| Titel: | Ueber Milch und deren Verfälschungen zu Paris. | 
| Fundstelle: | Band 37, Jahrgang 1830, Nr. LXXVII., S. 290 | 
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                        LXXVII.
                        Ueber Milch und deren Verfaͤlschungen zu
                           Paris.
                        Aus den Annales d'Hygiène publique et de Medicine
                                 légale. Julius 1829.
                        
                           Edinburgh New philosoph.
                                 Journal. April – Julius. 1830. S. 134.
                           
                        Ueber Milch und deren Verfaͤlschungen.
                        
                     
                        
                           Man brauchte vor 18 oder 20 Jahren, wo noch nicht so viel Kaffee getrunken wurde,
                              nicht halb so viel Milch zu Paris, wie gegenwaͤrtig. Indessen hat die Zahl
                              der Kuͤhe in der Nahe dieser Stadt sich nicht in demselben
                              Verhaͤltnisse vermehrt. Ein großer Theil der Milch, der von gewissen
                              Milchmaͤnnern an den Eken der Straßen verkauft wird, hat nichts anderes mit
                              wahrer Milch gemein, als die weiße Farbe.
                           Bekanntlich gibt dieselbe Kuh zu verschiedenen Zeiten bald mehr bald weniger Milch, und die
                              Milch verschiedener Kuͤhe besizt verschiedene Eigenschaften. Einige der
                              wohlhabenderen Einwohner, welche ihre Milch unmittelbar aus Milchwirthschaften
                              beziehen, erhalten allerdings gute Milch; die gewoͤhnliche Milch aber, so wie
                              sie zu Paris verkauft wird, ist durchaus mehr oder minder verfaͤlscht.
                           Die allerhaͤufigste Verfaͤlschung ist die mit Wasser. Da dieselbe sich
                              aber sowohl durch Geruch als durch die Farbe verraͤth, so sezt man der Milch
                              braunen Zuker zu, um ihr Suͤßigkeit zu geben, und Weizen- oder anderes
                              Mehl, um der Farbe und Consistenz nachzuhelfen.
                           Man kann also mit dem Araͤometer, welches bloß die specifische Schwere einer
                              Fluͤssigkeit andeutet, diese Verfaͤlschungen nicht entdeken. Ueberdieß
                              ist Milch, welche reich an Butter ist, viel leichter als jene, welche weniger Butter
                              enthaͤlt und dafuͤr mehr kaͤsige Bestandtheile. Um zu
                              verhuͤten, daß das Mehl, welches zur Verdikung der abgenommenen und
                              gewasserten Milch beigesezt wird, sich nicht zu Boden sezt, wird es
                              vorlaͤufig mit Wasser gemengt und gekocht, wodurch es dann, nachdem es kalt
                              geworden ist, in der Milch aufloͤsbar wird. Dieses beigemengte Mehl
                              laͤßt sich leicht durch einige Tropfen Jod-Tinctur entdeken, wodurch
                              in der damit verfaͤlschten Milch eine violette Farbe entsteht.
                           Noch deutlicher wird dieser Betrug aufgedekt, wenn man in die mit Mehl
                              angeruͤhrte Milch etwas weniges Schwefelsaͤure gießt, und den
                              geronnenen Theil derselben durch Filtriren abscheidet; das Serum oder
                              Kaͤsewasser erhaͤlt dann durch Jod-Tinctur eine schoͤne
                              blaue Farbe.
                           Da die Milchhaͤndler sich auf diese Weise in ihrem Betruͤge entdekt
                              sahen, suchten sie ein anderes Verfaͤlschungsmittel, welches mit Jod leine
                              blaue Farbe gibt: wahrscheinlich halfen ihnen hierbei einige Chemiker. Sie nahmen
                              ihre Zuflucht zur Mandelmilch, mit welcher sie fuͤr Einen Franken 30 Pinten
                              Wasser milchweiß machen koͤnnen, und wodurch das Wasser keinen unangenehmen
                              Geschmak erhaͤlt.
                           Einige dieser sogenannten Milchhaͤndler nehmen, weniger aͤngstlich.
                              Statt der Mandeln Hanfkoͤrner, weil diese wohlfeiler sind. Auf diese Weise
                              verduͤnnen sie nun die Milch, so viel sie wollen, ohne daß die Farbe dabei
                              litte, und helfen dem Geschmake mit etwas Rohrzuker nach.
                           Diese Art von Verfaͤlschung laͤßt sich leicht durch die oͤhlige
                              Beschaffenheit des geronnenen Theiles dieser Milch entdeken. Wenn man lezteren
                              zwischen den Fingern druͤkt, oder auf dem Papiere reibt, so schwizt Oehl aus
                              demselben aus, was bei dem geronnenen Theile reiner Milch nie der Fall ist.
                           Derjenige Theil der Milch, welcher am wenigsten durch den Einfluß des Futters leidet,
                              ist der geronnene Theil oder der kaͤsige Bestandtheil derselben.
                           
