelvorgänge im Leib beeinflussen. Mit der physikalischen
                              									Erscheinung des Ueberganges von der langsamen zur schnellen Aenderung der mittleren
                              									Zusammensetzung ist also bei den zusammengesetzter gebauten Tieren und namentlich
                              									beim Menschen noch der metaphysikalische Vorgang der Trennung des Geistes und der
                              									Seele vom Leib verbunden.
                           9. b) Philosophie. Der seit Clausius noch immer
                              									beibehaltene, mathematisch zwar richtige, aber physikalisch zwecklose Satz: Die
                              									Entropie der Welt strebt einem Maximum zu, hat auch außerhalb der Wärmelehre, ja
                              									auch außerhalb der Physik große Verwirrung angerichtet.
                           Wir kennen in der Natur eine Größe, welche dauernd zunimmt: die Zeit. Wenn nun die
                              									Entropie ebenfalls dauernd zunimmt, so ist die Versuchung groß, zu sagen, Entropie
                              									und Zeit sind dasselbe; und so kann man nach der Anschauung vieler Denker die Zeit
                              									durch die Entropie bestimmen. Dieses Gleichsetzen von Entropie und Zeit kann
                              									selbstverständlich nicht für das Berkel gelten, denn dessen Gesamtbetrag bleibt
                              									dauernd ungeändert. Es kann also nur das Triekel gemeint sein. Das Triekel ist ein
                              									Maß für die Nichtumkehrbarkeit eines jeden einzelnen wirklichen Vorganges, und es
                              									hat, wie oben gezeigt, keinen Sinn, das Triekel des einen Vorganges mit dem eines
                              									beliebigen anderen Vorganges zusammenzuzählen. Der Satz: Das Triekel der Welt nimmt
                              									immer zu, ist zwar mathematisch richtig, hat aber keinen physikalischen Sinn, und
                              									deshalb darf die Zeit nicht mit dem Triekel in Verbindung gebracht werden.
                           Man könnte mit demselben Recht die Zeit auch mit der Summe der Fehlerquadrate
                              									zusammenstellen, welche ebenfalls die Eigenschaft hat, mit jeder ausgeführten
                              									Beobachtungsreihe größer zu werden. Seit das „Weltkoordinatensystem“ große
                              									Mode geworden ist, ist das Zusammenstellen von Zeit und Entropie etwas in den
                              									Hintergrund getreten. –
                           Die im Abschnitt 7 beschriebene Kälteanlage kann man sich sowohl so betrieben denken,
                              									daß sich das Berkel von der atmosphärischen Temperatur teils nach der warmen,
                              									teils nach der kalten Temperatur, aber auch so, daß es sich von der warmen und der
                              									kalten nach der atmosphärischen Temperatur bewegt. Das ist die Folge der Einführung
                              									des Begriffes umkehrbarer Vorgang.
                           Manche Denker haben daraus den Schluß gezogen, daß zwischen Ursache und Wirkung kein
                              									Unterschied bestehe, daß Ursache und Wirkung einander gleich wäre. Nun ist der
                              									umkehrbare Vorgang überhaupt kein wirklicher Vorgang, sondern nur ein erdachter,
                              									welchen man erdacht hat, um den wirklichen Vorgang bequem behandeln zu können. Von
                              									ihm aus darf man soweit reichende Schlüsse nicht ziehen. Beim wirklichen Vorgang hat
                              									man entweder einen Temperaturüberschuß, dann bewegt sich das Berkel von der warmen
                              									zur kalten Temperatur, man hat eine Arbeitsmaschine; oder man hat einen
                              									Druckunterschiedsüberschuß, dann bewegt sich das Berkel von der kalten zur warmen
                              									Temperatur, man hat eine Kältemaschine. Es ist also in der Wirklichkeit Ursache und
                              									Wirkung sehr wohl von einander zu unterscheiden. Der
                              									Intensitätsunterschiedsüberschuß ist die Ursache, und die durch ihn bewirkte
                              									Richtung der Berkelbewegung ist die Wirkung. Ursache und Wirkung sind sehr von
                              									einander verschieden. –
                           Naturwissenschaft ist nur unter der Voraussetzung möglich, daß zu jedem Bedingenden
                              									ein ganz bestimmtes Bedingtes gehört und umgekehrt auch zu jedem Bedingten ein ganz
                              									bestimmtes Bedingendes. Die Tatsache, daß Naturwissenschaft möglich ist, – denn wir
                              									haben ja eine recht gut entwickelte Naturwissenschaft – beweist, daß die gemachte
                              									Voraussetzung zulässig ist. Man nennt sie den Kausalitätssatz. Durch Einführung der
                              									Statistik in die Physik hat man geglaubt, gezwungen zu sein, den Kausalitätssatz zu
                              										„lockern“.
