| Titel: | Ueber die Zusammensezung der Legirung, woraus die Silbergloke im Wachtthurm von Rouen besteht; von Hrn. Girardin, Professor der Chemie. | 
| Fundstelle: | Band 46, Jahrgang 1832, Nr. LI. , S. 201 | 
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                        LI. 
                        Ueber die Zusammensezung der Legirung, woraus die
                           Silbergloke im Wachtthurm von Rouen besteht; von Hrn. Girardin, Professor der Chemie. 
                        Aus den Annales de Chimie et de Phisique. Junius 1852,
                              S. 205.
                         (Im
                              Auszuͤge.)
                        Girardin, uͤber die Zusammensezung der Legirung, woraus die
                           Silbergloke im Wachtthurm zu Rouen besteht.
                        
                     
                        
                           Kein Buͤrger in Rouen zweifelt daran, daß die sogenannte Silbergloke eine
                              große Menge Silber enthaͤlt, wie es ihr Name anzuzeigen scheint. Im April 1830 lud mich
                              der Maire dieser Stadt ein, ihr Metall zu untersuchen, um zu erfahren, ob der
                              eigenthuͤmliche Klang, welchen sie verbreitet, wenn sie in Schwingung versezt
                              wird, durch ihre chemische Zusammensezung veranlaßt wird. Ich nahm die Einladung
                              meiner Behoͤrde um so lieber an, weil ich schon lange eine Gelegenheit suchte
                              mich zu uͤberzeugen, ob die alten Gloken edle Metalle enthalten, die ihnen
                              von den Gießern vielleicht in der Absicht, ihnen einen schoͤneren Klang zu
                              ertheilen, zugesezt wurden. Hr. Deleau verschaffte mir
                              mehrere Gramme von dem Metall dieser großen Gloke, welche er an ihren
                              Seitenwaͤnden abfeilte.
                           Es unterscheidet sich in seiner chemischen Zusammensezung sehr wenig von dem Metalle
                              der neuen Gloken. Die quantitative Analyse ergab naͤmlich folgende
                              Bestandtheile:
                           
                              
                                 Kupfer
                                 71
                                 
                              
                                 Zinn
                                 26
                                 
                              
                                 Zink
                                   1,80
                                 
                              
                                 Eisen
                                   1,20
                                 
                              
                                 
                                 –––––
                                 
                              
                                 
                                 100
                                 
                              
                           Die neuen franzoͤsischen Gloken bestehen gewoͤhnlich aus einer Legirung
                              von
                           
                              
                                 Kupfer
                                 78
                                 
                              
                                 Zinn
                                 22
                                 
                              
                           Bisweilen findet man darin noch fremdartige Metalle, wie Eisen, Zink, Blei etc. in
                              veraͤnderlichen Quantitaͤten. Diese Metalle werden aber nur in der
                              Absicht zugesezt die Kosten des Metalles zu vermindern und also den Gewinn der
                              Gießer zu erhoͤhen.
                           Man ersieht aus dieser Vergleichung, daß die Silbergloke von Rouen hinsichtlich ihrer
                              Bestandtheile von den neuen Gloken nicht sehr verschieden ist. Eisen und Zink kommen
                              darin in so geringer Menge vor, daß man sie als zufaͤllig betrachten muß. Sie
                              ruͤhren ohne Zweifel von dem Kupfer her, welches der Gießer anwandte; denn
                              das kaͤufliche Kupfer ist selten von diesen beiden Metallen ganz frei, weil
                              das Kupferfahlerz, woraus das meiste Kupfer gewonnen wird, haͤufig in
                              Begleitung von Blende (Schwefelzink) und Schwefelkies (Schwefeleisen) vorkommt.
                           Die sogenannte Silbergloke von Rouen enthaͤlt also kein Atom Silber und
                              wahrscheinlich enthalten alle vor und nach ihr gegossenen Gloken eben so wenig von
                              diesem edlen Metall. Bekanntlich wurde aber in fruͤheren Zeiten eine
                              ungeheure Menge verarbeitetes Silber in die Werkstaͤtten gebracht, wo der Guß
                              der Gloken vorgenommen werden sollte. Die Personen, welche großmuͤthig dieses
                              Silber schenkten, in der vermeintlichen Absicht dadurch den Klang der Gloke zu
                              verschoͤnern, und
                              diejenigen, welche als Zeugen bei dem uͤblichen Einsegnen und Taufen der
                              Gloken auftraten, wurden eingeladen mit ihren eigenen Haͤnden das Silber in
                              den Ofen zu stellen, das dem fluͤssigen Glokenmetall zugesezt werden sollte:
                              Wie kommt es nun, daß man dessen ungeachtet in den alten Gloken keine Spur Silber
                              findet? Die Glokengießer brachten das Loch oben am Ofen, welches zum Eintragen des
                              Silbers bestimmt war, gerade uͤber dem Herd an und dieser Theil des
                              Flammofens ist bekanntlich von der Sohle des Ofens, auf welcher die Metalle in Fluß
                              gebracht werden, getrennt. Aus der Lage dieses Loches, das auch zum Eintragen des
                              Brennmateriales diente, ist es klar, daß alles Silber, welches man hineinwarf,
                              anstatt in die fluͤssige Legirung zu gelangen, geradezu in den Feuerraum
                              fiel, daselbst schmolz und sich dann in dem Aschenraum sammelte, wo es der Gießer,
                              nachdem die Ceremonie beendigt und die Werkstaͤtte verlassen war,
                              herausholte. Die alten Gießer, welche ihren Mitbuͤrgern an Kenntnissen
                              uͤberlegen und verschmizter waren, wußten also aus deren
                              Leichtglaͤubigkeit sehr geschikt Nuzen zu ziehen und richteten sich nach dem
                              alten Ausspruch des Horaz: Vulgus
                                 vult decipi, decipiatur.