| Titel: | Ist es gegenwärtig in Deutschland vortheilhaft Dampfmaschinen anstatt der Thierkräfte anzuwenden? – Versuch einer Beantwortung dieser Frage von Karl Weinrich. | 
| Autor: | Karl Weinrich | 
| Fundstelle: | Band 18, Jahrgang 1825, Nr. IX., S. 51 | 
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                        IX.
                        Ist es gegenwaͤrtig in Deutschland
                           vortheilhaft Dampfmaschinen anstatt der Thierkraͤfte anzuwenden? – Versuch
                           einer Beantwortung dieser Frage von Karl
                              Weinrich.
                        Weinrich, uͤber die Anwendung der Dampfmaschinen anstatt der
                           Thierkraͤfte.
                        
                     
                        
                           In England, in Frankreich, und in den vereinigten Staaten von Nord-Amerika sind
                              bereits eine Menge von Dampfmaschinen im Gange; in England allein schaͤzt man
                              ihre Anzahl auf mehrere Tausende, und behauptet, daß der Aufschwung der englischen
                              Industrie in neuerer Zeit hauptsaͤchlich von der Anwendung dieser Maschinen
                              herruͤhre. Auch in Deutschland erwartet man große Vortheile von ihrer
                              Anwendung; sie empfehlen sich fuͤr die Schifffahrt, fuͤr Bergwerke,
                              und uͤberhaupt fuͤr solche Faͤlle, wo das sonst zur Bewegung
                              einer Maschine angewendete fließende Wasser fehlt. Auch sind in Deutschland bereits
                              mehrere Dampfmaschinen aufgestellt, und einige Fabriken, wo dieselben verfertigt
                              werden, errichtet worden. Man scheint daher schon entschieden zu haben, daß es in
                              den eben bezeichneten Faͤllen vortheilhafter sey, sich der Kraft der
                              Daͤmpfe, als der
                              Zugthiere zu Bedienen, und eine Untersuchung der obigen Frage moͤchte demnach
                              jezt schon zu spaͤt zu kommen scheinen. Indessen ist doch das Resultat der
                              folgenden Vergleichung der Kosten einer Dampfmaschine mit den Kosten der zu
                              demselben Zweke erforderlichen Zugthiere zu auffallend, als daß es keine
                              Beruͤksichtigung verdienen sollte.
                           Eine Dampfmaschine nach Watt, welche die Kraft von 20
                              Pferden (womit diese taͤglich 8 Stunden arbeiten), ersezt, kostet in England
                              (wo die Dampfmaschinen bis jezt noch am wohlfeilsten verfertigt werden),
                              ungefaͤhr 10,000 Gulden; wenigstens eben so viel betragen die Fracht- und
                              Aufstellungs-Kosten. Was diese sehr zusammengesezte Maschine zu unterhalten kostet,
                              laͤßt sich nicht genau bestimmen; es haͤngt viel von der Behandlung
                              ab. Nimmt man sie zu 10 pr. Ct. des Ankaufskapitals an, so ist dieses gewiß eher zu
                              niedrig, als zu hoch, zumahl, wenn man in Anschlag bringt, daß die großen
                              Dampfkessel (es sind deren fuͤr jede Maschine gewoͤhnlich zwei
                              vorhanden, damit, wenn einer schadhaft wird, was oft der Fall ist, dieselbe nicht
                              still zu stehen braucht), alle Paar Jahre erneuert werden muͤssen. Am
                              bedeutendsten sind die Kosten des noͤthigen Brennmaterials. Man gibt
                              gewoͤhnlich an, wieviel davon eine Dampfmaschine fuͤr jede Pferdekraft
                              stuͤndlich erfordere. In England nimmt man in der Regel au, daß, bei einer
                              zwekmaͤßigen Einrichtung der Feuerungsanstalt, bei einer sorgfaͤltigen
                              Heizung, und bei einem guten Zustande der Maschine, eine Dampfmaschine nach Watt, welche die Kraft von 20 Pferden ersezt, fuͤr
                              jede Pferdekraft stuͤndlich ungefaͤhr 10 Pfund Steinkohlen verbrauche.
                              Um eine Maschine von dieser Einrichtung und Kraft taͤglich 16 Stunden in
                              Bewegung zu erhalten, wuͤrden also jeden Tag 3,200 Pfund, und
                              jaͤhrlich (300 Tage) 960,000 Pfund Steinkohlen erforderlich seyn. Nach
                              anderen Angaben ist der Kohlenverbrauch einer solchen Maschine weit groͤßer,
                              dagegen bei den Woolf'schen Expansionsmaschinen bedeutend geringer.S. Bernoulli's Dampfmaschinenlehre.
                              
