| Titel: | Ueber die Entstehung des Mutterkornes. Von General Martin Field. | 
| Fundstelle: | Band 20, Jahrgang 1826, Nr. XVIII., S. 73 | 
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                        XVIII.
                        Ueber die Entstehung des Mutterkornes. Von
                           General Martin
                              Field.
                        Aus dem American Journal of Science in den
                           Annals of
                                 Philosophy. Januar 1826. S. 14.
                        Field, über die Entstehung des Mutterkornes.
                        
                     
                        
                           Unter den vielen Meinungen und Theorien uͤber die Entstehung und Natur des
                              Mutterkornes, scheinen folgende drei die vorzuͤglichsten und am besten
                              vertheidigten zu seyn. 1) unter den Franzosen behaupten Tissot und andere, daß das Mutterkorn eine unregelmaͤßige
                              Vegetation ist, welche zwischen jener des Samens und des Blattes in der Mitte steht,
                              und einen Auswuchs erzeugt, und daß diese krankhafte Veraͤnderung durch die
                              hoͤchsten Grade von Feuchtigkeit und Hize hervorgebracht wird. 2) In England
                              glauben einige, daß es ein Auswuchs sey, der durch den Einstich und das Eyerlegen
                              eines. Insectes entstehe. 3) endlich behaupten einige, daß es ein parasitischer
                              Schwamm sey, wie die verschiedenen Arten von Brand, Rost etc.
                           Ich will keine der oben angefuͤhrten Meinungen vertheidigen oder widerlegen,
                              sondern, ohne auf irgend eine Theorie Ruͤksicht zu nehmen, bloß jene
                              Thatsachen angeben, welche mir unter die Augen kamen.
                           Das Roken-Feld, an welchem ich meine Beobachtungen anstellte, war 50 Yards von meinem
                              Hause entfernt, und gestattete mir also einige Wochen hindurch taͤglich
                              Gelegenheit zur Untersuchung. Der daselbst gebaute Roken war von jener Sorte, welche
                              man in dieser Gegend gewoͤhnlich Norway oder White Rye nennt, und welche mehr Mutterkorn geben soll,
                              als der englische Fruͤh-Roken, oder jener, der auf der Insel Candia zu Hause
                              seyn soll. In keinem der fruͤheren Jahre erinnert man sich jedoch das
                              Mutterkorn in dieser Gegend so haͤufig gesehen zu haben, als in diesem.
                           Der Norway-Roken bluͤht hier so fruͤh, als der englische
                              Fruͤh-Roken; allein er reift um 2 Wochen spaͤter. In diesem Umstande
                              liegt vielleicht schon Ein Grund, warum ersterer viel mehr Mutterkorn erzeugt, als
                              der andere. Je laͤnger der Kern in breiartigem,
                              oder milchigem Zustande bleibt, um so guͤnstiger
                              ist die Gelegenheit zur Wirksamkeit der Ursache, welche das Mutterkorn erzeugt. Daß dieß
                              der Fall ist, beweist die Erfahrung deutlich.
                           Das Rokenfeld, welches ich so oft untersuchte, stand ungefaͤhr am 30. Juny in
                              voller Bluͤthe; allein bis zum 22. July bemerkte ich keine Spur von
                              Mutterkorn. Von dieser Zeit an bis zum 12. August, wo der Roken geerntet wurde, war
                              es aber in verschiedenen Groͤßen zu finden. Bei genauerer Untersuchung fand
                              ich, daß jeder einzelne Kern des Mutterkornes, wenn er aus der Spelze herauskommt,
                              an seiner Spize die runzelige Rinde eines Roken-Kernes hat, so daß es scheint, daß
                              derselbe einst gesund war. Dieß leitete mich zu dem Schluße, daß ein krankhafter
                              Zustand des Rokens die erste Ursache des Mutterkornes sey. Um die Richtigkeit dieser
                              Beobachtung außzumitteln, begab ich mich wieder auf das Rokenfeld: ich fand Gruppen
                              von Fliegen auf den Aehren, die wahrscheinlich etwas innerhalb der Spelzen suchten.
                              Beim Oeffnen der Klappen der Spelzen, auf welchen Fliegen gesessen waren, fand ich
                              den zukerigen Saft der Roten-Kerner ausgeschwizt, und kleine Tropfen bildend. Dieß
                              uͤberzeugte mich, daß es diese zukerhaltige Fluͤssigkeit sey, welche
                              so viele Fliegen auf jene Roken-Aehren lokte, die einen kranken Kern enthielten. Da
                              ich mehrere ausgewachsene Koͤrner, welche die angegebenen Erscheinungen
                              darbothen, gesammelt hatte, so brachte ich dieselben unter ein Mikroscop; durch
                              dieses entdekte ich deutlich in jedem derselben an dem Ende, welches jenem, an dem
                              sich der Samenstrang befand, entgegengesezt war, eine kleine Oeffnung. Ich konnte
                              auch den Saft beobachten, der aus dieser Oeffnung herauskam.
                           Am Morgen des ersten Augusts, wo ich einige Gruppen Fliegen beobachtete, fand ich 2
                              Roken-Aehren neben einander, von welchen jede einen angestochenen oder kranken Kern
                              enthielt. Um diese Halme leichter finden, und in der Folge besser beobachten zu
                              koͤnnen, band ich sie an einen Stab, der zwischen sie gestekt wurde. Um
                              diese, Zeit zeigten die angestochenen Koͤrner keine anderen krankhaften
                              Symptome, als daß sich etwas von der Fluͤßigkeit entleerte. Am ersten Tage
                              waren die Fliegen sehr geschaͤftig, ihr koͤstliches Getraͤnk an
                              der Oeffnung eines jeden Kernes aufzusaugen, und floß dasselbe nicht in
                              hinlaͤnglicher Menge fuͤr sie, so stachen sie den Kern neuerdings an.
                              Am 2. August schienen beide Kerne sich in einem Zustande von Gaͤhrung zu
                              befinden, und sehr schnell zum Verderben geneigt zu seyn. Am 3ten, 48 Stunden, nachdem ich meine
                              Beobachtungen begonnen hatte, wurde jedes Korn eine faule und formlose Masse, die
                              nur eine geringe Aehnlichkeit mit gesundem Roken besaß. Bei sorgfaͤltiger
                              Oeffnung der Klappen der Spelzen entdekte ich nun in jeder ein kleines schwarzes
                              Kuͤgelchen, das etwas groͤßer, als ein Steknadelknopf war. Diese
                              Kuͤgelchen befanden sich an der Spize der Stiele der kranken Koͤrner,
                              und zeigten sich spaͤter als Mutterkorn. Die ersten vier Tage nach der
                              Entdekung des Mutterkornes wuchsen sie innerhalb 24 Stunden jedes Mahl beinahe um 2
                              Linien, und verdraͤngten die Ueberreste des kranken Rokens aus den Spelzen,
                              in welchen sie sich befanden. Am 12. August war das Mutterkorn vollkommen
                              ausgewachsen, und maß 12 Linien in der Laͤnge, und drei im Durchmesser. Das
                              andere Korn war etwas kleiner.
                           Am dritten August, wo ich uͤberzeugt war, daß der Stich einer Fliege in den
                              gesunden Kern die erste Ursache des Mutterkornes sey, kam ich auf den Gedanken, daß
                              ich dasselbe vielleicht auch kuͤnstlich erzeugen koͤnnte. Um dieß
                              auszumitteln, stach ich mit der Spize einer feinen Nadel in einer Aehre vier
                              Roken-Koͤrner, die sich in gruͤnem breiartigem Zustande befanden, und
                              vollkommen ausgewachsen waren. Bald darauf entleerte sich aus jeder der Oeffnungen
                              der Koͤrner Saft; und die Fliegen kamen um denselben aufzusaugen. Am vierten
                              Tage nach dieser Operation zeigte sich statt zweier der angestochenen Koͤrner
                              Mutterkorn in den Spelzen. Die zwei anderen Koͤrner zeigten keine Spuren von
                              Verderben, sondern blieben vollkommen gesund. Der Analogie zu Folge, glaube ich
                              schließen zu koͤnnen, daß bei warmem trokenen Wetter viele
                              Roken-Koͤrner angestochen werden, welche dadurch nicht materiell leiden. Die
                              Oeffnung verschließt sich naͤmlich, ehe sich soviel Saft entleeren konnte,
                              als nothwendig ist, um Gaͤhrung und Verderben hervorzubringen. Dieß mag
                              vielleicht die einzige Ursache seyn, warum bei truͤben und feuchten Wetter
                              viel mehr Mutterkorn entsteht, als bei heiterem und trokenem.
                           Ich untersuchte das Muterkorn und die Roken-Koͤrner in jedem Zustande des
                              Verderbens unter einem guten Mikroscope; allein nie konnte ich Eyer oder Larven
                              eines Insectes entdeken; ich glaube daher, daß die Fliegen diesen Einstich machen,
                              um sich Nahrung zu verschaffen, und nicht um ihre Eyer hineinzulegen.
                           
