| Titel: | Ueber die Natur der bleichenden Chlorverbindungen; von Martens, Professor der Chemie an der Universität zu Löwen. | 
| Fundstelle: | Band 62, Jahrgang 1836, Nr. LV., S. 290 | 
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                        LV.
                        Ueber die Natur der bleichenden
                           Chlorverbindungen; von Martens, Professor der Chemie an der Universitaͤt zu
                           Loͤwen.
                        (Aus den Annales de Chimie et de Physique. Bd. LXI. S.
                              296.)
                        Martens, uͤber die Natur der bleichenden
                           Chlorverbindungen.
                        
                     
                        
                           Im Januar 1834 habe ich der Akademie in Bruͤssel eine Abhandlung uͤber
                              die aufloͤslichen Oxydchloride (Bleichsalze) uͤbergeben, worin ich
                              mich zuerst uͤber den relativen Werth der verschiedenen in Vorschlag gebrachten
                              Bereitungsarten des chlorsauren KalisIch habe in dieser Abhandlung gezeigt: 1) daß das chlorsaure Kali, welches
                                    man erhaͤlt, wenn man Chlorgas durch eine concentrirte
                                    Aufloͤsung von Aezkali leitet, einzig und allein durch die
                                    freiwillige Zersezung des vorher erzeugten Chlorkalis entsteht; 2) daß wenn
                                    man chlorsaures Kali nach Liebig's Methode durch
                                    Zersezung von Chlorkalk mit Chlorkalium (polyt. Journal, Bd. XLVIII. S. 447) bereiten will,
                                    man den anzuwendenden Chlorkalk keineswegs zuvor so lange erhizen darf, bis
                                    er alle Bleichkraft verloren hat, indem man sonst hoͤchstens den
                                    dritten Theil desselben benuzen wuͤrde, weil sich die beiden anderen
                                    Drittel in Chlorcalcium umaͤndern, welches zur Bildung von
                                    chlorsaurem Kali nichts beitragen kann. A. d. O. erklaͤrte und dann zu beweisen suchte, daß die verschiedenen
                              bleichenden Oxydchloride bloß als Verbindungen von Oxyden mit Chlor betrachtet
                              werden muͤssen. Bald darauf stellte auch Hr. Balard Versuche uͤber die Zusammensezung der Oxydchloride an
                              (polytechnisches Journals Bd. LV. S. 358)
                              und kam dabei auf den Schluß, daß diese Verbindungen als Gemenge von Chlormetallen
                              mit unterchlorigsauren Salzen anzusehen seyen, wodurch also die zuerst von Berzelius aufgestellte und dann von mehreren
                              ausgezeichneten Chemikern angenommene Theorie uͤber die Zusammensezung der
                              Bleichsalze bestaͤtigt worden waͤre. Berzelius hatte anfangs seine Ansicht nur auf die Analogie zwischen dem
                              Verhalten des Chlors und Schwefels zu den Alkalien gestuͤzt; und unter den
                              Versuchen, wodurch er sie spaͤter noch mehr zu unterstuͤzen suchte,
                              ist keiner, der sich nicht eben so gut nach der alten Hypothese, wonach man diese
                              Koͤrper als Verbindungen von Chlor mit Oxyden betrachtet, erklaͤren
                              ließe: dieß glaube ich in oben angefuͤhrter Abhandlung nachgewiesen zu haben;
                              ich habe darin sogar gezeigt, daß die Eigenschaften der Oxydchloride sich besser
                              nach der alten als nach der neuen Hypothese erklaͤren. Leztere erhielt
                              seitdem durch Balard's Arbeit aber eine viel
                              groͤßere Wahrscheinlichkeit und es schienen dadurch sogar alle Beweise,
                              welche ich zu Gunsten der aͤlteren Ansicht geltend gemacht hatte,
                              entkraͤftigt zu seyn. Als ich jedoch die Versuche Balard's wiederholte, uͤberzeugte ich mich, daß die Folgerungen,
                              welche er daraus hinsichtlich der Zusammensezung der Bleichsalze ableitete, nicht
                              richtig sind und daß man dieselben im Gegentheil noch immer bloß als Verbindungen von Chlor mit Metalloxyden betrachten
                                 muß.
                           
                        
                           I. Ueber die Sauerstoffsaͤuren des Chlors.
                           Man kennt seit den lezten Arbeiten von Balard 4
                              Verbindungen des Chlors mit Sauerstoff, welche alle Saͤuren sind.
                           
                              
                                 44,26 Chlor (1 Aeq.)
                                 + 10 Sauerstoff = Unterchlorige Saͤure.
                                 
                              
                                 
                                 + 40 Sauerstoff = Chlorige Saͤure.
                                 
                              
                                 
                                 + 50 Sauerstoff = Chlorsaͤure.
                                 
