| Titel: | Skizzirte Uebersicht des gegenwärtigen Standes und der Leistungen von Böhmens Gewerbs- und Fabriksindustrie in ihren vorzüglichsten Zweigen. Ein Versuch von K. J. Kreutzberg in Prag. | 
| Autor: | Karl Joseph Kreutzberg [GND] | 
| Fundstelle: | Band 60, Jahrgang 1836, Nr. XLIV., S. 223 | 
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                        XLIV.
                        Skizzirte Uebersicht des gegenwaͤrtigen
                           Standes und der Leistungen von Boͤhmens Gewerbs- und Fabriksindustrie in
                           ihren vorzuͤglichsten Zweigen. Ein Versuch von K. J. Kreutzberg in Prag.
                        (Fortsezung von Bd. LX. H. 1, S. 72.)
                        Kreutzberg, uͤber Boͤhmens Gewerbs- und
                           Fabriksindustrie.
                        
                     
                        
                           Gewoͤhnlichen Getreide-, Bier- und
                                 Obstessig liefern 9 Etablissements, die jedoch in keinem großen Maaßstabe
                              arbeiten; Holzessig und Bleizuker fabriciren 5 Fabriken. Das groͤßte Quantum Holzessig
                              erzeugt jene des Hrn. Richter in Koͤnigssaal,
                              naͤmlich ungefaͤhr 2000 Cntr. jaͤhrlich, in Oefen von seltener
                              Groͤße à 80 Klafter Holz, die sich in
                              Roßmital befinden. Die Fabrication von Bleizuker, wovon im Durchschnitte
                              jaͤhrlich gegen 6000 Cntr. im Werthe von 160,000 fl. fruͤher erzeugt
                              wurden, hat zwar in der lezten Zeit durch die Concurrenz auslaͤndischer
                              Fabriken bei uns einiger Maßen abgenommen; die jezt wieder eingetretene Nachfrage zu
                              bedeutend gesteigerten Preisen laͤßt jedoch den vorigen Erzeugungsstand
                              hoffen, da unsere einheimischen Fabrikanten durch den Frachtbetrag und einen Zollsaz
                              von 5 fl. per Centner hinreichend geschuͤzt seyn
                              duͤrften. Bemerkenswerth ist noch die Holzessigfabrik des Hrn. M. Prohaska vor dem Prager Reichsthore; der in 2 gut
                              construirten Thermooͤfen fuͤr 10 1/2 Klafter 5/4 elligen Buchenholzes
                              dargestellte Holzessig wird hier zur Bereitung von holzsaurem Kalk, holzsaurem
                              Eisen, fluͤssigem Bleizuker und basisch holzsaurem Blei, auch zur sogenannten
                              Mandelbrauncomposition (durch Zersezung des Eisenvitriols mit Bleizuker) verwendet;
                              das basische holzsaure Blei benuzt man naͤmlich in den Prager Kattunfabriken
                              zum Abstumpfen mehrerer Salze, z.B. des schwefelsauren Mangans und des salzsauren
                              Eisenoxyduls u.s.w.
                           Knochenmehl als Duͤngungsmittel liefert seit
                              Kurzem eine in großem Maßstabe angelegte Fabrik naͤchst Mies mit Beisezung noch einiger anderen Substanzen. Das Gedeihen dieser
                              Anstalt wird wohl sehr davon abhaͤngen, ob die Knochenausfuhr noch ferner
                              gestattet bleibt oder nicht; indessen wird wohl der staͤrkere Verbrauch der
                              Knochenkohle in unseren Ruͤbenzukerfabriken haͤufigere Nachfrage und
                              eine Preiserhoͤhung bewirken, die der Ausfuhr derselben ohnehin ein Ziel
                              sezen muß.
                           Seifensiederei wird in Verbindung mit dem Kerzenziehen in
                              allen Landstaͤdten betrieben; Prag zaͤhlt 13 Meister. In der Richter'schen Fabrik in Koͤnigssaal werden zum
                              Fabrications- sowohl als Hausbedarf bedeutende Quantitaͤten
                              Talg-, Oehl- und feinere Waschseife erzeugt. Sehr wichtig
                              duͤrfte die vom Hrn. G. Schlesinger in Prag neu
                              begruͤndete Fabrik zur Erzeugung fluͤssiger
                                 Seife werden, indem dieses Product gleich dem British scouring and washing Fluid in der Schafwollenfabrication und
                              Walkerei, bei dem Schoͤnen gedrukter Kattunaden, dem Degummiren und
                              Faͤrben der Seide, der Linnenbleiche, zur Reinigung der Waͤsche und
                              des menschlichen Koͤrpers, dann beim Scheuern der Dielen, Fenster etc.
                              dieselben Dienste leistet, wie die bisher hiezu benuzten Seifengattungen und zwar
