| Titel: | [Kleinere Mitteilungen.] | 
| Fundstelle: | Band 320, Jahrgang 1905, Miszellen, S. 397 | 
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                        [Kleinere Mitteilungen.]
                        [Kleinere Mitteilungen.]
                        
                     
                        
                           Zuschrift an die Redaktion.
                           (Unter eigener Verantwortlichkeit der Einsender.)
                           Die Besprechung des Werkes von Herrn Professor Weyrauch:
                              									„Grundriss der Wärmetheorie“ durch Herrn Dr. Schreber in Heft 12 d. J. hat einen Briefwechsel zwischen beiden Herren
                              									zur Folge gehabt, den wir auf deren Wunsch nachstehend im vollen Wortlaut zum
                              									Abdruck bringen, da er zu keiner Einigung geführt hat.
                           Die Redaktion.
                           –––––––––
                           Stuttgart, 27. April 1905.
                           Johannesstr. 47 A.              
                           Sehr geehrter Herr Kollege!
                           Ihre Rezension meiner „Wärmetheorie“ in „Dinglers polyt. Journal“, über
                              									die ich mich im allgemeinen nicht zu beklagen habe, enthält doch einige nach meiner
                              									Ansicht unzutreffende Bemerkungen. Ich beehre mich, dies kurz wie folgt zu
                              									begründen.
                           Es ist immer gefährlich zu prophezeien, und so stimmt auch nicht, dass die §§ über
                              									kinetische Gastheorie hätten wegbleiben können, „da sie im vorliegenden Bande
                                 										nirgends Anwendung finden und im zweiten wahrscheinlich erst recht nicht“.
                              									Die kinetische Gastheorie wird im zweiten Band allerdings Anwendung finden (bei
                              									Begründung der Zustandsgleichungen überhitzter kämpfe), es ist selbst im ersten Band
                              									schon auf dieselbe verwiesen (S. 130, 137 u.s.f.) und wird wieder beim Wesen des
                              									Verdampfungsprozesses darauf hinzuweisen sein. Sie ist notwendig, um zu zeigen,
                              									unter welchen Voraussetzungen das Boyle-Gay-Lussacsche
                              									Gesetz, das Daltonsche Gesetz, konstante spezifische
                              									Wärmen cp
                              									cv usw. genau gültig
                              									wären, und um Klarheit über die tatsächlichen Abweichungen zu gewinnen. Uebrigens
                              									überrascht mich Ihre Ansicht, dass lediglich das gegeben werden soll, was
                              									augenblicklich Anwendung findet; an technischen Hochschulen ist man weniger radikal.
                              									Einen Einblick in die kinetische Gastheorie kann heutzutage jeder
                              									Maschinen-Ingenieur brauchen; die Wärmetheorie bietet die beste Gelegenheit
                              									dazu.
                           Eine Verwechslung zwischen dem „Arbeitswert einer Wärmemenge“ und der
                              										„disponiblen Arbeit“ kann wenigstens in den Kreisen, für die mein Buch in
                              									erster Linie bestimmt ist, niemals entstehen, weil die nicht sehr häufig vorkommende
                              										„disponible Arbeit“ stets mit diesem Namen oder in sonst unzweideutiger
                              									Weise bezeichnet wird, während man weit allgemeiner ebensowohl vom Arbeitswert WQ einer Wärmemenge Q als
                              									vom Wärmewert AL einer Arbeit L spricht und zu sprechen garnicht vermeiden kann,
                           Auf welche Stelle meines Werkes sich ihre Bemerkungen betreffend das Boyle-Gay-Lussacsche Gesetz beziehen, vermag ich nicht
                              									zu erkennen. Uebrigens haben die Gesetze von Boyle und
                              										Gay-Lussac für mich und jeden Ingenieur nur
                              									insoweit Bedeutung, als sie durch Erfahrung bestätigt sind. Ebensoweit können sie
                              									aber auch als Erfahrungssätze bezeichnet werden. Ihr, wenn ich nicht irre, schon
                              									anderwärts erhobener Einwand hiergegen ist mir daher unverständlich. Die von ihnen
                              									erwähnte Daltonsche Darstellung ist nicht nur weniger
                              									gebräuchlich als die Gay-Lustacsche, sondern sie ist
                              									überhaupt nicht „gebräuchlich“.
                           Dass der Diesel-Motor
                              									„gleich anfangs ausnahmsweise günstige Ergebnisse“ geliefert habe, ist von
                              									mir in dieser Allgemeinheit nicht behauptet worden. Meine Bemerkung bezog sich nur
                              									auf die Ausnutzung des Brennstoffs (S. 250, 90, 304) und auf die Zeit, als der Diesel-Motor auf den Markt kam (1897). Dass jeder neue
                              									Motor langwierige Versuchsstadien zu durchlaufen hat, bedurfte wenigstens für
                              									Ingenieure und Studierende technischer Hochschulen keiner besonderen Erwähnung.
