| Titel: | Ueber die Roßkastanie, und die Producte, die sich aus derselben gewinnen lassen. Von Hrn. Vergnaud-Romagnesi. | 
| Fundstelle: | Band 51, Jahrgang 1834, Nr. LXX., S. 285 | 
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                        LXX.
                        Ueber die Roßkastanie, und die Producte, die sich
                           aus derselben gewinnen lassen. Von Hrn. Vergnaud-Romagnesi.
                        Im Auszuge aus dem Recueil industriel. November
                              1833.
                        Gewinn der Producte aus der Roßkastanie.
                        
                     
                        
                           Nach den vielen fruchtlosen Versuchen, die bereits angestellt wurden, um zu
                              ermitteln, auf welche Weise sich von dem Roßkastanienbaume gehoͤriger Nuzen
                              ziehen laͤßt, ist es keine kleine Aufgabe, neuerdings mit einer Empfehlung
                              dieses Baumes aufzutreten. Nur der Ausspruch Parmentier's, der da sagte, daß er, so viel er sich auch mit der Frucht der
                              Roßkastanie abgab, doch noch Vieles hieruͤber zu thun uͤbrig ließ,
                              konnte mich bewegen, diesen Gegenstand neuerdings zur Sprache zu bringen; und ich
                              hoffe, daß die von mir angestellten Versuche zu einem besseren Resultate
                              fuͤhren duͤrften.
                           Man hat gegen die Kultur des Roßkastanienbaumes hauptsaͤchlich drei
                              Einwendungen gemacht, und diese sind: die Unbrauchbarkeit seines Holzes, das
                              fruͤhzeitige Abfallen seiner Blatter, und die Nuzlosigkeit seiner
                              Fruͤchte, die wegen ihrer Bitterkeit weder von Menschen, noch von Thieren
                              genossen werden koͤnnen. Wir wollen diese Einwuͤrfe beleuchten.
                           Was das Holz der Roßkastanie betrifft, so ist es zwar zart und schwammig, allein es
                              eignet sich dennoch zu allen den Zweken, zu welchen man die sogenannten welchen oder
                              weißen Hoͤlzer, wie z.B. das Linden-, Platanen-,
                              Tannen-, Pappelholz etc. verwendet. Es dauert sogar, wenn es gegen
                              Feuchtigkeit geschuͤzt ist, laͤnger, als manche dieser Holzarten, und
                              wird nur selten von den Wuͤrmen angegriffen. Man kann dasselbe auch zu Dachsparren,
                              Schindeln und Balken benuzen; denn es hat zwar weniger Elasticitaͤt, als das
                              Tannenholz, springt aber nicht so leicht, als dieses, weil seine Fasern inniger mit
                              einander verbunden sind. Bildhauer, Dreher und Tischler koͤnnen das Holz der
                              Roßkastanie sehr gut verwenden, denn es nimmt jede Farbe und jeden Firniß an. In
                              einigen Faͤllen bedient man sich desselben auch statt des Eschen- und
                              Buchenholzes zur Verfertigung der Zugjoche fuͤr das Hornvieh, wozu es sich
                              wegen seiner Leichtigkeit sehr gut eignet. Eben so gibt es sehr gute Holzschuhe, und
                              wird zu diesem Behufe selbst dem Erlen- und Birkenholze vorgezogen.
                           Das fruͤhzeitige Abfallen der Blaͤtter ist wahrlich nicht von Belang,
                              und wird durch das fruͤhe Austreiben im Fruͤhlinge, und durch den
                              dichten Schatten, den sie im Sommer gewaͤhren, reichlich ersezt. Allerdings
                              kann man keines unserer Hausthiere zum Genusse der Blaͤtter der Roßkastanie
                              bewegen; allein sie geben doch eine gute Streue, und will man sie
                              einaͤschern, so erhalt man aus denselben wen mehr Alkali, als aus den
                              Blaͤttern irgend eines anderen Baumes. Uebrigens hat man die frischen Blatter
                              zu Lyon auch schon zum Zurichten der Huͤte angewendet, indem sie beim Sieden
                              eine schleimige, klebrige Substanz geben.
                           Die Unbrauchbarkeit der Fruͤchte endlich, die den wichtigsten der
                              erwaͤhnten Einwuͤrfe bildet, duͤrfte durch folgende Bemerkungen
                              und Versuche widerlegt werden.