                           Die Fliege gehoͤrt zu den haarigen oder borstigen Arten der Gattung Musca, und auch zu der Art, die man blow-fly nennt.Ob diese americanische Schmeißfliege die europaͤische Species ist?A. d. Ueb. Sie legt ihre Eyer auf frisches und faules thierisches Fleisch. Ihre
                              Fluͤgel sind durchsichtig, der Unterleib dunkelgruͤn, groͤßer
                              als an der gewoͤhnlichen Hausfliege. In unseren Gegenden ist sie in den
                              Monaten Julius, August und September die haͤufigste Fliege, und den Pferden,
                              Ochsen und anderen Thieren sehr laͤstig.
                           Dieß ist Alles, was ich in Bezug auf die Ursache des Mutterkornes beobachtete,
                              inwiefern es geeignet ist eine, der hieruͤber aufgestellten, Theorien zu
                              beweisen oder zu widerlegen, uͤberlasse ich der Entscheidung anderer.
                           Zum Schlusse halte ich es fuͤr passend noch eineeine eine Thatsache anzugeben, welche auf die Wirkung Bezug hat, die das Mutterkorn
                              auf die Gesundheit der Pflanze, auf welcher es sich befindet, ausuͤbt. Ich
                              konnte nie finden, daß der Halm durch das Mutterkorn auch nur im Mindesten
                              angegriffen wurde; allein bestaͤndig fand ich, daß in einer Aehre, in welcher
                              sich 8–10 Kerne von Mutterkorn befanden, kein gesunder oder vollkommner
                              Roken-Kern zu finden war. In solchen Faͤllen scheint es, daß alle Nahrung,
                              welche der Halm bedarf, von dem Mutterkorn verzehrt wird, und daß der Roten sehr
                              mißraͤth.
                           Die Groͤße des Mutterkornes steht gewoͤhnlich mit der Zahl der in einer
                              Aehre enthaltenen Koͤrner im Verhaͤltnisse. Findet sich nur Ein
                              Mutterkorn-Kern in einer Roken-Aehre, so hat er gewoͤhnlich 10–14
                              Linien in der Laͤnge, und 3–4 Linien im Durchmesser; befinden sich
                              aber 25–30 Koͤrner in einer Aehre, was nicht selten der Fall ist, so
                              sind die Dimensionen derselben verhaͤltnißmaͤßig kleiner, und sie sind
                              oft nicht groͤßer, als der gesunde Roken.