                           Es würde mich interessieren, Ihre Ansicht in bezug auf die berührten Punkte kennen zu
                              									lernen.
                           Mit vorzüglicher Hochachtung
                           Weyrauch.
                           
                           Greifswald, 4. Mai 1905.
                           Baustr. 9.                     
                           Hochgeschätzter Herr Professor!
                           Nach Greifswald zurückgekehrt, finde ich Ihren Brief wegen meiner Besprechung Ihres
                              									Buches in „D. p. J.“ vor. Die kurze Verzögerung der Antwort haben Sie wohl
                              									die Güte durch die mit Semesterbeginn notwendig werdenden Arbeiten zu
                              									entschuldigen.
                           Gashypothese. Dass Prophezeien eine missliche Sache ist,
                              									gebe ich gern zu. Falls Herr Prof. Rudeloff mir den
                              									zweiten Band Ihres Buches zur Besprechung anvertraut, werde ich sehen, wieweit meine
                              									Ansicht, die kinetische Gastheorie hätte aus Ihrem Buche wegbleiben können,
                              									abgeändert werden muss. Ich bitte Sie diesen Punkt der Diskussion bis dahin
                              									aufzuschieben.
                           Arbeitswert. Dass ich mir erlaubt habe, den Ausdruck
                              										„Arbeitswert“ für eine in mechanischem Mass gemessene Wärmemenge als
                              
                              									unvorteilhaft zu bezeichnen, dazu ergibt einen ersten Grund Ihr Buch selbst: Sie
                              									bezeichnen mit Recht S. 101 das Verfahren Redtenbachers, die in einer Wärmekraftmaschine gewonnene Arbeit auf die
                              									gesamte zugeführte Wärme zu beziehen, als unberechtigt. Bezeichnet man aber die
                              									letztere, falls sie, um Homogenität der Gleichung zu erzielen, in mechanischem Mass
                              									gemessen ist, als Arbeitswert, so ist die Verführung zur Auffassung Redtenbachers jedenfalls so gross, dass man besser das
                              									Wort vermeidet.
                           Aus Ihrem Vorwort geht hervor, dass Sie sich den Leserkreis Ihres Buches wesentlich
                              									aus Ingenieuren zusammengesetzt denken. Gerade in Ingenieurkreisen ist nun das
                              									Bestreben, Fremdworte zu verdeutschen, sehr gross, und es wird von vielen das Wort
                              										„disponible Arbeit“ mit Arbeitswert übersetzt. Diese Bestrebungen habe
                              									ich im Auge gehabt, als ich von der Möglichkeit von Verwechselungen sprach.
                           Einen dritten Einwand gegen die Benutzung des Wortes Arbeitswert in Ihrem Sinne gibt
                              									mir das von Ihnen in Ihrem Brief angeführte Wort Wärmewert AL einer Arbeit L. Eine Arbeit lässt sich
                              									stets vollständig in Wärme verwandeln, und man darf deshalb AL als Wärme schon ansehen, solange L noch
                              									Arbeit ist und es deshalb auch als Wärmewert bezeichnen. Dagegen lässt sich Q nur teilweise in Arbeit verwandeln. Bezeichnet man
                              									nun Q/A als Arbeitswert, so kann die Aehnlichkeit der
                              									Wortbildung leicht zu falschen Auffassungen führen.
                           Zustandsgleichung. S. 68 § 21 Abs. 2 sagen Sie; „Für
                                 										möglichst vollkommene Gase hatte die Erfahrung schon vor Begründung der mech.
                                 										Wärmetheorie die Zustandsgl. ergeben:
                           pv = R (a
                              									+ t) . . . .
                           Diese Ausdrucksweise ist unzulässig. Die Erfahrung ergibt nur,
                              									dass pv = konst. und dass sich die Temperaturen durch
                              									eine Zahlenreihe darstellen lassen. Wie wir zu dieser Zahlenreihe kommen, ist
                              									ausschliesslich Sache der Uebereinkunft. Willkürlich ist die Wahl des Stoffes
                              									(Wasserstoff); willkürlich ist die Wahl der Eigenschaft dieses Stoffes (Druck bei
                              									konst. Volumen); willkürlich ist die Zuordnung der Zahlen der Temperaturskala zu den
                              									Zahlen des Druckes (arithmet. Reihe); willkürlich ist die Einheit der Skala
                              									(Schmelzpunkt bis Siedepunkt = 100°). Durch die thermodynamische Definition der
                              									Temperaturskala treten an Stelle der beiden ersten Willkürlichkeiten andere, die
                              									beiden letzten bleiben.
