| Titel: | Ueber die Seidencultur in Rußland. Von Profesor I. C. Petri. | 
| Autor: | Prof. Johann Christoph Petri [GND] | 
| Fundstelle: | Band 11, Jahrgang 1823, Nr. LXXVII., S. 479 | 
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                        LXXVII.
                        Ueber die Seidencultur in Rußland. Von Profesor
                           I. C.
                              Petri.
                        Petri, über Seidencultur in Rußland.
                        
                     
                        
                           In fruͤheren Zeiten war der Seidenhandel, so wie der
                              Seidenbau im russischen Reiche ein Monopol der Zaarn von Moskau. Die hiezu
                              bevollmaͤchtigten Kaufleute von Seiten des Hofes erhandelten dieses Product
                              gegen Tuͤcher, edles Pelzwerk und Gold von den Persern. Damit aber diese
                              Artikel immer ihren Werth bei den Persern behalten moͤchten, war es allen
                              andern Kaufleuten verboten, mit denselben nach Persien zu handeln. Das Pud (40 Pfund
                              Leipz. Gewicht) kam der Kasse des Zaars auf diese Weise nicht hoͤher als etwa
                              35-40 Rubel damal. Waͤhrung (den Rubel zu 1 Rthlr. 4-6 Pf.
                              Saͤchs.) bis Moskau zu stehen, und wurde oft wieder zu 50 und mehr Rubel
                              verkauft. Alexni Michailowitsch, Peter des Großen Vater,
                              hob aber dieses druͤkende Monopol auf, und gab den Seidenhandel allen seinen
                              Unterthanen frei, wie er es denn auch noch bis jezt ist. Allein die Aufhebung dieses
                              zeither bestandenen zaarischen Alleinhandels half den russischen Kaufleuten nur
                              wenig, weil nunmehr die im Merkantil-Wesen sehr schlauen und erfahrnen
                              Armenier diesen Handelszweig an sich zogen, und sich uͤberhaupt des
                              persischen Handels auf dem kaspischen Meere zu bemeistern wußten, welches ihnen
                              desto leichter gelang, da sie der persischen Sprache maͤchtig waren, und in
                              allen drei Laͤndern, Persien, Armenien und Rußland, besonders zu Astrachan
                              ihre Comtoire hatten; ja sie suchten sogar um ein Monopol des persischen
                              Seibenhandels in Moskau an, welches ihnen damals auch zugestanden und einige Jahre
                              nachher unter dem Namen der persisch-armenischen
                                 Compagnie aufs Neue zugesichert und bestaͤtiget wurde.
                           Doch nunmehr war man darauf bedacht, auch den Seidenbau in
                              Rußland einzufuͤhren, ohne deßwegen den Seidenhandel aufzugeben, oder zu vernachlaͤßigen. Peter der Große war auch in diesem Zweige der
                              staͤdtischen Industrie das erste Muster fuͤr sein Volk. Wohl wissend,
                              daß Rußland dem
                              Vaterlande der Maulbeerbaͤume und der ersten Quelle der Seide und des
                              Seidenbaues, Persien, von woher ganz Asien und Europa nach und nach die Seide
                              empfing, nach Suͤden zu angraͤnzet, ertheilte er den Befehl, die
                              Seidencultur auch in Rußland einheimisch zu machen und Maulbeerbaͤume zu
                              pflanzen. Die erste Anpflanzung dieser Art geschah in der Ukraͤne, in der
                              Naͤhe der Stadt und Festung Belew, auch bei Kiew und in der Umgegend. Um die an der Achtuba (einem
                              Nebenarme der Wolga) wachsenden Maulbeerbaͤume – ein Ueberbleibsel der
                              alten Einwohner dieser Gegend, der Bulgaren von der Wolga, – die noch
                              gruͤnten, nuͤzlich zu machen, wurde die erste Seidenanlage und
