| Titel: | Die Wirkungen der Perspective in Bezug auf die Baukunst, und mit Rüksicht auf die Anfertigung von Baurissen dargestellt durch C. A. Menzel. Greifswald, im August 1835. | 
| Fundstelle: | Band 58, Jahrgang 1835, Nr. XI., S. 90 | 
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                        XI.
                        Die Wirkungen der Perspective in Bezug auf die
                           Baukunst, und mit Ruͤksicht auf die Anfertigung von Baurissen dargestellt durch
                           C. A. Menzel.
                           Greifswald, im August 1835.
                        Die Wirkungen der Perspective in Bezug auf die Baukunst
                           etc.
                        
                     
                        
                           Die Kenntniß der Perspective ist fuͤr jeden, der sich mit der Baukunst
                              ernstlich beschaͤftigt, so unerlaͤßlich, daß man sich nur
                              daruͤber wundern kann, wie es hin und wieder selbst noch Baumeister gibt,
                              welche das Studium derselben fuͤr entbehrlich halten; obgleich ohne die
                              Perspective vollkommen inne zu haben, der Architekt nie mit Gewißheit bestimmen
                              kann, welche Wirkung in der Natur der von ihm angefertigte Bauriß hervorbringen
                              wird. Bei nachfolgendem Aufsaze mußte die Bekanntschaft des Lesers wenigstens mit
                              den Elementen der Linearperspective vorausgesezt werden, um nicht durch
                              Weitlaͤuftigkeiten und Vorbereitungen den einfachen Gang des Gegenstandes zu
                              unterbrechen und zu stoͤren. Da erlaͤuternde Zeichnungen ebenfalls aus
                              mancherlei Ursachen wegbleiben mußten, auch gewoͤhnlich solche Beispiele
                              gewaͤhlt wurden, welche vor den Augen eines jeden auf den Straßen sich
                              darbieten, oder in viel verbreiteten architektonischen Kupferwerken vorhanden sind,
                              so glaubt der Verfasser der Deutlichkeit nicht zu schaden, wenn er sich auf
                              hinlaͤnglich erlaͤuterte und durch den Stich bekannt gemachte
                              Gebaͤude bezieht.
                           Wie sehr die Baumeister des Alterthums mit den Wirkungen der Perspective vertraut
                              waren, wird der Verfolg dieser Blaͤtter zeigen, eben so wie wenig die
                              Baumeister mit Ausnahme der lezten 30 Jahre, namentlich in unserem Vaterlande, es
                              sich angelegen seyn ließen, diesen wichtigen Zweig der aͤsthetischen
                              Architektur zu pflegen.
                           NB. Die Bezeichnung perspektivischer Linien und Punkte
                              ist in diesem Aufsaze so beibehalten, wie sie in dem vom Verfasser herausgegebenen
                              Handbuche der praktischen Linearperspective, Berlin bei W. Logier, angenommen sind.
                           1. Jede gerade Linie, welche parallel mit der Grundlinie der Tafel liegt, erscheint
                              im Bilde (oder in der Natur, welches hier immer gleichbedeutend gesezt werden wird)
                              als gerade und parallel mit der Grundlinie, nur wird sie um so kleiner, je mehr sie
                              sich dem Horizonte naͤhert. Hieraus, folgt, daß eine mit der Grundlinie (oder
                              Tafel) parallele vordere Ansicht eines Gebaͤudes zwar in ihren
                              Verhaͤltnissen beinahe dieselbe bleibt, jedoch immer kleiner erscheint, je mehr sie von der
                              Grundlinie der Tafel absteht, oder je weiter sich der Beschauer davon entfernt.
                           2. Jede gerade Linie erscheint im perspektivischen Grundrisse um so kuͤrzer,
                              je mehr der Winkel, welchen die senkrechte Ebene, worin ihr Verschwindungspunkt
                              liegt, mit der Bildtafel macht, sich einem rechten Winkel naͤhert.
                           Denkt man sich also in der Bildtafel von dem Grundpunkte aus eine gerade Linie nach
                              dem Augenpunkte gezogen, so wird diese Linie, welche zugleich in die Mittellinie der
                              Tafel faͤllt, die kuͤrzeste von allen Normalen auf die Grundlinie
                              seyn, die zugleich in der horizontalen Ebene liegen.
                           Von allen Normalen, welche in solchen Ebenen liegen, die mit der horizontalen
                              parallel sind, gilt dasselbe unter aͤhnlichen Umstaͤnden.
                           Hieraus folgt, daß die Seitenansicht eines Gebaͤudes um so kuͤrzer
                              erscheint, je naͤher sie dem Verschwindungspunkte der architektonischen Linie
                              liegt, auch wenn der Verschwindungspunkt ein anderer als der Augenpunkt
                              waͤre.
                           3. Jede gerade und senkrechte Linie erscheint im Bilde um so kuͤrzer, je mehr
                              die Ebene, worin sie steht, sich von der Ebene der Tafel entfernt, und sich dem
                              Horizonte naͤhert.
                           NB. Es ist hiebei immer ein solcher Standpunkt
                              angenommen, daß man den jedes Mal gewaͤhlten Gegenstand genau und gut
                              uͤbersehen kann, also niemals unter 45 Grad.
                           4. Jede vordere Ansicht eines Hauses ohne bedeutende Vor- oder
                              Ruͤkspruͤnge wird also in der Natur dieselben Verhaͤltnisse
                              behalten, welche sie im geometrischen Baurisse hatte. Die kleinen perspectivischen
                              Ansichten der Fenster und Thuͤrvertiefungen der Gesimse etc. kommen
                              vorlaͤufig hiebei noch nicht in Betracht. Hieraus folgt, daß eine solche
                              Ansicht eines Hauses ohne besondere Ruͤksicht auf perspektivische Wirkung
                              entworfen werden, und doch in der Natur angenehme Verhaͤltnisse darbieten
                              kann, wie die Façaden unserer Staͤdte jeden Augenblik beweisen,
                              obgleich sie mit wenig Ausnahmen nur von Werkmeistern entworfen sind, die in der
                              Regel ohne alle Kenntniß der Perspective sind, also auch beim Entwerfen der
                              Zeichnung keine Ruͤksicht darauf nehmen koͤnnen.
                           5. Gibt man der Façade aber Vor- und Ruͤkspruͤnge aus
                              Gruͤnden der Construction oder der schonen Form, so aͤndert sich die
                              perspectivische Ansicht wesentlich gegen die der geometrischen Zeichnung, wie wir
                              gleich sehen werden.
                           Angenommen es waͤre in der Ansicht eines Gebaͤudes ein bedeutender
                              Vorsprung in der Mitte desselben, zugleich denke man sich den Beschauer vor die Mitte des
                              Ganzen gestellt, so wird von dem zuruͤkliegenden Theile der Façade um
                              so mehr durch den vorspringenden Theil verdekt werden:
                           a) je groͤßer der Vorsprung seiner Tiefe nach
                              ist;
                           b) je breiter der Vorsprung in seiner vorderen Front
                              ist.
                           Bei der geometrischen Zeichnung aber wird dieß theilweise Verdeken des
                              zuruͤkliegenden Theiles gar nicht sichtbar seyn, weil hiebei nur die
                              Projectionen des Linien erscheinen und nicht ihre perspectivischen Lagen.
                           Machte man den Vorsprung in der Mitte so weit vorstehend, daß derselbe gleich den
                              uͤbrigbleibenden Theilen der Façade zur Rechten und Linken
                              waͤre, so wuͤrde man von den Flanken unter einem Sehewinkel von 45
                              Grad in der Natur gar nichts zu sehen bekommen, obgleich in der geometrischen
                              Zeichnung diese Flanken in ihrer ganzen Breite sichtbar bleiben werden.
                           Hieraus folgt, daß ein Vorsprung so groß werden kann, daß ein Mißverhaͤltniß
                              zwischen ihm und dem zuruͤkspringenden Theile der Façade entsteht.
                           Ist der Grundriß des Vorsprunges ein Quadrat, so thut man, wie z.B. bei
                              Kirchtuͤrmen, am besten, 3 Seiten des Quadrats vorzulegen. Entsteht aber der
                              Vorsprung aus anderen inneren Anordnungen, so ist es fuͤr die
                              Schoͤnheit des Gebaͤudes vortheilhaft, dem Vorsprunge eine
                              groͤßere Breite zu geben, als jeder der einzelnen Flanken, weil, wenn der
                              Vorsprung (in seiner vorderen Ansicht) schmaͤler ist, als eine der Flanken,
                              dieß eine uͤble und kleinliche Wirkung fuͤr das Gebaͤude
                              macht.
                           Die Tiefe, welche dem Vorsprunge zu geben ist, richtet sich nach der Laͤnge
                              der Flanken, und seine Tiefe darf nie der Laͤnge einer der Flanken gleich
                              werden, weil man sonst von den Flanken schon bei einem Sehewinkel von 45 Grad nichts
                              mehr sehen wuͤrde, welches offenbar wider die Schoͤnheit der Anlage
                              streitet, weil man bei groͤßeren Mitteln weniger Wirkung erreicht, welches in
                              der Baukunst unter allen Umstaͤnden ein Fehler ist.
                           6. Ein Gebaͤude mit sogenannten Fluͤgeln erscheint in der Natur
                              ebenfalls ganz anders als in der geometrischen Zeichnung.
                           Stellt man sich vor die Mitte des Hauses, so werden die vorderen Ansichten beider
                              Fluͤgel ihr urspruͤngliches Verhaͤltniß im Ganzen behalten. Die
                              Tiefen der Fluͤgel aber werden sich nach dem zuruͤkliegenden Theile
                              der Façade zu immer mehr verkleinern, und der zuruͤkliegende Theil der
                              vorderen Ansicht selbst wird um so niedriger und kleiner gegen die mit ihm parallel
                              stehenden vorderen Ansichten der Fluͤgel erscheinen, je groͤßer die
                              Tiefen der Fluͤgel sind, oder je mehr die vorderen Flaͤchen der Fluͤgel gegen
                              die mit ihnen parallel laufenden mittleren Theile der Façade vorspringen.
                              Auch hievon ist in der geometrischen Ansicht nichts zu bemerken. Hieraus folgt, daß
                              die Fluͤgel so weit vorspringen koͤnnen, daß sie ein
                              Mißverhaͤltniß gegen den mittleren Theil der Façade hervorbringen; man
                              gebe daher jedem einzelnen Fluͤgel ein Viertheil der ganzen Breite der
                              Façade zur vorderen Ansicht, so also, daß jeder einzelne Fluͤgel 1/2
                              Mal so breit ist, als der zwischen beiden eingeschlossene Theil der geometrischen
                              Façade.
                           Ferner lasse man die Fluͤgel nicht mehr vor der Hauptfront vorspringen, als
                              sie selbst breit sind. Wachsen die Fluͤgel durch die Bedingungen, wie z.B.
                              bei Einschließung großer Hoͤfe, so sind die Fluͤgel als Façaden
                              fuͤr sich zu betrachten, und werden demnach behandelt.
                           7. Die Hoͤhe eines Gebaͤudes steht mit dessen Laͤnge in genauem
                              Wechselverhaͤltniß, und die Erfahrung lehrt, daß wenn eine Façade drei
                              Mal so lang als ihre Hoͤhe ist und ohne Vor- oder Ruͤklage
                              angeordnet wird, dieß das laͤngste, anzunehmende Verhaͤltniß ist. Wird
                              also die Façade laͤnger als ihre dreimalige Hoͤhe, so
                              muͤssen Unterbrechungen angeordnet werden, entweder der Hoͤhe nach
                              durch Aufbauten in der Flaͤche der Façade, oder durch Vorlagen oder
                              Ruͤkspruͤnge in der Façade.
                           8. Wird ein Gebaͤude laͤnger als hoch, so muß der Baumeister wo
                              moͤglich dafuͤr sorgen, daß der Hauptstandpunkt, von wo aus man das
                              Ganze am vortheilhaftesten uͤbersieht, so liege, daß der Sehewinkel
                              fuͤr dessen Laͤnge eingerichtet wird, oder daß man das Ganze von einem
                              Punkte am vortheilhaftesten uͤbersieht, wo man mindestens um die
                              Haͤlfte der Laͤnge des Gebaͤudes davon absteht, also unter
                              einem Sehewinkel von mindestens 45 Grad, aber niemals naͤher.