                           Die Fruͤchte der Roßkastanie werden in wildem Zustande von den Hirschen, den
                              Rehen, und zuweilen selbst von den Wildschweinen verzehrt. Man versuchte Hunde und
                              Schweine damit zu fuͤttern, allein vergebens; am liebsten frißt sie noch das
                              Hornvieh, und man hat bemerkt, daß Ochsen, die mit zerschnittenen und gekochten
                              Roßkastanien gefuͤttert wurden, ein sehr festes und reichliches Fett
                              ansezten. Kuͤhe behielten dabei eine große Menge Milch, die keinen
                              uͤblen Geschmak hatte. Puymaurin will Schafe damit
                              gefuͤttert, und Boos mehrere Schafheerden dadurch
                              von einer epidemischen Krankheit geheilt haben; wahrscheinlich wußten Beide den
                              Geschmak der Fruͤchte zu maskiren, denn im Allgemeinen haben die Schafe
                              einigen Widerwillen dagegen. In England fuͤllte man alte Faͤsser mit
                              Roßkastanien, weichte diese 3 bis 4 Tage in fließendes Wasser, und verwendete dann
                              die Fruͤchte zur Mastung der Schweine und der Hirsche. Ich fand, daß die
                              Maceration der Fruͤchte, selbst wenn sie zerschnitten sind, wenigstens 8 Tage
                              lang fortgesezt werden muß, wenn der bittere Geschmak nur einigermaßen vermindert
                              werden soll.
                           
                           Man schlug vor, die Roßkastanien in alkalischer Lauge maceriren zu lassen, sie dann
                              zu mahlen, und an die Huͤhner zu verfuͤttern. Dieses Verfahren schien
                              zu gelingen; allein es ist zu geringfuͤgig, als daß es die Aufmerksamkeit auf
                              sich ziehen koͤnnte. Eben so hat man die Fruͤchte getroknet, gemahlen
                              und zu Buchbinderkleister empfohlen, weil man behauptete, dieser Kleister
                              wuͤrde wegen seiner Bitterkeit von den Insecten nicht angegriffen. Dem ist
                              aber nicht so, denn dieser Kleister verliert nach 1/2 bis 1 Jahre seine Bitterkeit,
                              wo er sie doch gerade am meisten noͤthig haͤtte. Besser eignet sich
                              daher zu diesem Behufe noch ein Zusaz von Ruß unter den Kleister.
                           Hr. Antoine, Apotheker am Spitale des Val-de-Grâce, behauptete bei der
                              Destillation der Roßkastanie nur Essigsaͤure erhalten zu haben, die ihm vor
                              der Gaͤhrung schon in diesen Fruͤchten enthalten zu seyn schien. Ich
                              seze diese Fruͤchte nach demselben Verfahren in Gaͤhrung, nach welchem
                              man in Deutschland die Erdapfel in Gaͤhrung bringt, und erhielt auf diese
                              Weise einen Alkohol, der weder in Hinsicht auf Menge, noch in Hinsicht auf Geschmak
                              auch nur im Geringsten entsprach.
                           Man hat die Roßkastanien auch zum Reinigen der Wasche empfohlen; man rieb zu diesem
                              Zweke in jede Pinte Wasser zwei Fruͤchte, und verwendete dieses Wasser,
                              nachdem es erwaͤrmt worden, als Seifenwasser. Diese Reinigungsmethode gab
                              jedoch schlechte Resultate; die Wasche wurde gelblich und uͤbelriechend. Hr.
                              Marcandier, bekannt durch seine Abhandlung
                              uͤber den Hanf, behauptet jedoch; daß die Roßkastanie bei gehoͤriger
                              Behandlung doch mit Vortheil zum Reinigen verwendet werden kann, obwohl sie der
                              Seife nachsteht. Ich habe diese Bleichkraft nicht finden koͤnnen; denn die
                              Roßkastanie enthaͤlt zwar eine große Menge Alkali; allein es ist so gebunden,
                              daß man dessen Menge bloß durch die Einaͤscherung erfaͤhrt. 50 Pfd.
                              Roßkastanienasche geben 35 bis 36 Pfd. reine Potasche von erster Guͤte.
                           Einige Fabrikanten behaupteten, sie haben Kerzen aus den Roßkastanien verfertigt. Dem
                              ist aber nicht so: denn der bittere und zusammenziehende Bestandtheil diente bloß
                              dazu den Hammeltalg zu reinigen und ihn fester zu machen; er vermehrte die Menge des
                              Talges durchaus nicht, sondern er verminderte ihn im Gegentheile bedeutend, so daß
                              diese Art von Kerzen immer theurer zu stehen kommen muͤssen, als andere.
