| Titel: | Ueber das Verhalten der Salpetersäure gegen das Eisen; von Dr. C. F. Schoenbein, Professor der Chemie in Basel. | 
| Fundstelle: | Band 60, Jahrgang 1836, Nr. LXXII., S. 398 | 
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                        LXXII.
                        Ueber das Verhalten der Salpetersaͤure
                           gegen das Eisen; von Dr. C. F. Schoenbein, Professor der Chemie in
                           Basel.
                        Schoenbein, uͤber das Verhalten der Salpetersaͤure
                           gegen das Eisen.
                        
                     
                        
                           Ich habe neulich die Resultate einer Untersuchung uͤber das Verhalten der
                              Salpetersaͤure gegen Eisen und Zinn in einer wissenschaftlichen Zeitschrift
                              veroͤffentlicht (Poggendorff's Annalen der Physik 1836, Nr.
                                 2), von denen mehrere verdienen, auch von praktischen Chemikern gekannt
                              zu seyn. Es sind folgende:
                           1) Keine Art von Eisen, in welchem Aggregatzustande dasselbe sich auch befinden mag,
                              wird von moͤglichst concentrirter Salpetersaͤure angegriffen, wenn
                              diese nicht nahe bis zu ihrem Siedpunkte erhizt ist.
                           2) Gewoͤhnliches Eisen, z.B. Eisendraht wird, wenn vorher nur einen Augenblik
                              in moͤglichst wasserfreie Salpetersaͤure oder in die gemeine rauchende
                              Salpetersaͤure getaucht, von gewoͤhnlicher Salpetersaͤure
                              angegriffen. Hat z.B. die concentrirte Saͤure 48° Baumé, die
                              wasserhaltigere 36°, und taucht man einen Eisendraht zuerst in erstere ein,
                              und bringt ihn dann in leztere, so kann diese nahe bis zu ihrem Siedpunkte erhizt
                              werden, ehe sie den Draht angreift, waͤhrend die gleiche Saͤure schon
                              in der Kaͤlte auf frisches gewoͤhnliches Eisen lebhaft einwirke. Wird
                              der in starke Salpetersaͤure eingetauchte Draht vorher abgewischt oder in
                              Wasser getaucht, so wird er von der verduͤnnteren lebhaft angegriffen. Auch
                              wird der mit starker Saͤure behandelte Draht in sehr verduͤnnter
                              Saͤure, z.B. in einer von 6°, aufgeloͤst.
                           3) Erhizt man Eisenfeilspaͤne nur einige Minuten lang, d.h. bis sie blau
                              angelaufen sind, so werden dieselben von gewoͤhnlicher Salpetersaͤure
                              eben so wenig angegriffen, als von rauchender. Ja die Feilspane lassen sich in
                              lezterer sieden, ohne daß eine merkliche Reaction auf sie Statt findet. Selbst eine Saͤure
                              von 36° B. wirkt nicht auf dieselbe unter einer Temperatur von
                              70–75° C. Viel verduͤnntere Saͤure greift jedoch das
                              gegluͤhte Eisen schon in der Kaͤlte und natuͤrlich noch
                              lebhafter unter Mithuͤlfe der Waͤrme an.