                           Ist im umgekehrten Falle das Gebaͤude hoͤher als breit, wie
                              Thuͤrme etc., so ist der Punkt, von wo aus man es uͤbersehen soll, so
                              zu waͤhlen, daß mindestens die halbe Hoͤhe des Gebaͤudes
                              fuͤr die Entfernung des Auges davon genommen werden muß, niemals
                              naͤher. Hieraus folgt, daß Plaͤze um große Gebaͤude herum
                              uͤbermaͤßig groß angelegt werden muͤßten, wenn man von
                              demselben Plaze aus, worauf ein sehr großes Gebaͤude steht, das leztere
                              zugleich bequem uͤbersehen wollte.
                           Waͤchst aber ein das Gebaͤude umgebender Plaz zu sehr, so verschwindet
                              das Gebaͤude selbst, seine Massen noch immer mehr, und erscheint kleiner,
                              weil das Auge den Maaßstab derjenigen Gebaͤude nach und nach verliert, welche
                              das groͤßere Gebaͤude umgeben. Deßhalb ist es vortheilhaft, große
                              Gebaͤude nicht isolirt auf große Plaͤze zu stellen, sondern entweder
                              kleinere Gebaͤude dagegen zu stellen, oder den Plaz selbst nicht zu groß zu
                              halten, und lieber die Hauptansichten gegen breite, den Plaz kreuzende Straßen zu
                              richten, aus welchen man schon auf große Entfernung vermoͤge der Erweiterung
                              des Sehewinkels das große Gebaͤude selbst wird uͤbersehen
                              koͤnnen.
                           Die großen Pallaͤste in Petersburg scheinen vermoͤge
                              uͤbermaͤßig großer Plaͤze kleiner als sie wirklich sind. Die
                              altdeutschen Kirchen und Thuͤrme dagegen wegen der meistens engen
                              Plaͤze, worauf sie stehen, gewoͤhnlich kolossaler, als sie sind, da
                              die sie nahe umgebenden Gebaͤude der beste, fuͤr das Auge leicht zu
                              vergleichende Maaßstab ihrer Groͤße werden.
                           Am auffallendsten ist das Verschwinden architektonischer Masse bei solchen Bauwerken,
                              welche in weiten Flaͤchen frei ohne alle Umgebung gegen die Luft stehen.
                           Das Monument auf dem Kreuzberge bei Berlin steht auf einem Huͤgel außerhalb
                              der Stadt, erscheint aber eben wegen seiner freien Lage, wenn man sich gegen die
                              weniger entfernten Gebaͤude so stellt, daß man sie nicht sieht, noch aus
                              maͤßiger Entfernung gesehen kaum halb so hoch als es im Maaße ist. Dieser
                              lezte Fall, die Bauwerke isolirt gegen die Luft ohne vergleichbare
                              Gegenstaͤnde zu stellen, ist also besonders zu vermeiden. Die Ursache, warum
                              dergleichen Maaße so sehr verschwinden, ist einfach diese: daß die sichtbare
                              Flaͤche des Gebaͤudes im Verhaͤltniß zur Flaͤche des
                              Himmels, welche man uͤbersieht, viel zu klein ist, um einen Vergleich von
                              Groͤße auszuhalten, besonders wenn andere vergleichbare Gegenstaͤnde,
                              als Baͤume, Gebaͤude, deren Groͤße wir aus der Erfahrung
                              abschaͤzen gelernt haben, nicht in der Naͤhe sind.
                           Aus demselben Grunde macht der Anblik der Pyramiden in den gleichfoͤrmigen
                              Sandwuͤsten nur erst dann einen Eindruk, wenn man so nahe gekommen ist, daß
                              man die Maaße von Menschen und Thieren damit vergleichen kann.
                           Aus demselben Grunde sehen alle Gebaͤude, welche an Berglehnen oder in engen
                              Thaͤlern liegen, so lange klein aus, so groß sie immer seyn moͤgen,
                              weil die Masse des Gebaͤudes im Verhaͤltnisse zur Masse des Gebirges
                              verschwindet.
                           Große Gebaͤude auf maͤßigen Huͤgeln errichtet und mit
                              vergleichbaren nahen Gegenstaͤnden umgeben, machen daher immer eine
                              großartigere Wirkung als unter oben angefuͤhrten Bedingungen.
                           9. Ist ein Gebaͤude so angeordnet, daß ein Aufbau sich aus der Mitte desselben
                              erhebt, daß also rings um den Aufbau ein mehr oder minder großer Vorsprung durch den
                              niedrigeren Theil des Gebaͤudes gebildet wird, so wird dieser vorspringende untere Theil
                              den oberen hoͤheren Aufbau in der Natur um ein bestimmtes Maaß verdeken, also
                              scheinbar niedriger machen; hievon ist in der geometrischen Zeichnung nichts zu
                              sehen.
                           Angenommen der Vorsprung des niedrigeren Theiles gegen den Aufbau betruͤge 10
                              Fuß, der Sehewinkel 45 Grad, so wird von dem Aufbaue 10 Fuß Hoͤhe in der
                              Natur verdekt werden, und wenn der Aufbau 20 Fuß hoch war, wieder unter dem
                              gewaͤhlten Sehewinkel nur 10 Fuß hoch erscheinen; man wuͤrde also in
                              der geometrischen Zeichnung, wenn man des guten Verhaͤltnisses wegen den
                              Aufbau 20 Fuß hoch, bei einem guten Sehewinkel von 45 Grad, wollte erscheinen
                              lassen, in der geometrischen Zeichnung den Aufbau 30 Fuß hoch zeichnen
                              muͤssen, welches in der geometrischen Zeichnung sehr schlecht, in der Natur
                              aber sehr gut aussehen wuͤrde.
                           Dieser einfache Fall ist einer der wichtigsten, um zu zeigen, wie unrecht diejenigen
                              haben, welche da meinen, daß die Perspektive dem Baumeister entbehrlich sey. Auch
                              erstrekt sich dieselbe Erscheinung unter unendlichen Modificationen bis in die
                              kleinsten Theile architektonischer Werke, daß wir uns hier mehr damit
                              begnuͤgen muͤssen, nur darauf aufmerksam zu machen, als wir im Stande
                              waͤren eine vollstaͤndige Erlaͤuterung davon zu geben.
                           Wir wollen nur als in die Augen springend die Anordnung von Kuppeln in der Mitte
                              großer Kirchen erwaͤhnen. Je mehr der untere Theil der Kirche vorspringt,
                              desto mehr wird er von der daruͤberstehenden Kuppel verdekt werden. Als
                              Michael Angelo den Grundriß der Peterskirche entwarf,
                              waͤhlte er die Hauptform eines griechischen Kreuzes mit gleichen Armen, die
                              Kuppel der Kirche waͤre also von allen Seiten gleich gut sichtbar gewesen.
                              Allein die spaͤtere Verlaͤngerung der vorderen Kirchenschiffe
                              verursachte, daß man jezt, wenn man vor den Colonnaden auf dem Petersplaze steht,
                              von der Kuppel sehr wenig zu sehen bekommt, und dieser kolossale Bau fast
                              verschwindet; hiezu tragen die Colonnaden vor der Kirche und der große dadurch
                              eingeschlossene Plaz noch mehr bei, weil sie als dem Auge nahe, groß erscheinen, die
                              ungeheuere Kuppel aber wegen ihrer Entfernung und Verdekung durch den vorderen Theil
                              der Kirche klein aussieht. Man hat also gegen den Willen des urspruͤnglichen
                              Baumeisters mir großen Mitteln eine geringe Wirkung hervorgebracht, welches doch
                              gerade umgekehrt seyn sollte.
                           Namentlich bei Thuͤrmen ist darauf aus obigen Gruͤnden sehr zu achten,
                              daß man bei dem sogenannten Einziehen der Mauern nach Oben nur wenig bedeutende
                              Ruͤkspruͤnge anordne, denn je groͤßer dieselben sind, um so
                              mehr wird vom Thurme von Unten herauf verdekt werden, und er wird viel kuͤrzer erscheinen als er
                              wirklich ist, welches alles aber aus einer bloß geometrischen Zeichnung nicht zu
                              ersehen ist, im Gegentheil wird er hier immer in keinem guten Verhaͤltnisse
                              erscheinen, wenn er in der Natur gut aussieht, und umgekehrt.
                           Vorzuͤgliche Beispiele einer zwekmaͤßigen Anordnung in dieser Hinsicht
                              liefern die altdeutschen Kirchen und Thuͤrme. Bei freistehenden
                              Wohngebaͤuden, welche in ihrer Mitte dergleichen erhoͤhte Aufbaue
                              haben, die von den uͤbrigen niedrigeren Ruinen ganz umschlossen liegen, ist
                              bloß darauf zu sehen, daß der Ueberbau nicht zu hoch gegen das Haus erscheint, von
                              dem Punkte aus also, wo er unter einem mittleren Sehewinkel bemerkt werden kann, bis
                              zu dem Punkte seiner hoͤchsten Hoͤhe, darf er alsdann nur so hoch
                              erscheinen, daß er niedriger als das niedrigste Stokwerk des Hauses aussieht (den
                              verdekten Theil also nicht mit gerechnet), wenn nicht andere Ursachen des
                              Beduͤrfnisses oder der Construction fuͤr eine groͤßere
                              Hoͤhe sprechen. Liegt ein dergleichen Aufbau so, daß er mit einer Front des
                              Gebaͤudes eine und dieselbe Ebene bildet, so faͤllt natuͤrlich
                              die Ruͤksicht ganz weg, daß er, um gesehen zu werden, noch eine besondere
                              Erhoͤhung erhalten muß, und er ist alsdann so nach der uͤbrigen
                              Flaͤche des Hauses zu proportioniren, daß er nicht stoͤrend
                              fuͤr das Auge wirkt, und namentlich nicht zu hoch werde.
                           Naͤhere Bestimmungen lassen sich hieruͤber deßhalb nicht geben, weil
                              jeder einzelne Fall andere Verhaͤltnisse herbeifuͤhren muß.
                           10. Gebaͤude, welche im Grundrisse die Kreisform darstellen, sehen von jedem
                              gleich entfernten Standpunkte gleich breit aus, und wenn sie oberhalb mit einem
                              horizontalen Gesimse schließen, erscheinen sie oben in der Mitte hoͤher und
                              nach den Enden hin gesenkt, unten in der Mitte am naͤchsten, gegen den
                              Horizont hin aber sich erhebend, wenn ihre Grundlinie unterhalb des Horizontes
                              lag.
                           Da Gebaͤude, die im Grundrisse einen Kreis bilden, keine Theilung nach der
                              Hoͤhe haben (wenn man nicht absichtlich welche daran anbringt), so scheinen
                              sie stets bei geringer Hoͤbe etwas plump, und es ist daher gut, ihrem
                              Hoͤhenverhaͤltnisse so viel zuzulegen als Construction und
                              Beduͤrfnis) irgend erlauben. Mit den Gebaͤuden von elliptischer
                              Grundrißform ist es eben so. Wie schiklich sich die roͤmischen Baumeister aus
                              der Verlegenheit zogen, damit nicht ein zu niedriges Verhaͤltniß der
                              Hoͤhe bei den Theatern und Amphitheatern entstuͤnde, sehen wir aus der
                              Anordnung, daß sie die aͤußeren Fronten gedachter Gebaͤude mir
                              Saͤulenstellungen zwischen den Arcaden schmuͤkten, und die
                              Gebaͤlke dieser Saͤulen der Hoͤhe nach durchkroͤpften.
                              Hieraus entstand fuͤr das Auge eine senkrechte Theilung des Gebaͤudes,
                              welche sehr wohlthaͤtig auf das Verhaͤltniß wirkt.
                           
                           Im Innern haben runde und elliptische Gebaͤude, welche von der Kreisform wenig
                              abweichen, wenn sie zu oͤffentlichen Schauspielen gebraucht werden, den
                              Vortheil, daß jede gleichgroße Sehne des Bogens von irgend einem Punkte der
                              Peripherie aus betrachtet, denselben Sehewinkel bildet, den Gegenstand also auf
                              allen Plaͤzen in gleich großen Dimensionen erscheinen laͤßt. Diesen
                              Vortheil haben vierekige Schauplaͤze nicht, da die Sehewinkel fuͤr
                              eine gleich große Linie auf der Buͤhne, je nachdem man verschiedene
                              Standpunkte im vierekigen Umkreise nimmt, sich wesentlich andern, und nur von der
                              Mitte aus gut uͤbersehen werden koͤnnen. Sind die Schauraͤume
                              uͤberhaupt von geringen Dimensionen, so ist der Unterschied freilich
                              unbemerkbar, bei der Groͤße der roͤmischen Amphitheater aber
                              wuͤrde es sehr unangenehm aufgefallen seyn, wenn man sie statt in einer
                              Ellipse von maͤßigem Verhaͤltnisse vierekig construirt
                              haͤtte.