                           
                           Groͤßere Dampfmaschinen bis zur Kraft von 100 Pferden erfordern
                              uͤbrigens verhaͤltnißmaͤßig weniger Brennmaterial, als
                              kleinere. Der Preis von 100 Pfund Steinkohlen oder 300 Pfund troknem Buchenholz (ein
                              Aequivalent dafuͤr) wird wohl in wenigen Gegenden Deutschlands geringer, als
                              1/2 Gulden seyn.
                           Bei einer Dampfmaschine von der hier angenommenen Groͤße sind
                              gewoͤhnlich 2 Personen beschaͤftigt; sie koͤnnen durch
                              Unvorsichtigkeit und Nachlaͤßigkeit großen Schaden bringen, man muß daher
                              zuverlaͤßige Leute zu bekommen suchen, und sie gut bezahlen; man kann die
                              Kosten fuͤr das Personal jaͤhrlich zu 500 Gulden annehmen.
                           Die jaͤhrlichen Kosten einer Dampfmaschine von der hier angenommenen
                              Groͤße zusammengestellt betragen:
                           
                              
                                 5 pr. Ct. Zinsen vom Anlagekapital (20,000
                                    fl.)
                                 fl. 1000. –
                                 
                              
                                 Unterhaltungskosten (10 pr. Ct. vom
                                    Fabrikpreis der Maschine
                                 fl. 1000. –
                                 
                              
                                 Fuͤr Brennmaterial (9600 Ztnr.
                                    Steinkohlen zu 1/2 fl.)
                                 fl. 4800. –
                                 
                              
                                 Fuͤr das Personal
                                 fl.   500. –
                                 
                              
                                 
                                 –––––––––
                                 
                              
                                 
                                 fl. 7300. –
                                 
                              
                           Wir wollen nun die Kosten bei der Anwendung von Thierkraͤften untersuchen. Die
                              sehr einfache Construktion der Roßmuͤhlen ist bekannt. Die Anlagekosten einer
                              solchen fuͤr 20 Pferde betragen, ohne das Gebaͤude (welches auch bei
                              der Dampfmaschine nicht in Anschlag gebracht worden ist), hoͤchstens 300
                              Gulden. – Wenn die Maschine taͤglich 16 Stunden im Gange seyn soll, so
                              sind 40 Pferde erforderlich, weil ein Pferd mit gewoͤhnlicher Anstrengung,
                              taͤglich nur 8 Stunden arbeiten kann. Man kauft gegenwaͤrtig ein gutes
                              junges Pferd fuͤr 100 Gulden, und kann bei guter Behandlung darauf rechnen,
                              daß es 12 Jahre Dienste thut. Die Anschaffungs-Kosten des Zuggeschirres fuͤr
                              1 Pferd betragen etwa 10 Gulden, und es muß ungefaͤhr alle 5 Jahre erneuert
                              werden. – Wenn ein Arbeitspferd von mittlerer Groͤße taͤglich
                              10 Pfund Heu und 10 Pfund Haber, oder anstatt des lezteren 5 Pfund Brod (halb von
                              Roggen und halb von Gerste) erhaͤlt, so wird es vollstaͤndig
                              ernaͤhrt. (Brod anstatt des Haber zu geben ist in der Regel vortheilhafter,
                              wir wollen jedoch hier Hafer, als das gewoͤhnlichere Futter annehmen.) Fuͤr 40
                              Pferde wuͤrden bei dieser Fuͤtterung jaͤhrlich (365 Tage)
                              146,000 Pfund Heu und eben so viel Haber erforderlich seyn. In den meisten Gegenden
                              von Deutschland kosten gegenwaͤrtig 100 Pfund Heu nicht mehr, als 36 Kreuzer,
                              und 100 Pfund Haber nicht mehr, als 1 Gulden und 12 Kreuzer, in manchen Gegenden
                              weit weniger. Die jaͤhrlichen Kosten fuͤr das Futter wuͤrden
                              also 2628 Gulden betragen (fuͤr 1 Pferd 65 fl. 18 kr.). Stroh und Stallmiethe
                              wollen wir gegen den Mist rechnen, obgleich lezterer an den meisten Orten einen
                              hoͤheren Werth hat. Das Beschlagen der Pferde ist nicht noͤthig, wenn
                              sie bloß in der Roßmuͤhle gebraucht werden. – Fuͤr 3 Knechte
                              kann man jaͤhrlich 360 Gulden rechnen.
                           Saͤmmtliche Kosten der Roßmuͤhle wuͤrden also jaͤhrlich
                              betragen
                           
