| Titel: | Neue Methode in Stahl zu äzen. | 
| Fundstelle: | Band 15, Jahrgang 1824, Nr. LXXVIII., S. 352 | 
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                        LXXVIII.
                        Neue Methode in Stahl zu
                           aͤzen.
                        Aus dem London Journal of Arts and Sciences. N. 43. S.
                              21.
                        Neue Methode in Stahl zu äzen.
                        
                     
                        
                           Man hat der Society of Arts
                              neulich, eine von ihr approbirte, Mischung aus brennzeliger Holzsaͤure und
                              Alkohol als ein schaͤzbares Mittel zur Verduͤnnung der Salpeter,
                              Saͤure zum Ausbeißen der auf Stahlplatten geaͤzten Linien
                              empfohlen.
                           Der Einsender dieser Mittheilung an die Society
                              sagt, daß das Eisenoxid, welches bei den gewoͤhnlichen Beiß-Processe gebildet
                              wird, statt daß es durch die Saͤure in vollkommener Aufloͤsung
                              erhalten wuͤrde, einen Bodensaz bildet, der sich in die Linien einsezt, und
                              die Saͤure hindert auf den Boden einzuwirken, welche fortfaͤhrt an den
                              Seiten derselben zu beißen, und dadurch die geaͤzten Linien breit und seicht
                              macht. Das einzige Mittel zur Abhuͤlfe dieses Nachtheiles ist folglich eine
                              Mischung, die die Einwirkung der Saͤure nicht hindert, und das Eisen in
                              vollkommener Aufloͤsung haͤlt, so daß man einer gewissen Tiefe bei dem
                              Ausbeißen der geaͤzten Linien sicher ist.
                           Dieß ist die Behauptung der aufgestellten Theorie, und der Gewinn, den man durch
                              Anwendung der obigen Mischung zu erhalten glaubt. Wir wollen sehen, in wiefern beide
                              mit der allgemeinen Meinung, oder vielmehr mit der Erfahrung eines jeden erfahrnen
                              Graveurs, so wie mit meiner eigenen, im Verfolge dieses Zweiges der Kunst
                              uͤbereinstimmt.
                           Es ist bekannt, oder wenigstens allgemein angenommen, daß das schlechte Ausbeißen von
                              einer Menge Ursachen herruͤhrt, z.B., von schlechtem, d.i., unreinem oder
                              legirtem Metalle; von einem schlechten oder unvollkommenen Grunde; von zusehr
                              verduͤnnter, oder zufaͤllig mit verderbenden Substanzen gemengter. Saͤure;
                              zuweilen von einem Zufalle oder von Mangel an hinlaͤnglicher Aufmerksamkeit
                              des Kuͤnstlers. Sonderbar ist es gewiß, daß Niewand, wenn ja irgend Jemand
                              bisher eine solche Idee von Bodensaz hatte, denselben fuͤr nachtheilig hielt,
                              und, wie ich glaube, nach allen Grundsaͤzen der Philosophie und des
                              Verstandes wohl auch nicht fuͤr nachtheilig halten konnte.
                           Wenn es nur Eine Art von schlechtem Beißen gaͤbe, und seichte Linien das
                              einzige Resultat desselben waͤren, so koͤnnte ein
                              oberflaͤchlicher Beobachter dieses dadurch erklaͤren: was soll man
                              aber sagen, wenn einige Platten sich gar nicht ausbeißen lasset, obschon die
                              Saͤure wiederholt verstaͤrkt wurde, waͤhrend andere so schnell
                              ausgebissen werden, daß ihre ganze Oberflaͤche dadurch, wenn man nicht wohl
                              Acht gibt, in wenigen Minuten zu Grunde geht. Und dann beißen einige Platten sich
                              wieder rauh oder zerrissen aus, so daß die Linien, wie die Zaͤhne einer alten
                              ausgerissenen Saͤge, aussehen. Von derselben Saͤure wird die eine
                              Platte gut, die andere schlecht aus, gebissen, und endlich beißt sich eine und
                              dieselbe Platte mit derselben Saͤure, und unter den Haͤnden desselben
                              Arbeiters, zum Theile gut, zum Theile schlecht aus; so daß ich fuͤglich
                              annehmen zu koͤnnen vermuthe, daß keine Theorie, so systematisch und
                              beifallswuͤrdig sie immer scheinen mag, die Ungewissen und mannigfaltigen
                              Wirkungen des Ausbeißens zu erklaͤren im Stande ist. Dieß kann man sich aus
                              dem Umstaͤnde versinnlichen, daß das Verfahren, fuͤr welches dem sel.
                              Karl Warren der wirklich ein wissenschaftlich gebildeter
                              Mann und vortrefflicher Kupferstecher war, die goldene Medaille ertheilt wurde, jezt
                              fuͤr unzulaͤnglich erklaͤrt wird, weil die nichts von der Idee
                              eines Bodensazes enthaͤlt.
                           Doch wir lassen die Theorie, und kommen zur Praxis, fuͤr Welche wir bemerken
                              wollen, das es heißt, daß auf jede 5 Unzen Verduͤnnung (naͤmlich 4
                              Unzen brennzelige Holzsaͤure und 1 Unze Alkohol) 1 Unze
                              Salpeter-Saͤure zugesezt werden soll, waͤhrend fuͤr dieselbe
                              Menge, 5 Unzen, oder gewoͤhnlichen Diluens Wasser, 100 Troͤpfen
                              Salpeter-Saͤure hinreichen. Hieraus erhellt, das die verduͤnnte Kraft
                              der brennzeligen Holzsaͤure sehr groß ist, oder daß die Mischung sehr stark
                              angewendet werden muß.
                              Lezteres scheint wirklich der Fall zu seyn; denn man sagt, daß leichte Tinten in dem
                              kurzen Zeitraͤume von Einer Minute eingebissen werden, und daß folglich die
                              verschiedenen Schatten, welche gewoͤhnlich noͤthig sind, mit einer
                              Schnelligkeit hervorgebracht werden, welche wenig Zeit zur Ueberlegung uͤbrig
                              laͤßt, und daher das Gelingen guter Ausfuͤhrung eines Gegenstandes bei
                              einer jedesmahligen Operation sehr gefaͤhrdet, indem wenige Secunden eine
                              Stelle dunkler machen, als sie seyn sollte, so daß, wenn die dunklen Tinten beinahe
                              ihre Farbe haben, die Platte gaͤnzlich verdorben wird. Man bedenke ferner
                              noch, daß sie so stark wirkt, daß der Firniß, den man gewoͤhnlich zum
                              Aushalten (stopping out) braucht, selten dem
                              Falschbeißen (biting foul) entgeht, wie man in der
                              Kunstsprache sagt, und oft ganze große Fleken auftreibt: ein schreklicher Anblik
                              fuͤr den Kuͤnstler; so wird es durchaus nothwendig irgend einen
                              zaͤheren Stoff zum Aushalten (stopping stuff) zu
                              besizen, ehe die vorgeschlagene Mischung mit Sicherheit gebraucht werden kann. So
                              weit meine Erfahrung reicht, ziehe ich hinsichtlich des Ausbeißens unter allen
                              Umstaͤnden eine Fluͤssigkeit vor, die langsam wirkt. Endlich hat
                              dieses Bodensaz-System noch mit zwei Einwuͤrfen zu kaͤmpfen, wovon der
                              erste dieser ist, daß, auf die gewoͤhnliche Weise gemengte und gebrauchte
                              Saͤure nicht die mindeste Spur von Bodensaz zeigt, und bloß wenig
                              gefaͤrbt ist, zum deutlichen Beweise, daß das Metall in so feinen Theilchen
                              aufgenommen wird, daß es eine vollkommene Aufloͤsung in der Saͤure
                              bildet, und in diesem Falle die Sicherheit des Verfahrens und die Reinheit der
                              dadurch erzeugten Linien nicht im Mindesten leiden kann. Der zweite ist, daß durch
                              die gegenwaͤrtig von einem der ersten Stahlstecher in London gebrauchte
                              Saͤure wirklich ein starker und merkbarer Bodensaz gebildet wird, so zwar,
                              daß man denselben, wenn man sie ruͤhrt, am Boden sich hin und herbewegen
                              sieht, und denselben wirklich auf eine Eke der Platte als feine Sandtheilchen
                              hinlehren kann: und doch beißt sie noch immer gut. Es fraͤgt sich also:
                              welchen Einfluß kann ein unsichtbarer Bodensaz haben, außer man nimmt an, daß die
                              lezt erwaͤhnten Theilchen zu grob sind, um in die Linien einzudringen, und
                              daß dadurch ihrer nachtheiligen Wirkung vorgebeugt wird?
                           