                           11. Das Achtek als Grundrißform bietet ein schlankeres Verhaͤltniß, als der
                              Kreis fuͤr den Hoͤhenriß; denn das Auge bemerkt sogleich die
                              senkrechte Theilung, welche durch die staͤrkere Abstufung der Schattirung
                              entsteht. Diese Leichtigkeit der Uebersicht, dieses schlankere Verhaͤltniß
                              des achtekigen Prisma's (und des vielekigen uͤberhaupt) machte den Schluß des
                              hohen Chores der altdeutschen Kirchen gegen den im byzantinischen Style
                              fruͤher uͤblichen Halbkreis vorzugsweise anwendbar. Eben so entstand
                              die Brechung der Eken und Kanten aus derselben Ursache; denn ein vierekiges Prisma
                              mit gebrochenen Eken sieht viel schlanker aus als wenn die Eken rechtwinklich
                              bleiben. Eben daher schreibt sich die Verwandlung der runden byzantinischen
                              Thurmspize in die achtekige altdeutsche; auch der Uebergang des vierekigen
                              Unterbaues der Thuͤrme und Strebepfeiler in achtekige Fortsezungen mit
                              achtekigen Spizen beruht ganz auf demselben Systeme des Leichterwerdens der Form
                              durch das schlankere Ansehen. Perspektivisch wirken noch die schraͤg
                              gestellten Ebenen mit, welche nach 2. schmaͤler erscheinen als sie wirklich
                              sind. Im Allgemeinen verkuͤrzt jede wiederholte horizontale Theilung eine
                              senkrechte Flaͤche scheinbar, und eine senkrechte Theilung macht eine
                              senkrechte Ebene scheinbar hoͤher. Eine große ungetheilte Flaͤche aber
                              erscheint immer kleiner als sie ist, theils durch Veraͤnderung der
                              Sehewinkel, theils weil, wenn gar keine Theilung vorhanden ist, das Auge den
                              vergleichenden Maaßstab gaͤnzlich verliert. Von allem diesem aber ist in der
                              geometrischen Zeichnung wenig oder nichts zu bemerken; denn ein achtekiges Prisma
                              von gleichem Durchmesser, wie ein Cylinder, erscheint hier auch eben so stark und
                              ganz in demselben Verhaͤltnisse als der leztere.
                           Die in huͤgeligen und Gebirgsgegenden so oft und mit so großer Wirkung angewendeten Terrassen,
                              deren Bekroͤnung irgend ein Pallast, Wohngebaͤude, Pavillon oder
                              Belvedere ausmacht, folgen im Allgemeinen der einfachen Bedingung, daß sie
                              perspectivisch gesehen einander nicht verdeken. Ein Beispiel mag die Sache
                              deutlicher machen.
                           Die unterste Terrasse bilde zwei nach Oben steigende Linien, welche gemeinschaftlich
                              an einem zwischen beiden liegenden Plateau oberhalb endigen. Wuͤrde man die
                              darauffolgende Terrasse parallel mit ersterer anordnen, so wuͤrde die untere
                              die daruͤberstehende groͤßten Theils verdeken; es ist daher besser
                              eine Terrasse folgen zu lassen, deren geneigte Flaͤche normal auf der
                              Grundlinie der erstern zu stehen kommt; uͤber dieser zweiten kann die dritte
                              stehen wie sie will, da die schraͤg nach Oben steigende zweite Terrasse
                              nichts von der naͤchstfolgenden verdeken wird, weil die schiefe Ebene der
                              ungefaͤhren Richtung des Sehewinkels mit folgt. Die Italiaͤner sind
                              hierin unsere besten Muster; man sehe die Terrassen der Villa Papa Giulio, des
                              Casino vom Schlosse zu Caprarole u.a.m.
                           Nur muß die Breite der Terrassen, wo man genoͤthigt ist sie mit einander
                              parallel laufen zu lassen, moͤglichst gering seyn, denn je breiter die untern
                              vorspraͤngen, desto mehr wuͤrden sie von der oberen verdeken.
                           12. Nach dem Vorhergegangenen ist klar, daß die einzeln erwaͤhnten
                              Faͤlle, wenn sie vermischt erscheinen, auch besondere Ruͤksichten
                              hinsichtlich ihrer Composition erfordern, welche alle aufzufuͤhren nicht
                              angeht, nur uͤber die jezt bei uns uͤblichen Daͤcher und ihre
                              perspectivische Erscheinung wollen wir das Nothwendigste erwaͤhnen.
                           Indier und Aegyptier bauten ihre Daͤcher als Plateformen, sie waren also von
                              Unten nie sichtbar. Griechen und Roͤmer versahen ihre Tempel mit
                              Giebeldaͤchern, ihre Privatwohnungen aber wenigstens bis zur
                              roͤmischen Kaiserzeit mit Pult- oder Schleppdaͤchern, aber
                              immer mit Ruͤksicht auf ein gutes Verhaͤltniß zu dem
                              Gebaͤude.
                           Die Einwendung unserer Gewerksmeister, daß die Daͤcher immer steil seyn
                              muͤßten, um den Einwirkungen des Schnee- und Regenwassers zu
                              widerstehen, sind um so falscher, da gerade Tyroler, Schweizer und Steyermarker, wo
                              das Klima fuͤr die Bedachung weit unguͤnstiger ist, als bei uns, sich
                              vorzugsweise der flachen Daͤcher seit alten Zeiten her bedienen. Die hohe
                              Dachform ist bei uns ein Nachlaß des altdeutschen Baustyls. Die neuere Zeit hat an
                              die Stelle des damals senkrecht strebenden Formenwesens jezt vorzugsweise das
                              horizontal sich begraͤnzende griechische angenommen, mit welchem Recht
                              gehoͤrt nicht hieher. Die altdeutschen hohen Giebel verschwanden als
                              Hauptansicht der Gebaͤude, und mußten sich bequemen die Seitenansichten der
                              Gebaͤude zu begraͤnzen. Als Hauptansichten machten sie, verbunden mit den
                              Formen des zugehoͤrigen Styls, ungeachtet ihrer Hohe eine schoͤne
                              Wirkung, aber auf die Seiten des Gebaͤudes geruͤkt, ließen sie an ihre
                              Stelle in die Hauptfront des Gebaͤudes eine um so widerlichere, alles
                              Verhaͤltniß zerstoͤrende Dachflaͤche treten, je hoͤher
                              die Giebel selbst blieben. Nichts ist verfehlter in seinen Verhaͤltnissen,
                              als ein dergleichen Dach nach altdeutschen Hoͤhenverhaͤltnissen, und
                              darunter eine Façade, worin der Architekt sich abquaͤlt griechisch zu
                              erscheinen.
                           Indeß werden Vorurtheil und Gewinnsucht der Gewerksmeister, welche bei hoben
                              Daͤchern mehr Geld verdienen als bei niedrigen, noch lange verhindern, daß
                              man auch dem Verhaͤltnisse des Daches zum Hause einige Aufmerksamkeit
                              schenkt. Was die Erscheinung der Daͤcher in perspektivischer Hinsicht
                              anbelangt, so macht der flache Giebel (etwa 1/6 oder bei Steindach 1/4 der Breite
                              zur Hoͤhe) immer die beste Figur fuͤr unser nun einmal angenommenes
                              geradliniges System. Naͤchst dem Giebel stoͤrt am wenigsten der ganze
                              Walm, weil er selbst bei nicht geringer Hohe des Daches in der Perspective viel
                              niedriger erscheint als er wirklich ist.
                           Das Satteldach, wo die Giebel zur Seite des Hauses stehen, ist nur dann einiger Maßen
                              ertraͤglich, wenn das Dach selbst bedeutend niedriger ist als die
                              Hoͤhe des Gebaͤudes vom Fußboden bis zum Dache gerechnet.
                           Am haͤßlichsten jedoch sind die Mansarden und Bohlendaͤcher, da ihre
                              constructionsmaͤßig erforderte unverhaͤltnißmaͤßige
                              Hoͤhe jede andere Form des Bauwerkes zerstoͤrt, und alle angewandten
                              Mittel, um die rohe Dachflaͤche dem Auge ertraͤglich zu machen, als
                              Erker, hohe Dachfenster, zierliche Schornsteine, wie sie die franzoͤsische
                              Bauart dort und in Deutschland zeigt, sind nicht im Stande, das ungeheuer
                              Druͤkende des großen Daches und das Ueberwiegende desselben uͤber die
                              Formen des Gebaͤudes selbst ins Gleichgewicht zu bringen. Der sogenannte
                              halbe Walm ist nur bei unbedeutenden Gebaͤuden brauchbar, da eben die
                              Halbheit seiner Form ihn fuͤr schoͤnere Zweke ausschließt.
                           13. Die Anordnung griechischer Tempel im Aeußern in Bezug auf perspectivische Wirkung
                              zeigt den feinsten Beobachtungsgeist ihrer Erbauer, so daß man wohl mit Recht
                              annehmen darf, daß ihnen die Grundsaͤze der Perspective in Bezug auf
                              Architektur keineswegs unbekannt waren.
                           Wir wollen die Propylaͤen von Eleusis (man vergleiche: Alterthuͤmer von
                              Attica, herausgegeben von A. W. Eberhard, Leipzig, Leske)
                              bei dieser Betrachtung zum Grunde legen.
                           Die sechs Saͤulen der Hauptfront sind so gestellt, daß die Raͤume zwischen denselben nach
                              der Mitte zu immer groͤßer werden. Der mittelste Zwischenraum ist der
                              groͤßte, hier besonders als Hauptdurchgang; aber auch wenn diese Bedingung
                              nicht waͤre, ist es gut den Zwischenraum der Saͤulenstellung in der
                              Mitte um ein Geringes weiter zu machen, als die uͤbrigen, selbst wenn er der
                              Annahme nach nicht groͤßer scheinen soll, als die uͤbrigen; denn
                              zeichnet man mehrere senkrechte Linien in gleichen Entfernungen auf ein Papier, so
                              scheint der mittelste Raum zwischen den Linien kleiner, als die uͤbrigen, die
                              an den Enden aber um ein geringes groͤßer; deßhalb sind die Saͤulen an
                              den Eken, wenn es auch nicht der Sicherheit der Construction wegen noch mehr
                              geschieht, der Mitte um ein geringes naͤher, die Saͤulen in der Mitte
                              aber um ein geringes weiter auseinander zu ruͤken, als eine durchweg gleiche
                              Axentheilung erfordern wuͤrde.
                           Im vorerwaͤhnten Beispiel faͤllt das Vergroͤßern der
                              Raͤume zwischen den Saͤulen nach der Mitte am meisten auf, obgleich es
                              bei den genannten Propylaͤen nur aus der Anordnung der Eingaͤnge und
                              der Construction in so bedeutenden Unterschieden hervorgegangen ist. Auch die
                              Eksaͤulen sind um ein geringes staͤrker zu halten, als die
                              dazwischenstehenden; denn da sie immer gegen die Luft abschneiden (und auch in
                              schraͤger Ansicht zwei davon), so erscheinen sie schwaͤcher, wenn sie
                              gleiche Dimensionen mir den uͤbrigen haben, welche Erscheinung auf demselben
                              Grunde beruht, wie bei 8. erwaͤhnt wurde.
                           Die Verjuͤngung der Saͤulen, (welche zugleich eine festere Stellung
                              derselben ergibt) verursacht vermoͤge ihrer nach Oben schmaͤler
                              werdenden Form eine pyramidale Linie des Ganzen fuͤr das Auge, wenn auch der
                              Architrab in seiner lothrechten Lage mit dem untern Durchmesser der Eksaͤule
                              zusammenfaͤllt, welches bei der roͤmisch-dorischen Ordnung
                              bekanntlich nicht der Fall war.
                           Das Zusammenziehen der Thuͤroͤffnungen nach Oben hat mehr einen alt
                              herkoͤmmlichen constructiven Grund, um die obere Oeffnung leichter schließen
                              zu koͤnnen; auch an den aͤgyptischen Tempel- und
                              Pyramideneingaͤngen, an dem Loͤwenthore in Mycene, an den Gallerien in
                              Thyrint etc. findet sich diese Zusammenziehung der Oeffnungen, nur in bedeutend
                              groͤßerem Verhaͤltniß als hier, da bei vorliegendem Beispiel eine
                              staͤrkere Zusammenziehung zu sehr mit den uͤbrigen
                              Verhaͤltnissen contrastirt haben wuͤrde. Aber auch ein
                              perspectivischer Grund ist dafuͤr vorhanden. Zwei senkrechte Linien,
                              besonders wenn sie sehr lang sind und eine Oeffnung einschließen, scheinen nach Oben
                              um ein geringes auseinander zu weichen; um dieß zu verhindern, zog man sie nach Oben
                              unmerklich zusammen.