                              Manufactur von einem Kaufmanne im Jahre 1720 eingerichtet. Rußland erhielt also
                              spaͤter, als alle andere Reiche Europa's, den Seidenbau. Es ließ dieser große
                              Regent, so wie seine naͤchsten Nachfolger, es auch nicht an Ermunterungen bei
                              den am Terek wohnenden Kosaken fehlen, um dem Seidenbau Eingang zu verschaffen. Hier
                              und da fand er willige Aufnahme und gewann in mehr als einer Gegend festen Fuß. Im
                              Jahre 1750 entstand nicht weit von Kislaͤr eine mit mehreren besonderen
                              Freiheiten beguͤnstigte Seidenmanufactur, desgleichen sollte im Jahre 1756
                              eine neue Ansiedelung mehrerer Kolonisten an der Achtuba, vornaͤmlich aber in
                              Besrodnaja, die wohlgemeinten Absichten der Kaiserin
                              Elisabeth in eifrigerer Betreibung des Seidenbaues
                              befoͤrdern. Im Jahre 1773 ward diese Kolonie auf Befehl der Kaiserin Katharina II. mit 1300 Familien von Kronbauern, welche
                              der Sache kundig waren, vermehrt, und die Seidenwuͤrmerzucht hatte den
                              erwuͤnschtesten Fortgang. Der Seidenbau ward aus der Ukraͤne bis in
                              das Neu-Russische Gouvernement ausgebreitet, und mehreren gewonnenen
                              auswaͤrtigen Unternehmern die erfoderlichen bedeutenden Geldsummen zur
                              Unterstuͤzung und groͤßerer Ausbreitung dieses Culturzweiges
                              verabreichet. Gleichwohl fand sich bei einer im Jahre 1797 auf Befehl des Kaisers
                              Paul daruͤber angestellten Untersuchung, daß
                              sowohl Kron- als Privatanstalten dieser Art ihren Zwek keinesweges erreicht
                              hatten, und beide die haͤufigen und betraͤchtlichen
                              Geldunterstuͤzungen ohne sonderlichen Gewinn aufzehrten. Hiezu kam, daß in
                              einigen sehr kalten Wintern in den kaiserl. Plantagen an der Achtuba und in der Gegend von Kiew beinahe
                              alle Seidenraupen und Maulbeerbaͤume erfroren.
                           Bei der Begierde und dem Luxus, seidene Kleidungsstuͤke zu tragen, die auch in
                              Rußland, selbst unter den gemeinen Volksclassen, besonders beim weiblichen
                              Geschlechte, eingerissen ist, waren schon laͤngst Seide und seidene Zeuche
                              ein so nothwendiges und allgemeines Beduͤrfniß geworden, daß man nun immer
                              mehr, selbst von Seiten der Regierung, mit Ernst und Eifer ihre Cultur zu
                              befoͤrdern suchte. Die Summen, welche alle Jahre fuͤr Seide und
                              Seidenwaaren ins Ausland gingen, verursachten eine erstaunliche Ausgabe. Nach Guͤldenstaͤdts Versicherung kaufte Rußland
                              schon im Jahre 1768 fuͤr 343,000 Rubel rohe, und fuͤr 671,000 Rubel
                              verarbeitete Seide, aber in diesen Summen ist schwerlich die Einfuhr der persischen
                              Seide zu Lande begriffen, und da alle Artikel der Einfuhr seit jener Zeit
                              betraͤchtlich gestiegen sind, so ist zu vermuthen, daß auch diese Ausgabe
                              jezt weit staͤrker ist, ungeachtet der Seidenbau seitdem weit fleißiger
                              betrieben worden ist, und bedeutend zugenommen hat.
                           Rußland hat in seinem unermeßlichen Umfange, vorzugsweise innerhalb der
                              mittaͤgigen Provinzen, große Landstriche, wo der Seidenbau mit Vortheil
                              betrieben werden kann. Alle Laͤnder bis zum 53ten Grade noͤrdlicher
                              Breite sind zum Anbau der Maulbeerbaͤume geschikt. Von diesen allein