                           Man darf somit den zweiten Teil der Zustandsgl. nur als Definition der
                              									Temperaturskala bezeichnen.
                           Diesel-Maschine. Herr Diesel hat seine Broschüre 1893 veröffentlicht und im selben Jahre ist in
                              									Augsburg mit dem Bau begonnen worden; als dann 1897 nach vierjährigem eifrigen
                              									Arbeiten erfahrener Ingenieure eine, wenn auch noch nicht fertige, so doch
                              									aussichtsvolle Maschine vorgeführt, fehlten ihr gerade die Momente, die Diesel als grundlegend hingestellt hatte und die auch
                              									Sie S. 250 als wesentlich aus der Broschüre hervorheben: isotherme Verbrennung. Es
                              									sind also vier Jahre nötig gewesen, die Ideen Diesels
                              									zu modifizieren, nicht den Bau einer gleich anfangs aussichtsvollen Maschine zu
                              									vervollkommnen. Wäre die 1897 herausgekommene Maschine die von Diesel beabsichtigte gewesen, so wäre Ihr Ausdruck
                              									berechtigt; da das aber gerade in wesentlichen Punkten nicht der Fall ist, so halte
                              									ich meine Kritik aufrecht.
                           Ich bitte meiner Versicherung, dass ich sine ira et studio geschrieben habe, zu
                              									glauben, und bedaure, dass die Knappheit des mir zur Verfügung stehenden Platzes es
                              									mir unmöglich gemacht hat, alle guten Seiten Ihres Buches hervorzukehren.
                           Mit vorzüglichster Hochachtung
                           Dr. K. Schreber.
                           –––––––––
                           Stuttgart, den 7. Mai 1905.
                           Johannesstr. 47 A.            
                           Sehr geehrter Herr!
                           Für Ihre geschätzten Mitteilungen sage ich Ihnen meinen besten Dank. Leider haben mir
                              									dieselben nicht diejenigen Aufklärungen gebracht, welche ich zur Begründung Ihrer
                              									Kritik erwarten zu dürfen glaubte. Es genügt wohl, hierzu folgendes anzuführen.
                           Kinetische Gastheorie. Es ist durchaus kein Grund
                              
                              									vorhanden, die Diskussion über diesen Punkt bis zum Erscheinen der zweiten Hälfte
                              									meines Werkes aufzuschieben, da ich nicht nur auf diese Bezug genommen habe, wenn
                              									auch Sie die weiteren Bemerkungen übergehen. Wie wollen Sie überhaupt entscheiden,
                              									was in Vorträgen für Ingenieure zweckmässig zu geben ist (vgl. den ersten Absatz
                              									meines Vorwortes), da Sie offenbar die Verhältnisse an technischen Hochschulen
                              									überhaupt nicht kennen. Ich kann Ihnen durch mein einstiges Kollegienheft beweisen,
                              									dass schon Clausius in seinen Vorträgen am Züricher
                              									Polytechnikum die kinetische Gastheorie berücksichtigt hat.
                           Arbeitswert. Dass eine Wärmemenge sich nicht vollständig
                              									in Arbeit verwandeln lässt, ist für jeden studierenden Maschineningenieur eine
                              									solche Binsenwahrheit, dass man ohne jede Gefahr ebenso WQ als Arbeitswert einer Wärmemenge Q wie AL als Wärmewert einer Arbeitsmenge L bezeichnen kann. Dass hierdurch irgend jemand zu der
                              									alten Auffassung Redtenbachers verführt worden wäre,
                              									die jeder als charakteristischen Fehler kennen lernt, ist mir in meiner ganzen
                              									Praxis noch nicht vorgekommen. Wie ein Ingenieur, der fortwährend mit Nutzarbeit,
                              									indizierter Arbeit, disponibler Arbeit zu tun, gerade die letztere mit dem
                              									Arbeitswert WQ verwechseln soll, ist mir
                              									unverständlich, und noch mehr, wie er „disponible Arbeit“ mit
                              										„Arbeitswert“ anstatt mit „verfügbare Arbeit“ übersetzen könnte,
                              									ganz abgesehen davon, dass diese Worte überhaupt niemand übersetzen will.