                           
                           Auch bei freistehenden Thuͤrmen zeigt sich eine ganz aͤhnliche
                              Erscheinung, hiebei gehen die senkrechten Linien der Umfassungswaͤnde an den
                              Eken scheinbar oben auseinander, oder was dasselbe ist, diese Linien scheinen nach
                              Außen uͤberzuhaͤngen, um diese Taͤuschung aufzuheben; zieht man
                              von Stokwerk zu Stokwerk der Hoͤhe nach um etwas Weniges ein, so erscheint
                              die vorher uͤberhaͤngende Linie alsdann lothrecht; eine
                              staͤtige gerade eingezogene Linie wuͤrde namentlich bei Thurmmauern
                              von Ziegelsteinen zu vielen technischen Schwierigkeiten unterworfen seyn, da
                              besonders dabei das Ablothen der Mauern wegfallen wuͤrde, oder man wenigstens
                              sehr lange, und unten an der entgegengesezten Seite der Mauer genau rechtwinkelige
                              Chablonen haben muͤßte, deren richtige Aufstellung neue Schwierigkeiten
                              erzeugt.
                           Alle hier angefuͤhrten Ruͤksichten sind bei der geometrischen Zeichnung
                              nicht bemerkbar, da vermoͤge ihrer Natur die perspectivischen Linien
                              wegfallen, und auch zugleich der Maaßstab so klein, im Verhaͤltniß zur
                              Ausfuͤhrung in der Natur ist, daß nur einiger Maßen zarte Unterschiede gar
                              nicht auffallen.
                           Aus derselben Ursache des scheinbaren Ueberhaͤngens verlangt Vitruv, daß bei hohen wenig verjuͤngten
                              Saͤulen, wie die corinthischen und namentlich wenn sie zu Rundbauten
                              angewendet werden, man sie auf schraͤge Baͤnkchen stelle, deren
                              Abschraͤgung so viel betraͤgt, daß die nach dem Gebaͤude
                              zugekehrte Verjuͤngungslinie beinahe eine lothrechte bilde; die
                              aͤußere Verjuͤngungslinie also wird nach dem Gebaͤude zu oben
                              sich neigen und deßhalb nicht nach Außen zu uͤberzuhaͤngen scheinen,
                              welche Ansicht auch mit den Erscheinungen in der Natur uͤbereinstimmt.
                           Die Anten der Griechen und Pilaster der Roͤmer wurden aus aͤhnlichen
                              Ursachen von geringerem Durchmesser als die Saͤulen gemacht, obgleich bei den
                              griechisch dorischen Tempeln die Architraben so breit waren, als die unteren
                              Saͤulendurchmesser, also wo sie oben auf der Ante auflagen, nothwendig auf
                              den Seiten uͤberstehen mußten. Der Grund aber, weßhalb man vierekige Pfeiler,
                              die hinter Saͤulen stehen, schwacher und schlanker machte, ist allein ein
                              perspectivischer; denn ein Prisma mit quadratischer Grund- und oberer
                              Flaͤche, und von gleicher Hoͤhe wie ein abgestumpfter Kegel
                              (Saͤule), und von gleichem Durchmesser wie lezterer, wird immer, von allen
                              Seiten gesehen, dem Auge mehr Masse darbieten als der Kegel, und folglich gegen
                              lezteren unfoͤrmlich erscheinen. Daher also der geringere Durchmesser der
                              Ante auch wo sie mit der Saͤule correspondirt, gestellt ist. Daher findet man
                              auch verjuͤngte Pilaster.
                           Der Giebel erscheint hier wie bei allen griechischen und roͤmischen Tempeln als Hauptfront
                              wegen der groͤßeren Hoͤhe der architektonischen Masse und der
                              pyramidalen Form; man waͤhlte nicht die lange Seite des Tempels dazu, weil
                              diese oben erwaͤhnte Vortheile entbehrte, und eine lange Dachflaͤche
                              (obgleich sie bei den Tempeln immer in einem untergeordneten Verhaͤltniß
                              erscheint) niemals einen interessanten Anblik wegen ihrer Gleichfoͤrmigkeit
                              gewaͤhrt. Die freistehenden aͤgyptischen Tempel dagegen, wo man kein
                              geneigtes Dach und keinen Giebel hatte, stehen den griechischen Tempeln
                              entgegengesezt, mit ihrer breiten Seite in der Hauptfront und der pyramidale Bau
                              wird durch die bedeutende Abschraͤgung der Ekmauern erreicht.
                           Bei den Propylaͤen in Eleusis sind ferner die im Innern der Halle stehenden
                              Saͤulen von ganz anderen und zarteren Verhaͤltnissen und Formen, als
                              die aͤußeren, welches auch der Natur der Sache ganz gemaͤß ist; denn
                              in geschlossenen Raͤumen faͤllt der Vergleich mit großen
                              Gegenstaͤnden und namentlich mit der Flaͤche der aͤußern Luft
                              weg. Die vergleichbaren Gegenstaͤnde ruͤken nahe an einander, und dem
                              Auge ist es auf jedem Standpunkt moͤglich zu proportioniren; deßhalb
                              muͤssen die inneren Proportionen schlanker, feiner und zierlicher seyn, denn
                              waͤren sie eben nach solchen Verhaͤltnissen gebildet wie im Aeußeren,
                              so wuͤrden sie ungeschikt, roh und plump aussehen. Schon aus diesem Grunde
                              ist es laͤcherlich den Saͤulenordnungen solche allgemeine
                              Verhaͤltnisse unterzulegen, welche fuͤr aͤußere und innere
                              Anordnungen zugleich und unter allen Umstaͤnden gelten sollen. So sehr aber
                              auch die griechischen Baumeister fuͤr eine sorgfaͤltige Anordnung in
                              Bezug auf perspectivische Erscheinung waren, so opferten sie ihr doch niemals die
                              Festigkeit der Construction; z.B. im Innern der Propylaͤen zu Eleusis stehen
                              6 Saͤulen jonischer Ordnung, so daß wenn man in die Halle tritt, sie
                              saͤmmtlich die Voluten der Capitaͤler verkuͤrzt und nicht in
                              der Breiten-Ansicht zeigen; ein roͤmisch gebildeter Architekt
                              wuͤrde dieß offenbar fuͤr einen Uebelstand erklaͤren, und die
                              Saͤulen entweder mit den Voluten so gestellt haben, daß man ihre Ansicht von
                              Vorne, und nicht wie jezt von der Seite bekommen haͤtte, oder er
                              wuͤrde aus uͤbel verstandener Symmetrie den Saͤulen acht
                              Voluten statt vier gegeben haben. Dieß streitet jedoch gegen die Richtigkeit der
                              Construction, welche der Grieche hiebei festhielt, und wie immer, wenn sich das
                              Zwekgemaͤße mit der bloß aͤußeren Erscheinung nicht wohl vereinigen
                              ließ, vorzog, dem Wesen der Construction zu folgen, anstatt sie, wie die
                              Roͤmer, haͤufig einer nur durch willkuͤrliche Regeln
                              festgesezten, eingebildeten, schoͤnen Form zu opfern.
                           Die erwaͤhnte Anordnung, daß die sechs Saͤulen in der Halle dem Beschauer nur die Polster
                              der Voluten und nicht leztere selbst unverkuͤrzt zeigen, beruht auf der
                              Construction des Capitaͤls. Es ist die Eigenthuͤmlichkeit der
                              jonischen Anordnung, daß das griechisch-jonische Capitaͤl im Grundriß
                              kein Quadrat wie das roͤmische bildet, und zwar deßwegen weil der,
                              vermoͤge der schlanken Proportion der Saͤulen im Verhaͤltniß
                              weit frei liegende Architrab nicht genug Unterstuͤzung haben wuͤrde,
                              wenn der Abacus nur quadratisch waͤre und nicht wie hier nach der Lage des
                              Architrabs sich verbreitete. Die Anordnung des griechisch-jonischen
                              Capitaͤls ist wie die eines sogenannten Sattelholzes auf einer
                              hoͤlzernen Saͤule, d.h. laͤnger als breit; aus dieser
                              Grundform, da die Schneken urspruͤnglich mittragen helfen mußten, ist die
                              ganze Anordnung constructiv hervorgegangen, aber weder aus den Loken der Frauen,
                              noch aus Hobelspaͤnen, welche an den Dekbrettern zufaͤllig stehen
                              geblieben waren.
                           Haͤtte demnach der griechische Baumeister die Rollen anders gestellt, als wie
                              es wirklich der Fall ist, so waͤre es der Construction zuwider gewesen.
                           Aehnliches wie das von dem angezogenen Beispiel Gesagte gilt im Allgemeinen von der
                              Anordnung aller griechischen Gebaͤude, und mit einiger Aufmerksamkeit, so wie
                              mit Huͤlfe perspectivischer Kenntnisse, wird jeder sehr leicht im Stande seyn
                              aus den von antiken Monumenten vorhandenen geometrischen Abbildungen die Ursachen
                              der gewaͤhlten aͤußeren Anordnungen und Maaße auch in perspectivischer
                              Hinsicht sich klar zu machen und einzusehen, wie wichtig das Studium der Perspective
                              fuͤr den Baumeister und wie unerlaͤßlich es ist, wenn man die bei der
                              wirklichen Ausfuͤhrung beabsichtigte schoͤne Erscheinung im Voraus mit
                              Gewißheit zu beurtheilen im Stande seyn will; durch bloße Uebung in geometrischen
                              Zeichnungen aber wird keiner hiezu gelangen.
                           14. Wenden wir uns zu einem Baustyl der, zwischen der modernen Welt und der antiken
                              in der Mitte stehend, mit dem griechischen einen vollkommenen Gegensaz in der
                              Erscheinung bildet, zu dem sogenannten altdeutschen (germanischen) und zwar zu einem
                              seiner schoͤnsten Muster, dem Muͤnster in Freiburg im Breisgau. (Man
                              sehe: Denkmaͤler der deutschen Baukunst von D. G. Moller. Darmstadt, Leske.)
                           Das System des genannten Baustyls ist ein hochstrebendes und wie ausgezeichnet ist es
                              in der perspectivischen Erscheinung des genannten Beispiels
                              durchgefuͤhrt!
                           Der starke, massive einfache Unterbau, welcher durch die Seitenansichten der
                              Strebepfeiler (wovon in der geometrischen Ansicht nichts sichtbar wird) noch mehr
                              Staͤrke und Kraft gewinnt, schließt mit einer feinen Gallerie uͤber der Uhr. Die
                              Strebepfeiler des Unterbaues selbst endigen in schlanken Thuͤrmchen und
                              deuten so schon auf die noch schlankere Endigung des Ganzen.
                           Ueber der Gallerie geht der Thurm in die achtekige Form aus der vierekigen
                              uͤber. Vier achtekige Thuͤrmchen motiviren in dem durch das Achtek auf
                              dem Vierek dreiekig abgeschnittenen Stuͤke den Uebergang vollkommen, so daß
                              die Dekung des Achteks, welche durch die Eken des Unterbaues entstehen
                              wuͤrde, wenn die Thuͤrmchen nicht da waͤren, vollkommen
                              ausgeglichen wird und fuͤr das Auge den vollstaͤndigsten Zusammenhang
                              mit dem oberen Theil bildet.
                           Die Gallerie, wo die lezte achtekige Hauptspize anfaͤngt, ist von steilen
                              Fenstergiebeln durchbrochen; ließe man diese weg, so wuͤrde die horizontale
                              Vegraͤnzung der Gallerie vorherrschen, und das Hochstrebende des Systems
                              verloren gehen. Die achtekige Spize endlich selbst ist mannigfach durchbrochen und
                              schließt in einer architektonischen Blume vorteilhaft das Ganze.
                           Der Vorwurf, welchen die Puristen in der Architektur dieser durchbrochenen Spize
                              machen, ist, daß sie nicht als das Dach wirklich diene, welches sie vorstelle,
                              allein der ganze Styl, besonders in den spaͤtern Monumenten, ist so sehr
                              moͤglichste Verkoͤrperung einer abstracten Gottesverehrung, daß es
                              unrecht ist, den bloß handwerksmaͤßigen Maaßstab dabei anzulegen, und alle,
                              welche gegen diese Monumente bis jezt noch muͤndlich und schriftlich geeifert
                              haben, koͤnnten sich doch bei dem Anblik derselben nicht eines
                              Gefuͤhls innerer Erhebung erwehren, so sehr auch die Form der Erscheinung
                              gegen ihre verkehrte aͤsthetische Ansicht seyn mochte.
