| Titel: | Ueber den Physionotype des Hrn. Sauvage, oder über die von ihm erfundene Methode Gesichtszüge auf mechanische Weise vollkommen und genau wiederzugeben. | 
| Fundstelle: | Band 56, Jahrgang 1835, Nr. VI., S. 17 | 
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                        VI.
                        Ueber den Physionotype des Hrn. Sauvage, oder uͤber
                           die von ihm erfundene Methode Gesichtszuͤge auf mechanische Weise vollkommen und
                           genau wiederzugeben.
                        Aus dem Journal des connaissances usuelles. December
                              1834, S. 297.
                        Sauvage's Physionotype.
                        
                     
                        
                           Man spricht seit einiger Zeit von einer neuen Methode menschliche
                              Gesichtszuͤge auf mechanische Weise vollkommen und genau mittelst eines
                              Instrumentes wiederzugeben, welches von Hrn. Sauvage
                              erfunden, und von ihm mit dem Namen Physionotype belegt
                              worden ist. Wenn die gluͤkliche Idee, welche Hr. Sauvage hatte, auch erst im Entstehen ist, so leistet sie doch bereits
                              jezt schon einen Theil dessen, was sie verspricht; die Erfahrung wird sie ohne
                              Zweifel zur Vollkommenheit bringen, und uns in ihr eine vortreffliche Methode an die
                              Hand geben, nach der wir uns mit aller Genauigkeit die Gesichtszuͤge jener,
                              die uns theuer sind, verschaffen koͤnnen.
                           Die Idee der Physionotype ist, wie wir nicht nur im Publicum, sondern in den
                              Werkstaͤtten des Hrn. Sauvage selbst
                              hoͤrten, nicht neu; allein die Anwendung derselben ist so sinnreich und
                              zugleich so neu, daß diesem Manne derselbe Dank gebuͤhrt, als waͤre
                              die erste Idee selbst von ihm ausgegangen. Der Physionotype beruht naͤmlich
                              auf einer gluͤklichen Anwendung des Verfahrens, dessen man sich bedient, um
                              die Figuren auf den Gobelinstapeten, die Desseins auf den Shawls etc. zu erhalten.
                              Bei der Gobelinsarbeit sowohl, als beim Zeichnen der Shawls wird die Verschiedenheit
                              der Desseins naͤmlich mit Huͤlfe durchloͤcherter Pappendekel
                              erzeugt, in deren Loͤcher Nadeln gestekt werden, die der Arbeiter nach Belieben
                              verstekt, indem er einer vorher auf Canevaß verzeichneten Zeichnung folgt. Das
                              Instrument des Hrn. Sauvage ist in seiner Anwendung weit
                              einfacher, als das von den Shawls- und Teppichwebern befolgte Verfahren.
                           Man denke sich eine Platte aus Weißblech, welche in einer ovalen Form und in einer
                              etwas groͤßeren Ausdehnung als zum Verzeichnen des Umrisses eines
                              menschlichen Gesichtes noͤthig, gleich einem Kaffeefilter mit vielen, aber
                              noch kleineren und noch gedraͤngteren Loͤchern versehen ist. Man denke
                              sich ferner, daß in einer Entfernung von einigen Centimetern von einander zwei
                              solche Platten angebracht sind, deren Loͤcher auf einander passen, und daß in
                              jedes dieser Loͤcher eine 5 bis 6 Zoll lange staͤhlerne Nadel
                              eingesezt ist, die sich mit großer Leichtigkeit in den Loͤchern der beiden
                              Metallplatten bewegt. Wenn alle diese Loͤcher mit den gleich langen, und an
                              den Enden rechtwinkelig abgeschnittenen Nadeln besezt sind, so wird auf diese Weise
                              von den Nadeln eine ebene, senkrechte Flaͤche gebildet, die unter dem
                              geringsten Druke eine große Beweglichkeit besizt, die jedoch auf keine andere Art,
                              als durch den hiezu erforderlichen Druk in Unordnung gebracht werden kann.
                           Wenn nun saͤmmtliche Nadeln auf eine und dieselbe Hoͤhe gestekt sind,
                              und der Physionotype senkrecht an einer Schnur aufgehaͤngt worden ist, so
                              naͤhert sich die abzubildende Person mit ihrem Gesichte den Nadeln, und
                              uͤbt damit so lange einen Druk auf dieselben aus, bis das Profil dadurch
                              vollkommen in die zuruͤkweichenden Nadeln gedruͤkt ist. Durch dieses
                              mechanische Verfahren werden saͤmmtliche Nadeln, die mit dem Gesichte in
                              Beruͤhrung kamen, eingedruͤkt: und zwar je nach den Zuͤgen die
                              einen mehr, die anderen weniger. Da nun die Nadeln nicht so leicht beweglich sind,
                              daß sie durch jede Bewegung der Platten in Unordnung gerathen, so erhellt, daß der
                              hohlen abgedrukten Figur der einen Seite auf der anderen Seite eine erhabene Figur
                              entspricht, welche genau dieselben Zuͤge darbietet, die das Gesicht
                              waͤhrend des Abdrukes selbst hatte. Um sich eine noch deutlichere Idee von
                              diesem Verfahren machen zu koͤnnen, denke man sich eine mit hoͤchst
                              feinen, aber 6 Zoll langen und beweglichen Steinen besezte Oberflaͤche;
                              druͤkt man das Gesicht auf diese Steinchen, so erhaͤlt man einen
                              vollkommenen Abdruk davon, und gießt man in diesen hohlen Abdruk dann Gyps, so
                              erhaͤlt man einen erhabenen Abdruk. Auf dieser Idee beruht der ganze
                              Mechanismus des sogenannten Physionotype.
