| Titel: | Ueber die Umänderung mehrerer Pflanzensubstanzen in einen neuen Körper; von Hrn. H. Braconnot. | 
| Fundstelle: | Band 49, Jahrgang 1833, Nr. LV., S. 299 | 
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                        LV.
                        Ueber die Umaͤnderung mehrerer
                           Pflanzensubstanzen in einen neuen Koͤrper; von Hrn. H. Braconnot.
                        Aus Annales de Chimie et de Physique. Maͤrz
                              1832, S. 290.
                        Braconnot, uͤber die Umaͤnderung mehrerer
                           Pflanzensubstanzen.
                        
                     
                        
                           Die concentrirte Salpetersaͤure greift bekanntlich die unorganischen
                              Koͤrper im Allgemeinen nicht so stark an, wie die verduͤnnte. Ich
                              vermuthete, daß dasselbe bei den Pflanzensubstanzen der Fall seyn wuͤrde, in
                              welchem Falle man mir derselben organischen Substanz sehr verschiedenartige Producte
                              erhalten muͤßte, gerade so, als wenn man mit zwei besonderen Saͤuren
                              zu thun haͤtte. Um dieß zu beweisen, brauche ich die Leser nur mit einer
                              neuen Substanz bekannt zu machen, die ich durch Behandlung mehrerer naͤheren
                              Bestandtheile des Pflanzenreichs mittelst concentrirter Salpetersaͤure
                              erhielt.
                           Bekanntlich verwandelt die verduͤnnte Salpetersaͤure das
                              Erdaͤpfelstaͤrkmehl in eine schleimartige Substanz, die sich in Wasser
                              sehr leicht aufloͤst. Mit concentrirter Salpetersaͤure erhaͤlt
                              man hingegen ein ganz anderes Resultat.
                           Ich weichte 5 Gramme Erdaͤpfelstaͤrkmehl in eine hinreichende Menge
                              dieser Saͤure ein, und nachdem ich das Gemenge von Zeit zu Zeit
                              geschuͤttelt hatte, zeigte es sich auch als eine schleimartige, vollkommen
                              durchsichtige Aufloͤsung, die aber durch Wasser gaͤnzlich zu einer
                              weißen kaͤseartigen Masse gerann, welche gut ausgesuͤßt und
                              ausgetroknet, genau fuͤnf Gramme wog, wie die angewandte Quantitaͤt
                              Staͤrkmehl.
                           Diese Substanz besizt folgende Haupteigenschaften:
                           Sie ist weiß, pulverig, geschmaklos, und roͤchet das Lakmus nicht.
                           Weicht man sie in Jodtinctur ein, so entfaͤrbt sich leztere, und man
                              erhaͤlt eine gelbe Verbindung.
                           Das Brom hat gar keine Wirkung auf diese Substanz. In kochendem Wasser erweicht sie
                              und ballt sich zusammen, ohne sich jedoch im Geringsten darin aufzuloͤsen.
                              Auch loͤst sie sich nicht besser auf, wenn man sie mit Schwefelsaͤure
                              kocht, die mit ihrem doppelten Gewichte Wasser verduͤnnt ist; mit
                              concentrirter Schwefelsaͤure aber erhaͤlt man eine vollkommen farblose
                              Aufloͤsung, die durch Wasser nicht gefallt wird, und eine gummige Substanz
                              enthaͤlt. Concentrirte Salzsaͤure loͤst die neue Substanz
                              leicht auf, besonders bei gelinder Waͤrme; sie wird aber daraus durch Wasser
                              mir allen ihren Eigenschaften gaͤnzlich niedergeschlagen.
                           In der Kaͤlte loͤst sie sich in gewoͤhnlicher verduͤnnter
                              Salpetersaͤure leicht auf; das Wasser und die Alkalien faͤllen diese
                              Aufloͤsung reichlich; dampft man sie ab, so erzeugt sie Kleesaͤure, aber
                              keine Schleimsaͤure.