                           Um die Schlankheit der Verhaͤltnisse dem Auge moͤglichst
                              vorzufuͤhren, und dadurch das Hochstrebende der Form zu erreichen, sind hier
                              wie bei allen altdeutschen Gebaͤuden die gewoͤhnlichen Mittel
                              gebraucht, sie sind: Verwandlung des Viereks in das Achtek, Vermeidung horizontaler
                              Linien ohne Vor- und Ruͤkspruͤnge, senkrechte Theilung des
                              Ganzen, schlanke Verhaͤltnisse der Giebel und Spizen.
                           Abschraͤgung der Fenster- und Thuͤrvertiefungen, welche
                              geringere Breite der Pfeiler erlaubt, ohne der Festigkeit zu schaden.
                           Brechung der Kanten und Eken, wo die Verhaͤltnisse feiner werden sollen, m. s.
                              11.
                           Stark ansteigende Fensterbruͤstung und Flaͤchen, wo die vierekige Form
                              in die achtekige uͤbergeht.
                           Hoͤchst verstaͤndige Anordnung, daß kein vorspringender Theil von einem
                              hinter ihm stehenden perspectivisch mehr zudekt, als er um die Form nicht zu
                              stoͤren zudeken darf.
                           Die Anordnung von Unten nach Oben ist eine sanft abnehmende; keine bedeutenden
                              Vorspruͤnge verdeken obere Theile durch untere, und das Auge folgt der ganzen
                              schoͤn und schlank geformten Pyramide, ohne Stoͤrung und wehethuende
                              Unterbrechung, bis zur aͤußersten Spize. Die geometrische Zeichnung allein
                              zeigt von allem dem nur so viel, als sie ihrer Natur gemaͤß zeigen kann.
                           15. Waͤhlen wir die Peterskirche als Repraͤsentanten der Zeit, wo
                              vorzugsweise das Studium roͤmischer Ruinen durch aͤußere
                              Umstaͤnde beguͤnstigt, eine neue Kunstbluͤthe hervortrieb, so
                              ist ruͤksichtlich ihrer perspectivischen Anordnung folgendes bemerkbar:
                           Michael Angelo waͤhlte, wie bei 9. bereits
                              erwaͤhnt, zwekmaͤßig, um der Kuppel scheinbar nichts von ihrer
                              Hoͤhe zu rauben, das griechische Kreuz zum Grundriß; spaͤtere Anbaue
                              zerstoͤrten diese urspruͤngliche Form bis auf 3/4.
                           Vergleichen wir sie hinsichtlich der perspectivischen Anordnung mit dem
                              Muͤnster zu Freiburg, so schlaͤgt der Vortheil verstaͤndiger
                              perspectivischer Anordnung zu Gunsten des lezteren aus; denn die Peterskirche
                              erreicht den Haupteindruk nur durch die maͤchtige Kuppel, welche sich aus
                              ihrer Mitte erhebt. Auch wenn der spaͤtere vordere Anbau der Schiffe nicht da
                              waͤre, so steht die Kuppel um ein Bedeutendes gegen den Unterbau
                              zuruͤk, welcher leztere also natuͤrlich ein bedeutendes Stuͤk
                              der Kuppel in der aͤußeren Ansicht nothwendig verdeken muß. Diesen Fehler
                              haben die Kuppeln der Paulskirche in London, der Kasankirche in Petersburg, des
                              Invalidendoms in Paris etc.
                           Michael Angelo hat dieß wohl gefuͤhlt, und die Form
                              des griechischen Kreuzes im Grundriß moͤglichst durch Anlage der kleinen
                              Treppen und Kapellen in den Winkeln so geformt, daß die Arme des Kreuzes wenig im
                              Aeußeren bemerkbar sind und die Kuppel in moͤglichst gleichem Abstande durch
                              die aͤußeren Umrißlinien des Unterbaues eingeschlossen wird; allein ganz
                              aufheben ließ sich der Uebelstand nicht bei der gewaͤhlten Anordnung.
                           Selbst die Nothwendigkeit der hochstrebenden Form schwebte den Baumeistern vor, wozu
                              der roͤmische Styl mit seinen Kroͤpfungen die Hand bot, und selbst die
                              Kuppel erhielt consequent mit dem Unterbau Rippen, welche die runde Form derselben
                              perspectivisch in ein Vielek verwandelte und so der Schlankheit bis zur
                              aͤußersten Spize zu Huͤlfe kam.
                           Nichts desto weniger erscheint diese und alle auf solche Art angeordnete Kuppeln im
                              Aeußeren nicht als eine wesentliche Fortsezung des Unterbaues, sondern als ein
                              willkuͤrlich darauf aufgeseztes Bauwerk; wie ganz anders bei dem
                              Muͤnster zu Freiburg; jeder naͤchst hoͤhere Theil entspringt
                              aus dem naͤchst unteren, alles geht eines sichtbar in das andere uͤber. Bei den
                              altdeutschen Kirchen, wo die Mittelschiffe bedeutend gegen die Seitenschiffe
                              zuruͤkspringen, vollenden die freien Bogen der Strebepfeiler diesen
                              sichtbaren Uebergang der unteren Theile in die oberen. Bei dem roͤmischen
                              Pantheon uͤbersieht man den ganzen ungeheueren Bau, sowohl von Außen als von
                              Innen mit einem Blik, und daher auch die gewaltige Wirkung.
                           Hieraus folgt, daß man sich stets huͤten muß durch Vor- oder
                              Ruͤkspruͤnge der Hoͤhe oder Breite nach irgend einen Theil des
                              Gebaͤudes unnoͤthig zu verdeken, und daß je mehr zugleich sichtbare
                              Flaͤche ein Gebaͤude dem Auge darbietet, desto weniger zersplittert,
                              und desto mehr ein Ganzes wie aus einem Guß es zu seyn scheint. Man sehe die
                              Pallaͤste von Rom und Florenz.
                           Wie tief war z.B. der Baumeister der Villa Pia in Rom, Pirro Lijorio, von der perspectivischen Ansicht durchdrungen, und obgleich die
                              Anlage durch das Treppenhaus und den einen vorgebauten Raum, uͤber welchem
                              das Belvedere steht, sogar unsymmetrische Anordnungen hat, so vereinigt sich doch
                              Alles zu einem reizenden Ganzen, wo alle einzelnen Gebaͤude unter sich auf
                              das vollkommenste klar mit einander verbunden scheinen, und die Localitaͤt
                              auf das Verstaͤndigste benuzt ist. Zeichnungen der Villa Pia finden sich in:
                              Percier et Fontaine, choix des plus
                                 célèbres maisons de plaisance de Rome etc. und in Quatremère de Quincy's
                              Geschichte der beruͤhmtesten Architekten, aus dem Franzoͤsischen
                              uͤbersezt von Heldmann. Leipzig. Leske.
                           16. Die neuere und neueste Zeit bieten in vorangegangener Hinsicht einer
                              perspectivischen Anordnung mit Ausnahme einiger weniger Architekten, unter denen Schinkel unbestritten obenansteht, nicht viel
                              Erfreuliches dar. Man klebte zu sehr an den todten Lehrsaͤzen einer
                              handwerksmaͤßigen Schule, welche man vorgeblich den großartigen Ueberresten
                              des Alterthums entlehnt haben wollte, die aber nur wegen ihrer kategorischen
                              Imperative in den Glaubensartikeln ein Beweis geistiger Faulheit in der zur Zeit
                              herrschenden Kunstansicht waren.
                           Wir koͤnnten viele und große Namen habende Bauwerke neuer und neuester Zeit
                              anfuͤhren, jedoch bleibt es nach dem was vorangeschikt wurde, jedem zu
                              eigener Beurtheilung uͤberlassen, ob die angefuͤhrte Behauptung wahr
                              oder falsch sey.
                           Die unverstaͤndigen kalt lassenden Anordnungen entsprangen aber
                              groͤßten Theils nur daraus, daß die Baumeister das Studium der Perspective in
                              ihrem groͤßten Umfange verschmaͤhten, daß sie nicht einmal sich
                              Muͤhe gaben die Natur zu beobachten, und daß sie sich damit begnuͤgten, die
                              geometrische Zeichnung ohne Ruͤksicht auf perspectivische Anordnung als
                              einzige Grundlage der Erscheinung des Bauwerks in der Natur zu betrachten, welches
                              Alles freilich sehr bequeme, aber verfehlte Ansichten sind.
                           Die Anlage eines Bauwerks im Allgemeinen erfordert aber, daß es nicht nur, aus einem
                              entfernten Standpunkte gesehen, einen guͤnstigen Eindruk mache, es muß auch,
                              je naͤher man tritt, immer feinere Schoͤnheiten der Details entwikeln,
                              und bei Betrachtung in geringster Distanz in der Vollendung der Einzelheiten noch
                              die Vollkommenheit zeigen, welche seiner groͤßeren oder geringeren
                              Wuͤrdigkeit zukoͤmmt. Wie die teppichartigen Wandverzierungen des
                              Alhambra in groͤßerer Entfernung ein bestimmteres einfaches Schema zeigen,
                              naͤher gesehen sich in kleinere Formen aufloͤsen, und ganz nahe die
                              Spruͤche des Korans dem Auge leserlich darstellen, so muß eine gewisse
                              Stufenfolge immer mehr entwikelter Deutlichkeit und Verstaͤndlichkeit der
                              einzelnen Theile des Bauwerkes bei immer naͤher ruͤkendem Standpunkte
                              Statt haben. Alle Jahrhunderte (das naͤchstvergangene bis auf die jezige Zeit
                              ausgenommen) benuzten auch im Aeußeren, wie neuere Forschungen dargethan haben, den
                              Vortheil verschiedenartiger Faͤrbung, um die perspectivische Wirkung zu
                              erhoͤhen, und zugleich mit der Schoͤnheit der Form durch die der
                              harmonisch wohlgewaͤhlten Farbe das Auge angenehm zu fesseln, und
                              naͤchst der plastischen auch eine mahlerische Wirkung zu erzielen.
                           Hier eroͤffnet sich den lebenden Baumeistern ein neues weites Feld mehr, ihren
                              Erzeugnissen einen zwar in der Vergangenheit schon dagewesenen, jedoch seit lange
                              versiegten Quell neuer Schoͤnheiten aus Licht zu foͤrdern.
                           Die Griechen bedienten sich der kuͤnstlichen Pigmente.
                           Die prachtliebenden Roͤmer schufen ihre Farben aus dem mannigfaltigsten
                              Material selbst, dem sie die sorgfaͤltigste Politur gaben, alle farbigen
                              Marmorarten, Bronze, Gold, Silber, Edelstein, und das zur damaligen Zeit den
                              Edelsteinen gleich theure Glas, Alles wurde benuzt, um farbigen Zauber uͤber
                              die Schoͤpfungen ruhmduͤrstiger Erzeuger zu verbreiten.
                           Wir begnuͤgen uns mit weißem Kalkpuz.
                           17. Die Saͤulenordnungen hinsichtlich ihrer
                              perspectivischen Anordnung.
                           NB. Die Abbildungen in M. Mauch Fortsezung des C. Normanschen Werkes
                              (vergleichende Darstellung der architektonischen Ordnungen), Potsdam bei Riegel, sind hier zum Grunde gelegt.
                           
                        
                           
                           Die griechisch-dorische Saͤule.
                           Der Saͤulenschaft, seine Form ein abgestumpfter Kegel, sowohl aus statischer
                              Ruͤksicht als hinsichtlich seiner schlankeren Form verjuͤngt. Die
                              Cannelirungen des Schaftes, gewoͤhnlich 20, geben vermoͤge der
                              groͤßeren Flaͤche, welche sie dem Auge darbieten und vermoͤge
                              der sichtbaren Theilung des Schaftes, so wie der damit verbundenen leichteren
                              Schaͤzung der Maaße, dem Schafte noch mehr scheinbare Staͤrke, als
                              wenn die Saͤule nicht cannelirt waͤre. Staͤbe zwischen den
                              Cannelirungen hiebei anzubringen, wie bei den schlankeren Saͤulenordnungen,
                              waͤre aus eben dem Grunde unzwekmaͤßig gewesen.
                           Das Capitaͤl ist seiner Form nach constructiv bedingt, der Echinus bildet den
                              einfachsten und natuͤrlichsten Uebergang vom Vierek zur Rundung, seine Form
                              kann perspectivisch nicht besser gewaͤhlt werden; denn waͤre sie mehr
                              in der Form eines Viertelkreises, wie bei den schlankeren
                              roͤmisch-dorischen Saͤulen, so wuͤrde sie fuͤr
                              die kurzen Verhaͤltnisse der griechischen zu schwer scheinen.