                              haͤngt bekanntlich die Nahrung der Seidenraupen und die Seidencultur ab. Eine
                              Gegend aber, die zur Maulbeerzucht geeignet ist, kann und muß auch den Seidenbau
                              beguͤnstigen. Die Beschaͤftigungen bei demselben erfodern keine harte
                              angreifende Arbeit, blos eine genaue Aufmerksamkeit von ungefaͤhr 6-7
                              Wochen. Kinder und zu anderen Arbeiten unbrauchbare Personen koͤnnen bei der
                              Wartung und Pflege der Seidenraupen angestellet werden. Von einer Unze
                              Seidenschmetterlings-Eyern erhaͤlt man etwa 12,000 Raupen. Diese
                              koͤnnen sehr bequem von zehnjaͤhrigen Kindern, Knaben sowohl als
                              Maͤdchen, gefuͤttert und gereiniget werden. 12,000 Raupen geben in der
                              Regel 6 Pfund Seide, welche mit 50-60 Rubel Silbermuͤnze bezahlt
                              werden. Dieß waͤre der Gewinn von einer Person, und noch dazu von einem
                              Kinde. Je mehrere Menschen sich aber damit beschaͤftigen, desto geringer wird die Arbeit und
                              desto groͤßer der Gewinn. Aus dieser kurzen Angabe kann man sich von der
                              Wichtigkeit und Richtigkeit des Seidenbaues, so wie von der Eintraͤglichkeit
                              dieser laͤndlichen Nebenbeschaͤftigung uͤberzeugen.
                           Daß das russische Reich nichts weniger als ungeschikt zur Cultur der Seidenraupen
                              sey, und daß man daselbst kuͤhn und mit Gluͤk den Seidenbau
                              unternehmen koͤnne, beweisen die bereits vorgenommenen Anpflanzungen und das
                              gute Gedeihen der weißen und rothen Maulbeerbaͤume in mehreren Gegenden des
                              Reichs, so wie der gluͤkliche Fortgang des Seidenbaues an mehr als einem
                              Orte. Es fehlt nur immer noch an arbeitenden Haͤnden in dem unermeßlichen
                              Lande. Die Schuld der weniger allgemeinen Verbreitung und des geringern oder
                              langsamern Vorschreitens dieses nuͤzlichen Industriezweiges liegt nicht an
                              der Unmoͤglichkeit der Ausfuͤhrung, sondern an dem Mangel an
                              Arbeitern, und der schlechten Befolgung der Vorschriften von Seiten derer, welchen
                              die Aufsicht uͤber dergleichen Anstalten anvertraut ist. Ein Beispiel gibt
                              die kaiserl. Seidenplantage bei Zarizuͤn, wo von 7000 dabei angestellten,
                              oder wenigstens auf dem Papiere stehende Menschen, in den Jahren 1790-1796
                              jaͤhrlich kaum 4-5 Pud (160-200 Pfund) Seide gewonnen und
                              gesponnen wurden Vergl. das Journal von und fuͤr Rußland, Jahrgang 1794. Jul. S.
                                    41. . Jezt ist jedoch bei genauerer Aufsicht daruͤber der Ertrag
                              betraͤchtlicher.
                           Seit einer Reihe von Jahren gedeihen die Anpflanzungen des Maulbeerbaumes, so wie
                              dessen Wachsthum von Natur, und zwar nicht etwa einzeln, sondern in
                              uͤberfluͤssiger Menge, in und um Kiew, in mehreren Bezirken der
                              Ukraͤne, in der Krimm (jezigen Staathalterschaft Taurin), welche schon seit
                              langer Zeit jaͤhrlich 400-450 Pfund Seide liefert; Peysonel versichert, daß die Krimm zum Seidenbau
                                    eines der vorzuͤglichsten Laͤnder der Erde sey. Vergl. dessen
                                    Beschaffenheit des Handels aus dem schwarzen Meere, S. 154. an den Ufern des Terek, zwischen Mosdok und Kislaͤr; an der Kuna bei
                              Madschar, an der Sarpa (etwa 5 Meilen von der herrenhuthischen Kolonie Sarepta); an der Wolga zu Astrachan, Saratow und Zarizuͤn; am Don