                           Die Statistik ist eine Darstellungsart der Physik; aber ein Beweis, daß die Statistik
                              									wirklich die Natur darstelle, ist noch nicht erbracht. Der „größte Triumph der
                                 										Wahrscheinlichkeitslehre“, „die schönste Frucht der Statistik“ ist
                              									der Boltzmannsche Satz:
                           
                              „Die Entropie ist der Logarithmus der Wahrscheinlichkeit.“
                              
                           Dieser Satz ist nun schon mehr als 30 Jahre alt. Fragt man, welcher Baum der
                              									Erkenntnis aus dieser Frucht entstanden ist, so muß auch der begeistertste Anhänger
                              									der statistischen Physik zugeben, daß auch noch nicht das geringste Kräutlein
                              									hervorgesproßt ist. Im Gegenteil: man darf behaupten, daß dieser Boltzmannsche Satz
                              									die Teilung des von Clausius geschaffenen Begriffes Entropie in die beiden Begriffe
                              									Berkel und Triekel gehindert hat. Auf dem Gebiete der Wärmelehre ist seit jener Zeit
                              									kein wirklich wissenschaftlicher Fortschritt mehr erzielt worden. Die wenigen
                              									Arbeiten, welche seit jener Zeit auf diesem Gebiet ausgeführt worden sind, bringen
                              									im Grunde genommen nur Verbesserungen mit weniger vollkommenen Meßgeräten gefundener
                              									Werte. So kommt es, daß, wie J. Stark berichtetJ.
                                    											Stark: Die gegenwärtige Krisis der Physik. 1922. 24., Herr
                              									Generaldirektor Dr. A. Vögler schon bei der ersten Verteilung der
                              									Unterstützungen der Helmholtz-Gesellschaft die einseitige Arbeitsrichtung der Physik
                              									verurteilt hat. Auch der heutige Umfang des für die Wärmelehre in Anspruch
                              									genommenen Teils der „Physikalischen Berichte“ zeigt, daß sich seit jener
                              									Zeit nichts geändert hat.
                           Unter Berufung auf den Satz: An den Früchten sollt Ihr sie erkennen, muß man also
                              									sagen, daß die statistische Physik die Fortentwicklung der Physik, mindestens der
                              									Wärmelehre, gehindert hat, und es ist deshalb kein Grund vorhanden, aus Rücksicht
                              									auf sie die Kausalitätsvoraussetzung der Naturwissenschaften auch nur im geringsten
                              									zu lockern.
                           Bei Beachtung des Begriffes Triekel gilt der Kausalitätssatz in voller Strenge.
                           10. Die Dampfbildung aus Lösungen als nichtumkehrbarer
                                 										Vorgang. Die Anwendung der eben entwickelten Begriffe auf die Dampfbildung
                              									aus Lösungen bietet eine Schwierigkeit, welche dadurch entsteht, daß die beiden
                              									letzten Möglichkeiten der Wärmebewegung (vergl. oben 5) den Zustand des Dampfes
                              									anders beeinflussen als die erste.
                           Dampfen wir eine Lösung mit einer bestimmten Geschwindigkeit der Dampfentwicklung ein
                              									und betrachten den Dampf nur im Augenblick seines Entstehens, also wenn sich die
                              									Dampfblase an der Heizwand gerade bildet, so hat der Dampf, weil er beim
                              									Durchbrechen der Oberfläche gegen den an dieser wirksamen osmotischen Druck hat
                              									Arbeit leisten müssen, die Temperatur des aus dem reinen Lösungsmittel entstehenden
                              									Dampfes. Die Lösung dagegen ist um so viel wärmer als dieser, daß die vom Dampf
                              									mitgenommene Verdampfungswärme beim vorhandenen Temperaturunterschied gerade
                              									hinreicht, diese Arbeit nach Carnot-Clausius leisten zu können.