                              
                                 
                                 + 70 Sauerstoff = Ueberchlorsaͤure.
                                 
                              
                           
                           Die unterchlorige Saͤure, welche dieselbe Zusammensezung wie das Chloroxydul
                              mancher Chemiker hat, ist indessen eine vollkommen davon verschiedene Verbindung,
                              wie Balard es außer Zweifel gesezt hat. Das von Davy entdekte Chloroxydul ist gewiß nichts Anderes, als
                              ein Gemisch von Chlor und chloriger Saͤure, denn die Einwirkung des Wassers
                              und des Queksilberchloruͤrs auf diese Verbindung bestaͤtigt dieß durch
                              die Trennung beider Gase. Somit kann das vermeintliche Chloroxydul, welches durch
                              die Einwirkung von Chlorwasserstoffsaͤure auf chlorsaures Kali entsteht, sehr
                              wohl ein constantes Gemenge aus einem Volum chloriger Saͤure und 3 Vol. Chlor
                              seyn. Diese Annahme rechtfertigt nicht allein die bestaͤndig gleiche
                              Zusammensezung des Chloroxyduls, sondern sie erklaͤrt auch die
                              ungewoͤhnliche Verdichtung von 1/6 des ganzen Volums der Gase; denn ein Volum
                              chloriger Saͤure erleidet eine Verdichtung von 1/3 des Volums der dasselbe
                              constituirenden Gase, mithin muß in einem constanten Gemenge von einem Volum
                              chloriger Saͤure und von 3 Vol. Chlor eine Verdichtung von 1/6 des
                              Gesammtvolums der Gase Statt finden.
                           Die zweite Verbindung des Sauerstoffs mit dem Chlor, welche man durch die Einwirkung
                              der Schwefelsaͤure auf chlorsaures Kali erhaͤlt, und zwar nach der
                              Angabe Stadion's, muß man als eine Saͤure
                              betrachten, weil sie die Alkalien vollkommen neutralisirt und weil es nach der
                              elektrochemischen Theorie unmoͤglich ist, daß ein Chloroxyd, welches mehr
                              Sauerstoff als die unterchlorige Saͤure enthaͤlt, in geringerem Grade
                              die Eigenschaften der Saͤuren besizen sollte, als die leztere. Wir nennen
                              dieses Gas chlorige Saͤure und die Salze, welche es mit den
                              salzfaͤhigen Oxyden bildet, chlorigsaure Salze
                              oder Chlorite.
                           Die Chlorsaͤure ist der Unterphosphorsaͤure und
                              Unterschwefelsaͤure analog zusammengesezt; sie zersezt sich in der Hize und
                              selbst nach langer Zeit in der Kaͤlte in chlorige Saͤure und
                              Ueberchlorsaͤure, wie die Unterschwefelsaͤure sich in schweflige
                              Saͤure und Schwefelsaͤure zersezt; es genuͤgt schon, sie nur
                              sehr maͤßig zu erwaͤrmen, um ihr einen starken Geruch nach chloriger
                              Saͤure zu entloken, und die Saͤure durch einen Theil des in derselben
                              zuruͤkbleibenden Gases gelb zu faͤrben.
                           