                           Die Roßkastanie enthaͤlt auch eine Art von Oehl, welches man in geringer
                              Quantitaͤt gewinnen kann, wenn man die zermalmten Fruͤchte etwas
                              erwaͤrmt und dann auspreßt. Das Roßkastanienpulver kann daher auch statt der
                              sogenannten Mandelkleie zum Waschen der Haͤnde benuzt werden.
                           Hr. Francheville, Mitglied der Akademie zu Berlin,
                              behauptete, daß der Roßkastanienbaum drei Mal auf sich selbst gepfropft. Fruchte
                              liefere, die durchaus nicht bitter, und eben so genießbar waren, wie die
                              aͤchten Kastanien. Dieß ist aber eben so unrichtig, als es unrichtig ist, daß
                              Pfirsiche auf Roßkastanien gepfropft, sehr große, aber bittere Fruͤchte
                              liefern. Uebrigens hat diese, wie es scheint, aus der Luft gegriffene Behauptung zu
                              mannigfachen Versuchen uͤber das Pfropfen der besten Kastaniensorten auf
                              Roßkastanienbaͤume Anlaß gegeben, von denen jedoch in 200 Faͤllen auch
                              nicht einer anschlug.
                           Hr. Bon schlug vor, die Roßkastanien, um ihnen ihre
                              Bitterkeit zu benehmen, geschalt und zerschnitten 48 Stunden lang in eine alkalische
                              Lauge einzuweichen, und sie dann 10 Tage hindurch alle 24 Stunden so lang mit reinem
                              Wasser auszuwaschen, bis sie eine weiße Farbe angenommen, und ihren bitteren
                              Geschmak ganz verloren haben. Dieses Verfahren ist langwierig, und doch nicht
                              genuͤgend; uͤbrigens fuͤhrte mich dasselbe auf die Anwendung
                              der Saͤuren, um der Roßkastanie ihren bitteren Geschmak zu entziehen.
                           Die interessantesten Arbeiten uͤber die Roßkastanie verdanken wir den seligen
                              Parmentier und Baumé, die ich in Kuͤrze anfuͤhren will.
                           Ich zerrieb, sagt Parmentier, frische und
                              abgeschaͤlte Roßkastanien, und verwandelte sie in einen weichen Teig, den ich
                              in einem Sake aus starkem, dichtem Zeuge unter die Presse brachte. Es floß hierbei
                              ein klebriger, diker, gelblich-weißer und unertraͤglich bitterer Saft
                              ab, wahrend ein weißes, sehr troknes Mark zuruͤkblieb, welches ich mit Wasser
                              anruͤhrte. Die milchige, durch ein sehr enges Haarsieb geseihte
                              Fluͤssigkeit wurde hierauf in ein mit Wasser gefuͤlltes Gefaͤß
                              gebracht, worauf ich dann endlich durch wiederholtes Auswaschen und Abgießen eine
                              geringe Menge eines sanft anzufuͤhlenden Sazmehles erhielt, welches, bei
                              gelinder Waͤrme getroknet, weiß und geschmaklos war, und alle Eigenschaften
                              eines wahren Staͤrkmehles besaß; waͤhrend der faserige Theil selbst
                              nach dem Troknen einen so unertraͤglich bitteren Geschmak hatte, daß 10 bis
                              12 Grane davon hinreichten, um ein Pfund Weizenmehl ungenießbar zu machen. Um dieses
                              Starkmehl in Brod zu verwandeln, vermengte ich 4 Unzen davon mit eben so viel
                              gekochten Erdaͤpfeln, und bildete daraus mit einer entsprechenden Menge Hefen
                              einen Teig. Dieser Teig gab ein gutes, aber ohne Salz fades Brod.
                           Nach Parmentier enthaͤlt 1 Pfd. frische
                              Roßkastanien 2 Unzen 4
                              Quentchen Nahrungsstoff, und 2 Unzen bitteres Parenchym; der Ueberrest besteht aus
                              Rinde, Extractivstoff und Wasser.