                           Welche Tiefe, oder welche groͤßere Tiefe durch diese neue Mischung
                              hervorgebracht werden kann, kann ich gegenwaͤrtig nicht mit Bestimmtheit
                              angeben, indem man hieruͤber nur nach wiederholten Erfahrungen
                              geuͤbter Kuͤnstler urtheilen kann, von welchen mir noch keine
                              genuͤgenden Resultate zur Kunde geworden sind: daß aber reinere Linien
                              hierdurch gebildet werden, als auf die gewoͤhnliche Weise, das darf ich
                              geradezu laͤugnen; im Gegentheile ist mit derselben offenbare Gefahr des
                              Falschbeißens verbunden, so wie rauhe Linien, und, wegen der zu schnellen Wirkung,
                              zu starkes Ausbeißen einiger Schatten, indem die Bestimmung, ob die Saͤure
                              weggenommen werden soll, beinahe von einem Augenblike abhaͤngt,
                              haͤufig damit verbunden sind. Diesen Bemerkungen muß ich noch
                              beifuͤgen, daß (obschon bei vollkommenem Gelingen dieß kaum in Anschlag
                              kommt) die groͤßere Muͤhe und Ausgabe bei diesem neuen Verfahren um
                              zehn Mahl groͤßer ist, als bei dem aͤlterenWir lassen hier die Bemerkung weg, mit welcher der Verfasser des obigen
                                    Aufsazes schließt, und der Society of Arts den
                                    wohlgemeinten Rath gibt, sich nicht von Pfuschern und deren Freunden irre
                                    fuͤhren zu lassen. A. d. Ueb..