                           Wir glauben, daß Jedermann den Mechanismus des Instrumentes hienach leicht begreifen
                              wird, obwohl wir uͤber die uͤbrigen Einrichtungen desselben eigentlich
                              nur unsere Vermuthungen mitzutheilen im Stande sind. Die Nadeln befinden sich in einem
                              Gehaͤuse; sie sind befettet und leicht erwaͤrmt, damit sie keinen
                              unangenehmen Eindruk auf das Gesicht machen; so wie sie eingedruͤkt werden,
                              druͤkt ihre innere Oberflaͤche auf eine aus einer Haut gebildete
                              Scheidewand, welche hoͤchst nachgiebig ist, und hinter der sich zergangener
                              oder geschmolzener Talg befindet. Wenn daher der Talg in dem Augenblike, in welchem
                              das Relief der eingedruͤkten Nadeln einen hohlen Abdruk in demselben erzeugt,
                              zum Erstarren gebracht wird, so erhaͤlt man auf diese Weise einen Model, von
                              welchem man dann Gypsabguͤsse machen kann. Der zwischen dem geschmolzenen
                              Talge und den Nadeln befindliche Koͤrper ist so duͤnn, daß selbst die
                              unbedeutendsten Narben deutlich abgedruͤkt werden. Man erhaͤlt auf
                              diese Weise nicht nur Profile, sondern, wenn man das Gesicht von drei verschiedenen
                              Seiten nimmt, kann ein etwas gewandter Kuͤnstler auch sehr leicht vollkommene
                              und sehr gut getroffene Buͤsten danach verfertigen.
                           Das ganze Instrument besteht aus einem ovalen Kaͤstchen von 8 Zoll Dike, 11
                              bis 12 Zoll Laͤnge und 6 bis 7 Zoll Breite; es ist in drei Theile abgetheilt,
                              von denen der erste mittelst der Nadelhaͤlter von dem zweiten, und der zweite
                              durch die erwaͤhnte duͤnne Haut von dem dritten getrennt ist, in
                              welchem sich wahrscheinlich der fluͤssige Talg befindet. Sollten die
                              Zuͤge nicht gleich auf das erste Mal vollkommen genau abgedruͤkt
                              scheinen, so lassen sich die Nadeln mit einer Art von Walze alsogleich wieder in
                              ihre fruͤhere Stellung zuruͤkbringen.
                           Das Instrument des Hrn. Sauvage gibt Abdruͤke,
                              welche mit dem Originale die hoͤchste Aehnlichkeit haben, wie dieß die in
                              seiner Werkstaͤtte aufgestellten Profile zeigen; allein in den meisten
                              Gesichtern bemerkt man eine Art von Furcht oder Affectation, was wohl von dem
                              Eindruke herruͤhren duͤrfte, den das Verfahren auf das abzubildende
                              Individuum macht; auch schienen uns die Gesichter meistens etwas gegen den Hals
                              geneigt, was sich leicht aus der Biegung erklaͤren laͤßt, die man dem
                              Halse gibt, waͤhrend man das Gesicht auf die Nadeln oder Stifte
                              druͤkt. Wir wuͤrden daher an Hrn. Sauvage's
                              Stelle immer erst den zweiten oder gar den dritten Abdruk nehmen, damit das
                              Individuum sich mehr an den Eindruk, den das ganze Verfahren auf dasselbe macht,
                              gewoͤhne und folglich in natuͤrlicherem Zustande erscheine. Die
                              hierauf verwendete Zeit waͤre gewiß nicht so bedeutend, als daß man diesen
                              Rath nicht mit Vortheil befolgen koͤnnte. Wir wuͤrden ferner das
                              Instrument lieber gegen das Gesicht, als umgekehrt das Gesicht gegen das Instrument
                              bewegen lassen, indem die Haltung des Koͤrpers dadurch weniger
                              veraͤndert wird.
                              Die Oeffnung des Auges, welches waͤhrend der Abnahme des Profiles geschlossen
                              werden muß, geschieht von dem Kuͤnstler, der das Ganze ausbessert; daß hiebei
                              die gewoͤhnlichen Fehler geschehen koͤnnen, versteht sich von
                              selbst.
                           Ist man im Stande mit diesem Instrumente alle jene Gefuͤhle, die das Gesicht
                              auszudruͤken vermag, und die ein gewandter Bildhauer gleichfalls mehr oder
                              weniger darzustellen weiß, wiederzugeben? Wir glauben nicht; dessen ungeachtet ist
                              und bleibt aber der Physionotype ein hoͤchst schaͤzbares Instrument,
                              indem wir uns mit demselben mit Leichtigkeit die Zuͤge eines jeden uns
                              theuren Individuums verschaffen koͤnnen: und zwar auf eine viel schnellere
                              und weniger muͤhsame Weise, als durch das bisher uͤbliche Abgießen in
                              Gyps.
                           Ohne unsere Kritik des neuen Instrumentes hier weiter treiben zu wollen, bemerken wir
                              nur noch, daß Hr. Sauvage den unangenehmen Geruch nach
                              Talg, den dasselbe hat, leicht beseitigen koͤnnte. Der Erfinder weiß jedoch
                              gewiß schon die meisten der Maͤngel, die wir hier beruͤhrten, und er
                              wird seine Entdekung um so mehr mit jedem Tage zu vervollkommnen wissen, als er sich
                              zur Ausbeutung derselben im Großen kuͤrzlich mit Hrn. Emil Girardin verband.