| Titel: | Bücherschau. | 
| Fundstelle: | Band 324, Jahrgang 1909, S. 16 | 
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                        Bücherschau.
                        Bücherschau.
                        
                     
                        
                           Vorlesungen über chemische
                                 										Atomistik. Von Dr. F.W. Hinrichsen.
                              									Privatdozent a.d. Technischen Hochschule zu Charlottenburg. Mit 7 Abb. Berlin und
                              									Leipzig. 1908. G.B. Teubner.
                           Kant hat bekanntlich der Chemie seines Zeitalters den
                              									Charakter einer Wissenschaft abgesprochen, weil sie sich „der Anwendung der
                                 										Mathematik“ – damals – „unfähig zeigte“.
                           Man kann wohl schlechthin behaupten, daß jeder Zweig menschlicher Arbeit in
                              									fortschrittlichem Sinne unfruchtbar bleibt, solange dieses Streben darauf beschränkt
                              									bleibt, überlieferte Erfahrungen zu reproduzieren und
                              									bekannte Tatsachen und Vorgänge zu sezieren.
                           Zur Wissenschaft wird jede Arbeit erst dann und nur dann,
                              									wenn sie wissentlich, auf Grund theoretischer Postulate
                              									neue, fruchtbringende Geschehnisse und Dinge vorauszusagen und zweckbewußt zu
                              									verwirklichen vermag.
                           Dies erfolgt in der modernen Chemie mit der zwingenden Gewalt mathematischer Gesetze bei der Thermodynamik, Jonentheorie,
                              									Elektronentheorie u a. im strengen Sinne Kants.
                              									Anderseits benutzt sie jedoch auch mit großem Erfolg die qualitative Sicherheit oder Wahrscheinkeit, die
                              									den statistischen Erfahrungsregeln (Periodizität, Valenzlehre usw.) beigemessen
                              									werden kann.
                           Verf. gibt in dreizehn schönen Vorlesungen ein abgerundetes Bild über die
                              									Arbeitssysteme der theoretischen Chemie. Er zeigt, wie die Chemie von der Alchimie
                              									ausgehend, sich Schritt für Schritt zur exakten und fruchtbaren Wissenschaft entwickelt hat und daß sich
                              									auch im wirtschaftlichen Sinne des Wort bewährt „Das Praktischeste ist und bleibt die Theorie“.
                           Die ansprechende und knappe Form des Dargebotenen wird im Interesse ökonomischer
                              									Denkarbeit einen empfehlenswerten Leitfaden sowohl für den Studierenden als auch für
                              									den Ingenieur bilden, der sich mit der Denkweise der theoretischen Chemie vertraut
                              									machen muß.
                           Es berührt wohltuend, daß Verf sich von dem beliebten Beginnen ferngehalten hat, die
                              										Atomistik gegen die Ostwaldsche Energetik auszuspielen und es sich
                              									versagt hat, Atomistik, Monismus, Atheismus und Materialismus miteinander zu
                              									verquicken: d.h. Fragestellungen, die miteinander soviel zu tun haben, wie etwa –
                              									mit einem von Helmholtz geprägten Wort – die Existenzberechtigung von „Gasthof
                                 										und Gustav“.
                           Da die Vorlesungen des Verf. sehr wohl den Anspruch darauf erheben können, einen
                              									historischen Abriß der Entwicklungsgeschichte der Atomistik darzustellen, so glaubt
                              									Ref. anmerken zu müssen, daß ein Mann übersehen worden ist, den man allerdings
                              									merkwürdigerweise auch sonst kaum kennt.
                           Es ist dies Wilhelm Weber („Abhandlungen zur
                                 										atomistischen Theorie der Elektrodynamik.“ 1846. „Prinzipien einer
                                 										elektrodynamischen Theorie der Materie“ u.a.m.), dessen streng atomistische
                              									Grundgleichungen u.a. die Erscheinungen voraussehen und voraussagen, welche heute
                              									die moderne Elektronentheorie beschäftigen.
                           Ewald F.W. Rasch.