                           Man kann die Bedingung, daß nur im ersten Augenblick der Dampfbildung beobachtet
                              									werden soll, auch so ausdrücken, daß man die Wirksamkeit der beiden letzten
                              									Möglichkeiten der Wärmebewegung als ∞ langsam voraussetzt.
                           Der Reichtum der Lösung wird während des Eindampfens immer reicher und damit der
                              									Temperatursprung an der Oberfläche dauernd weiter. Aendern wir die
                              									Verdampfungsgeschwindigkeit, gehen z.B. zu langsamerer über, so erhalten wir im
                              									wesentlichen dieselben Erscheinungen, und wenn wir, wie wir das oben mit dem
                              									Akkumulator gemacht haben, bei beiden Geschwindigkeiten Augenblicksbilder des
                              									Reichtums in gleichen Zeitabschnitten aufnehmen, so erhalten wir, wie in Abb. 1, Punktreihen, deren Punkte im zweiten Falle
                              									dichter liegen als im ersten.
                           Führen wir dagegen der Lösung Dampf des reinen Lösungsmittels mit seiner
                              									Siedetemperatur mit einer gewissen Geschwindigkeit zu, so daß die Lösung ärmer wird,
                              									wobei wir jetzt Wärme in solchem Betrage abführen müssen, daß die Lösung immer ihren
                              									Siedepunkt behält, entsprechend der Wärmezuführung vorhin, so erhalten wir die
                              									Punktreihen der Seite Entladen der Abb. 1 unten. Wir
                              									wollen nun aus allen diesen Punktreihen die Punkte herausgreifen, welche einem bestimmten Reichtum
                              									zugehören, d.h. wir wollen uns durch die Punktreihen eine Parallele zur i-Achse
                              									gelegt denken.
                           Wir haben dann bei allen diesen Punkten denselben endlichen Temperatursprung an der
                              									Oberfläche. Gehen wir auf dieser Parallelen zum umkehrbaren Vorgang, zur
                              									gemeinschaftlichen Grenze der beiden Seiten des zweiseitigen Vorganges über, so
                              									haben wir auch bei ihm denselben endlichen Temperatursprung.Schreber: Chem. App. XIII. 1926.
                                    										150.
                           Nun war die Darstellung durchgeführt unter der Voraussetzung, daß die beiden letzten
                              									Möglichkeiten der Wärmebewegung ∞ langsam wirken. Da der umkehrbare Vorgang selbst
                              									schon ∞ langsam verläuft, so müssen wir hier annehmen, daß die beiden letzten
                              									Bewegungsmöglichkeiten der Wärme ∞2 langsam
                              									wirken. Während in der Mathematik der Ausdruck ∞n
                              									als Grenzwert von xn gar keine gedanklichen
                              									Schwierigkeiten verursacht, scheint er in der Physik noch ungewohnt zu sein, und ich
                              									vermute, daß hierin ein Teil der Schwierigkeiten liegt, daß die Gegner der
                              									Faradayschen Erkenntnis diese nicht haben erfasssen können.
                           Der obere Teil der Abb. 1 ist hierbei noch nicht
                              									berücksichtigt worden. Der endliche Temperatursprung zwischen Lösung und Dampf, von
                              									welchem ich soeben gesprochen, entspricht dem Ruhepotentialunterschiede der beiden
                              									Pole des Akkumulators. Wenn dieser mit einer gewissen Geschwindigkeit geladen werden
                              									soll, so muß zum Ruhepotentialunterschied noch ein Ueberschuß ΔV treten, welchen man
                              									beim Akkumulator sehr genau gemessen hat: Ueberspannung in Abhängigkeit von der
                              									Stromdichte.
                           Auch bei der Dampfbildung aus Flüssigkeiten ist ein solcher
                              									Temperaturunterschiedsüberschuß nötig, aber man hat ihn bisher noch nicht gemessen.