                              ohne daß man davon mehr bedarf, waͤhrend ein Pfund davon nur auf 6 kr. zu
                              stehen kommt.
                           Parfuͤmerien werden in Prag durch die HH. A. Bruhta und A. D. 
                              Corda erzeugt; sie vermochten aber troz ihrer guten
                              Qualitaͤt nicht den Bezug auswaͤrtiger Fabricate dieser Art (denen
                              freilich oft nur das Vorurtheil eingebildete Vorzuͤge verleiht) zu
                              beseitigen.
                           Bierbrauerei und Branntweinbrennerei sind, wenn auch mehr landwirthschaftliche Gewerbe,
                              doch von zu großer Wichtigkeit, um nicht hier in dem Gesammtbilde unserer Industrie
                              wenigstens kurz besprochen zu werden. Brauereien sind wenigstens 1500 im Lande,
                              wovon 60 in Prag. Vier ist das gewoͤhnliche Getraͤnk in Boͤhmen
                              und die Consumtion desselben ist besonders in den Fabrikgegenden sehr bedeutend;
                              obgleich wir aber im Lande selbst den besten Hopfen und eine eben so schoͤne
                              als wohlfeile Gerste haben, so bleibt doch in vielen Gegenden sowohl hinsichtlich
                              der Qualitaͤt als des Preises dieses der arbeitenden Classe so sehr zum
                              Beduͤrfniß gewordenen Getraͤnks noch Vieles zu wuͤnschen
                              uͤbrig, besonders wegen der haͤufig unmoͤglichen Concurrenz, da
                              die Biererzeugung zu den staͤdtischen und obrigkeitlichen Regalien
                              gehoͤrt. Indessen faͤngt doch die Nachbarschaft Bayerns an, auf unsere
                              Brauereien vortheilhaft zuruͤkzuwirken, und mehrere derselben sind auch in
                              jeder Beziehung nachahmungswuͤrdige Musteranstalten, wie z.B. die durch den
                              dortigen Hrn. Oberfoͤrster Rietsch eben so
                              umsichtig eingerichtete als geleitete fuͤrstlich Oettingen'sche Bierbrauerei in Koͤnigssaal. Die Anzahl der Brennereien, welche ebenfalls als obrigkeitliches Regal
                              von Paͤchtern betrieben werden, duͤrfte nicht viel geringer seyn, als
                              die der Brauereien; Prag zaͤhlt 66 Brennereien, die sich meist durch
                              zwekmaͤßigen Betrieb auszeichnen und hier sowohl als auf dem Lande,
                              faͤngt die Anwendung des Dampfes und die Einfuͤhrung vortheilhafterer
                              Apparate an, die besten Fruͤchte zu tragen. Ihre Production
                              uͤbertrifft gegenwaͤrtig den Landesbedarf, obgleich er in der lezten
                              Zeit durch den haͤufigeren Verbrauch von Weingeist bedeutender als je wurde;
                              man bezieht auch selbst fuͤr Liqueure und Parfumerien nur noch sehr wenig
                              Weingeist mehr vom Auslande.
                           Liqueure und Rosoglio werden
                              in 16 Fabriken, wovon 12 in Prag, und in 18 kleineren Anstalten erzeugt; diese deken
                              auch zum Theil den Bedarf einiger der uͤbrigen Provinzen der Monarchie. Eine
                              groͤßere Verbreitung verdienen die vorzuͤglichen Fabricate der HH. Foͤdisch und Hanke in
                              Prag, welche durch ihre Reinheit, Guͤte und Billigkeit bei uns die meisten
                              auswaͤrtigen Erzeugnisse dieser Art verdraͤngt haben, und den
                              feinsten, oft zu unmaͤßigen Preisen bezahlten franzoͤsischen und
                              deutschen Liqueuren außerhalb Boͤhmen die Concurrenz streitig zu machen
                              anfangen. Besonders ist bei den 43 Sorten Liqueuren, den Punschessenzen, Cognacs,
                              aromatischen Wassern und Chocoladen, welche dieses Haus erzeugt, die Sorgfalt der
                              Erzeugung und Vermeidung aller der Gesundheit oder der Soliditaͤt des
                              Products schaͤdlichen Beimengungen, sehr ruͤhmenswerth.
                           Die in neuerer Zeit so zahlreich gewordenen Producte aus Staͤrkmehl und den verwandten Substanzen, werden bei uns noch nicht
                              in verdienter Ausdehnung dargestellt. Außer den 10 Staͤrkemachern in Prag,
                              verdient hier nur die Fabrik des Hrn. A. Becher in