                           Die eingeschnittenen Streifen dienen naͤchstdem, daß sie als Tropfrinnen
                              gestaltet sind, dazu, fuͤr das Auge eine bestimmte Form abzuschneiden, wo die
                              Gliederungen des Capitaͤls aufhoͤren.
                           Die Linie der Ausladung des Echinus zieht sich bei den besseren Monumenten als eine
                              staͤtige Linie durch diese Einschnitte hindurch und vereinigt sich als solche
                              mit dem Halse.
                           Der gerade Hals des Capitaͤls ist mit den Fortsezungen der Cannelirungen
                              versehen, weil der Schaft sonst, wegen seines ohnehin kurzen Verhaͤltnisses,
                              zu kurz erscheinen wuͤrde, wenn man den Hals glatt lassen oder
                              uͤberhaupt in der Form gegen den Schaft trennen wollte. Wo der Hals eine
                              ausgezeichnete Form fuͤr sich allein annimmt, wie am Tempel der Ceres in
                              Paͤstum, ist er auch bedeutend kuͤrzer als sonst, aus denselben
                              Ursachen.
                           Der scharfe Einschnitt am Echinus unterhalb des Abacus ist zur Trennung beider Formen
                              um so noͤthiger, da die obere Kante des Echinus immer im Schatten liegt.
                              Stieße der Echinus stumpf an, wie bei dem roͤmischen Capitaͤl, so
                              wuͤrde die Trennung weniger zu sehen seyn.
                           Das Uebertreten des Architrabs uͤber die Verjuͤngung der Saͤule
                              ist constructiv wegen Staͤrke des Architrabs nothwendig, faͤllt aber
                              nicht unangenehm auf, weil es durch das kraͤftige Capitaͤl
                              hinlaͤnglich vermittelt ist.
                           Der Architrab selbst ist eine ebene Flaͤche, durch eine einfache Platte und
                              durch Plaͤttchen mit den Tropfen bekroͤnt, lediglich als Abschluß der
                              Form fuͤr das Auge, denn constructiv sind beide nicht noͤthig. In
                              einzelnen Faͤllen ist er unten breiter als oben, um ihn kraͤftiger zu erhalten,
                              allein fuͤr die perspektivische Ansicht ist dieß unvortheilhaft, da er
                              dadurch niedriger erscheint, als wenn er gerade waͤre.
                           Der Fries mit seinen Triglyphen und Metopen ist senkrecht; leztere sind entweder
                              ebene Flaͤchen ohne Reliefs, und alsdann machen die Triglyphen fuͤr
                              das Auge den verzierten Theil und bewirken eine angenehme Unterbrechung der sonst
                              todten Flaͤche; oder die Metopen sind mit Reliefs geschmuͤkt, alsdann
                              bilden die nur durch flache Einschnitte verzierten Triglyphen die ruhigere
                              Flaͤche zur Trennung und zur deutlicheren Theilung fuͤr das Auge
                              zwischen den reich verzierten Metopen. Oder der Fries ist durchweg mit Bildwerken
                              bedekt, welche eine fortlaufende Handlung darstellen wie am Parthenon auf der
                              inneren Seite der Saͤulenhalle.
                           Die Nothwendigkeit der Triglyphen aus der Construction zu erweisen, ist bis jezt noch
                              nicht gelungen. Aus der Holzconstruction erfolgten sie am leichtesten als die
                              Koͤpfe der Balken uͤber dem Architrab, allein die griechischen
                              Monumente enthalten davon nichts, im Gegentheil steigt der Fries auf der inneren
                              Seite immer hohl und glatt mit einem kleinen Kroͤnungsgesims bei allen
                              Ordnungen in die Hoͤhe. Bei dem Tempel des Theseus geht zwar an der Stelle,
                              wo die vordere Halle mit der Cella trifft, ein steinerner Balken als Fries quer
                              durch, allein auch der Architrab geht mit heruͤber, welches auch bei anderen
                              Tempeln der Fall ist, um die groͤßere Steindeke der Vorhalle bequem zu
                              bilden; allein an den Seitenhallen treffen bei griechischen Tempeln sonst selten die
                              Mitten der Saͤulen auf die Mitten der Anten, welche auch alsdann sehr schmal
                              sind, und durchaus nicht hindeuten einen Steinbalken unterstuͤzen zu
                              sollen.
                           Der Triglyphe bildet aber immer ein nicht einmal durch die ganze Tiefe des Frieses
                              durchgehendes Stuͤk Stein; wie erklaͤrt sich demnach der Triglyph und
                              der Fries aus der Nothwendigkeit der Construction, da er in der Form mit
                              Beibehaltung der uͤbrigen Verhaͤltnisse nicht fehlen darf?
                           Der Architrab aber waͤre seiner Staͤrke nach allein
                              hinlaͤnglich, wie bei den aͤgyptischen Monumenten, die Steindeke zu
                              unterstuͤzen. Im Inneren der Propylaͤen kommen Steinbalken vor, welche
                              aber keinen Zusammenhang mit den Triglyphen haben, wenigstens nur theilweise.
                           Die Cornische ist hoͤchst einfach, nur aus einer stark vorspringenden
                              Haͤngeplatte mit unterstuͤzenden und bekroͤnenden Gliedern
                              gebildet. Die daran befindlichen sogenannten Diehlenkoͤpfe koͤnnen auf
                              keine Weise weder nach ihrer schraͤgen Lage, noch nach ihrer in
                              Zwischenraͤumen Statt findenden Stellung aus der Holzconstruction hergeleitet
                              werden; sie sind
                              constructiv nur wegen Verstaͤrkung der haͤngenden Platte
                              stehengebliebene Stuͤke, welche zur Verstaͤrkung der Platte
                              aͤhnlich beitragen, als Strebe- oder Verstaͤrkungspfeiler an
                              einer senkrechten Mauer; daß sie nicht aus der Holzconstruction unbedingt
                              hervorgegangen sind, beweisen z.B. der Tempel der Ceres in Paͤstum und das
                              Monument des Thrasillos zu Athen, wo gar keine vorhanden sind.
                           Mit den sogenannten Tropfen an den Diehlenkoͤpfen hat es dieselbe Bewandtniß;
                              auch sie sind nur wie erstere eine Verstaͤrkung der Masse des
                              uͤberragenden Steines, mit moͤglichster Erleichterung der Form
                              fuͤr das Auge. Beweis dafuͤr ist der große Tempel in Paͤstum
                              (siehe parallèles d'Architecture par Durand, wo
                              an den Diehlenkoͤpfen diese sogenannten Tropfen nicht vorhanden sind, sondern
                              an ihrer Stelle runde Loͤcher in der unteren Flaͤche der
                              Diehlenkoͤpfe sich befinden, welches offenbar auf Erleichterung der Masse
                              hindeutet).
                           Die gewoͤhnlich schraͤge Unterschneidung der haͤngenden Platte
                              ist constructiv so gestaltet, um das an der vorderen Flaͤche der
                              haͤngenden Platte herunterlaufende Regenwasser herabfallen zu machen Die
                              ebenfalls schraͤge Unterschneidung der Diehlenkoͤpfe entsteht in
                              analoger Art aus dem fuͤr das Auge immer wohlgefaͤlligen Parallelismus
                              der Linien. Aus gleichem Grunde geht die Neigung des Giebels unter gleichem Winkel
                              mit der Unterschneidung der haͤngenden Platte und der Diehlenkoͤpfe.
                              Ferner nimmt die auf vorerwaͤhnte Art unterschnittene Haͤngeplatte
                              vermoͤge des Sehewinkels auf diese Art fuͤr das Auge mehr eine
                              horizontale Richtung an, als wenn sie wirklich horizontal waͤre; in lezterer
                              Art wuͤrde sie sich nach Hinten zu senken scheinen. Die haͤngende
                              Platte bekroͤnen auf der langen Seite des Tempels nur zwei Glieder, ein stark
                              unterschnittener und unten in Rinnleistenform endender Rundstab als Tropfrinne und
                              eine Leiste ebenfalls mit einer Tropfrinne; mehr bedurfte es auch nicht, denn das
                              mit reichen Stirnziegeln versehene flache und vermoͤge seiner Construction
                              niemals fuͤr das Auge stoͤrend wirkende Dach schließt die
                              schoͤne Form von der Seite, wie der flache wohlgefaͤllige Giebel in
                              den Fronten.
                           Einen Fuß wie andere Saͤulenordnungen hat die dorische nicht, zuweilen nur
                              einen kurzen uncannelirten Sokel, denn ein hoͤherer Saͤulenfuß
                              wuͤrde die Saͤule nur ohne Noth der Breite nach theilen, also
                              scheinbar verkuͤrzen, welches bei dem ohnehin gedrungenen
                              Verhaͤltnisse uͤbel wirken muͤßte; die dorische Ante dagegen
                              vertraͤgt in (statischer und) perspectivischer Hinsicht einen Fuß, da sie
                              schmaͤler als die Saͤule ist.
                           
                           18. Ganz anders verhaͤlt es sich mit der roͤmisch-dorischen
                              Ordnung. Die Anordnung derselben, so wie der roͤmischen Saͤulen
                              uͤberhaupt, zeigt mehr die Befolgung eines abstracten Systems in der Bildung
                              der Form, als deren Hervorgehen aus der Natur der Sache, wie bei den griechischen
                              Saͤulen. Hieher gehoͤrt die Stellung des Triglyphs unmittelbar
                              uͤber den Saͤulenmitteln anstatt an der Eke, nicht uͤber deren
                              Mitte.
                           Die aͤngstliche Construction aller architektonischen Glieder aus bestimmten
                              Kreisstuͤken ohne Ruͤksicht aus Perspective.
                           Vermeidung der Massen und streng symmetrische Vertheilung, auch wo es der Natur der
                              Sache widerspricht, wie bei Metopen und Triglyphen.
                           19. Die griechisch-jonische Ordnung.
                           Die Verhaͤltnisse werden schlanker und feiner als bei der dorischen. Sie
                              beginnt von Unten nach Oben mit einem Saͤulenfuße.
                           Der im Verhaͤltnis geringe untere Durchmesser macht die Verbreiterung
                              noͤthig; die Form des Fußes ist mannigfach, aber gewoͤhnlich so
                              gewaͤhlt, daß er von Unten herauf gesehen, die beste perspectivische Wirkung
                              macht, wohl wegen der Hoͤhe des Unterbaues, und weil das Volk selten die
                              Tempelhalle betrat und sich mehr auf dem den Tempel umgebenden Plaze, und bei
                              groͤßeren Tempeln in den Saͤulenhallen aufhielt, welche den Hofraum
                              einschloͤssen, der Saͤulenfuß also von dem groͤßten Theil der
                              Beschauer von Unten hinauf gesehen wurde. Der roͤmisch-jonische Fuß
                              ist umgekehrt mehr darauf berechnet von Oben herunter gesehen zu werden, so auch
                              z.B. der Saͤulenfuß der jonischen Ordnung im Inneren des Apollotempels in
                              Bassaͤ. Der Saͤulenstamm ist verjuͤngt cannelirt und mit einer
                              Schwellung (entasis) versehen, weil der nur nach einer
                              geraden Linie sich verjuͤngende Stamm zu mager aussehen wuͤrde. Die
                              Schwellung aber macht diesen perspectivischen Uebelstand verschwinden, obgleich sie
                              constructiv nicht nothwendig ist.
                           Das Capitaͤl verdankt seine ganze eigenthuͤmliche Form nur der Natur
                              der Sache und der Construction.
                           Die jonischen Saͤulen erforderten, vermoͤge ihrer geringeren Masse als
                              die dorischen, kleinere, folglich schwaͤchere Architraben, welche
                              verhaͤltnißmaͤßig weniger Unterstuͤzung hatten als die
                              dorischen; auch wurden die Zwischenraͤume der Saͤulen
                              verhaͤltnißmaͤßig weiter und es wurde daher nothwendig den Architrab
                              breiter zu unterstuͤzen, als bei den dorischen.
                           Denkt man sich die rohe Construction des Capitaͤls als einen auf der
                              Saͤule mit dem Architrab parallel liegenden Stein, welcher nach der Linie der
                              Lage des Architrabs laͤnger ist, als die Breite des Architrabs, also etwa wie
                              ein kurzes Sattelholz in der Holzverbindung, so hat man die Grundform des jonischen
                              Capitaͤls, welche alle constructiven Bedingungen erfuͤllt. Aus dieser
                              Form konnte es wohl keinen angemesseneren Uebergang zur Form des
                              Saͤulenschaftes geben, als die Abrundung durch Polster und Rollen, welche
                              zugleich den Stein so kraͤftig erhalten, daß er den Architrab noch
                              hinlaͤnglich unterstuͤzen kann; daher ist auch der bei der dorischen
                              Saͤule so starke Abacus hier nur angedeutet und schließt nur die obere Form
                              des Capitaͤls zu einer ebenen Flaͤche ab, worauf der Architrab ruhen
                              kann.