                           Baumé gibt dreierlei Methoden an, nach welchen
                              sich das Staͤrkmehl aus der Roßkastanie gewinnen laͤßt. Nach der
                              ersten dieser Methoden soll man 6 Pfd. abgeschaͤlte Kastanien 24 Stunden lang
                              in Wasser einweichen. Das Wasser loͤst hierbei eine geringe Menge
                              Extractivstoff auf, wird roͤthlich und bitter; und dann ist auch der
                              Zeitpunkt gekommen, wo die Kastanien von ihrem zweiten Haͤutchen befreit
                              werden muͤssen. Dieß geschieht am besten, indem man sie zwischen einem von
                              zwei Personen gehaltenen Tuche hin- und her rollt. Die auf diese Weise
                              behandelten Fruͤchte werden in einem Moͤrser gestoßen, mit einer Walze
                              in einen Teig verwandelt, und dann mit 10 Pfd. Weingeist von 30° in ein
                              glaͤsernes oder irdenes Gefaͤß gebracht, welches man den
                              Sonnenstrahlen oder einer gelinden Waͤrme aussezt und oͤfter
                              umruͤhrt. Nach 24 Stunden seiht man das Ganze durch ein Tuch und
                              druͤkt es stark aus. Den Ruͤkstand laͤßt man hierauf 24 Stunden
                              lang mit frischem Weingeiste aufgegossen, und dieß wiederholt man mit einer gleichen
                              Menge Weingeist noch vier Mal, oder so lange bis der Weingeist keine Farbe mehr
                              annimmt. Das zuruͤkbleibende Sazmehl wird dann getroknet, und gibt ein
                              weißes, durchaus nicht bitteres Pulver, woraus man mit Erdaͤpfeln oder
                              Weizenmehl Brod bereiten kann.
                           Dieses Verfahren ist so umstaͤndlich, daß von einer Anwendung desselben im
                              Großen gar keine Rede seyn kann. Anwendbarer ist das zweite, nach welchem 6 Pfd.
                              Roßkastanien auf dieselbe Weise gereinigt, gestoßen und zermalmt und mit 300 Pinten
                              Wasser angeruͤhrt werden. Dieses Gemenge schaͤumt beim
                              Umruͤhren mit einer Spatel wie Seifenwasser, und dieser Schaum wird mit einem
                              großen Schaumloͤffel abgenommen. Nach 2 Stunden Ruhe gießt man das Wasser
                              vorsichtig ab, und schuͤttet hierauf eine gleiche Menge Wasser auf den
                              Ruͤkstand; dieses Auswaschen sezt man so lange fort, bis das Wasser weder
                              milchig, noch gruͤnlich abfließt und auch keinen Geschmak mehr annimmt. Man
                              waͤscht in 2–3 Tagen 8–10 Mal aus; der Ruͤkstand wird
                              endlich ausgepreßt, an der Sonne getroknet, gepuͤlvert und durch ein Sieb
                              gebeutelt, worauf man ihn als Starkmehl verwenden kann.
                           Auch dieses Verfahren ist im Großen unbrauchbar, und das dritte ist nicht besser,
                              denn der ganze Unterschied besteht darin, daß man die Kastanien abschaͤlt,
                              troknet, sehr fein puͤlvert und hierauf auf dieselbe Weise behandelt.
                           Baumé sagt, daß man 8 Unzen dieses Sazmehles mit 8
                              Unzen Weizenmehl vermengen, und dann zur Haͤlfte mit 20 Quentchen Hefen abkneten soll. Nach
                              12stuͤndiger Gaͤhrung soll man die andere Haͤlfte damit
                              vereinigen und unter Zusaz von einem Quentchen Salz abkneten. Man erhaͤlt auf
                              diese Weise 24 Unzen weißes sehr leichtes Brod. Baumé bemerkt hierbei, daß sein Kastanienmehl etwas oͤhlig
                              war; dieß kann jedoch nur davon herruͤhren, daß sein Mehl nicht
                              gehoͤrig gereinigt war; denn in reinem Zustande ist dasselbe durchaus nicht
                              oͤhlig, sondern den uͤbrigen reinen Sazmehlarten aͤhnlich.
                           Alle diese Resultate sind wegen der geringen Menge Product, die sie gaben, und wegen
                              des großen Verlustes an Zeit und nuͤzlichen Stoffen, die sich bei diesen
                              langwierigen und kostspieligen Manipulationen ergab, durchaus nicht ermuthigend.
                              Dessen ungeachtet schien es mir aber, daß sich diesen Uebelstaͤnden
                              vielleicht doch abhelfen ließe, und nach vielen vergeblichen Versuchen glaube ich
                              endlich durch die Schriften des Hrn. Dombasle zu Nancy
                              und durch den Vorschlag Kirchoff's das Staͤrkmehl
                              mit Schwefelsaͤure zu behandeln, und durch Gaͤhrung Alkohol daraus zu
                              gewinnen, auf die geeignetste Methode gekommen zu seyn. Es gelang mir nach dieser
                              Methode bald aus der Roßkastanie eine groͤßere Menge Sazmehl zu gewinnen, als
                              aus den Erdaͤpfeln, und dasselbe ganz rein und ohne allen bitteren
                              Nebengeschmak darzustellen.