                              Muͤnchengraͤtz angefuͤhrt zu werden, welche vorzuͤgliche
                              Waizenstaͤrke, gewoͤhnliche sowohl als gebrannte (Gummisurrogat),
                              ferner Staͤrkeleim (Kleber), gleich dem aus
                              thierischen Substanzen erzeugten Leim verwendbar, dann Biscuit oder Kraftmehl sehr rein und in großen Quantitaͤten
                              erzeugt. Die Verdikungsmittel, welche in neuerer Zeit von englischen Reisenden
                              unter der Benennung british Gummi haͤufig
                              angeboten werden, sind nichts Anderes als mittelst Dampf geroͤstete
                              Staͤrke.
                           Schuhwichse nach englischer Art wird hie und da im
                              Kleinen, in sehr großer Quantitaͤt aber in der Fabrik der HH.
                              Gebruͤder Loͤwy in Prag dargestellt. Bei
                              einem Verbrauch von 500 Cntrn. Runkelruͤbensyrup und eben so viel
                              Knochenkohlen verschleißt diese Anstalt jaͤhrlich an 2 Millionen Schachteln
                              und Zetteln Wichse nach allen Theilen der Monarchie und 1/3 hievon in fremde
                              Staaten. – Von den 3 Siegellakfabriken in Prag ist
                              die der ebengenannten Fabrikanten ebenfalls die ausgedehnteste und in Hinsicht des
                              ausgebreiteten Absazes ihrer Erzeugnisse von den mittleren bis zu den feinsten
                              Sorten sowohl (er betraͤgt uͤber 200 Cntr. jaͤhrlich) als deren
                              Vorzuͤglichkeit gleich bemerkenswerth; die nach franzoͤsischer Art in
                              verschiedenen Farben und Nuͤancirungen dargestellten sogenannten Damenlake
                              zeichnen sich besonders durch leichte Schmelzbarkeit und Reinheit aus. Des
                              Zusammenhanges wegen moͤge auch die in diesem Etablissement betriebene
                              Bereitung der Federkiele nach Hamburger Art hier
                              erwaͤhnt werden. Waͤhrend fruͤher dieser Artikel in großer
                              Quantitaͤt vom Auslande bezogen wurde, ist er durch die HH. Loͤwy ein Gegenstand der Ausfuhr nach Deutschland,
                              Belgien und Italien geworden. In ihrer Fabrik bereiten sie jaͤhrlich 3 1/2
                              Millionen Schreibfedern aller Art, welche in rohem Zustande groͤßten Theils
                              aus Polen und Ungarn bezogen werden; sie bedienen sich zum Erweichen derselben mit
                              großem Vortheil eines Dampfapparats statt der fruͤher gebraͤuchlich
                              gewesenen Kohle und Asche; die vollendeten Federn werden auch durch eine Maschine in
                              Buͤschel gebunden. Diese Production ist um so auffallender, wenn man bedenkt,
                              daß selbst die mit ungleich groͤßeren Mitteln ausgeruͤsteten
                              aͤlteren Londoner Haͤuser nur 6 Millionen Spulen jaͤhrlich
                              verarbeiten, waͤhrend die englische Einfuhr in den lezten 6 Jahren
                              durchschnittlich 20 Millionen betrug. Die Stahlfedern, welche in England in so
                              großer Menge (am besten von John Perry) erzeugt werden,
                              scheinen mehr fuͤr den auswaͤrtigen Markt berechnet, da die dortige
                              Einfuhr von Kielen fortwaͤhrend im Zunehmen ist und es auch wohl bleiben
                              wird, weil die Stahlfedern, so nothwendig sie auch fuͤr das Zeichnen und
                              Schreiben in der Lithographie sind, doch beim Schreiben auf Papier die
                              Elasticitaͤt und Leichtigkeit guter Gaͤnsekiele nie ersezen.
                           Cichorienkaffee fabriciren 13 Etablissements, deren
                              Gesammtproduction nicht uͤber 36,000 Cntr. im Werthe von 100,000 fl. betragen
                              duͤrfte. Jede dieser Fabriken beschaͤftigt im Durchschnitte 20
                              Menschen.
                           Zukerfabrication. Die Raffinirung des westindischen
                              Rohzukers wurde bereits verlaͤngst in den Fabriken der HH. E. H. Herz in Prag und A. Richter in
                              Koͤnigssaal betrieben; bei der, alle neuen Erfahrungen und Verbesserungen in
                              den chemischen und mechanischen Operationen ausfassenden Umsicht, welche in den