                           Unter allen Pflanzensaͤuren scheint die concentrirte Essigsaͤure allein
                              auf die in Rede stehende Substanz zu wirken; sie loͤst sie, besonders beim
                              Erwaͤrmen, leicht auf, und kann sogar so viel von ihr aufnehmen, daß die
                              Fluͤssigkeit die Consistenz eines diken Schleimes erhaͤlt, welcher mit
                              Wasser in Beruͤhrung gebracht, zu einer hatten mattweißen Masse gerinnt;
                              troknet man ihn aber bei gelinder Waͤrme, so hinterlaͤßt er eine
                              firnißartige Substanz, welche eben so farblos wie weißes Glas ist, und ihre
                              Durchsichtigkeit behaͤlt, wenn man sie in Wasser taucht; auch versuchte ich
                              daraus kleine Linsen fuͤr Mikroskope zu verfertigen. Wird dieser saure
                              Schleim auf Papier oder irgend einen anderen Koͤrper aufgetragen, so
                              hinterlaͤßt er darauf einen sehr glaͤnzenden firnißartigen Ueberzug,
                              der demjenigen, welchen das schoͤnste Gummi liefert, bei Weitem vorzuziehen
                              ist: er wider: steht naͤmlich vollkommen der Einwirkung des Wassers.
                              Impraͤgnirt man Leinewand mit diesem Schleim und troknet sie dann, so
                              behaͤlt sie die Steifigkeit und Undurchdringlichkeit, die sie erlangt hat,
                              bei, selbst wenn man sie in Wasser kocht. Aus diesen Eigenschaften ersieht man, daß diese Substanz fuͤr die Kuͤnste sehr wichtig
                                 werden kann. Uebrigens loͤst sie der kaͤufliche Holzessig in
                              der Siedhize ebenfalls auf; freilich truͤbt sich die Fluͤssigkeit beim
                              Erkalten ein wenig. Das Ammoniak hat keine Wirkung auf die neue Substanz; eben so
                              wenig eine Aufloͤsung von Aezkali; in lezterer ballt sie sich aber zusammen
                              und wird durchscheinend; durch Kochen erhaͤlt man aber endlich eine
                              braͤunliche Aufloͤsung, aus welcher die Saͤuren die
                              aufgeloͤste Substanz mit sehr geringer Veraͤnderung niederschlagen;
                              sie wird naͤmlich selbst in kochendem Wasser viel leichter fluͤssig,
                              ohne sich jedoch darin aufzuloͤsen, und erhaͤlt durch Austroknen die
                              Durchsichtigkeit des Gummis, waͤhrend sie sonst mattweiß aussieht. Siedender
                              Alkohol scheint wenig Wirkung auf die neue Substanz zu haben; indessen wird die
                              geistige Fluͤssigkeit beim Erkalten schwach milchartig.
                           Wenn man die neue Substanz einer hoͤheren Temperatur aussezt, so
                              entzuͤndet sie sich sehr leicht; man braucht sie nur auf einem Kartenblatte
                              zu erhizen, so verkohlt sie sich schnell, sobald sie anfaͤngt zu schmelzen,
                              ohne daß der Theil der Karte, welcher der Hize ausgesezt wird, merklich
                              beschaͤdigt wuͤrde. In einer kleinen glaͤsernen Retorte
                              destillirt, hinterlaͤßt sie ungefaͤhr 1/6 ihres Gewichtes Kohle, die
                              schwer einzuaͤschern ist, wie die von Staͤrkmehl selbst, und liefert
                              außerdem eine braͤunliche Fluͤssigkeit, die viel Essigsaͤure
                              enthaͤlt.
                           Mit einer mehr oder weniger verduͤnnten Aufloͤsung von schwefelsaurem
                              Indigo in
                              Beruͤhrung gebracht, veraͤndert sie dessen Farbe nicht und
                              faͤrbt sich nicht merklich blau. Mit schwefelsaurem Eisenperoxyd geht sie
                              ebenfalls keine Verbindung ein.