                           Zustandsgleichung. Dass die Erfahrung schon vor
                              									Begründung der Wärmetheorie die Zustandsgleichung pv =
                              										R (a + t) ergeben hat,
                              									ist vollkommen richtig, und niemand ausser Ihnen hat es bisher bestritten. Sie
                              									finden die Gleichung schon 1824 bei Carnot, während die
                              									Wärmetheorie in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts durch
                              										Thomson und Clausius
                              									begründet wurde. Die erfahrungsmässigen Grundlagen jener Zustandsgleichung sind im §
                              									36 meines Buches eingehend besprochen, woneben sich ein Hinweis auf die kinetische
                              									Gastheorie als zweckmässig erwies, die Sie aber für überflüssig halten. Die
                              									Schwierigkeiten der Temperaturdefinition sind mir wohl bekannt (vgl. meinen Artikel
                              										„Temperatur“ in „Luegers Lexikon der gesamten Technik und ihrer
                                 										Hilfswissenschaften“), das hat aber nichts mit der Herkunft obiger Gleichung
                              									zu tun.
                           Diesel-Motor. Ihre Bemerkungen sind geeignet, den
                              									vorhandenen Streitpunkt zu verdunkeln. Ihre Rezension enthält den Satz: „Die
                                 										Behauptung, dass der Diesel-Motor „gleich
                                    											anfangs ausnahmsweise günstige“ Ergebnisse geliefert habe, ist wohl
                                 										etwas zu begeistert.“ Damit haben Sie mir etwas in den Mund gelegt, was ich
                              
                              									nicht ausgesprochen habe, um dann Ihre Kritik daran zu knüpfen. Der betreffende
                              									Passus lautet tatsächlich wie folgt (S. 250): „Die Ausnutzung des Brennstoffs im Diesel-Motor war gleich anfangs ausnahmsweise günstig, indem der
                                 										Petroleumverbrauch bei der 20 pferdigen Versuchsmaschine bis 0,215 kg pro
                                 										Nutzpferdestärke und Stunde herabging, was einer Ausnutzung von 30 v. H. des
                                 										Heizwertes entspricht“ (S. 89, 91). Die 20pferdige Versuchsmaschine war die
                              									erste, welche der Oeffentlichkeit vorgeführt wurde, und die angeführte Ausnutzung
                              									des Brennstoffs wird auch von Ihnen nicht bestritten. Was von Diesel beabsichtigt oder nicht beabsichtigt war, hat
                              									mit obiger Bemerkung absolut nichts zu tun, es wird übrigens von mir ebenfalls
                              									besprochen. Erst nachdem Sie an Stelle der ausnahmsweise
                                 										günstigen Ausnutzung des Brennstoffs ganz allgemein ausnahmsweise günstige Ergebnisse gesetzt hatten, wurden Ihre kritischen
                              									Bemerkungen möglich. Wie Sie diese hiernach aufrecht erhalten können, ist mir
                              									umsomehr ein Rätsel, als ich ausdrücklich hervorhebe, dass der Brennstoffverbrauch
                              									allein für die Zweckmässigkeit einer Maschine nicht massgebend sei und der Diesel-Motor bis dahin die anfänglichen hohen
                              									Erwartungen nicht erfüllt habe (S. 90, 250, 304).
                           Aus der in meinem ersten Briefe und oben gegebenen Beleuchtung Ihrer Besprechung
                              									meines Buches darf ich wohl den Schluss ziehen, dass davon manches besser
                              									weggeblieben wäre, und dass es demnach nicht ganz richtig ist, wenn Sie sagen, dass
                              									die Knappheit des Ihnen zur Verfügung stehenden Platzes Sie verhindert habe, alle
                              									guten Seiten des Buches hervorzuheben. Sollten unsere Ansichten sich auch jetzt noch
                              									nicht begegnen können, so schlage ich Ihnen vor, unsern Briefwechsel den Lesern von
                              										„Dinglers polytechnischem Journal“ zur eigenen Entscheidung
                              									vorzulegen.
                           Hochachtungsvoll                                  Weyrauch.
                           –––––––––
                           Greifswald, Baustr. 9, 12. Mai 1905.
                           Sehr geschätzter Herr!
                           Da Sie mit meinen Erklärungen nicht zufrieden sind, sehe Ich mich gezwungen, noch
                              									einmal auf die Sache einzugehen.
                           Gashypothese. Lehrbücher der Wärmelehre gibt es eine
                              									grosse Zahl, in denen das Gebiet von den verschiedensten Seiten aus aufgefasst wird.