                           4) Wird ein Eisendraht an einem seiner Enden in der Weingeistflamme bis zum Anlaufen
                              gegluͤht und dasselbe in Salpetersaͤure getaucht, welche
                              ungegluͤhtes Eisen schon in der Kaͤlte lebhaft angreift, z.B. in eine
                              Saͤure von 36° B., so verhaͤlt sich nicht nur der
                              gegluͤhte Theil indifferent gegen die Saͤure, sondern der Draht ist
                              durch seine ganze Ausdehnung hindurch gegen dieselbe geschuͤzt, und man kann
                              die Saͤure wenigstens bis auf 70° erwaͤrmen, ehe sie auf das
                              Eisen einwirkt. Um sich von diesem merkwuͤrdigem Verhalten auf eine
                              auffallende Weise zu uͤberzeugen, nehme man einen Eisendraht von etwa 50' Laͤnge und 0,5'''
                              Dike, halte, das eine Ende desselben einige Augenblike in die Weingeistflamme, so
                              daß einige Linien tief das Drahtende gluͤht, tauche nach der
                              Erkaͤltung dieses Ende in die Saͤure und bringe hierauf das
                              ungegluͤhte andere Ende ebenfalls in die Fluͤssigkeit, so wird weder
                              dieses angegriffen werden, noch der ganze Draht, wenn man ihn in die Saͤure
                              legt, vorausgesezt jedoch, die Temperatur der lezteren uͤbersteige nicht
                              70°.
                           5) Taucht man das Ende eines beliebig langen und diken Eisendrahtes nur eine Linie
                              tief in ziemlich verduͤnnte Platinloͤsung, oder verbindet man mit
                              diesem Ende das kleinste Partikelchen Platin oder Gold, so verhaͤlt sich ein
                              solcher Draht gegen die Salpetersaͤure ganz wie ein solcher, dessen Ende auf
                              die vorhin beschriebene Weise gegluͤht worden ist. Es muß aber auch in diesem
                              Falle das mit einem der genannten Metalle belegte Drahtende zuerst in die
                              Saͤure gebracht werden.
                           6) Jeder Eisendraht, der auf irgend eine dieser Weisen gegen Salpetersaͤure
                              indifferent gemacht worden ist, besizt das merkwuͤrdige Vermoͤgen, die
                              gleiche Eigenschaft natuͤrlichem Eisen durch bloße Beruͤhrung, die nur
                              einen Augenblik anzudauern braucht, mitzutheilen. Es muß jedoch diese
                              Beruͤhrung innerhalb der Saͤure bewerkstelliget werden. Um diesen Zwek
                              zu erreichen, verfahrt man auf folgende Art: zwei Eisendrahte, woran das Ende des
                              einen gegluͤht worden ist, laͤßt man sich an beliebigen Punkten
                              beruͤhren, fuͤhrt hierauf unter fortdauernder Beruͤhrung das
                              gegluͤhte Ende des einen Drahtes in die Saͤure ein und laͤßt
                              dann das eine Ende des ungegluͤhten Drahtes folgen. Es wird dann dieser nicht
                              mehr von der Saͤure angegriffen, selbst wenn er außerhalb in
                              Beruͤhrung mit dem ersteren Drahte gesezt wird, wohlverstanden jedoch, die
                              Temperatur der Saͤure sey nicht zu hoch. Bringt man diesen zweiten Draht mit
                              einem dritten auf
                              eine gleiche Weise innerhalb der Saͤure in Beruͤhrung, so wird auch
                              dieser gegen sie geschuͤzt und so fort.
                           7) Ist ein Eisendraht auf irgend eine Art gegen Salpetersaͤure indifferent
                              gemacht worden und beruͤhrt man ihn innerhalb derselben mit irgend einem in
                              ihr angegriffenen Metalle, z.B. mit Eisen, Zink, Kupfer etc., so geraͤth er
                              augenbliklich in Thaͤtigkeit. Ja es ist nicht einmal noͤthig, daß die
                              Beruͤhrung innerhalb der Saure Statt finde; denn beruͤhrt man das
                              außerhalb der Saͤure stehende Ende des indifferenten Drahtes mit dem
                              ebenfalls aus der Saͤure herausragenden Ende eines in ihr thaͤtigen
                              Metalldrahtes, und seyen diese außerhalb der Saure sich befindlichen Theile beider
                              Metalldrahte noch so lang, so wird der indifferente Draht dennoch in
                              Thaͤtigkeit versezt. Dieß geschieht auch, wenn die herausragenden Enden
                              beider Draͤhte vermittelst irgend eines dritten unter einander verbunden
                              werden. Merkwuͤrdig ist ebenfalls, daß eine starke mechanische
                              Erschuͤtterung den indifferenten Draht zum thaͤtigen macht. Daß alle
                              diese Erscheinungen auf elektrischen Verhaͤltnissen beruhen, ist
                              augenscheinlich. Hieruͤber aber naͤher einzutreten wuͤrde nicht
                              am Orte seyn.