                              verschiedenen Fabricationszweigen des leztgenannten, eine Zierde unserer Industrie
                              bildenden Etablissements vorherrscht, muß ein großer Theil der Verdienste um die
                              wohlthaͤtige Entwiklung dieses Industriezweiges dem seltenen, selbst die
                              groͤßten Opfer nicht scheuenden Unternehmungsgeiste des Hrn. Richter zugeschrieben werden. Fuͤr ein
                              jaͤhrliches Quantum von 30,000 Cntrn. Rohzuker eingerichtet, befindet sich
                              daselbst in Verbindung mit einer Dampfmaschine von 14 Pferdekraͤften ein
                              Raffinirapparat nach dem Howard'schen Principe, der mit
                              unter die besten gehoͤrt, da der Besizer mehrere zwekmaͤßige
                              Abaͤnderungen und Verbesserungen hinzufuͤgte, sowohl in der Dampfbeheizung, wo die
                              Temperatur fortwaͤhrend auf 45° R. erhalten und auch sonst nach Bedarf
                              leicht regulirt werden kann, als in dem Kesselapparate zum Verkochen, Abdampfen und
                              Austroknen im luftleeren Raume, und in dem Baue der Abkuͤhler. In 12
                              verschiedenen Sorten werden daselbst uͤber 12,000 Cntr. raffinirter Zuker
                              jaͤhrlich geliefert, einen großen Theil des Landesverbrauchs dekend, der
                              hier, im Entgegenhalt der Populationsverhaͤltnisse, und wenn auch 1/4 der
                              Bevoͤlkerung außer Berechnung bleibt, und die uͤbrigen 5/4 zu 1 1/2
                              Pfd. per Kopf jaͤhrlich (in Frankreich von der
                              ganzen Bevoͤlkerung 4 1/2 Pfd., in Preußen 4
                              3/4 Pfd. und in England 16 Pfd. per Kopf) angenommen
                              werden, 45,000 Cntr. betraͤgt, und daher am wenigsten nach den
                              fruͤheren Zollregistern geschaͤzt werden darf; da es erst in neuerer
                              Zeit der Sorgsamkeit einer verbesserten Douane in Verbindung mit einer
                              juͤngst verflossenen gesezlichen Controllvorschrift moͤglich wurde,
                              die indirecte Einfuhr von Raffinaden hintanzuhalten. – Auf eine ehrenvolle
                              Weise steht diesem Etablissement jenes des Hrn. Herz zur
                              Seite. Die uͤbrigens auch auf einige andere Provinzen des Kaiserstaates sich
                              erstrekenden Productionen der beiden genannten Fabriken, befinden sich jedoch seit
                              einiger Zeit in einer groͤßeren Ausdehnung begriffen, durch das rasche
                              Gedeihen, welches die Runkelruͤbenzuker-Fabrication, diese schoͤnste Frucht
                              des Continentalsystems, bei uns findet. Der unsterbliche Schoͤpfer derselben,
                              Margraff, konnte die Verlegenheiten nicht
                              voraussehen, welche die jezige Ausbreitung dieses Industriezweiges in Frankreich,
                              durch den Ausfall des Douanenertrags, dem Finanzminister schafft, indem sie die
                              franzoͤsischen Colonien mit dem Untergange ihrer bisherigen Kulturart
                              bedroht, waͤhrend bei uns nichts den Gewinn verkuͤmmert, der schon
                              factisch sicher gestellt, und wenn auch noch nicht so brillant, wie ihn die
                              Eingebungen von auf illusorische Berechnungen sich stuͤzenden Nebenabsichten
                              darstellen moͤchten und ausposaunen – die eben so leicht unzeitige
                              Unternehmungssucht im Innern anhaͤufen als den Ruf dieses Industriezweiges
                              bei unseren, die Gestaltung desselben sorgsam berechnenden und bewachenden Nachbarn
                              gefaͤhrden koͤnnte – so doch in oͤkonomischer und
                              industrieller Beziehung jezt schon so bedeutend ist, daß bei unseren hiezu besonders
                              guͤnstigen Landesverhaͤltnissen ein gesteigerter Wohlstand
                              verbuͤrgt ist, abgesehen von den Einwirkungen, welche das daraus folgende
                              rationellere System der Landwirtschaft, die Erhoͤhung des Viehstandes durch
                              Verwandlung der Abfaͤlle in Futter, und das mit der hiedurch vermehrten
                              Duͤngergewinnung gesteigerte Bodenertraͤgniß spaͤter noch