                              bei Tscherkask, der Hauptstadt der don'schen Kosaken, zu Asow, und an den Ufern des
                              Choper bei Nowochspersk; ferner in der Staathalterschaft Jekatharinoslaw in mehreren
                              Gegenden z.B. bei Poltawa, Neschin, Baturin, Glechow u.a. a. O.; in und bei Cherson,
                              Charkow, zu Tiflis in Grusien (Georgien) u.s.w.
                           In allen diesen Landstrichen des suͤdlichen Rußlands gedeihet der Maulbeerbaum
                              in freier Luft, so daß man die Anpflanzung und Vermehrung desselben in der großen,
                              zwischen der Dnepe und Ural liegenden Streke, unterhalb des 53sten Grades
                              noͤrdlicher Breite uͤberall ohne Gefahr des Erfrierens unternehmen
                              kann, und auch bereits hin und wieder angefangen hat, naͤmlich in den
                              Staathalterschaften Kaukaͤsien, Taurien, Jekatherinoslaw, Wosnesensk, Kiew,
                                 Charkow, Tscheringow, Saratow, Woronesch, Simbirsk und in den mildern Gegenden von Kasan und Ufa. In vielen
                              dieser Gegenden hat man zwar schon lange Anpflanzungen vorgenommen, und den
                              Seidenbau getrieben, aber noch lange nicht mit dem Fleiße und Erfolge, welchen die
                              Wichtigkeit der Sache erfodert, und die Natur so sehr beguͤnstigt. Bei
                              Belowskaja in der Ukraͤne fand schon Guͤldenstadt allein 1200 Baͤume, die ohne Pflege eine
                              ansehnliche Hoͤhe erreicht hatten Vergl. Guͤldenstaͤdts Reise, Bd. 2. S. 211 und akademische
                                    Rede, S. 43. . Auch in Charkow und in der Umgegend kommen die
                              Maulbeerbaͤume vortrefflich fort, daher man auch ziemlich gelungene Versuche,
                              (wiewohl erst nur im Kleinen,) mit dem Seidenbaue gemacht hat.
                           Um den Seidenbau allgemein zu verbreiten, wuͤrde die Aufmunterung dazu durch
                              Praͤmien, wie es vielfaͤltig im preußischen Staate unter Friedrich dem
                              Großen geschah und zum Theil noch geschiehet, unfehlbar das beßte und sicherste
                              Mittel seyn. Nur dadurch kann er in der Folgezeit auch in Rußland auf eine
                              hoͤhere Stufe der Vollkommenheit gebracht werden. Eigener Fleiß durch
                              Belehrungen belebt, leistet in jedem Verhaͤltnisse und allemal mehr, als
                              erzwungener in fremden Diensten. Einzelne Privatplantagen, aber vervielfaͤltiget,
                              moͤgen sie auch noch so klein seyn, produciren immer mehr, als ein paar große
                              herrschaftliche Pflanzungen.
                           Kaukasien bringt wilde Maulbeerbaͤume in Menge
                              hervor und laͤngs dem Flusse Terek, so wie in Georgien, findet man in allen Weingaͤrten
                              gepflanzte tatarische und weiße Maulbeere, davon der Saame urspruͤnglich aus
                              Persien kommt. Wer wollte zweifeln, daß der Seidenbau hier weit staͤrker
                              getrieben und groͤßere Anpflanzungen gemacht werden koͤnnten? –
                              Man weiß, daß die Seidenraupen mehr die Blaͤtter der weißen als schwarzen
                              Maulbeerbaͤume lieben; da man aber die Entdekung gemacht hat, daß sie nach
                              dem Genusse der leztern eine staͤrkere Seide spinnen, so gibt man ihnen
                              anfaͤnglich Blaͤtter von weißen und zulezt von schwarzen
                              Baͤumen. – Die Maulbeere, welche nicht frisch gegessen werden,
                              bereitet man in den dortigen Laͤndern durch Gaͤhrung zu einem
                              lieblichen dem Kirschweine aͤhnlichen, geistigen Getraͤnke, welches