                           Schon aus einigen oben angefuͤhrten Thatsachen erhellt, daß die
                              Quantitaͤt der das Eisen gegen die Salpetersaͤure schuͤzenden
                              Substanzen unendlich klein ist, im Vergleiche mit der dadurch geschuͤzten
                              Metallmasse. Folgende Versuche sezen dieß außer allen Zweifel. Das Ende eines 16 Fuß
                              langen und eines 4 Linien diken cylindrischen Eisenstabes wurde bis zum Anlaufen
                              gegluͤht, der Stab zur Gabel umgebogen, das gegluͤhte Ende zuerst,
                              dann das ungegluͤhte in die Saͤure gebracht, welche ein specifisches
                              Gewicht von 1,35 hatte. Es zeigte sich an den Enden keine Spur von Reaction und das
                              Metall behielt vollkommen seinen Glanz. Erst bei einer Temperatur von 75° C.
                              wirkte die Saͤure auf das Eisen ein. Wurde das eine Ende eines gleich großen
                              Stabes mehrere Secunden lang in verduͤnnte Platinloͤsung gehalten,
                              etwa 2''' tief, so daß nur eine unendlich duͤnne
                              Schichte von Platin das Nebenende umgab, so verhielt sich der Stab ganz so, wie der
                              vorige; auch eben so, wenn ein ganz kleines Blaͤttchen geschlagenen Goldes an
                              das Ende des Stabes befestiget wurde.
                           Eine eiserne Schale, die etwa ein Liter hielt, wurde uͤber einem Kohlenfeuer
                              bis zum vollkommenen Anlaufen erhizt. War dieselbe erkaͤltet, so konnte in
                              ihr Salpetersaͤure von vorhin angegebener Staͤrke bis zu 75° C.
                              erhizt werden, ehe sie angegriffen wurde. Nach tagelangem Stehen dieser
                              Saͤure in einer blau angelaufenen Schale konnte ich keine Spur von Eisen in
                              der Fluͤssigkeit entdeken.
                           Mit schwacher Platinloͤsung die inneren Wandungen einer gewoͤhnlichen
                              Eisenschale
                              begossen, versezt sie in den gleichen Zustand, wie das Gluͤhen. In der
                              Kaͤlte wird ein so platinirtes eisernes Gefaͤß von der
                              Salpetersaͤure durchaus nicht angegriffen; erst bei 75°, im Falle die
                              Saͤure nicht weniger als 1,35 specifisches Gewicht hat, tritt Reaction ein.
                              Ich muß hier bemerken, daß Platin das Eisengefaͤß besser schuͤzt, als
                              das Gluͤhen, in so fern jenes Metall sich gleichfoͤrmiger an die
                              Wandungen anlegt, als die durch das Erhizen sich bildende Oxydulschichte.
                           Daß das beschriebene Verhalten des Eisens gegen die Salpetersaͤure die
                              Beachtung der technischen Chemiker verdient, und dasselbe in manchen Fallen eine
                              praktische Anwendung zulaͤßt, wird wohl nicht in Abrede gestellt werden
                              koͤnnen. So ließe sich z.B. moͤglichst concentrirte
                              Salpetersaͤure in eisernen Gefaͤßen aufbewahren und versenden, wie
                              auch gewoͤhnliche, wenn diese Gefaͤße vorher einige Minuten lang
                              gegluͤht oder mit sehr verduͤnnter Platinloͤsung behandelt
                              worden waͤren.