                              hervorbringen muß, besonders wenn die von Beaujeu
                              vorgeschlagene Filtration mit ununterbrochener Circulation die versprochenen Erfolge
                              gewaͤhren, und die in oͤffentlichen Blaͤttern unlaͤngst
                              verheißene franzoͤsische Erfindung in Erfuͤllung gehen sollte, nach
                              welcher es bereits im Großen gelungen seyn soll, den ganzen krystallisirbaren
                              Zukergehalt der Runkelruͤbe ohne Hinterlassung von Melassen
                              auszuscheiden.Es wurde bereits im Polytechnischen Journal Bd. LX. S. 79 bemerkt daß diese Nachricht auf einem Irrthum
                                    beruht und bis jezt wenigstens ein solches Resultat noch nicht erreicht
                                    worden ist.A. d. R. Das groͤßte Verdienst um die Einfuͤhrung dieses Industriezweiges und seine Verbreitung in
                              Boͤhmen gebuͤhrt unstreitig dem Fuͤrsten Karl Anselm von Thurn und Taxis. Bei den Wechselfaͤllen und den
                              traurigen Verlusten, welche dieser Zweig fruͤher allenthalben erfahren hatte,
                              bei den vielfachen Schwierigkeiten die hinwegzuraͤumen, und bei den
                              hartnaͤkigen Vorurtheilen, die zu besiegen waren, konnte der, nur den
                              Eingebungen des
                              Patriotismus und der vaͤterlichen Sorge um das Wohl seiner Unterthanen
                              folgende Sinn des genannten hohen Menschenfreundes sich zu einem solchen mit
                              bedeutenden oͤkonomischen und technischen Vorkehrungen verbundenen
                              Unternehmen ermuthigt fuͤhlen. Dem gegebenen edlen Impulse folgend, reihten
                              sich bald der ersten f. Taxis'schen Fabrik in Daubrawitz
                              jene des Hrn. Oppelt zu Swinarz und des Fuͤrsten
                              Oettingen in Koͤnigssaal an. Mit dem Wunsche
                              diesen Industriezweig in Boͤhmen zu verbreiten, wurde so wie in der
                              erstgenannten, auch in den beiden lezteren Anstalten jungen Leuten, welche sich
                              demselben widmen wollten, bereitwillig und unentgeldlich Unterweisung ertheilt, und
                              dieser Wunsch eben so bald als erfreulich verwirklicht, indem bereits i. J. 1834 9
                              Fabriken uͤber 200,000 Cntr. Ruͤben verarbeiteten, deren Syrup und
                              Rohzuker mit lobenswerthem Eifer um das Gedeihen des Ganzen, in der Raffinerie des
                              Hrn. Richter veredelt wurde, da man sich bald auch hier
                              von der Zwekmaͤßigkeit der Theilung der Arbeit mit dem Raffineur
                              uͤberzeugt hatte, und es nach den gemachten Erfahrungen meist vorzog, die
                              beigeschafften Raffinirapparate unbenuzt und dieses Geschaͤft mit mehr
                              Sicherheit und Vortheil von dem Raffineur, welchem Zukersaft oder Rohzuker
                              fuͤr gewisse Preise uͤberlassen wurden, verrichten zu lassen.
                           Den erfreulichsten Beweis fuͤr den bisherigen Ertrag dieses
                              Fabricationszweiges, und seiner durch zwekmaͤßigen Betrieb
                              herbeigefuͤhrten Ausbreitung duͤrfte die Thatsache liefern, daß nicht
                              nur einige der bereits bestandenen obigen 9 Fabriken (nachdem die Schwierigkeiten
                              der ersten Jahre mit ruͤhmlicher Beharrlichkeit uͤberwunden worden)
                              das Erzeugungsquantum bedeutend vermehren, so daß z.B. die des Fuͤrsten Taxis fuͤr kuͤnftig auf 100,000, und die
                              beiden in Koͤnigssaal, so wie jene in Stromka auf 30 bis 40,000 Cntr.
                              Ruͤben ausgedehnt wurden, sondern im Jahre 1835 noch 8 neue Fabriken zusammen
                              fuͤr einen Verbrauch von 260 bis 280,000 Cntr. Ruͤben eingerichtet
                              wurden, so daß die Arbeitsperiode dieses Jahres bei einer durchschnittlichen
                              Ausbeute von 6 Proc. Zuker und je nach dem Unterschiede des Raffinirungsgrades von 2
                              1/2 bis 3 Proc. Melasse, die Quantitaͤt von 15,000 Cntr. einheimisch
                              erzeugten Ruͤbenzukers, also ungefaͤhr 1/40 der Produktion
                              Frankreichs, im Werthe von wenigstens 600,000 fl.,