                           Nur aus diesem Gesichtspunkte kann die aus dem Wesen der Sache hervorgegangene Form
                              des jonischen Capitaͤls betrachtet werden, denn jede andere Art sie zu
                              beleuchten wuͤrde nur auf Abwege fuͤhren.
                           Da constructiv auf den Langseiten die Rollen ebenfalls, wie vorhin erwaͤhnt,
                              mit der Linie des Architrabs parallel stehen mußten, so wuͤrde an der
                              jedesmaligen Eksaͤule der Uebelstand fuͤr das Auge eingetreten seyn,
                              daß die Eksaͤule der Halle mit dem Polster der Schneke gegen die Rolle der
                              folgenden Saͤule auf der Langseite erschienen waͤre; um diesem
                              Uebelstande abzuhelfen, entstanden die Ekcapitaͤle mit uͤberek
                              vorgezogenen Rollen.
                           Die geometrische Zeichnung gibt von der richtigen perspectivischen Wirkung derselben
                              nur ein schlechtes Bild.
                           Aus diesen griechischen Ekcapitaͤlen entstand spaͤter das jonische
                              Capitaͤl mit acht Rollen. Die Technik war weiter fortgeschritten, man verließ
                              die urspruͤnglich bedingte Bildung und opferte sie einer eingebildeten
                              Symmetrie, wie dieser Vorwurf dem roͤmischen Baustyl uͤberhaupt immer
                              gilt. Hieraus entstand bei dem roͤmisch-jonischen Capitaͤl
                              gleichzeitig der quadratische Abacus und die zum Tragen des Architrabs nicht mehr
                              geeignete, im Verhaͤltniß gegen die griechische sehr kleine Rolle.
                           Der die Saͤule gegen die Rolle abschließende Eierstab wird zwar immer eine
                              unvollstaͤndige Form bleiben, jedoch hat man bis jezt noch keine bessere
                              Vermittlung gefunden. Der jonische Architrab erhaͤlt gewoͤhnlich drei
                              ungleiche Abtheilungen der Hoͤhe nach; die Ursache hievon kann nur in einer
                              beabsichtigten Abwechselung der Theilung liegen, denn aus der Verschiedenheit der
                              Sehewinkel geht die im Verhaͤltniß starke Zunahme der Hoͤhe nach nicht
                              in dem Grade hervor.
                           Im Friese verschwinden die Triglyphen der dorischen Ordnung, und er erscheint
                              entweder ganz glatt, oder mit Reliefs bedekt, welches beides eine vollkommene
                              Trennung her Form der Architrabs und der Cornische fuͤr das Auge bewirkt.
                           
                           Die Cornische enthaͤlt:
                           1) die Glieder, welche uͤber dem Friese befindlich sind,
                           2) eine stark vorspringende Platte mit den sogenannten Zahnschnitten, welche sich so
                              wenig wie die dorischen Diehlenkoͤpfe aus der Holzconstruction herleiten
                              lassen; denn sie selbst, mit der Platte woran sie stehen, dienen nur zur
                              Unterstuͤzung der vermoͤge der feinen Verhaͤltnisse der
                              jonischen Ordnung weit vorspringenden und schwachen Haͤngeplatte. Die
                              Zahnschnitte selbst sind eine Erleichterung der Masse, und da die Platte, woran sie
                              sich befinden, stets im Schlagschatten der Haͤngeplatte liegt, so war es nur
                              durch scharfe und tiefe Einschnitte moͤglich, der Einfoͤrmigkeit
                              zweier vierekiger Platten in der Cornische zu begegnen. Die leichte Form des
                              Rinnleistens bekroͤnt mit seinem zugehoͤrigen Plaͤttchen das
                              jonische Gebaͤlk zwekmaͤßig.
                           Die Pilaster-Anten dieser Ordnung sind im griechischen Styl in ihrem Capital
                              nur analog dem der Saͤule nachgebildet, haͤufig ganz dem System der
                              vierekigen Grundrißform des Pilasters entsprechend, ohne Ruͤksicht auf die
                              Form des Saͤulencapitaͤls, welches auch sehr natuͤrlich ist, da
                              hier ganz andere constructive Bedingungen eintreten. Bei den
                              roͤmisch-jonischen Pilastern dagegen ist man aͤngstlich
                              bemuͤht gewesen, wieder aus uͤbelverstandener Symmetrie die
                              Pilaster-Capitaͤle denen der Saͤulen moͤglichst gleich
                              zu bilden, obgleich daraus nichts Naturgemaͤßes werden konnte.
                           20. Die corinthische Ordnung wurde erst zur Roͤmerzeit in ein bestimmtes
                              System gebracht. Man folgte im Allgemeinen den nur noch mehr verfeinerten
                              Verhaͤltnissen der jonischen Ordnung; bloß das Saͤulencapitaͤl
                              und die Cornische zeigen wesentliche Abweichungen. Erst die Roͤmer wandten
                              die corinthische Saͤule im Aeußeren an; bei den griechischen Tempeln kommt
                              sie nur im Inneren vor.
                           Die Construction des Capitaͤls ist offenbar eine Nachbildung des jonischen,
                              mit acht Rollen oder Schneken. Die Stellung der Blaͤtter ist so
                              gewaͤhlt, daß sie, von Unten hinauf gesehen, sich moͤglichst wenig
                              einander verdeken.
                           Der Abacus ist geschweift, weil er in ganz vierekiger Form bei der starken Ausladung
                              der Seitenrollen zu schwer wuͤrde ausgefallen seyn, auch die im Vierek
                              unterhalb entstehenden horizontalen leeren Flaͤchen sonst auf keine Weise
                              sich vermitteln ließen.
                           Die Cornische erhaͤlt wegen der feinen Verhaͤltnisse nur eine schwache
                              weit vorspringende Platte; unter dieser befinden sich die sogenannten
                              Sparrenkoͤpfe, welche eben so wie die Zahnschnitte der jonischen und die
                              Diehlenkoͤpfe der dorischen Ordnung sich auf keine Weise aus der
                              Holzconstruction erklaͤren lassen.
                           
                           Die Sparrenkoͤpfe mit der Platte, woran sie stehen, dienen nur zur
                              Unterstuͤzung und Verstaͤrkung der haͤngenden Platte, ganz in
                              derselben Art, wie 17. bei den Diehlenkoͤpfen erwaͤhnt wurde.
                           Bei der großen Ausladung wurde aber noch eine dritte Platte zur Unterstuͤzung
                              der beiden oberen nothwendig, welche zuweilen Zahnschnitte zeigt, wie am Tempel des
                              Jupiter Stator in Rom und anderen, oder wohl gar nicht vorhanden war, wie bei dem
                              Tempel des olimpischen Jupiters, oder glatt erscheint, wie am Pantheon in Rom.
                           Der corinthische Pilaster ist ein roͤmischer Styl, wie der jonische, in seinem
                              Capitaͤl dem der Saͤule aͤngstlich treu nachgebildet; bei den
                              griechischen Monumenten ist er, wie bei der jonischen, nur analog. Die
                              perspectivische Erscheinung der corinthischen Ordnung gibt das Bild von Pracht und
                              Verfeinerung.
                           21. Ganz verschieden von den aͤußeren Anordnungen in perspectivischer Hinsicht
                              sind die im Inneren der Gebaͤude. Der Vergleich mit den großen
                              Naturgegenstaͤnden, als Himmel, Berge, Baͤume, Feld faͤllt in
                              so fern ganz weg, als man sie nur durch die Thuͤr- und
                              Fensteroͤffnungen erbliken kann, und sie also von den inneren Raͤumen
                              abgeschlossen und begraͤnzt sind. Die Sehewinkel sind vermoͤge der
                              groͤßeren Naͤhe der Standpunkte meist groͤßer als außerhalb und
                              vertragen deßhalb, um die einzelnen Gegenstaͤnde vortheilhaft
                              uͤbersehen zu koͤnnen, nur verhaͤltnißmaͤßig kleinere
                              Dimensionen als im Aeußeren.
                           Hieraus folgt, daß alle Proportionen innerer architektonischer Gebilde schlanker und
                              zarter seyn muͤssen als im Aeußeren.
                           Ferner wirkt die Art der Beleuchtung viel mit; hoch oben an den Seitenwaͤnden,
                              oder noch besser durch die Deke den Raum zu beleuchten, gibt das schoͤnste
                              Licht. Mag man es aber waͤhlen wie man will, so ist der innere Raum
                              vermoͤge der Einschließung durch Waͤnde und Deke immer dunkler, als
                              der Raum in der freien Luft.
                           Die Profilirungen muͤssen also hier weit schaͤrfer und mehr
                              unterschnittener gehalten werden als im Freien, denn man ist ja schon im Aeußeren
                              genoͤthigt diejenigen Glieder, welche immer im Schlagschatten anderer liegen,
                              viel schaͤrfer zu modelliren, da sie außerdem nicht gut sichtbar werden. Die
                              besten Muster geben hier ebenfalls die griechischen Ueberreste; bei den
                              roͤmischen aber ist keine Spur davon; sie formten die architektonischen
                              Glieder, wie fruͤher erwaͤhnt, streng nach Kreisscheiben im Aeußeren
                              und Inneren gleich, gaben den Saͤulen im Inneren eben solche Gebaͤlke,
                              Saͤulenstuͤhle und machten uͤberhaupt die innere Ordnung gleich
                              der aͤußeren, welches zwar fuͤr den handwerksmaͤßig gebildeten
                              Baumeister das bequemste ist, jedoch auf keine Weise ausreicht. Selbst die von den
                              roͤmisch gebildeten Archaͤologen so verschrienen altdeutschen
                              Baumeister waren wirkliche vollkommene Meister in der Kunst, auch im Inneren die
                              architektonischen Theile so zu ordnen, daß sie immer einen guͤnstigen
                              perspectivischen Anblik gewaͤhren.
                           Hieher gehoͤrt, daß innere architektonische Theile kleinere Ausladungen haben,
                              als aͤußere, damit sie theils die daruͤberliegenden nicht verdeken,
                              theils nicht zu schwer erscheinen. Die Beleuchtung, welche namentlich bei unseren
                              Wohngebaͤuden fuͤr die Dekengesimse von Unten nach Oben wirkt, macht
                              ganz eigen geschnittene Profilirungen noͤthig, damit sich die Theile unter
                              dieser Beleuchtung immer vortheilhaft gegen einander absezen; es ist nur bei dieser
                              einfachen Voraussezung sehr leicht zu uͤbersehen, wie unzulaͤnglich es
                              ist, eine allgemein guͤltige Regel fuͤr die Form aller Gesimse und
                              ihrer Glieder festsezen zu wollen, denn das Gesims, welches sich im Freien von Oben
                              beleuchtet sehr gut ausnimmt, wird im Inneren, von Unten nach Oben beleuchtet, sehr
                              schlecht aussehen u.s.w.
                           Ein vollstaͤndiges System laͤßt sich aus der Ursache, daß jeder Fall
                              anders ist, nicht liefern, und wir wollen uns begnuͤgen in wenigen Beispielen
                              die Richtigkeit obiger Behauptung zu zeigen.
                           Die altdeutschen Kirchengewoͤlbe, welche vielfache Gewoͤlbrippen baden,
                              zeigen in diesen Rippen, bei den besseren Mustern, immer im Querdurchschnitt die
                              sogenannte Herzform, als die welche fuͤr alle Sehewinkel in der Hoͤhe
                              am schlanksten, folglich am leichtesten erscheint. Wo die Gewoͤlbrippen auf
                              den Pfeilern aufstehen, macht ein kleines Capitaͤl den Abschnitt der Form und
                              die Unterstuͤzung der Gewoͤlbrippe geht nun gewoͤhnlich als 3/4
                              vorspringender Cylinder am Pfeiler hinunter.
                           Die vierekigen Kirchenpfeiler selbst sind selten oder nie mit der Mittellinie des
                              Grundrisses der Kirche so gestellt, daß sie damit parallel stuͤnden, sondern
                              sie stehen so, daß ihre Diagonale normal auf erwaͤhnter Mittellinie steht.
                              Theils bilden sich dadurch die 4 Hauptansaͤze der Rippen des
                              Kreuzgewoͤlbes, ganz natuͤrlich, aber besonders erscheint der Pfeiler
                              durch seine scharfe Schattirung in dieser Stellung schlanker, als wenn er mit einer
                              seiner Seiten parallel mit der Mittellinie des Grundrisses der Kirche
                              stuͤnde.