                              sehr wohlfeil ist, eimerweise verkauft wird, und sich lange haͤlt Man sehe Falks Beitraͤge etc. Th. 2. S. 234 und mehrere Abhandlungen
                                    in den Werken der freien oͤkonomischen Gesellschaft zu St.
                                    Petersburg. .
                           Laͤngs der Achtuba, im zarizuͤnschen Kreise der Staathalterschaft
                              Seratow, faͤngt der Maulbeerbaum zuerst an, sich unter die gemeinen Holzarten
                              zu mischen; doch hat er hier meistens nur einen schlechten Wuchs, und da er auch den
                              Ueberschwemmungen der Wolga und dem Feuer der jagdlustigen Kalmuͤken und
                              Kosaken ausgesezt ist, so kann er begreiflich in dieser Gegend ohne Pflege der
                              Menschen nicht sonderlich gedeihen. Seit mehreren Jahren und noch zulezt unter der
                              gegenwaͤrtigen Regierung hat man deßwegen ordentliche Pflanzungen auf stach
                              erhoͤhten Stellen in den Niedrigungen angelegt, wo der Boden feucht genug
                              ist, ohne den Ueberschwemmungen ausgesezt zu seyn; auch sind, durch die
                              Veranstaltung der dasigen Aufseher uͤber den Seidenbau, Scheuern erbaut, wo
                              die Seidenraupen bequem erzogen werden. Bis jezt wird jedoch dieser
                              eintraͤgliche Nahrungszweig blos erst in drei oder vier Doͤrfern an
                              der Achtuba getrieben, er koͤnnte aber viel weiter ausgebreitet werden. Auf
                              Kosten der Krone ist
                              er neuerdings wieder in mehr Thaͤtigkeit gesezt worden; demnach ist sein
                              Ertrag noch immer nicht so, wie er seyn koͤnnte, wenn es eine
                              Privatunternehmung waͤre. Doch kommt auch vieles dabei auf die Schuld des
                              unguͤnstigen Klima, indem bisweilen alle Seidenwuͤrmer erfrieren Oserezkowskoi vom Zustande des Seidenbaues an der
                                    Achtuba, in seiner Reise. S. 317. – Journal von Rußland, 2ter
                                    Jahrgang, 1. 41. – Herrmanns statistische
                                    Schilderung von Rußland, S. 251, folg. .
                           Von Kiew an kann der Seidenbau bis nach Taurien, das in dieser Hinsicht mit
                              Ober-Italien wetteifern kann, ohne Schaden und Gefahr, unbedenklich und mit
                              Vortheil betrieben werden. In und um Kiew wachsen die Maulbeerbaͤume schon zu
                              einer ansehnlichen Hoͤhe und in solcher Menge, daß sie nicht allein im
                              kaiserl. Garten einen eigenen kleinen Wald bilden, sondern auch beinahe in jedem
                              Privatgarten gefunden werden. Sie sind in solcher Staͤrke, daß sie
                              gemeiniglich 1-1 1/2 Fuß im Durchmesser haben. In Podol einer Vorstadt von
                              Kiew, ist eine kaiserl. Maulbeerpflanzung, die 500 ansehnliche Baͤume und ein
                              Gebaͤude zur Pflege der Seidenraupen enthaͤlt, und doch wird der
                              Seidenbau nicht als eigentlicher Erwerbszweig getrieben. Auch in Astrachan, so nahe
                              an Persien, dem Vaterlande der Seide, ist er noch kein Gegenstand großer
                              Unternehmungen, obgleich Kaiser Paul viel zum
                              Emporbringen desselben that.
                           Durch diesen Monarchen erhielt der Seidenbau erst neues Leben und neue
                              Staͤrke. Ein am 8ten November 1797 bestaͤtigtes Manifest wies
                              demselben zwar ungern, aber dafuͤr desto sichere Schranken an. Das
                              astrachansche Gouvernement und der gebirgige Theil der Krimm (der Staathalterschaft