                              Futterabfaͤllen und Syrup ungerechnet, erreichen duͤrfte, wovon etwa
                              1/6 fuͤr die waͤhrend der 6 bis 7 monatlichen Arbeitsperiode bei der
                              Fabrikation beschaͤftigten, sich meist Morgens und Abends abloͤsenden
                              1200 Menschen als Arbeitslohn gerechnet werden kann. – Man wuͤrde
                              uͤbrigens irren, wollte man die Entwiklung dieses Industriezweiges dem Zoll
                              auf auswaͤrtigen Zuker zuschreiben. Die ungleich hoͤhere Abgabe in
                              England, welches von seinen jaͤhrlich verbrauchten 3 1/2 Millionen Centnern
                              beinahe 49 Millionen Gulden an Zoll bezahlt und von der Ausfuhr von ungefaͤhr
                              1 Million Centner Raffinaden uͤber 14,000,000 fl. Ausfuhrpraͤmie
                              bezieht, waͤre gewiß ein groͤßeres Schuzmittel, und dennoch hat sich
                              dort die Ruͤbenzukerfabrication, die Mac-Culloch ein zweifelhaftes Gewerbe nennt, nie uͤber
                              Versuche erhoben. Was soll man aber von dessen Handelsfreiheits-Predigten
                              denken, wenn er seinen Landsleuten raͤth, keine Zeit zu
                                 verlieren, sondern ernstliche Maßregeln zu ergreifen, um diesem – in
                              England – neu beginnenden Gewerbe alle Nahrung zu
                                 entziehen, weil – ein Ausfall in der Zolleinnahme sonst entstehen
                              wuͤrde. – (M. f. Handbuch fuͤr Kaufleute u.s.w. Bd. II. S.
                              1061.)
                           Die guͤnstigen Verhaͤltnisse des Bodens an und fuͤr sich sowohl
                              als in seiner
                              Vertheilung, der fuͤr das Gemeinnuͤzige empfaͤngliche Geist
                              unserer Gutsbesizer, die patriotischen Bestrebungen der ersten Unternehmer dieses
                              Industriezweiges, seine weitere Ausbreitung allgemeiner zu machen, und die bald
                              eingefuͤhrte Theilung der Arbeit in die mehr landwirthschaftliche
                              Beschaͤftigung der Erzeugung des concentrirten Saftes, und in die weitere
                              Verarbeitung der von mehreren Etablissements gewonnenen Quantitaͤt desselben,
                              waren eben so sehr geeignet dessen vortheilhafte Entwiklung zu beschleunigen, als
                              die einfache, wenig kostspielige und doch sehr zwekmaͤßige Einrichtung der
                              ersten Fabriken, so wie die in den meisten derselben eingefuͤhrte sehr
                              vervollkommnete Verfahrungsweise, die mit praktischer Kennerumsicht von Hrn. K. Weinrich in der Daubrawitzer Fabrik zuerst eingerichtet
                              und spaͤter in den meisten uͤbrigen bis jezt befolgt wurde. Durch
                              diese Methode wurde es nach Bedarf auch moͤglich mit hoͤchst einfachen
                              Apparaten aus dem Ruͤbensafte gleich bei der ersten
                                 Krystallisation raffinirten Zuker darzustellen. Die Vorzuͤge, welche
                              dieses Verfahren vor der franzoͤsischen, Colonial- und Achard'schen Methode unterscheiden, die hiedurch bei
                              einer einfachen, jeder einzelnen Laͤuterung vorhergehenden Probe, erzielte
                              Sicherheit im richtigen Verhaͤltnisse des Kalkzusazes, so wie die
                              Modifikation des Filtrirens mit Anwendung ganz seinen
                              Kohlenpulvers sind in einer eigenen Schrift beschrieben;Weinrich's, die neuesten in den
                                    boͤhmischen Ruͤbenzukerfabriken eingefuͤhrten
                                    Verbesserungen. Prag 1835. Vergl. Dr. Kodweis in
                                    Schweigger's Journal Jahrgang 1854, Bd. III.
                                    S. 350. seit dem Erscheinen derselben hat jedoch Hr. Weinrich (gemeinschaftlich mit den HH. Krug und
                              Baͤrenreiter in der Errichtung einer
                              Centralfabrik begriffen, welche den bis zu einem gewissen Grade concentrirten
                              Ruͤbensaft mehrerer Etablissements zusammen verarbeitet, fuͤrs erste
                              Jahr auf die taͤgliche Verwendung von 200 Cntr. 30graͤdigen Saftes und
                              spaͤter allenfalls noͤthig werdende Erweiterung eingerichtet) dieses