                           In den griechischen Tempeln waren die Saͤulen im Inneren stets kleiner als die
                              aͤußeren, die Gliederungen feiner; die weit vorspringenden
                              Haͤngeplatten, welche hier ohnedem ohne Zwek waͤren, und das
                              daruͤber Liegende ohne Noth verdeken wuͤrden, fallen weg.
                           Wie hoͤchst verstaͤndig fuͤr die Schoͤnheit des Anbliks
                              waren die Wohngebaͤude eingerichtet! Beweis dafuͤr geben die
                              Ueberreste Pompejis; mit einem Blik uͤbersah man von der Hausthuͤre an
                              zugleich die
                              groͤßten Raͤume des Hauses einen hinter den anderen bis in den Garten
                              hinein, an dessen Hinterwand wohlgeordnete Gemaͤhlde die Perspective noch
                              scheinbar verlaͤngerten.
                           Betrachten wir die roͤmischen Pallaͤste des Mittelalters: mit welcher
                              tiefen Ruͤksicht auf perspectivische Anordnung sind die Hausfluhren, die
                              Hoͤfe, die Treppenhaͤuser, die kleinen da und dort anstoßenden
                              Gaͤrten angelegt; wie schoͤn sind Unebenheiten des Terrains zu
                              Terrassen, Grotten, Springbrunnen benuzt; wie zeichnen sich die Pallaͤste
                              Genua's in dieser Hinsicht der Terrainbenuzung aus, und durch welche einfache Mittel
                              erreichten die alten Baumeister alle diese großartigen Wirkungen?
                           Durch moͤglichste Einfachheit der Grundrisse, durch Benuzung der jedesmaligen
                              Oertlichkeit. Man grub eine maͤßige Erhoͤhung des Terrains nicht fort,
                              wie wir es thun wuͤrden, um ein Paar Fuß freien Raum mehr zu haben; alles war
                              ihnen willkommen, alles zwekmaͤßig verwendet, woraus ihnen noch der Vortheil
                              entsprang, daß durch die Eigenthuͤmlichkeit der Localitaͤt auch eine
                              Eigenthuͤmlichkeit der Anlage jedes Mal erreicht wurde, welches bei der
                              gewoͤhnlichen unverstaͤndigen Behandlung des Terrains niemals der Fall
                              ist.
                           Welche angenehme perspectivische Wirkung macht es schon, wenn mehrere hinter einander
                              liegende Raͤume durch geoͤffnete große Thuͤren mit einem Male
                              dem Auge sichtbar werden, wie viel groͤßer aber wird die Wirkung seyn, wenn
                              statt der bis an die Deke reichenden Querwaͤnde diese nur bis etwa zur
                              Mannshoͤhe hinauf gehen, uͤber diesen sich schlanke Stuͤzen der
                              Deke erheben, welche die Plafonds tragen; und noch reicher wird der Anblik, wenn man
                              an die Stelle derselben Querwaͤnde Saͤulen sezt, diese auf die
                              Haͤlfte der Hoͤhe der Wand mit Teppichen schließt und so alle
                              Raͤume zu einem einzigen großen vereinigt; zwekmaͤßig angebrachte
                              Spiegel thun ebenfalls viel, eine schoͤne innere perspectivische Wirkung
                              hervorzubringen, besonders wenn sie einander gegenuͤber stehen, so daß die
                              dazwischen liegenden Gegenstaͤnde ins Unendliche wiederholt erscheinen.
                           22. Die Hoͤhen innerer Raͤume im Verhaͤltniß zur Laͤnge
                              und Breite tragen nicht wenig dazu bei; sie sind einfach folgende:
                           Ist der Grundriß quadratisch, so seze man die Hoͤhe gleich einer Seite des
                              Quadrats; es wird demnach ein Kubus entstehen, dessen Ansicht namentlich bei
                              wachsenden Dimensionen immer imposanter sich gestaltet. Jeder laͤnglich
                              vierekige Raum erhaͤlt die schmale Seite zur Hoͤhe; er wird also der
                              Natur gemaͤß im Verhaͤltnisse immer niedriger werden, je
                              laͤnger er ist.
                           
                           Jeder Raum, dessen Grundriß ein Kreis oder regelmaͤßiges Vielek ist, werde so
                              hoch als sein Durchmesser lang ist, uͤbersteige aber niemals die Hoͤhe
                              von 2 Durchmesser Laͤnge, sonst hat man nirgends mehr einen Standpunkt ihn
                              nur einiger Maßen zu uͤbersehen.
                           Die Ellipse richtet sich nach dem Verhaͤltnisse des Rechteks, und bekommt
                              ihren kleineren Durchmesser zur Hoͤhe.
                           Geringe Abweichungen werden dem Totaleffect hiebei keinen Eintrag thun, nur muß der
                              Raum niemals niedriger werden als obige Angaben sind.
                           Bei Wohngebaͤuden lassen sich diese Voraussezungen allerdings nicht so streng
                              anwenden; allein der Baumeister kann auch hierin viel thun, wenn er die zu nehmende
                              Ruͤksicht auf perspectivische Anordnung nicht aus den Augen laͤßt. Vor
                              allen Dingen aber duͤrfen dabei Hausfluhren und Treppenhaͤuser nicht
                              noch kleiner und elender werden als sie schon sind, wenn auch nicht die dringendsten
                              Ruͤksichten wegen Feuersgefahr diese Theile besser, fester und groͤßer
                              anzulegen veranlassen muͤssen.
                           23. Am meisten werden perspectivische Anordnungen im Inneren der Gebaͤude bei
                              Treppenhaͤusern, Saͤlen und Schauspielhaͤusern in Anspruch
                              genommen. Die beste Wirkung machen große Treppen, wenn sie nur aus dem
                              naͤchst unteren Stokwerk in das naͤchst obere fuͤhren, und das
                              Auge das obere Stokwerk seiner ganzen Hoͤhe nach mit uͤbersieht; auch
                              duͤrfen die nach einer Richtung aufsteigenden normal mit ihren Wangen gegen
                              den Beschauer stehenden Arme nicht durch Ruheplaͤze unterbrochen werden; denn
                              der breite Ruheplaz verdekt perspectivisch mehr oder weniger von den daruͤber
                              folgenden Stufen, und macht so eine unangenehme gebrochene Linie; die
                              Ruheplaͤze befinden sich am schoͤnsten in den Eken der Treppe, wo die
                              Arme andere Richtungen annehmen. Aus obigem Grunde macht eine runde Treppe, welche
                              durch viele Stokwerke geht, nie die natuͤrliche und schoͤne Wirkung,
                              welche eine vierekige unter denselben Umstaͤnden macht. Die krumme Linie und
                              namentlich die Schraubenlinie zeigt sich nur vorteilhaft, wenn sie staͤtig
                              bleibt, was bei Anordnung von Ruheplaͤzen nicht angeht; eine
                              fortwaͤhrend steigende Treppe aber wuͤrde bald ermuͤden, und
                              ist nicht statthaft; deßhalb bleiben die Treppen im Vierek immer die
                              schoͤnsten und bequemsten. Treppen im Achtek geben gute Anordnung, wenn die
                              Ruheplaͤze dreiekig werden, und an 4 Seiten des Achteks Stufen angebracht
                              sind.
                           Pfeiler und Gewoͤlbe durch alle Stokwerke gehend und die Treppenarme
                              unterstuͤzend machen nur da gute Wirkung, wenn der Zwischenraum der Treppenarme groß ist.
                              Naͤher an einander angebracht, Haufen und deken sich die Gegenstaͤnde
                              so, daß es unangenehm wird.
                           Bei allen inneren Raͤumen wird die Wirkung ungemein gesteigert, wenn die
                              Waͤnde anderer Gemaͤcher, welche an einen großen Raum stoßen,
                              durchbrochen, und durch Arcaden, Pfeiler, Saͤulen gebildet werden. Ein
                              schoͤnes Beispiel ist der Concertsaal im Berliner Schauspielhause, voll tief
                              durchdachter perspectivischer Wirkung.
                           24. Die Anordnung architektonischer Gliederungen entspringt hauptsaͤchlich aus
                              der Construction, welches hier zu eroͤrtern zu weit fuͤhren
                              wuͤrde; in perspectivischer Hinsicht ist zu bemerken, daß Gliederungen am
                              Aeußeren der Gebaͤude im Verhaͤltnisse groͤßere Dimensionen,
                              großartigere Anordnung und der scharfen Sonnenbeleuchtung wegen weniger geschwungene
                              Profilirungen haben, als im Inneren, wo von allem das Gegentheil eintritt.
                           Außerdem ist es Haupterforderniß, daß kein Glied unter den gewoͤhnlichen
                              Standpunkten gesehen ein anderes zur Ungebuͤhr verdeke, sondern jedes
                              einzelne seiner vollstaͤndigen Form nach von dem Auge bemerkt werden kann.
                              Wollte man z.B. die Glieder eines Hauptgesimses so construiren, daß die untersten am
                              meisten vorstuͤnden, so wuͤrde man die oberen gar nicht sehen. Es
                              scheint uͤberfluͤssig dergleichen zu erwaͤhnen, und doch gibt
                              es Faͤlle genug, wo so verfahren wird, namentlich bei Mobiliar aller Art; wie
                              oft sieht man Tische, Komoden etc., wo unter der oberen hervorstehenden Platte feine
                              Gliederungen angebracht sind, die kein Mensch sieht, weil sie bei dem
                              gewoͤhnlichen Standpunkte durch den oberen Theil verdekt werden.
                           In der geometrischen Zeichnung faͤllt dieß nicht auf, und wollte man dabei die
                              erwaͤhnten Glieder weglassen, so wuͤrde es schlecht aussehen; eben so
                              kann man sich bei weniger hervorstechenden Gelegenheilen taͤuschen, wenn man
                              ohne Ruͤksicht auf Perspektive verfaͤhrt.
                           Die Farbe gibt ein vortreffliches Mittel an die Hand, Verzierungen, welche sich an
                              architektonischen Gliedern befinden, mit Leichtigkeit vortreten zu lassen, ohne daß
                              die Verzierung sehr hervortretend gearbeitet zu seyn braucht; deßhalb finden wir
                              auch die Verzierungen griechischer Gliederungen im Ganzen flach gearbeitet, da man
                              Farbe benuzte; die der roͤmischen Gliederungen aber ungleichhervorstehender,
                              da hier die Verschiedenheit der Farbe nur in der Verschiedenheit des Materiales der
                              einzelnen Architekturtheile bestand. Die Profilirung roͤmischer und diesen
                              nachgebildeten Gliederungen erfuͤllen die perspectivischen Ruͤksichten
                              durch ihre nach vollstaͤndigen Zirkelstuͤken gebildete Form am
                              wenigsten. Man denke nur am roͤmisch-dorischen Capitaͤl an den
                              Echinus (im Viertelkreise profil), gegen den Echinus am griechischen Capitaͤl; abgesehen von
                              der Constructionstuͤchtigkeit der lezteren Linie bleibt sie dem Auge vielmehr
                              unverkuͤrzt, folglich kraͤftiger sichtbar. Die vielen Riemchen in den
                              roͤmischen Profilirungen, welche stets je zwei gebogene Glieder trennen,
                              geben ihnen ebenfalls ein flaches uninteressantes Ansehen.
                           Da sich ohne Zeichnungen hieruͤber nichts Genaueres anfuͤhren
                              laͤßt, moͤge es genuͤgen darauf aufmerksam gemacht zu haben,
                              wie wenig geometrische Zeichnungen allein genuͤgen, um die Wirkung, welche
                              ein Bauwerk in der Natur hervorbringen soll, zu bestimmen.
                           Aus dem Wenigen, was hier von der Beruͤksichtigung der perspectivischen
                              Wirkungen hinsichtlich der Bauwerke angefuͤhrt werden konnte, ist zu ersehen,
                              wie unerlaͤßlich das Studium der Perspective fuͤr den Baumeister ist;
                              ferner wie die perspectivischen Wirkungen es wohl verdienten einen eigenen Theil der
                              Baulehre (in aͤsthetischer Hinsicht) auszumachen, und wie selbst in
                              Baugewerksschulen die Lehrer ihre Zoͤglinge wenigstens auf den großen Einfluß
                              aufmerksam machen sollten, den die Perspective auf Alles aͤußert, was erbaut
                              dem Auge sichtbar wird. Mit diesem frommen Wunsche nimmt der Verfasser Abschied vom
                              Leser.
                           Greifswald, im August 1835.
                           C. A. Menzel.