                              Taurien) Die Krimm lieferte schon fruͤher jaͤhrlich 300-400 Pfund
                                    Seide. Vergl. Peysonals vorhin angefuͤhrte
                                    Schrift. waren die Gegenden, wo von nun an der Seidenbau vorzuͤglich
                              begruͤndet und ausgedehnt werden sollte. Der Privatfleiß in Anpflanzung des
                              Maulbeerbaumes wurde durch Belohnungen, wie im Brandenburgischen unterstuͤzt,
                              auch wohl durch verhaͤltnißmaͤßige Strafen in reger Thaͤtigkeit
                              erhalten, und so gelang
                              es am Ende der Regierung, den Seidenbau in hoͤhere Aufnahme zu bringen, und
                              seine jaͤhrlichen Productionen bedeutend zu vermehren.
                           Schon ein Jahr darauf, nachdem Pauls Verordnungen in den genannten Gegenden in
                              Ausuͤbung gebracht worden waren, befanden sich in denselben nahe an 700,000
                              Maulbeerbaͤume. In demselben Jahre wurden 112,731, und im darauf folgenden
                              140,087 neue Baͤume hinzu gepflanzt, und die Quantitaͤt der gewonnenen
                              Seide betrug in beiden Jahren 255 Pud, 25 1/4 Pfund. Gegen das Beduͤrfniß des
                              ganzen großen Reichs und seiner Fabriken gehalten, war dieses Product dennoch sehr
                              unbedeutend; denn im Jahre 1798 wurden noch 14,594 Pud fremde Seide, am Geldwerthe
                              fuͤr 1,936,619 Rubel, und uͤberdieß fuͤr 486,762 Rubel
                              Seidenwaaren eingefuͤhrt.
                           Nach einer zweiten Verordnung desselben Kaisers vom 22. Febr. 1800 wurden neue
                              Vorschlaͤge und Maaßregeln angenommen. Die Regierung beschloß, fernerhin
                              keine eigene Seidenanlagen mehr zu unterhalten, sondern sich bloß darauf zu
                              beschraͤnken, eine allgemeine Aufsicht uͤber die Privatindustrie in
                              diesem Fache zu fuͤhren. Zu dem Ende wurden Inspectoren uͤber die
                              Seidencultur gesezt und ihnen die noͤthigen Unterbeamten beigegeben. Sie
                              stehen unter einem Oberaufseher und dieser unter der Expedition der
                              Staatsoͤkonomie. Nach dieser neuen Einrichtung zaͤhlte man schon im
                              Jahre 1802-1'16,370 neu angepflanzte Baͤume und hatte 364 Pud Seide
                              gewonnen. Der Seidenbau wurde nun unter Alexanders I.
                              alles neu belebender Herrschaft ebenfalls weiter ausgedehnt, und zieht sich
                              gegenwaͤrtig durch Kaukasien hin, besonders nach
                              Kislaͤr, (wo bisher das kleinste Quantum der
                              jaͤhrlich gewonnenen Seide 62 Pud, 32 Pfund, das mittlere 100 Pud, und das
                              groͤßte 228 Pud 11 Pfund betrug) Astrachan, Taurien,
                                 Cherson, Jekatharinoslaw, nobodische Ukraͤne, (besonders Nowowodolaji) Saratow
                              (vorzuͤglich die schon sehr alte Plantage an der Achtuba, seit 1720, erneuert seit 1756), Kiew,
                                 Podolien, in den neuesten Zeiten auch durch Minsk und Klein-Rußland.
                           In den erst genannten 8 Gouvernements belief sich im Jahre 1803 die Zahl der wirklich
                              vorhandenen Maulbeerbaͤume auf 2,766,993 Staͤmme, die durch neue Anpflanzungen
                              und ausgestreuten Saamen aufgezogenen Baͤume im Jahre 1807 bis gegen 5
                              Millionen Staͤmme vergroͤssert worden war, und gegenwaͤrtig
                              wahrscheinlich das Doppelte erreicht haben wird. Das Product der Seide, welche seit
                              1797 und im Laufe von 10 Jahren gewonnen wurde, betrug:
                           