                              Verfahren auf eine Weise verbessert, die in der gegenwaͤrtigen Arbeitssaison
                              (1835 – 36) bereits in mehreren Fabriken in Ausuͤbung und zu
                              interessant ist, um nicht wenigstens in den wesentlichsten Momenten hier angedeutet
                              zu werden. Die Laͤuterung (Défécation) des Saftes wird hienach sehr einfach mit einem
                              großen Kalkuͤberschusse im kalten Zustande, ohne Laͤuterkessel,
                              ausgefuͤhrt. Der Zukergehalt der Ruͤben wird durch heißes Wasser
                              mittelst eines dem von Beaujeu construirten
                              aͤhnlichen, aber einfacheren Apparats (ohne Zwischenwaͤrmer)
                              extrahirt. Der im kalten Zustande gelaͤuterte und bei niedriger Temperatur
                              (40 – 55° R.) auf 25 – 30° B. concentrirte Saft wird in
                              einem hohen Thurme behandelt, in den er durch Gurten ohne Ende gelangt, welche in
                              die flachen Pfannen eintauchen, den Saft aufnehmen und durch ein Drehwerk
                              uͤber bewegliche horizontale Cylinder an den oberen Theil des Thurmes und
                              wieder herunter leiten; er ist so einem Strome von warmer Luft ausgesezt und auf
                              eine große Oberflaͤche vertheilt, welche die waͤsserigen Theile
                              verfluͤchtigt, und zugleich den Kalkgehalt des Saftes abscheidet, der bis auf
                              30° eingedikt, dann nach der oben erwaͤhnten Beschreibung des Hrn. Weinrich behandelt wird.
                           Das groͤßte, und wie erwaͤhnt aͤlteste Etablissement ist die
                              fuͤrstl. Taxis'sche
                              Runkelruͤbenzuker-Fabrik in Daubrawitz, deren Errichtung uͤber
                              40,000 fl. kostete; unter der Leitung des Hrn. Zdeborsky
                              und noch zweier verrechnenden Fabriksbeamten beschaͤftigt dieselbe
                              gegenwaͤrtig an 220 Menschen verschiedenen Alters und beiderlei
                              Geschlechts, die, weil die Arbeit Tag und Nacht im Gange ist, einander Morgens und
                              Abends abloͤsen, und im Verlaufe der oben erwaͤhnten Arbeitssaison
                              einen Taglohn von circa 5600 fl. verdienen, außer den
                              vielen Handwerkern, welche fuͤr diese Fabrik arbeiten, die auf den
                              zunehmenden Wohlstand der dortigen Gegend einen sichtlich wohlthaͤtigen
                              Einfluß uͤbt. Fuͤr die seit der ersten Einrichtung noch wenig
                              geaͤnderte Manipulation sind im Wesentlichen folgende Apparate dort in
                              Anwendung: eine Reibmaschine mit 2 Doppelcylindern von 18 Zoll Durchmesser, die
                              mittelst eines Goͤpels in Bewegung gesezt, im Stande ist in 22 Arbeitsstunden
                              8 bis 900 Cntr. Ruͤben zu verreiben. Die vorhandenen 10 doppelten
                              Schraubenpressen bringen den Saft heraus, der in ein Reservoir zusammenfließt und
                              von da sogleich mittelst eines großen Schoͤpfapparates auf einen der 8
                              Laͤuterkessel gehoben wird, von welchen er nach vorgenommener
                              Laͤuterung – die nach der in der oben citirten Schrift des Hrn. Weinrich beschriebenen Methode, mit Schwefelsaͤure
                              und Kalk geschieht – durch daran angebrachte Leinwandfilter auf die 8
                              Abdampfkessel geleitet wird, um hier uͤber offenem Feuer bis auf 30°
                              B. abzudampfen. Nachdem der im Safte niedergeschlagene Kalk durch das Taylor'sche Filter abgeschieden worden ist, gelangt der
                              klare, ziemlich neutrale Saft auf die Kohlen- oder Dumont'sche Filter, und wird nun ziemlich entfaͤrbt, sodann auf den
                              vorhandenen 10 kupfernen Eindikkesseln bis zum Krystallisationspunkte verdampft. Die
                              Dichtheit des ausgepreßten Ruͤbensaftes variirt zwischen 8 bis 10° B.
                              Dieses Etablissement hat seit seinem Bestehen, und zwar in den ersten vier
                              Betriebsjahren von der jaͤhrlich hiezu gewidmeten Flaͤche pr. 300 n.
                              oͤ. Mezen verarbeitet:
                           
                              
                                 
                                 im
                                 Jahre
                                 1831
                                 11,000
                                 Cntr.
                                 Ruͤben.
                                 
                              
                                 
                                 –
                                    –
                                 1832
                                 12,000
                                   –
                                    –
                                 
                              
                                 
                                 –
                                    –
                                 1833
                                 25,000
                                   –
                                    –
                                 
                              
                                 von 600 Mezen
                                 –
                                    –
                                 1834
                                 40,200
                                   –
                                    –
                                 
                              
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 ––––––
                                 
                                 
                                 
                              
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 88,200
                                 Cntr.
                                 Ruͤben
                                 
                              
                           und daraus gewonnen
                           
                              
                                 1726
                                 Cntr.
                                 58
                                 Pfd.
                                 verschiedene Zukergattungen
                                 
                              
                                   980
                                   –
                                  –
                                   –
                                 verschiedene Syrupgattungen und
                                 
                              
                                 3738
                                   –
                                  –
                                   –
                                 30graͤdigen Zukersyrup,
                                 
                              
                           der zur weiteren Verarbeitung der Richter'schen Fabrik in Koͤnigssaal kaͤuflich
                              uͤberlassen wurde. Nebst dem sind uͤber 4500 Melisformen, 800
                              Basterformen und 240 Bottiche hievon mit Zuker impraͤgnirt worden. Im Jahre
                              1835 wurden daselbst 900 Mezen Landes mit Ruͤben bebaut, und selbst bei der
                              im Sommer geherrschten Trokenheit, von 1 n. oͤ. Mezen Landes
                           im Durchschnitte 85 Cntr., somit im Ganzen 76,500 Cntr.
                              Ruͤben geerntet, woraus nach Schaͤzung der Fabriksverwaltung gegen
                              10,000 Cntr. Ruͤbensaft à 30°
                              erhalten werden duͤrften, die ebenfalls zum festgesezten Preise der bereits
                              erwaͤhnten Raffinerie uͤberlassen werden.
                           Der Zuker hat uͤbrigens laͤngst aufgehoͤrt ein Gegenstand der
                              feineren Genuͤsse zu seyn; Gewohnheit und Lebensweise haben demselben einen
                              Plaz unter die im Allgemeinen nothwendigen Beduͤrfnisse des menschlichen
                              Lebens angewiesen. (Wenn auch nicht in dem Maaße wie in England, wo in den
                              Arbeitshaͤusern auf ein Individuum 34 Pfd., und in den Haushaltungen auf
                              einen Dienstboten wenigstens 50 Pfd. jaͤhrlich gerechnet werden.) Den hie und
                              da sich kundgebenden Besorgnissen, wegen einer zu schnell herbeigefuͤhrten
                              uͤbermaͤßigen Ausdehnung dieses Industriezweiges koͤnnen wir
                              jedoch keineswegs beistimmen, da die Macht der Concurrenz den Fabrikanten zwar
                              druͤken kann, aber nur momentan und zu seinem Vortheile, denn sie erwekt und
                              staͤhlt seine Spannkraft. Noch dekt uͤbrigens die einheimische
                              Erzeugung lange nicht den Bedarf; mit der Zunahme der ersteren und der hiedurch
                              nothwendig folgenden Preisverminderung wird auch lezterer im steigenden
                              Verhaͤltnisse sich vermehren, denn wie schon bei Modeartikeln, so noch mehr
                              bei den dem Wechsel weniger unterworfenen Verbrauchsgegenstaͤnden hat das
                              Fallen der Preise stets groͤßere Nachfrage erzeugt, die besonders dann nicht
                              ausbleiben kann, wenn das jezt schon in Preis und Verwendbarkeit mit dem Rohrzuker
                              concurrirende Ruͤbenproduct ersteren noch an groͤßerer Billigkeit
                              uͤbertreffen wird. Mehrere Theile des oͤsterreichischen ausgebreiteten
                              Staatenverbandes duͤrften uͤbrigens schwerlich diesen Industriezweig
                              ihren Localverhaͤltnissen angemessen und es vortheilhafter finden, die
                              Mehrerzeugung, welche seiner Zeit andere Provinzen liefern koͤnnen,
                              abzunehmen. Unter diesen Umstaͤnden, und bei den die Nationalwohlfahrt so
                              sehr beguͤnstigenden Maximen unserer erleuchteten Regierung wird die
                              kuͤnftige Entwikelung dieses Industriezweiges die erfreuliche Gestaltung der
                              Gegenwart nur noch uͤbertreffen.