                              									Augenblicklich liegt mir zur Besprechung für „D. p. J.“ ein weiterer Teil des
                              									Werkes von Weinstein vor. In diesem Buche ist die
                              									Hypothese die Hauptsache: W. will zeigen, wie man sie
                              									formulieren muss. damit sie möglichst viel Erscheinungen umfasse. Es wird deshalb
                              									niemand in diesem Werke die Gashypothese für überflüssig erklären. Anders liegen die
                              									Verhältnisse in einem für Ingenieure bestimmten Buch. Der Ingenieur muss die
                              									Grundsätze der Wärmelehre kennen und zwar so wie sie die Erfahrung bietet. Ob man
                              									mit Hilfe irgend welcher Hypothesen eine besonders elegante mathematische
                              									Darstellung dieser Erfahrungstatsachen findet, ist für ihn wertlos, weil dadurch die
                              									Anwendbarkeit nicht erleichtert wird. Deshalb habe ich die Gashypothese in Ihrem für
                              									Ingenieure bestimmten Buch für überflüssig erklärt.
                           Ich stehe mit der Ansicht, dass in einer für Ingenieure bestimmten Thermodynamik die
                              									Gashypothese überflüssig ist, nicht allein. Z.B. bringt Prof. Mollier-Dresden in seiner Vorlesung nichts von ihr, und
                              									ich glaube kaum, dass deshalb irgend einer seiner Schüler in der Praxis unbrauchbar
                              									sei.
                           Dass Sie als Eideshelfer Clausius anrufen, ist recht
                              									unvorteilhaft für Sie. Dass er in Zürich die Gashypothese mit vorgetragen hat, ist
                              									sehr erklärlich; war er doch damals gerade dabei, sie zu entwickeln. Als er aber
                              									später seine mechanische Wärmetheorie bearbeitete, hat er schon sehr scharf auf
                              									reinliche Scheidung der auf Erfahrung beruhenden Sätze von den hypothetischen
                              									gesehen. Es ist also sehr ungewiss, ob er auch später noch alles so vorgetragen, wie
                              									sie es in Zürich gehört. Auch ist durchaus nicht nötig, dass das, was vor 50 Jahren
                              									berechtigt war, noch jetzt berechtigt ist. Ich bitte Sie die Besprechung von O. E. Meyers Gastheorie durch Ostwald nachzusehen, „Zeitschr. f. physik. Chemie 15 S. 524, 1894, und
                                 										29, S. 189, 1899.
                           Zustandsgleichung. Es kommt mir gar nicht auf die Zeit
                              									an, in welcher die Gleichung pv = RT [bezw. (1 + at)] aufgestellt ist, sondern darauf, dass der von der
                              									Temperatur abhängige Teil derselben überhaupt keine Erfahrung ist, wie Sie S. 68
                              									behaupten, sondern eine willkürliche Festsetzung. Auf S. 236 findet sich der
                              									merkwürdige Satz: „Das Gay-Lussacsche Gesetz war
                                 										(1738) noch nicht entdeckt“. Ich bitte Sie, mir zu erklären, wie dieses
                              										„Gesetz“ überhaupt entdeckt werden kann; wie wurde denn damals, als es
                              									Ihrer Ansicht nach entdeckt wurde, das Mass der Temperatur festgestellt? Sie haben
                              									vielleicht die Güte, dabei nochmals die ersten Abschnitte aus Machs Prinzipien der Wärmelehre nachzulesen.
                           Sie sagen übrigens selbst S. 9: „so beruhen die gebräuchlichen Temperaturmessungen
                                 										auf einzeln, willkürlich herausgegriffenen Wirkungen der Wärme auf willkürlich
                                 										gewählte Körper z.B..... auf den Druckänderungen eines Gases.“ Formulieren
                              									wir diesen Satz mathematisch, so heisst er doch: Wir messen die Temperatur nach der
                              									Gleichung T=\frac{p\,v}{R}. Wie Sie dann noch sagen können, pv =
                                 										RT sei eine Erfahrungstatsache, ist mir unerfindlich.
                           Arbeitswert. Zeuner gebraucht in seiner Thermodynamik I
                              									S. 427 (1900) das Wort Arbeitswert für diejenige Wärmemenge, welche bei einem
                              									vorliegenden Prozess im günstigsten Falle in Arbeit verwandelt werden kann. Das Werk
                              									von Zeuner ist doch immerhin nicht ganz ohne Bedeutung;
                              									es ist auch früher erschienen als das Ihre. In der von Zeuner gebrauchten Bedeutung ist eine Auffassung wie die Redtenbachers unmöglich; in der Ihren dagegen wohl. Sie
                              									müssen es sich also gefallen lassen, wenn ihre Wahl als unvorteilhaft hingestellt
                              									wird.