                           Mein Verfahren ist beinahe dasselbe, wie jenes, dessen man sich gewoͤhnlich
                              zur Ausziehung des Staͤrkmehles aus den Erdaͤpfeln bedient, nur
                              entferne ich den bitteren, scharfen und zusammenziehenden Stoff auf eine eigene
                              Weise.
                           Ich zerreibe die Roßkastanien mittelst eines Instrumentes, welches jenem Instrumente
                              aͤhnlich ist, womit man die Erdaͤpfel zu zerreiben pflegt: nur daß
                              dessen Unebenheiten spiziger und staͤrker sind. Das Mark, welches gelb und so
                              fettig ist, daß es, wenn man es knetet, eine Masse bildet, lasse ich in ein enges
                              Haarsieb oder in ein etwas weites Seidensieb fallen, welches sich uͤber einem
                              Kuͤbel mit Wasser befindet. In diesem mit Schwefelsaͤure
                              gesaͤuerten Wasser bewege ich das Sieb mit dem Breie nach allen Achtungen,
                              wobei das Sazmehl schnell zu Boden fallen wird. Nach einer Viertelstunde nehme ich
                              das Sieb heraus, um es in einen zweiten, gleichfalls mit gesaͤuertem Wasser
                              gefaͤllten Kuͤbel zu bringen, und neuerdings zu schuͤtteln,
                              damit sich noch etwas Sazmehl abscheide. Dann nehme ich das Sieb heraus und
                              druͤke das Mark aus, welches in diesem Zustande keinen unangenehmen Geschmak
                              haben darf. Sollte es einen solchen Geschmak besizen, und wollte man es an die
                              Thiere, die es sehr gern fressen, verfuͤttern, so muͤßte man es vorher
                              zwei oder drei Mal mit reinem Wasser auswaschen, dann gut abtropfen lassen, und an einem luftigen
                              Orte troknen. In diesem Zustande laͤßt sich dasselbe naͤmlich leicht
                              von einem Jahre zum anderen aufbewahren.
                           Das Starkmehl, welches sich auf dem Boden des ersten Kuͤbels abgesezt hat,
                              gewinne ich, indem ich das daruͤberstehende Wasser nach einer Stunde
                              vorsichtig abgieße. Dann ruͤhre ich das Wasser des zweiten Kuͤbels
                              stark um, damit alles Starkmehl, welches sich in diesem Kuͤbel absezte,
                              schwebend erhalten werde, und gieße es hierauf in den ersten Kuͤbel, in
                              welchem ich es mit dem darin befindlichen Bodensaze abruͤhre. Nach 2 Stunden
                              Ruhe gieße ich das Wasser (welches das naͤchste Mal als erstes Wasser benuzt
                              werden kann, nach 5–6 Tagen aber nicht mehr zu brauchen ist)
                              sorgfaͤltig ab, und erseze es durch reines Wasser, womit ich das Sazmehl
                              neuerdings aufruͤhre, um nach 2 Stunden auch dieses Wasser wieder abzugießen.
                              Auf gleiche Weise wasche ich das Sazmehl noch ein zweites Mal aus, und sind diese
                              beiden Waschungen nicht hinreichend, d.h. ist das Sazmehl nicht vollkommen weiß und
                              ohne unangenehmen Geschmak, so nehme ich auch noch eine dritte vor.
                           Nachdem das Sazmehl auf diese Weise gehoͤrig ausgewaschen, nehme ich die obere
                              Schichte, die beinahe immer graulich ist, ab, und trokne sie so wie das weiße
                              Sazmehl auf offenen, mit Papier oder Leinewand uͤberzogenen Huͤrden.
                              Das getroknete Sazmehl beutle ich dann durch ein Sieb aus Seidenzeug, worauf es als
                              Nahrungsmittel, Kleister etc. verwendet werden kann. Will man Syrup und Alkohol
                              daraus bereiten, so braucht man das grauliche Sazmehl nicht von dem weißen zu
                              scheiden.
                           Die Quantitaͤt des Wassers, welches man zu den Waschungen nimmt, so wie der
                              Grad der Saͤure, den man dem Wasser gibt, muß sich nach der Natur der
                              Kastanien richten, die nach der Beschaffenheit des Bodens groͤßer oder
                              kleiner, reicher oder aͤrmer an Sazmehl sind. Im Allgemeinen muß
                              hauptsaͤchlich beim ersten Abwaschen, die Quantitaͤt des Wassers so
                              groß seyn, daß sich die Masse nicht fettig anfuͤhlt, weil das Sazmehl sonst
                              schwer zu Boden faͤllt. Uebrigens bringt ein Ueberschuß an Wasser keinen
                              Schaden.