                              
                                 Im Jahre
                                 1798
                                 –
                                 65 Pud
                                 14 1/4 Pfund.
                                 
                              
                                 Im Jahre
                                 1799
                                 –
                                 190 Pud
                                 11 Pfund.
                                 
                              
                                 Im Jahre
                                 1800
                                 –
                                 194 Pud
                                 21 1/2 Pfund.
                                 
                              
                                 Im Jahre
                                 1801
                                 –
                                 285 Pud
                                 34 1/2 Pfund.
                                 
                              
                                 Im Jahre
                                 1802
                                 –
                                 364 Pud
                                 3 1/4 Pfund.
                                 
                              
                                 Im Jahre
                                 1803
                                 –
                                 229 Pud
                                 18 3/4 Pfund.
                                 
                              
                                 Im Jahre
                                 1804
                                 –
                                 238 Pud
                                 4 1/2 Pfund.
                                 
                              
                                 Im Jahre
                                 1805 Grusien lieferte in diesem Jahre allein von 1,328,951
                                          Maulbeerbaͤumen nahe an 552 Pfund Seide.
                                    
                                 –
                                 305 Pud
                                 – Pfund.
                                 
                              
                                 Im Jahre
                                 1806
                                 –
                                 270 Pud
                                 – Pfund.
                                 
                              
                                 Im Jahre
                                 1807
                                 –
                                 193 Pud
                                 31 1/2 Pfund.
                                 
                              
                                 ––––––––
                                 ––––––––
                                 ––––––––
                                 ––––––––
                                 ––––––––
                                 
                              
                                 Ueberhaupt
                                 –
                                 –
                                 2336 Pud
                                 18 1/2 Pfund.
                                 
                              
                           Also jaͤhrlich im Durchschnitte uͤber 233 Pud, nach ihrem Geldwerthe
                              ungefaͤhr 32,620 Rubel jaͤhrlich. Dennoch wurde an roher Seide
                              eingefuͤhrt:
                           
                              
                                 Im Jahre
                                 1802
                                 fuͤr
                                 2,608,892 Rubel.
                                 
                              
                                 Im Jahre
                                 1803
                                 fuͤr
                                 2,272,781 Rubel.
                                 
                              
                                 Im Jahre
                                 1804
                                 fuͤr
                                 1,130,738 Rubel.
                                 
                              
                                 Im Jahre
                                 1805
                                 fuͤr
                                 2,004,619 Rubel.
                                 
                              
                                 ––––––––
                                 ––––––––
                                 ––––––––
                                 ––––––––––––
                                 
                              
                                 Im Durchschnitt
                                 folglich
                                 fuͤr
                                 2,005,250 Rubel jaͤhrlich.
                                 
                              
                           In den 9 suͤdlichen Gouvernements gehoͤrten im Jahre 1810 dem Seidenbau
                              16,835 Bauernhoͤfe und 12,453 Desaͤtinen 1 Desaͤtin hat 3,200 Quadratklafter und ist 80 Klafter lang und 40
                                    Klafter breit. Landes zu, worauf beinahe 6 Millionen Maulbeerbaͤume standen. Immer
                              aber liefert Georgien verhaͤltnißmaͤßig die reinste und
                              schoͤnste Seide. Auch das Land der Kalmuͤken (ebenfalls eine
                              Kaukasische Voͤlkerschaft) bringt sehr gute Seide hervor.
                           Das wirksamste Mittel, den Seidenbau empor zu bringen, ist unstreitig; daß die
                              Regierung, (wie es auch zum Theil, nur noch nicht uͤberall geschehen ist) die
                              Privat-Industrie belebe, und sie vor allen Dingen durch Belohnungen hebe. Zu dem Ende
                              muß man die Leute von dem Nuzen und Gewinne, der Leichtigkeit dieses Gewerbes und
                              der beßten Art es zu betreiben, zu uͤberzeugen suchen. Eine faßliche
                              Anweisung zum Seidenbau, unterstuͤzt durch das Beispiel sachkundiger
                              Auslaͤnder, Praͤmien fuͤr die Anpflanzung der
                              Maulbeerbaͤume, angemessene Belohnungen fuͤr ein gewisses Quantum
                              gelieferter Seide, Sorge fuͤr den leichten und sichern Absaz der erzeugten
                              Waare, und noch mehr andere Mittel dieser Art, stehen der Regierung und selbst den
                              Gouvernements-Vorstehern und Oekonomie Directoren offen, von deren
                              thaͤtiger Mitwirkung ein sehr großer Theil des Erfolgs abhaͤngt.
                              Wieviel durch solche und aͤhnliche Maßregeln ausgerichtet werden kann, davon
                              hat der ehemalige Staats-Minister, Graf von Herzberg, in den preußischen Staaten ein Beispiel hinterlassen, das
                              uͤberall Nachahmung verdient, und wodurch der Seidenbau in der preußischen
                              Monarchie eine hohe Stufe der Vollkommenheit erreichte, auch noch bis auf den
                              heutigen Tag bluͤhet.
                           Die in Astrachan verarbeitete Seide kommt aus Persien. Die Naͤhe dieses Landes
                              und die Leichtigkeit, die Seide von daher zu beziehen, wird immer ein Hinderniß des
                              rechten Aufbluͤhens der eignen Plantagen in jenem Gouvernement bleiben,
                              wenigstens wird niemals so viel Seide gebauet werden, als der Bedarf der
                              inlaͤndischen Manufacturen erfodert. Die meisten derselben (groͤßere
                              und kleinere uͤber 40) besizen die Aremenier, ein emsiges, speculirendes
                              Volk; die wichtigste aber mit 6 Werk-Stuͤhlen gehoͤrt der
                              Krone. Am meisten werden Taffete, seidene Tuͤcher, Struͤmpfe,
                              Baͤnder, Handschuhe, Schaͤrpen und verschiedene andere leichte Zeuche
                              und Waaren verfertiget, die in Rußland selbst den beßten Absaz finden. Von 3000 Pud
                              Seide, die etwa jaͤhrlich aus Persien kommen, wird mehr als die
                              Haͤlfte in Astrachan selbst verarbeitet, die uͤbrige aber nach Moskau
                              und St. Petersburg versendet, wo sehr viele und bedeutende Seidenmanufacturen sind.
                              Der Umsaz, den allein die astrachanschen Seidenhaͤndler machen,
                              betraͤgt nahe an 400,000 Rubel, der in Moskau und St. Petersburg weit
                              uͤber 1 Million; doch werden aus dem Auslande noch eine Menge
                              Seiden-Waaren eingefuͤhrt.
                           