                           Im Sinne Zeuners habe ich das Wort Arbeitswert gebraucht
                              									D. p. J. 319, S. 113, 1904.
                           Diesel-Maschine. Nachdem ich nochmals wiederholt alle
                              									Stellen Ihres Buches durchgesehen, in denen Sie von der Diesel-Maschine sprechen, kann ich noch immer nicht finden, dass ich an
                              									meinen Worten etwas ändern muss. Für mich ist es selbstverständlich, dass in einem
                              									Lehrbuch der Wärmetheorie der Einfluss des Brennstoffpreises, der Anschaffungskosten
                              									usw. (siehe Schreber, Kraftmaschinen, S. 299 ff.) auf
                              									die praktische Bedeutung einer Wärmekraftmaschine nur angedeutet werden kann, und
                              									dass im wesentlichen nur von der Ausnutzung des durch den Brennstoff gegebenen
                              									Heizwertes die Rede ist. Für mich ist also in einer Besprechung eines Grundrisses
                              									der Wärmetheorie der Ausdruck: „dass der Diesel-Motor gleich anfangs ausnahmsweise günstige Ergebnisse gehabt
                                 										hat“, identisch mit dem von Ihnen gebrauchten „Die Ausnutzung des
                                 										Brennstoffes im Diesel-Motor war gleich anfangs
                                 										ausnahmsweise günstig“.
                           Sie beschreiben S. 250 die Maschine, wie sie Diesel sich
                              									in seiner Broschüre gedacht hat; diese Maschine hat überhaupt nicht zu einer
                              									Ausnutzung des Brennstoffes geführt, sie hat niemals Leerlauf erzielt. Die Maschine,
                              									welche die von Ihnen gerühmte günstige Ausnutzung erzielt hat, und deshalb Hoffnung
                              									auf eine marktfähige Maschine gab, ist erst nach vierjährigen, eifrigen Bemühungen
                              									wohlerfahrener Ingenieure einer leistungsfähigen Fabrik unter Aufgabe der
                              									Fundamentalgedanken Diesels geschaffen worden. Ehe sie
                              									wirklich marktfähig wurde, hat noch eine Weile gedauert. Deshalb erkläre ich Ihre
                              									Ausdrucksweise für zu begeistert.
                           Sehr geschätzter Herr! Sollten Sie auch jetzt noch darauf bestehen, unseren
                              									Briefwechsel den Lesern von „D. p. J.“ zu unterbreiten, so bin ich gern damit
                              									einverstanden.
                           Ergebenst                                    Dr. K. Schreber.
                           ––––––––
                           Stuttgart, den 16. Mai 1905.
                           Johannesstr. 47 A.               
                           Sehr geehrter Herr!
                           Aus Ihrem letzten Schreiben entnehme ich Ihr Einverständnis, unseren Briefwechsel in
                              									D. p. J. mit Genehmigung der Redaktion zu veröffentlichen. Ich darf Sie demgemäss
                              									bitten, meine drei Briefe an letztere zu übersenden; ich werde die Ihrigen
                              									überreichen. Sollten Sie auf die folgenden Zeilen innerhalb einiger Tage eine
                              									Antwort geben, so bin ich bereit, dieselbe beizufügen.
                           Kinetische Gastheorie. Dass der Ingenieur die Grundsätze
                              									der Wärmetheorie so kennen lernen soll, wie sie die Erfahrung bietet, ist vollkommen
                              									richtig und danach ist in meinem Buche verfahren. Dass aber deshalb eine kurze Skizze der
                              									kinetischen Gastheorie überflüssig wäre (bei mir sind es 9 Seiten), ist irrtümlich,
                              									da Anschauungen und Resultate dieser Lehre in Vorträgen und Schriften über
                              									Wärmetheorie häufig herangezogen werden. So findet sich denn auch die kinetische
                              									Gastheorie nicht nur bei Clausius, sondern auch in den
                              									Lehrbüchern über technische Thermodynamik von Grashof
                              									(1875), Gross, Lorenz (1904) und selbst in den nur 128
                              									Seiten umfassenden Grundzügen von Birven (1905)
                              									berücksichtigt. Sodann ist im Gegensatze zu der Begründung des Einwandes in Ihrer
                              									Rezension auf die Resultate der Gastheorie bereits im ersten Teil meines Werkes
                              									hingewiesen und wird noch im zweiten Teil davon Gebrauch zu machen sein. Wenn der
                              									von Ihnen als Eideshelfer angerufene Herr Prof. Mollier
                              