                           Was den Grad der Saͤure betrifft, so muß sich der saure Geschmak des Wassers,
                              welches man zu den beiden ersten Waschungen nimmt, dem Gaumen zu erkennen geben.
                              Fuͤr wenig oͤhlige Roßkastanien kann man 1 Theil concentrirte
                              Schwefelsaͤure auf 400 Theile Wasser nehmen; sind sie hingegen mehr
                              oͤhlig, so soll man einen Theil Saͤure auf 309 Theile Wasser zusezen;
                              auch ein Theil Saͤure auf 200 Theile Wasser bringt keinen anderen Nachtheil, als den der
                              groͤßeren Kosten.Meine Abhandlung veranlaßte auch noch andere Versuche, deren Urheber ich
                                    jedoch nicht nennen darf. Man wendete naͤmlich Aezkali statt
                                    Schwefelsaͤure an, und erhielt auf diese Weise zwar weißeres und
                                    leichteres Staͤrkmehl, allein auch in geringerer Quantitaͤt,
                                    als mit Schwefelsaͤure. Ebendieß war auch bei der Behandlung mit
                                    Ammoniak der Fall. Wahrscheinlich duͤrften sich die Alkalien mit
                                    Vortheil zur Reinigung des zur See verdorbenen Mehles eignen. A. d. O.
                              
                           Ich erhielt auf diese Weise seit mehreren Jahren bestaͤndig vollkommen reines
                              Sazmehl; auch das Mark hatte durchaus keinen unangenehmen Geschmak, und beide
                              erhielten sich, an einem trokenen Orte aufbewahrt, zwei Jahre lang in vollkommen
                              gutem Zustande. Ich behandelte vergleichsweise die Erdapfel mit reinem, und die
                              Roßkastanien mit gesaͤuertem Wasser, und erhielt bei 25maligen Versuchen
                              jedes Mal ein Product an Sazmehl, welches bei den Kastanien um 11 Procent
                              groͤßer war, als bei den Erdaͤpfeln. Die besten Roßkastanien gaben mir
                              30 Proc. ihres Bruttogewichtes Sazmehl; die besten Erdapfel hingegen gaben mir nur
                              20–22 Procent ihres Bruttogewichtes. Außerdem gewaͤhren die
                              Roßkastanien den Vortheil, daß man das Sazmehl aus denselben zu jeder Zeit ausziehen
                              kann, weil sie nicht so auswachsen wie die Erdaͤpfel, vom Froste nicht
                              Schaden leiden und uͤberhaupt getroknet eben so leicht zu behandeln sind, als
                              frische, so daß man die Ernte von 2 bis 3 Jahren zusammenkommen lassen kann.
                           Die getrokneten Roßkastanien kann man entweder zerstoßen, durch Schwingen von der
                              Rinde befreien, 48 Stunden lang in Wasser einweichen, zerreiben, und dann auf die
                              beschriebene Weise behandeln; oder man kann sie nach dem Zerstoßen und Schwingen auf
                              einer Muͤhle mahlen, und das Mehl gleichfalls dem angegebenen Verfahren
                              unterwerfen.
                           Das aus den getrokneten Roßkastanien gewonnene Sazmehl ist eben so gut, wie jenes aus
                              den frischen; nur ist es weniger weiß, und in etwas geringerer Quantitaͤt
                              vorhanden. Beide Arten von Sazmehl, sowohl jenes aus den frischen, als jenes aus den
                              getrokneten Erdaͤpfeln, lassen sich zu verschiedenem Kuͤchengebrauche
                              verwenden, und geben mit Weizenmehl in gehoͤrigem Verhaͤltnisse
                              gemengt gutes Brod. Bei dessen Verwandlung durch Schwefelsaͤure in Syrup und
                              Alkohol erhielt ich dieselben Producte, wie aus dem
                              Erdaͤpfelstaͤrkmehle, so daß man die Roßkastanien also eben so gut auf
                              Branntwein benuzen, und die Erdaͤpfel dafuͤr bei Mißernten zur Nahrung
                              verwenden kann.