                           Ich war in Verlegenheit, welchen passenden Namen ich dieser Substanz geben
                              koͤnnte; da sie einige Aehnlichkeit mit dem Holzstoff hat, so koͤnnte
                              man sie Xyloidin nennen. Mehrere andere
                              Pflanzensubstanzen andern sich in dieselbe Substanz um, wenn man sie in
                              concentrirter Salpetersaͤure aufloͤst.
                           
                        
                           Wirkung der concentrirten Salpetersaͤure auf den
                                 Holzstoff und die gummigen Substanzen.
                           Bringt man Saͤgespaͤne in concentrirte Salpetersaͤure, so
                              blaͤhen sie sich darin auf und erweichen sich, ohne sich in der Kaͤlte
                              aufzuloͤsen; sezt man aber das Gemengt einer gewissen Temperatur aus, so
                              stellt sich gar kein Aufbrausen ein, was merkwuͤrdig ist, und man
                              erhaͤlt schnell eine schleimige Aufloͤsung, die so dik ist, daß sie
                              beim Erkalten erstarrt; Wasser scheidet daraus reichlich eine Substanz ab, die ganz
                              identisch mit derjenigen ist, welche ich durch Aufloͤsen des,
                              Staͤrkmehls in concentrirter Salpetersaͤure erhielt. Erhizt man
                              Baumwolle und Leinewand mit derselben Substanz, so loͤsen sie sich ebenfalls
                              ohne scheinbare Reaction auf, und werden so in Xyloidin verwandelt. Der
                              Rohr-, Manna- und Milchzuker liefern kein Xyloidin; man erhaͤlt
                              mit denselben nur eine sehr bittere Substanz, die ich nicht untersucht habe. Das
                              Tragantgummi, arabische Gummi, Inulin und auch das Saponin, welches leztere ich in
                              der Rinde des gymnocladus canadensis
                              Es scheint mir, daß man Statt der im Handel sogenannten aͤgyptischen
                                    Seifenwurzel, die seit langer Zeit im Oriente zum Reinigen der
                                    Caschemirshawls und anderer Stoffe benuzt wird, die Rinde der Zweige und
                                    auch die Blaͤtter des gymnocladus
                                       canadensis anwenden koͤnnte, eines großen, 30 bis 40 Fuß
                                    hohen Baumes, mit weitem und regelmaͤßigem Gipfel, welcher bei der
                                    groͤßten Kaͤlte unserer Winter niemals Schaden leidet, und den
                                    man sehr leicht vervielfaͤltigen koͤnnte, wenn man von dem
                                    Baume horizontale Wurzeln losrisse, wodurch sie in die Hoͤhe treiben.
                                    A. d. O. entdekt habe, verwandeln sich durch concentrirte Salpetersaͤure in
                              Xyloidin; freilich ist lezteres dann von einer sehr bitteren Substanz begleitet,
                              daher man vermuthen koͤnnte, daß diese gummigen Substanzen ein zukeriges
                              Princip enthalten.
                           Das Pectin loͤste sich ebenfalls in concentrirter Salpetersaͤure zu
                              einem Schleime auf, woraus Wasser eine Substanz, die in Ammoniak ganz
                              loͤslich und daher nichts Anderes als Pectinsaͤure
                              (Gallertsaͤure) war, in reichlicher Menge niederschlug. Mit dem Gummi,
                              welches durch Behandlung leinener Lumpen mit concentrirter Schwefelsaͤure
                              entsteht, konnte ich kein Xyloidin erhalten, eben so wenig mit arabischem Gummi, das vorher mit
                              concentrirter Schwefelsaͤure behandelt wurde, was sehr sonderbar ist.
                              Leinsamenschleim lieferte mir auch nur eine geringe Menge Xyloidin.