                              									in seinen Vorträgen die kinetische Gastheorie nicht berücksichtigt, so kann ich dies
                              									sehr wohl verstehen. Auch ich vermag wegen der Zunahme des Stoffes seit Jahren im
                              									Vortrag nicht mehr darauf einzugehen, um so erwünschter ist mir, auf das in den
                              									Händen der meisten Zuhörer befindliche Buch verweisen zu können. Auf Ihre Bemerkung,
                              									dass ein Ingenieur auch ohne kinetische Gastheorie in der Praxis brauchbar sei,
                              									erwidere ich, dass dies selbst ohne Wärmetheorie der Fall sein kann. Ihr Hinweis auf
                              									die reinliche Scheidung der auf Erfahrung und auf Hypothesen beruhenden Sätze bei
                              										Clausius ist geeignet, irrtümliche Auffassungen zu
                              									erwecken. Es muss Ihnen doch bekannt sein, dass bei mir ganz besonders auf reinliche
                              									Scheidung gesehen und schon im Vorwort betont ist: „Auch die Gliederung des
                                 										Stoffes erweist sich im Interesse der Klarheit und Verfügbarkeit desselben sehr
                                 										wichtig, wie es z.B. nicht angemessen erscheint, Ergebnisse, welche bestimmte
                                 										Anschauungen voraussetzen (Molekulartheorie, Bewegungsnatur der Wärme,
                                 										kinetische Gastheorie) mit den auf der Erfahrung allein beruhenden ohne weiteres
                                 										zusammenzuwerfen“ (vergl. auch den Eingang zum VI. Abschnitt-Zustandsgleichung. Ich habe das Boyle-Gay-Lussacsche Gesetz
                           
                              pv = R(a + t)
                              
                           in demselben Sinne als Erfahrungssatz eingeführt, wie dies in
                              									den Lehrbüchern der Physik und Wärmetheorie gebräuchlich und jedenfalls auch Ihnen
                              									bekannt ist. Ich verweise beispielsweise auf das ausführliche Handbuch der Physik
                              									von Winkelmann, I. Mechanik 1871, S. 503 und II. Wärme
                              									1896, S. 106. Gay-Lussac hat im Jahre 1802 auf Grund
                              									umfassender Versuche den Satz aufgestellt: „Alle Gasarten, gleichviel welches
                                 										ihre Dichtigkeit sei... werden durch gleiche Grade von Wärme um gleichviel
                                 										ausgedehnt“. Dieser Satz in Verbindung mit dem auch von Ihnen als
                              									Erfahrungssatz anerkannten Boyleschen Gesetz ergibt
                              									obige Zustandsgleichung (§ 35). Dass Gay-Lussac dabei
                              									das gebräuchliche Temperaturmass benutzte, ändert nichts an der erfahrungsmässigen
                              									Grundlage seines Gesetzes und damit der obigen Zustandsgleichung. Diese tritt bei
                              									mir wie in anderen Lehrbüchern der Wärmetheorie darin hervor, dass die durch
                              									Versuche festgestellten Werte der Konstanten R und
                              									a=\frac{1}{\alpha} angeführt und das Gültigkeitsbereich auf Grund der Erfahrung kontrolliert
                              									wird. Durch dies allgemein übliche und historisch begründete Verfahren wird der
                              									Kritik des Temperaturbegriffes nicht vorgegriffen. Mit anderen Begriffen wird ganz
                              									ähnlich verfahren. Da Gay-Lussac und der von ihm
                              									erwähnte Charles im Jahre 1738 noch nicht lebten, so
                              									ist es offenbar ganz richtig, dass das oben zitierte Gay-Lussacsche Gesetz in diesem Jahre noch nicht entdeckt war.
                           Arbeitswert. Wenn der erste Hauptsatz der Wärmetheorie
                              									feststellt, dass Arbeit und Wärme aequivalent sind, so
                              									ist es selbstverständlich, dass man vom Arbeitswert WQ
                              									einer Wärmemenge Q wie vom Wärmewert AL einer Arbeit L sprechen
                              									kann. Diese Bezeichnungen sind schon der Kürze halber kaum zu vermeiden. Allerdings
                              									empfiehlt es sich dann, den Namen Arbeitswert einer Wärmemenge nicht noch in
                              									speziellerer Bedeutung zu verwenden, was auch bei mir nicht geschehen ist. Dass
                              									Ingenieure den Arbeitswert WQ mit der disponiblen
                              									Arbeit verwechseln könnten, halte ich auf Grund meiner Erfahrung für ebenso
                              									ausgeschlossen, als dass sie ihn mit der indizierten Arbeit oder Nutzarbeit
                              									verwechseln.