                           Ich versuchte auch, ob sich nicht aus dem zweiten, dritten und viertel, Abwaschwasser Nuzen
                              ziehen ließe, und erhielt beim Abdampfen desselben ein reichliches Extract von
                              alkalischem Geschmake, welches ziemlich leicht, und mit einer Flamme brannte, die
                              der Flamme der Harze aͤhnlich ist. Der alkalische Geschmak, den ich an dem
                              Extracte des vierten Waschwassers, welches keine Saͤure mehr enthielt,
                              erkannte, brachte mich auf die Idee, ob sich dieses Wasser, mit Roßkastaniensazmehl
                              gekocht nicht als Schlichte fuͤr die Weber benuzen ließe, indem diese
                              Schlichte vielleicht die gehoͤrigen hygroskopischen Eigenschaften besizen
                              mochte.
                           Eine gute Schlichte muß glatt, vollkommen gleichmaͤßig, und von solcher
                              Consistenz seyn, daß sie sich vollkommen in die Buͤrsten vertheilt, und nach
                              allen Richtungen auf die Kette auftragen laͤßt. In jeder Gegend hat man
                              beinahe eine eigene Methode die Schlichte zu bereiten; nicht ganz befriedigt ist
                              aber noch das Verlangen nach einer Schlichte, welche in solchem Grade hygroskopisch
                              ist, daß man die Webestuͤhle in gesuͤnderen, luftigeren und helleren
                              Localitaͤten errichten kann. Man glaubte diese Eigenschaft in dem sogenannten
                              Canariensamen, in den Samen der Phalaris canariensis
                              erkannt zu haben; allein das Mehl dieser Samen kommt nicht nur fuͤr
                              gruͤben Zeuge zu hoch zu stehen, sondern es laͤßt sich auch bei den
                              feinsten Zeugen, die eine vollkommene Weiße erhalten sollen, nicht anwenden, weil es
                              denselben eine grauliche Farbe mittheilt, die sich durch das Bleichen nur sehr
                              schwer entfernen laͤßt. Außerdem ist es beinahe unmoͤglich dieses Mehl
                              gaͤnzlich von einer geringen Menge der Schale der Samen zu befreien, und
                              diese Schalentheilchen, die sich in Wasser nicht aufloͤsen, verursachen
                              oͤfter ein Brechen der Faden. Hr. Dubuc fand, daß
                              die Eigenschaften dieses Mehles von dessen groͤßerem Gehalte an salzsaurem
                              Kalke herruͤhren. Er schlug daher, die Nachtheile der Schlichte aus
                              Canariensamen einsehend, eine Schlichte vor, die gegenwaͤrtig in einigen
                              Fabriken gebraͤuchlich ist, und die man sich bereiten kann, indem man 1 Pfd.
                              Erdaͤpfelsazmehl und 10 Quentchen arabischen Gummi unter bestaͤndigem
                              Umruͤhren bei gelindem Feuer mit 4 Pinten Wasser kocht, und nach 8 bis 10
                              Minuten anhaltendem Sieden, je nach der Jahreszeit, 6 Quentchen bis zu 1 Unze
                              salzsauren Kalk zusezt.
                           Ich dachte mir nach diesen Beobachtungen des Hrn. Dubuc,
                              daß das Sazmehl, welches aus den an Alkali so reichen Roßkastanien gewonnen wurde,
                              vielleicht zur Bereitung einer Schlichte geeignet seyn duͤrfte, wenn man
                              demselben wieder einen Theil jenes Alkali zusezen wuͤrde, welches ihm bei
                              seiner Ausziehung benommen wurde. Ich vermengte daher 1/2 Pfd. Roßkastaniensazmehl
                              mit 2 Unzen Weizenmehl und 1 Unze senegalischem Gummi, den man jedoch auch weglassen kann,
                              ruͤhrte das Gemenge mit einer hinreichenden Menge von dem vierten
                              Abwaschwasser an, und ließ es mit gehoͤriger Vorsicht kochen. Die Schlichte,
                              die ich dadurch erhielt, war fettig, ließ sich leicht auf den Zeugen ausbreiten,
                              ließ beim Troknen keine Rauhheit zuruͤk, behielt selbst an einem gut
                              geluͤfteten Orte lange Zeit die gehoͤrige Geschmeidigkeit, und
                              beeintraͤchtigte spaͤter das Bleichen nicht im Geringsten. Ich
                              wuͤnsche daher sehnlich, daß die Fabrikanten und Weher diese Versuche
                              wiederholen mochten.
                           Das guͤnstige Resultat meiner ersten Versuche uͤber die Anwendung des
                              mit seinem eigenen, Naschwasser zubereiteten Roßkastaniensazmehles veranlaßte mich
                              zu einem weiteren Versuche, welcher gleichfalls vollkommen gelang. Ich meine die
                              Anwendung dieses Praͤparates in der Lithographie, welche in Frankreich die
                              reißendsten Fortschritte macht.