                        
                           II. Ueber die chlorigsauren
                                 Salze.
                           Die Chlorite, oder die mehr oder weniger neutralen Verbindungen der chlorigen
                              Saͤure mit den Basen, sind wenig bestaͤndige Salze, wegen der geringen
                              Bestaͤndigkeit der chlorigen Saͤure. Sie sind indessen immer noch
                              bestaͤndiger, als die Salze der unterchlorigen Saͤure Balard's; sie zersezen sich nicht bei einer geringen
                              Erhoͤhung der Temperatur, faͤllen das salpetersaure Silberoxyd, und
                              haben die sie bestimmt unterscheidende Eigenschaft, bei dem Versezen mit einer
                              Mineralsaͤure oder einer starken organischen Saͤure, selbst wenn sie
                              mit Wasser verduͤnnt sind, unter lebhaftem Aufbrausen chlorige Saͤure
                              zu entwikeln. Die Salze, welche ich bisher untersucht habe, sind aufloͤslich
                              in Wasser; es sind dieß die Salze von Kali, Natron, Baryt und Kalk. Man
                              erhaͤlt sie sehr leicht, indem man das nach Stadion's Angabe entwikelte Gas langsam in eine Loͤsung der drei
                              ersten Basen oder in Kalkmilch so lange stroͤmen laͤßt, bis von der
                              Fluͤssigkeit nichts mehr aufgenommen wird; man erhaͤlt voͤllig
                              neutrale Aufloͤsungen, welche das Lakmuspapier sehr stark bleichen und nach
                              Zusaz einer selbst schwachen Saͤure eine große Menge der chlorigen
                              Saͤure entwikeln. Berzelius glaubte, daß sich
                              unter diesen Umstaͤnden nur ein Gemenge eines Chlormetalls und eines Chlorats
                              bilde; wenn man direct eine starke Loͤsung dieser beiden Verbindungen macht
                              und sie uͤberdieß noch mit chloriger Saͤure saͤttigt, so
                              entwikelt sich auf Zusaz einer anderen Saͤure jedoch eine kaum in Betracht
                              kommende Menge chloriger Saͤure: ein Beweis, daß die im ersten Falle
                              erhaltenen Salze wirkliche Verbindungen der chlorigen Saͤure mit den
                              alkalischen Basen sind.
                           Wenn man chlorigsaures Gas durch eine concentrirte Kaliloͤsung streichen
                              laͤßt, so bildet sich nach einiger Zeit zwar eine große Menge Kalichlorat,
                              und in der Loͤsung bleibt Chlorkalium; allein die Bildung jenes Salzes findet
                              nur dann Statt, wenn die Loͤsung bereits mit einer gewissen Menge des
                              Chlorits beladen ist. Mithin bildet es sich nicht, wenn man Kalkmilch
                              saͤttigt, oder wenn man die schwache Loͤsung von einem Theile Kali in
                              30 Theilen Wasser anwendet. Jedenfalls kann das Kalichlorit nicht in so
                              concentrirten Loͤsungen ohne Zersezung erhalten werden, wie die bleichende
                              Kaliverbindung, weil seine freiwillige Zersezung verhaͤltnismaͤßig
                              mehr Chlorat als die der genannten Kaliverbindung erzeugt. Da das Chlorat des
                              Natrons mehr loͤslich als das Kalichlorat ist, so sieht man leicht ein, daß
                              es moͤglich seyn wird, eine concentrirtere Loͤsung des Natronchlorits
                              als des Kalichlorits zu erhalten; auch dann, als man durch eine Loͤsung von
                              einem Theil Aeznatron in 5–6 Theilen Wasser chlorigsaures Gas streichen ließ,
                              bis nichts mehr davon aufgenommen wurde, erhielt man eine neutrale stark bleichende Fluͤssigkeit, die auch nicht eine Spur
                              von Salz waͤhrend der Operation fallen ließ, und so mit Chlorit
                              gesaͤttigt war, daß auf Zusaz einiger Tropfen Schwefelsaͤure ein so
                              heftiges Aufbrausen von chloriger Saͤure entstand, daß durch die freiwillige
                              Zersezung derselben ein Wal sogar eine Explosion erfolgen konnte.
                           Die chlorige Saͤure kann wie andere Saͤuren mit den Alkalien neutrale
                              und basische. Salze bilden. Laͤßt man sie durch eine alkalische
                              Loͤsung streichen, so wird das Gas ohne Faͤrbung der
                              Fluͤssigkeit aufgenommen, die auch ihre alkalische Reaction beibehaͤlt
                              und selbst bei großer Dichtigkeit kein Chlorat fallen laͤßt. Dieses erste
                              Chlorit hat eine alkalische Reaction, bleicht nur durch Zusaz einer Saͤure,
                              aber entwikelt damit eine große Menge chloriger Saͤure. Man kann die
                              Loͤsung bei gelinder Waͤrme, oder besser im luftleeren Raume
                              entwaͤssern, ohne daß eine Zersezung eintraͤte, und sie so in fester
                              Gestalt erhalten. Ich selbst erhielt das basische Salz in sehr kleinen
                              blaͤttrigen Krystallen, welche man fuͤr Kalichlorat halten
                              koͤnnte, allein sie unterscheiden sich davon durch die lebhafte Entwikelung
                              von chloriger Saͤure, wenn man sie mit Schwefelsaͤure, die mit 10
                              Theilen Wasser verduͤnnt ist, uͤbergießt, waͤhrend dieselbe auf
                              Kalichlorat bekanntlich nicht wirkt. Die Aufloͤsung eines solchen Chlorits
                              erhaͤlt sich nur unbestimmte Zeit bei gewoͤhnlicher Temperatur, beim
                              Schuze vor der Luft und in festem Zustande unveraͤndert. Laͤßt man
                              durch eine Loͤsung des basischen Salzes chlorige Saͤure streichen, bis
                              sie nichts mehr davon aufnimmt, so tritt ein Zeitpunkt ein, wo die
                              Fluͤssigkeit durch Absorption des Gases gefaͤrbt wird; sie verliert
                              dann ihre alkalische Reaction und laͤßt bald eine große Menge chlorsauren
                              Kalis fallen, besonders wenn man eine concentrirte Loͤsung anwendet und mit
                              der Gasentwiklung fortfaͤhrt; ist hingegen die Kaliloͤsung sehr
                              schwach, so erhaͤlt man ein neutrales, sehr bleichendes Chlorit ohne
                              Faͤllung von Kalichlorat. Selbst wenn diese Fluͤssigkeit bereits
                              gesaͤttigt ist, nimmt sie noch chlorige Saͤure auf, welche ihr eine
                              dunkelgelbbraune Farbe ertheilt; indessen geht diese leztere Menge bei
                              Beruͤhrung mit der Luft fort und wird vollstaͤndig bei Erhizung auf
                              80° C. verjagt. Eine laͤnger fortgesezte Erhizung auf 80°
                              zersezt alles Chlorit in Chlorat und Chlorkalium.
                           Da das neutrale Salz nicht in einer concentrirten Loͤsung unzersezt erhalten
                              werden kann, so sieht man leicht ein, daß es beim Abdampfen in chlorsaures Kali und
                              Chlorkalium zerfallen muß. Als ich seine Loͤsung in der Kaͤlte unter
                              einer großen Gloke neben Aezkalk verdampfen ließ, erhielt ich einen
                              Ruͤkstand, der aus beilaͤufig 6 Theilen chlorsauren Kalis auf 1 Theil
                              Chlorkalium bestand dieß macht es mir wahrscheinlich, daß das neutrale chlorigsaure Kali besteht aus:
                           