                              									Je nach der Geschwindigkeit der Dampfbildung muß zwischen Flüssigkeit und Dampf, und
                              									das gilt auch für Wasser, ein Temperaturunterschiedsüberschuß bestehen, welcher dem
                              									AV beim Laden und Entladen des Akkumulators entspricht. Daß dieser
                              									Temperaturüberschuß vorhanden ist, ist bekannt; aber er ist bisher falsch gedeutet
                              									worden: Es besteht beim Eichen des Siedepunktes von Thermometern die Vorschrift, daß
                              									das Quecksilbergefäß sich im Meßraum der Rudbergsschen Röhre befindet, und nicht in
                              									das Wasser taucht. Läßt man es in das Wasser eintauchen, so erhält man heißere
                              									Temperaturen. Dieser Temperaturüberschuß hängt nicht, wie man bisher annahm, von
                              									Unreinigkeiten des Wassers ab, sondern von der Geschwindigkeit der Dampfbildung und
                              									entspricht dem ΔV des Akkumulators in Abb. 1
                              									oben.
                           Messungen über dieses Δt liegen, soweit mir bekannt, noch nicht vor. Es wäre sehr
                              									wünschenswert, zu wissen, ob dieser Temperaturüberschuß der Flüssigkeit von den
                              									übrigen Eigenschaften der Flüssigkeiten abhängt, oder ob er für alle Flüssigkeiten
                              									bei gleicher Verdampfungsgeschwindigkeit denselben Wert hat. Mir steht kein
                              									Laboratorium und überhaupt keine Mittel zur Verfügung. Ich kann deshalb dahingehende
                              									Versuchenicht ausführen. Aber vielleicht sind besser gestellte Forscher in der
                              									Lage, Messungen dieser Art ausführen zu lassen, damit auch die Wärmelehre, nachdem
                              									sie durch Boltzmanns Satz vom Logarithmus der Wahrscheinlichkeit zum Wärmetod
                              									verurteilt war, wieder zum Leben erweckt wird.
                           Dieser Temperatursprung ist jetzt, wie schon oben berichtet, von Jakob und Fritz
                              									beobachtet worden.
                           Der vorliegende Aufsatz wurde als das allgemein wisssenschaftliche Ergebnis meiner
                              									langjährigen Arbeiten über die Temperatur des aus einer Lösung entstehenden Dampfes
                              									im wesentlichen gleichzeitig mit dem Bericht über den Vortrag meiner letzten
                              									Beobachtungen zu dieser Frage auf der Hamburger Naturforscherversammlung 1928
                              									verfaßt; gelangt aber aus Gründen, über welche ich nicht Herr bin, erst jetzt zur
                              									Veröffentlichung.
                           Am 10. März 1930, also vor der Veröffentlichung der Herren J. und F., Maiheft 1930,
                              									schrieb ich Herrn Geheimrat Knoblauch-München: „Als heißer
                                 										Festpunkt unserer Thermometer wird die Temperatur des bei 760 mm aus Wasser
                                 										entstehenden Dampfes gewählt und mit 100° bezeichnet. Das Wasser, aus welchem
                                 										der Dampf entsteht, ist selbstverständlich wärmer.“ Die Herren J. und F.,
                              									welche den Temperaturunterschied zwischen Wasser und Dampf mit ihrer
                              									Gleichgewichtsphysik nicht in Uebereinstimmung bringen können, müssen mühselig durch
                              									Vergleich ihrer gleichzeitig angestellten Druckbeobachtungen festzustellen
                              									versuchen, ob die Wasser- oder die Dampftemperatur zum Druck auf der
                              									Gleichgewichtslinie gehört.
                           Will man die Abb. 1 auch für das Eindampfen und
                              									Verarmen von Lösungen benutzen, so muß man die Siedepunktserwärmung, entsprechend
                              									dem Ruhepotentialunterschied des Akkumulators, vielleicht von der unteren i-Achse
                              									ab, zählen und dann die obere i-Achse, je nach der Lage der Parallelen zur i-Achse,
                              									welche dem ausgewählten Reichtum der Lösung zugehört, mehr oder weniger nach oben
                              									verschieben. Dann gibt die Entfernung der beiden i-Achsen von einander ein Maß für
                              									die Siedepunktserwärmung, und die die obere i-Achse schräg schneidende Linie gibt
                              									dann den Temperaturüberschuß, welcher die Verdampfungsgeschwindigkeit bedingt. Der
                              									Winkel dieser Geraden ist noch nicht beobachtet.