                           Zu den vortheilhaftesten Erfindungen in der Lithographie gehoͤrt bekanntlich
                              das Schreiben auf sogenanntem autographischem Papiere, von welchem die mit
                              lithographischer Tinte darauf geschriebenen Schriftzuͤge durch
                              gehoͤrigen Druk und durch Befeuchtung der Kehrseite des Papieres auf den
                              Stein uͤbergetragen werden koͤnnen. Dieses Papier wird nun dadurch
                              bereitet, daß man auf demselben einen keim anbringt, der durch die Feuchtigkeit so
                              fluͤssig gemacht wird, daß die auf das Papier gemachten Schriftzuͤge
                              fest an dem Steine kleben bleiben. Man bediente sich zur Bereitung dieses Leimes
                              bereits verschiedener Vorschriften, von denen mehrere noch geheim gehalten werden.
                              Ich verschaffte mir von beinahe allen lithographischen Anstalten autographisches
                              Papier, und fand, Haß dessen Ueberzug oder Leim beinahe durchaus aus einem Gemenge
                              von Leim, Starkmehl, arabischem Gummi, und Gummigutt, oder auch nur aus einzelnen
                              dieser Substanzen bestand.
                           Jedes dieser Papiere laͤßt noch etwas zu wuͤnschen uͤbrig,
                              besonders was die Sicherheit des Gelingens einer vollkommenen Uebertragung betrifft.
                              Das Papier, welches mir Starkmehl allein bereitet worden, laͤßt die Tinte
                              nicht leicht genug an den Stein ankleben, ausgenommen man nimmt laues Wasser, um das
                              Papier von dem Steine abzunehmen, wo sich dann die Schriftzuͤge gern
                              verwischen. Das arabische Gummi wird zu leicht fluͤssig, und das Papier
                              glitscht leicht unter die Rakel oder unter die Walze. Der Leim eignet sich besser;
                              allein et hat zum Theil den Nachtheil des arabischen Gummis und haͤngt sich
                              außerdem stark an den Stein an, so daß es schwer ist denselben von dem Steine
                              wegzuschaffen, ohne der Reinheit der Schriftzuͤge zu schaden, und ihn zum
                              Druke zuzurichten. Das Gummigutt endlich ist fuͤr sich allein unbrauchbar,
                              und dient bloß zum Faͤrben des Leimes.
                           
                           Ich bereitete also einen Leim, der hauptsaͤchlich aus Roßkastanien Sazmehl und
                              seinem Waschwasser besteht, und verfertigte damit ein autographisches Abdrukpapier,
                              welches eben so durchsichtig ist, als das schoͤnste Papier dieser Art. Dieses
                              Papier uͤbertragt vollkommen gut die Tinte loͤst sich leicht und
                              gaͤnzlich davon ab, und haͤngt sich so fest an den Stein, daß man
                              diesen unmittelbar nach der Uebertragung ab waschen kann. Das Papier rutscht nie auf
                              dem Steine, wie groß auch der Grad des Drukes seyn mag; es laͤßt sich sehr
                              lange aufbewahren, und Verdikt nur dann, wenn der Aufbewahrungsort sehr feucht ist
                              Sollte man dieser Methode autographisches Papier zu verfertigen, wie ich nicht
                              zweifle, Beifall schenken, so werde ich spaͤter eine ausfuͤhrliche
                              Abhandlung uͤbel die Dosen, in welchen man die einzelnen Substanzen dabei
                              anzuwenden hat, so wie uͤber die ganze Bereitungsart bekannt machen. Hier mag
                              es genuͤgen diesen Gegenstand in Anregung gebracht zu haben.
                           Ich bemerke am Schluͤsse dieses Aufsazes nur noch, daß Vauquelin, der die Knospen der Roßkastanien analysirte, eine
                              gruͤnlich gelbe, harzartige, und in ihren Eigenschaften den fetten Oehlen
                              nahe kommende Substanz aus denselben auszog. Ich verschaffte nur eine ziemlich große
                              Menge dieser Knospen, und uͤberzeugte mich, daß sich deren Ueberzug ziemlich
                              leicht in heißem Alkohol aufloͤst, und daß sich diese Substanz wahrscheinlich
                              zur Bereitung eines Firnisses benuzen ließe, der sehr wenig Neigung haͤtte,
                              Sprunge zu bekommen.