                              
                                 1 Aeq. chloriger Saͤure
                                 = 84,26
                                 
                              
                                 1 Aeq. Kali
                                 = 58,99
                                 
                              
                                 
                                 –––––––
                                 
                              
                                 
                                   143,25
                                 
                              
                           
                           denn 6 Aeq. chlorigsauren Kalis sind = 5 Aeq. chlorsauren
                              Kalis + 1 Aeq. Chlorkalium.
                           Alle neutralen Chlorite von Kali, Natron, Baryt und Kalk verhalten sich gleich gegen
                              Lakmuspapiere; unter einer großen Gloke neben Aezkalk verdampft, hinterlassen sie
                              eine nicht bleichende Verbindung, welche auf Kohlen geworfen eben so wenig, wie
                              durch concentrirte Schwefelsaͤure chlorige Saͤure entwikelt. Es war
                              leicht, bei den verdampften Chloriten des Kalis und Natrons, das chlorsaure Salz vom
                              Chlormetalle an den Krystallen zu unterscheiden.
                           Es ist leicht einzusehen, warum die basischen Chlorite bestaͤndiger sind, als
                              die neutralen Salze, denn eben durch ihre Zusammensezung sind sie weniger geneigt,
                              sich in Chlorat und Chlormetall umzuwandeln. 6 Aeq. chlorigsaures Kali, die nur 3
                              Aeq. chlorige Saͤure enthalten, sind naͤmlich = 3 Aeq. Chlorkalium + 3
                              Aeq. chlorsaurem Kali – 3 Aeq. Chlor; es fehlen also 3 Aeq. Chlor zur Bildung
                              entweder des Chlorkaliums oder des chlorsauren Kalis.
                           Ohne Zweifel kann man aus einem aͤhnlichen Grunde die Oxydchloride des Kalis
                              und Natrons mit Ueberschuß an Basis, welche also
                              alkalisch reagiren, zur Trokniß abdampfen, ohne daß sie sich in Chlorat und
                              Chlormetall zersezen, wie dieß bestaͤndig bei den neutralen Oxydchloriden der Fall ist, naͤmlich denjenigen, welche
                              das rothe Lakmuspapier nicht wieder blau machen und den Queksilbersublimat nicht
                              faͤllen. Ich habe mich in der That uͤberzeugt, daß man sogar bei +
                              50° C. basisches Chlorkali abdampfen und so eine trokene amorphe, stark bleichende Verbindung erhalten kann,
                              welche selbst auf Zusaz der schwaͤchsten Saͤuren viel Chlor entbindet.
                              Dadurch erklaͤrt es sich, warum es gewissen Chemikern gelang, durch schnelles
                              Abdampfen festes Chlornatron zu erhalten, anderen hingegen nicht; die einen wandten
                              naͤmlich ohne Zweifel ein neutrales Chloralkali an und die anderen ein
                              basisches.
                           Wenn man die Chlorite, welche einen Ueberschuß an chloriger Saͤure enthalten,
                              in Aufloͤsung stehen laͤßt, so werden sie endlich sauer und enthalten
                              dann freie Chlorsaͤure, ohne Zweifel in Folge der Zersezung der
                              uͤberschuͤssigen chlorigen Saͤure, welche sich bekanntlich im
                              Wasser, in Chlor und Chlorsaͤure umwandelt.
                           Die aufgeloͤsten neutralen Chlorits zersezen sich theilweise durch Einwirkung
                              eines Stromes Kohlensaͤure. