| Titel: | Ueber den Einfluß der Temperatur auf Gebäude, vorzüglich auf Gewölbe. Von Hrn. Vicat. (Im Auszuge.) | 
| Fundstelle: | Band 28, Jahrgang 1828, Nr. XXXIII., S. 157 | 
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                        XXXIII.
                        Ueber den Einfluß der Temperatur auf
                           Gebaͤude, vorzuͤglich auf Gewoͤlbe. Von Hrn. Vicat. (Im Auszuge.)
                        Vicat, uͤber den Einfluß der Temperatur auf
                           Gebaͤude.
                        
                     
                        
                           Wir haben im polytechn. Journ. Bd. XXII. S. 173. auf Hrn. Vicat's schoͤne Bemerkungen uͤber die
                              periodischen Bewegungen der Bruͤke zu Souillac hingewiesen. Der treue
                              Beobachter der Natur, Hr. Vicat, kehrt jezt wieder (in
                              den Annales de Chimie
                                    et de Physique, Decbr. 1827. S. 127.) zu denselben
                              zuruͤk, und gibt das Resultat seiner ein ganzes Jahr lang drei Mahl des Tages
                              an dieser Bruͤke angestellten Beobachtungen. Das Resultat fiel 2 1/2 Mahl
                              groͤßer aus, als im Jahre 1824.
                           „Der Zwek meiner Berechnungen,“ sagt er, „ist, zu
                                 beweisen, daß es eben nicht nothwendig ist, daß das Volumen der Steine selbst
                                 durch die Einfluͤsse der Temperatur sich bedeutend aͤndert, um
                                 sichtbare und beachtenswerthe Spruͤnge an Gebaͤuden mit großen
                                 Woͤlbungen zu veranlassen; Spruͤnge, die uͤbrigens nur bei
                                 Wasserleitungen wegen des Durchsikerns und der dadurch entstehenden Nachtheile
                                 vorzuͤglich zu beruͤksichtigen sind. Diesem Nachtheile
                                 laͤßt sich dadurch abhelfen, daß man den Gewoͤlben, welche
                                 Wasserleitungen zu tragen haben, eine geringere Weite gibt, und daß man den
                                 vollen Bogen, oder noch besser den gekreuzten (das ogyve) statt der heute zu Tage gebraͤuchlichen
                                 gedruͤkten Bogen anwendet.“
                              
                           
                              „Es lassen sich noch andere Folgerungen hieraus ableiten, die vielleicht
                                 weniger wichtig sind, jedoch gleichfalls Aufmerksamkeit verdienen. Wenn es wahr
                                 ist, daß ein Stein von Einem Meter in der Laͤnge sich bei einem
                                 Temperatur-Wechsel von 100° bis Null am hundertgradigen
                                 Thermometer um 1/4 Millimeter verkuͤrzt, so wuͤrde dieß bei einem
                                 Wechsel von 40° in der Temperatur, wie derselbe gewoͤhnlich Statt
                                 hat in unserem Klima, 1/10 Millimeter betragen; und da bei unseren Bauten im
                                 großen Style nicht selten Steine von 2 Meter Laͤnge vorkommen, so sieht
                                 man, wohin dieß fuͤhren koͤnnte. Der Moͤrtel an den
                                 senkrechten Fugen, der solchen Bewegungen des Steines nicht folgen kann, spaltet
                                 sich, oder loͤst sich von einem Steine ab, und bleibt an dem
                                 zunaͤchst stehenden haͤngen. Auch der Moͤrtel im
                                 horizontalen Gefuͤge, der von dem oben aufliegenden und von dem unten
                                 liegenden Steine in entgegengesezten Richtungen gezogen wird, wird von den
                                 Flaͤchen derselben los. Man sieht zwar alles dieses nicht mit freiem
                                 Auge, es hat aber dessen ungeachtet wirklich Statt, und die Festigkeit der Mauer
                                 wird dadurch zerstoͤrt. Man hat laͤngst bemerkt, daß Mauerwerk aus
                                 behauenen Steinen sich am leichtesten abbrechen laͤßt, und daß bei
                                 manchen Stuͤrmen am Meere ungeheure Steine durch den Wellenschlag aus dem
                                 Stein-Damme gleichsam hinausgeblasen oder hinausgeschlukt wurden, ohne
                                 daß die daneben liegenden Steine im mindesten verruͤkt oder
                                 erschuͤttert sind. Dieß ruͤhrt von den thermometrischen
                                 Einfluͤssen her, die die Bindungskraft des Moͤrtels
                                 zerstoͤren, und denselben auf einen bloßen Keil herabbringen.
                              
                           
                              Vitruv sagt, wo er vom Baue der Tempel spricht (IV.
                                 Bd. 4. Cap.), ausdruͤklich, daß, wenn man mit Bruchsteinen bauen will,
                                 man die kleinsten waͤhlen muͤsse, und wenn man mit Quadern oder
                                 Marmor baut, man nur mittelmaͤßig große und gleich große nehmen
                                 muͤsse, indem mittelmaͤßig große Steine nur mittelmaͤßige
                                 Gefuͤge geben, sich fester binden, und daher dauerhafter sind.
                              
                           
                              Diese merkwuͤrdige Stelle unterstuͤzt meine Ansicht auf eine
                                 ganzbesondere Weise. Eine Menge Beispiele erlaͤutern ferner die Wahrheit
                                 dieser Lehre Vitruv's, und beweisen, daß die
                                 Roͤmer den Moͤrtel bei großen Quadern fuͤr
                                 uͤberfluͤßig hielten. Das Theater zu Nismes, die Wasserleitung am
                                 Gard, das pyramidenfoͤrmige Monument an der Vienne im Dauphiné
                                 etc. besteht aus großen genau behauenen Quadern, die ohne alle andere
                                 Verbindung, außer einer Lage Kalktuͤnche von der Dike eines Blattes
                                 Papier, auf einander liegen.“