                           Wir ließen uns vier verschiedene Milchproben aus verschiedenen Milchwirtschaften in
                              verschiedenen Gegenden um Paris kommen: eine fuͤnfte nahmen wir unmittelbar
                              von einer Kuh her. Dreihundert Gramm von jeder derselben wurden gewaͤrmt, und
                              mit einer gleichen Quantitaͤt Essiges behandelt. Man ließ den dadurch
                              abgeschiedenen kaͤsigen Bestandtheil abtroͤpfeln, zwischen Bogen
                              weichen Papieres auspressen, und erhielt auf diese Weise von jeder Milchprobe aus
                              den Milchwirtschaften 29 Gramm Kaͤse, und aus der Milch, die frisch von der
                              Kuh herkam, 30 Gramm.
                           Ein zweiter Versuch gab, bis auf einen kleinen Bruch, dasselbe Resultat. Man nahm
                              diese Menge kaͤsigen Bestandtheiles als Maßstab fuͤr die Reinheit der
                              Milch an, mischte andere gleiche Mengen mit der Haͤlfte ihres Gewichtes
                              Wasser, behandelte sie auf die vorige Weise, und fand, daß man genau nur die
                              Haͤlfte Kaͤses erhielt.
                           Bei einem dritten Versuche wurde die Milch mit zwei Mal ihrem Gewichte Wassers
                              verduͤnnt, und man erhielt genau ein Drittel Kaͤse.
                           Den lezten Versuch wiederholte man mit einem Zusaze von Zuker zu der
                              gewaͤsserten Milch. Nachdem man den Kaͤse abgeschieden haͤtte,
                              rauchte man die Molken sorgfaͤltig zur Consistenz eines Extractes ab,
                              behandelte dasselbe mit siedendem Alkohol, filtrirte diesen und rauchte ihn ab, und
                              erhielt auf diese Weise den zugesezten Zuker.
                           Um die Verfaͤlschung der Milch mit Mandel- oder Hanfsamen, milch zu
                              entdeken, wurden 150 Gramm reiner Milch mit 150 Gramm Mandelmilch gemengt, und der
                              kaͤsige Bestandtheil mittelst Essiges und Hize abgeschieden. Gut ausgepreßt
                              wog er 16 5/16 Gramm. Man machte dann eine andere Mischung, zu welcher man 100 Gran
                              Milch und 200 Gran Mandelmilch nahm. Aus dieser Mischung erhielt man 10 Gramm und 18
                              Decigramm kaͤsigen Bestandtheiles; eine Menge, welche mit der Normalmenge
                              genau in Verhaͤltniß steht. Ueberdieß laͤßt sich der kaͤsige
                              Bestandtheil der reinen Milch von jenem, der aus der Milch erhalten wird, welche mit
                              Mandelmilch verfaͤlscht wurde, leicht durch seine Consistenz und durch das
                              Fett unterscheiden, welches lezterer gibt, wenn er einige Zeit uͤber auf
                              weißem Papiere liegt.
                           Um das Gerinnen und Sauerwerden der Milch, das in heißen Sommertagen so
                              haͤufig geschieht, zu verhuͤten, sezen die Milchmaͤnner etwas
                              basisch kohlensaure Soda oder Potasche zu, wodurch die Essigsaͤure, so wie
                              sie sich bildet, gesaͤttigt wird, also dem Gerinnen oder Abscheiden des
                              kaͤsigen Bestandtheiles vorgebeugt wird. Einige derselben sind in dieser
                              Praxis so gluͤklich, daß sie in dem allgemeinen Rufe stehen Milch zu
                              verkaufen, die nicht gerinnt. Selbst wenn ein Gerinnen der Milch Statt gehabt hat,
                              stellen sie die Fluͤssigkeit derselben durch Zusaz einer groͤßeren
                              oder geringeren Menge obiger Alkalien wieder her. Das auf diese Weise gebildete essigsaure
                              Alkali hat keine nachteilige Wirkung; uͤberdieß besizt die Milch in ihrem
                              natuͤrlichen Zustande etwas essigsaures Kali, jedoch kein Atom von freiem
                              oder kohlensauren Alkali.
                           Man empfiehlt der Verwaltung in jedem Viertel der Stadt ein paar Apotheker zu
                              beauftragen, daß sie von Zeit zu Zeit die an den Straßeneken verkaͤufliche
                              Milch pruͤfen, und die Milchverfaͤlscher streng zu bestrafen.Dieß geschieht allerdings von Rechtswegen. Wenn aber nur die Haͤlfte
                                    der Pariser Milch zur Haͤlfte mit Wasser verduͤnnt wird, und
                                    dieß fortan von Rechtswegen nicht mehr geschehen kann und darf, so wird man
                                    uͤberall um ein Viertel Milch zu kurz kommen. Man sieht hieraus, wie
                                    nothwendig Vermehrung der Viehzucht in dem Maße wird, als
                                    Bevoͤlkerung zunimmt, und wie weise der Staatshaushalt in Holland
                                    immer getrieben wurde. Getreide kann man uͤberall her wohlfeiler
                                    haben, als man es selbst baut; nicht aber frisches Fleisch, Butter, Milch.
                                    A. d. Ue.