                           Dieselmotor. Ich habe unsere Differenz über diesen
                              									Punkt in meinem letzten Briefe sehr scharf dargelegt. Sie haben in Ihrer Antwort
                              									nicht bestritten, dass Sie mir in der Rezension einen Ausspruch in den Mund legten
                              									und eine Kritik daran knüpften, der in meinem Buche nicht vorkommt, dass ich im
                              									Gegenteil auf die Faktoren, welche neben der Ausnutzung des Brennstoffes für die
                              									Zweckmässigkeit eines Wärmemotors in Betracht kommen, gerade mit Bezug auf den Diesel-Motor ausdrücklich hingewiesen habe (S. 90, 250,
                              									304). Wenn Sie sich nun trotzdem zu der Behauptung versteigen, der Ausdruck „die Ausnutzung des Brennstoffes im Diesel-Motor war gleich anfangs ausnahmsweise
                                 										günstig“ sei identisch mit der Aussage „der Diesel-Motor habe gleich anfangs ausnahmsweise günstige Ergebnisse geliefert“, so muss ich jede weitere
                              									Diskussion über diesen Punkt für aussichtslos halten.
                           Hochachtungsvoll                                  Weyrauch.
                           ––––––––
                           Sehr geschätzter Herr Professor!
                           Ihrem Wunsche entsprechend werden gleichzeitig mit diesem Briefe Ihre drei Schreiben
                              									vom 24. 4., 7. 5., 16. 5. an Herrn Prof. Rudeloff
                              									abgehen. Dass Sie mir zugeben, dass Sie die kinetische Gashypothese in Ihren Vorträgen nicht bringen, genügt mir zum Beweiss,
                              									dass auch Sie die für entbehrlich, d.h. überflüssig halten. Gerade weil Sie in Ihrem
                              									Buche im allgemeinen sehr auf die reinliche Scheidung zwischen Tatsache und
                              									Hypothese gehalten haben, ist eine solche Hypothese sehr gefährlich, denn es wird
                              									ein nicht sehr aufmerksamer, nichtkritischer Leser dadurch leicht verführt,
                              									Folgerungen aus der Hypothese mit Folgerungen aus Tatsachen zu verwechseln. Deshalb
                              									habe ich die Hypothese für Ihr Buch für überflüssig erklärt. In einem Buch wie z.B.
                              										Weinsteins weiss jeder Leser von vornherein, dass
                              									die Hypothese überall zugrunde gelegt ist, da kommt er also nicht zu falschen
                              									Vorstellungen.
                           In bezug auf die Zustandsgleichung haben Sie meine
                              									Fragestellung umgangen: Gay-Lussac und Dalton haben gleichzeitig: festgestellt, dass pv = f(t) wo f(t) eine für
                              									alle Gase gleiche Funktion der Temperatur ist; welcher Art diese Funktion ist;
                              									konnten sie nicht feststellen, weil noch kein Mass der Temperatur scharf definiert
                              									war. Ich frage nochmals ausdrücklich: wie war das von Gay-Lussac benutzte „gebräuchliche Temperaturmass“ definiert?Ich antworte, dass es das Temperaturmass nach
                                    												Reaumur war. (Weyrauch).
                           Das von Zeuner benutzte Wort Arbeitswert gibt die Arbeit, welche in einem bestimmten, von einer
                              									Maschine ausführbaren Prozess im günstigsten Falle gewonnen werden kann.
                           Der Zeunersche Arbeitswert sagt also, wieviel eine
                              									Wärmemenge für einen Wärmekraftmaschinenbauer wert ist. Wir haben hier einen sehr
                              
                              									scharf definierten Begriff, welcher nie zu Verwechselungen Anlass geben kann. Der
                              									von Ihnen eingeführte Begriff kann zu Verwechselungen in der Art Redtenbachers führen, er ist deshalb zu gunsten des
                              									älteren Zeunerschen zu vermeiden.
                           Da es mir trotz vielfacher Bemühungen nicht möglich geworden ist, unter dem „Diesel-Motor“ des Satzes: „Die Ausnutzung
                                 										des Brennstoffes im Diesel-Motor war gleich anfangs
                                 										ausnahmsweise günstig“ eine andere Maschine gemeint zu sehen, als die
                              									unmittelbar vorher auf Grund der Dieselschen Broschüre
                              										beschriebene,Sie ist auf Grund
                                    											der zitierten Aufsätze von Diesel und Schröter in der Zeitschrift des „Vereins
                                       												Deutscher Ingenieure von 1897 beschrieben. (Weyrauch). die überhaupt niemals in Gang gekommen ist,
                              									so ist allerdings eine weitere Diskussion hierüber unnötig.
                           Mit dem Ausdruck des Bedauerns, dass es mir nicht gelungen ist, Sie von der
                              									Berechtigung der kleinen Ausstellungen an Ihrem sonst so wertvollen Buch zu
                              									überzeugen, zeichne
                           Hochachtungsvoll und ergebenst                          
                           Dr. K. Schreber, Professor,      
                           z. Zt. Dresden-A. 3, Struvestr. 27.
                           20. Mai 1905.