                           Man sieht, die Abb. 1 gibt sämtliche Vorgänge wieder,
                              									welche auf umkehrbare Vorgänge zurückgeführt werden dürfen, d.h., bei denen man die
                              									Hemmungsarbeiten vernachlässigen darf. –
                           Nun soll noch das Triekel des Eindampfens von Lösungen berechnet werden. Es besteht
                              									aus folgenden Teilen:
                           a) Für den Wärmedurchgang durch die Heizfläche hatte ich schon oben das Triekel
                              									berechnet. Den Verhältnissen der Wirklichkeit entsprechend setze ich voraus, daß der
                              									Temperaturunterschied der beiden Seiten der Heizfläche gegen die mittlere Temperatur
                              									sehr klein sei. Dann bekommen wir, wenn wir gleichzeitig die durchgehende Wärmemenge
                              									mit Hilfe der Fourierschen Gleichung auf den Temperaturunterschied beider Seiten
                              									zurückführen:
                           
                           
                              
                              \Delta\,\rho_h=\lambda\,F\,\frac{\Delta\,T^2}{T\,h^2}
                              
                           b) Für den Wärmeübergang von der Heizfläche an die Lösung läßt sich das Triekel
                              									zurzeit noch nicht berechnen, weil die Uebergangszahl α der Wärme von der Wand an
                              									die Lösung in ihrer Abhängigkeit von der Geschwindigkeit der Wärmebewegung noch
                              									nicht untersucht ist. Ich muß also einfach schreiben: Δτα, ohne den Wert andeuten zu
                              									können.
                           c) Ebenso kann man auch noch nicht den Betrag des Triekels berechnen, welcher von der
                              									Eindampfungsgeschwindigkeit herrührt. Man kennt den dem Potentialüberschuß ΔV der
                              										Abb. 1 entsprechenden Temperaturüberschuß bei
                              									Flüssigkeiten noch nicht. Ich muß mich also auch hier mit der unbestimmten Angabe
                              										ΔτT begnügen.
                           Diese drei Werte würden, soweit man zurzeit übersehen kann, den von der
                              									Geschwindigkeitsarbeit ΔW herrührenden Betrag darstellen, welcher aufgewendet werden
                              									muß, damit eine bestimmte Eindampfgeschwindigkeit erreicht wird. Dazu kommen noch
                              									die von den Hemmungsarbeiten herrührenden Beträge. Zwar können durch geschickte
                              									Anordnung diese Hemmungsarbeiten sehr klein gemacht werden, sie treten aber auf und
                              									müssen deshalb in der allgemeinen Gleichung aufgeführt werden.
                           d) Solange der Dampf noch dem Einfluß der Lösung und der Wandungen des
                              									Eindampfgefäßes ausgesetzt ist, erhält er von hier durch Leitung und Strahlung
                              									Wärme. Ist die in der Zeiteinheit entwickelte Dampfmenge D mit der spez. Wärme c,
                              									die Temperatur des abziehenden Dampfes TD und die
                              									des reinen Lösungsmittels Tm, so ist die
                              									aufgenommene Wärmemenge D • c • (TD – Tm). Da die Orte, von welchen diese Wärme kommt,
                              									Wandung und Lösung, die Temperatur T1 der Lösung
                              									haben, so ist die vernichtete Arbeit:
                           A Δ Hû = D • c • (TD – Tm) • (1 – TD/T1 )
                           Teilen wir dieses durch die Temperatur des abziehenden
                              									Dampfes, bei welcher diese Hemmungsarbeit als Wärme in die Erscheinung tritt, so
                              									erhalten wir den hiervon herrührenden Teil des Triekels.
                           e) Der von der Lösung abziehende Dampf wird in den Leitungen gedrosselt und muß hier
                              									eine Hemmungsarbeit überwinden, welche einen Zuwachs ΔτD zum Triekel bedingt.
                           Zählen wir alles zusammen, so erhalten wir das gesamte Triekel des
                              									Eindampfvorganges:
                           
                              \Delta\,\tau=\lambda\,.\,F\,.\,\frac{\Delta\,T^2}{T\,h^2}+\Delta\,\tau_{\alpha}+\Delta\,\tau_T+D\,.\,c\left(1-\frac{T_m}{T_D}\right)\,\left(1-\frac{T_D}{T_1}\right)+\Delta\,\tau_D
                              
                           Aus den unentwickelten Gliedern dieser Gleichung sieht man, daß, nachdem der
                              									Clausiussche Begriff der Entropie in seine beiden von einander unabhängigen
                              									Bestandteile Berkel und Triekel aufgelöst worden ist, noch eine große Zahl
                              									vollständig neuer Aufgaben auf dem Gebiete der Wärmelehre zu lösen ist.