                              
                                 5 pr. Ct. Zinsen vom Anlagekapital der
                                    Muͤhle
                                 fl.     15. –
                                 
                              
                                 Unterhaltungskosten derselben
                                 fl.     20. –
                                 
                              
                                 5 pr. Ct. Zinsen vom Ankaufskapital der
                                    Pferde (4000 fl.)
                                 fl.   200. –
                                 
                              
                                 Abnuzung derselben und Risiko
                                 fl.   400. –
                                 
                              
                                 Unterhaltungskosten derselben
                                 fl. 2628. –
                                 
                              
                                 5 pr. Ct. Zinsen vom Ankaufskapital des
                                    Zuggeschirres (400 fl.)
                                 fl.     20. –
                                 
                              
                                 Abnuzung desselben
                                 fl.     80. –
                                 
                              
                                 Kosten der 3 Knechte
                                 fl.   360. –
                                 
                              
                                 
                                 –––––––––
                                 
                              
                                 
                                 fl. 3723. –
                                 
                              
                           Vergleichen wir diese Summe mit den Kosten der Dampf-Maschine, so erhellet, daß sich
                              die jaͤhrlichen Kosten bei Benuzung der Pferdekraft zu denen bei Anwendung
                              der Dampf-Kraft beinahe wie 1: 2 verhalten. Der Kostenunterschied ist zu groß, als
                              daß es im Allgemeinen koͤnnte zweifelhaft seyn, welche von diesen
                              Kraͤften man gegenwaͤrtig in Deutschland zu waͤhlen habe,
                              insofern man den oͤkonomischen Grundsaz befolgen will, einen vorhabenden Zwek
                              mit den moͤglich geringsten Kosten zu erreichen.
                           Zum Nachtheil der Dampfmaschine muß noch in Anschlag gebracht werden: die
                              Groͤße des Anlagekapitals, die großen Nachtheile, welche durch
                              Unvorsichtigkeit und Nachlaͤßigkeit der Arbeiter entstehen koͤnnen,
                              und die, zumahl wenn die Maschine schon laͤngere Zeit in Gebrauch gewesen
                              ist, oft noͤthigen Unterbrechungen, wenn etwas ausgebessert werden muß. Wahre Vorzuͤge
                              derselben sind dagegen: daß ihr Gang stetiger ist, und daß man einen kleineren Raum
                              noͤthig hat, als bei Anwendung der Thierkraͤfte; ferner daß, wenn sie
                              stille steht, der groͤßte Theil der Betriebskosten wegfaͤllt,
                              waͤhrend die Thiere immer unterhalten werden muͤssen. Wegen dieser
                              Vorzuͤge ist es in einzelnen Faͤllen, besonders bei der Schiff-Fahrt,
                              vor theilhafter, sich der Dampfmaschine, als der Thierkraͤfte zu bedienen. Im
                              Allgemeinen aber kann, wie aus der vorhergehenden Untersuchung hervorgeht, die
                              Anwendung der Dampf-Maschine in Deutschland nicht empfohlen werden, wenn auch der
                              gegenwaͤrtige Preis des Getraides auf das Doppelte steigen sollte.
                           Es ist uͤbrigens zu erwarten, daß die Benuzung der Daͤmpfe, als
                              mechanische Kraft, noch so vervollkommnet wird, daß man auch in Deutschland
                              vielfaͤltigeren Gebrauch davon machen kann. Wenn die Vorzuͤge der
                              Dampfmaschine von Perkins vor den bisherigen sich
                              bestaͤtigen, so ist durch diese beruͤhmte Erfindung schon ein großer
                              Schritt vorwaͤrts gethan.