                           Uebrigens hat man es in Verfertigung seidener Tuͤcher und Zeuche in Rußland
                              schon sehr weit gebracht. Die meiste Rohseide wird zwar, wie mehrmals
                              erwaͤhnt ist, noch immer aus der Fremde, aus Italien, China, aus der
                              Tuͤrkei und Bucharei, besonders aber aus Persien gezogen, allein der Gewinn
                              bei der Veredlung bleibt immer auf Seiten der Unternehmer. Ausser vielen andern
                              Gattungen von Seidenwaaren zeichnen sich vorzuͤglich die schoͤnen
                              seidenen moskau'schen Tuͤcher und Shawls aus, die von verschiedener
                              Groͤße, Guͤte und Feinheit verfertigt werden, und wovon einige Sorten
                              wegen ihrer Festigkeit und der Dauer ihrer Farben uͤberaus geschaͤzt
                              sind. Die wichtigsten Seidenmanufacturen in Rußland aber befinden sich in Moskau,
                              und zwar in der ganzen gleichnamigen Statthalterschaft; im Jahre 1818 waren
                              fuͤr seidene Tuͤcher und Zeuche 108, fuͤr seidene
                              Struͤmpfe und Handschuhe 5, fuͤr andere Seidenwaaren 10, mit 2537
                              Werkstuͤhlen und 6807 Arbeitern, welche 552,876 Arschinen und 88,912
                              Stuͤk geliefert haben Zur Litteratur gehoͤrig sind hieher zu nehmen: Guͤldenstaͤds akademische Rede uͤber die
                                    Producte Rußlands etc. im St. Petersburger Journal, IV. 25. 2) Dessen Reisen durch Rußland und auf dem
                                    kaukasischen Gebirge, besonders der 2te Band. 3) Palles Reisen, Th. 3. 4) Falks
                                    Beitraͤge etc. Th. 2. 5) Geremanns
                                    statist. Schilderung von Rußland. 6) Storchs
                                    statist. Uebersicht der Staathalterschaften des russisch. Reichs. 7) Desselben Gemaͤlde des russisch. Reichs,
                                    Bd. 2. 8) Dessen Rußland unter Alexander I. Bd.
                                    1. 9) Das compte rendu von 1803 bei Storch a. a.
                                    O. B. VI. von 1804 ebendas. Bd. VIII. von 1805 im St. Petersb. Journal,
                                    Jahrg. 1807 Nro. 2. von 1806 ebendas. 1807, Nro. 10 von 1807 ebendas. 1809,
                                    Nro. 3. von 1808 (besonders gedrukt). 10) St. Petersburg. Journal, Bd. III.
                                    11) Pirsonals Beschaffenheit des Handels auf dem
                                    schwarzen Meere. 12) Wichemanns Darstellung der
                                    russisch. Monarchie, Bd. J. S. 95 folg. u.a.m. .