                           Zusammenfassung:
                           1. Ob und wo es in der Natur sprunghafte Aenderungen von Eigenschaften gibt, ist nur
                              									durch Beobachtung festzustellen.
                           2. Wie einerseits die osmotische Kältemaschine und andererseits das Landsbergersche
                              									Heizverfahren bei der Molekelgewichtsbestimmung nach dem Siedepunktsverfahren zeigt,
                              									leistet der osmotische Druck an der Oberfläche der Lösungen Arbeit, und deshalb muß
                              									auch beim Eindampfen gegen ihn Arbeit geleistet werden, welche nur durch die
                              									Abkühlung der Verdampfungswärme des Lösungsmittels vom Siedepunkt der Lösung bis auf
                              									den des Lösungsmittels geleistet werden kann; d.h. der aus einer Lösung entstehende
                              									Dampf hat die Temperatur des aus dem reinen Lösungsmittel entstehenden Dampfes.
                              									Wegen Leitung und Strahlung hat der von der Lösung abziehende Dampf eine zwisch,
                              									beiden Siedepunkten liegende Temperatur.
                           Der sich auf seine Beobachtung verlassende Engländer Faraday hat Recht gehabt, als er
                              									zwischen Lösung und entstehendem Dampf einen Temperatursprung feststellte, während
                              									der aus vorgefaßten Meinungen und unbewiesenen Sätzen ableitende Franzose Gay-Lussac
                              									Unrecht hatte, als er diesen Temperatursprung leugnete.
                           3. Man muß einseitige und zweiseitige, und unter diesen wieder umkehrbare und
                              									nichtumkehrbare Vorgänge unterscheiden.
                           4. Der umkehrbare Vorgang ist die gemeinschaftliche Grenze der beiden
                              									Aenderungsrichtungen des nichtumkehrbaren Vorganges und kann deshalb in jeder dieser
                              									beiden Richtungen durch laufen werden; er verläuft ∞ langsam; bei ihm bewegt sich
                              									die Energie bei ∞ kleinen Intensitätsunterschieden.
                           5. Zur Behandlung von Wärmevorgängen denkt man sich den wirklichen Vorgang durch
                              									einen umkehrbaren ersetzt und benutzt dann das mit Hilfe der zuletzt genannten
                              									Eigenschaft des umkehrbaren Vorganges einzuführende Berkel db = dq/T, wo dq die bei
                              									der Temperatur T bewegte Wärme ist. Das Berkel hat die Stoffeigenschaft Σ db =
                              									0.
                           6. Die wirklichen, d.h. die nichtumkehrbaren Vorgänge verlangen einen über den beim
                              									umkehrbaren Vorgang genügenden Intensitätsunterschied hinausgehenden
                              									Intensitätsunterschiedsüberschuß. Ein Teil dieses Ueberschusses leistet die
                              									Geschwindigkeitsarbeit, welche den Schnellbetrieb ermöglicht; der andere leistet die
                              									Hemmungsarbeiten. Geschwindigkeits- und Hemmungsarbeiten sind nur rechnerische
                              									Arbeiten, deren Beträge, soweit die Erfahrung reicht, sofort als Wärme auftreten.
                              									Jede dieser Arbeiten, geteilt durch die Temperatur, bei welcher sie als Wärme
                              									auftritt, gibt einen Beitrag zum Triekel des Vorganges, welches ein Maß für die
                              									Nichtumkehrbarkeit des Vorganges ist und als solches kein Vorzeichen hat.
                           7. Triekel und Zeit haben nicht das Geringste mit einander zu tun.
                           8. Da Boltzmanns Satz: „Die Entropie ist der Logarithmus der
                                 										Wahrscheinlichkeit“, die Entwicklung der Physik nicht gefördert, sondern
                              									gehemmt hat, so ist die statistische Physik für die Fortentwicklung der Physik,
                              									wenigstens der Wärmelehre, schädlich.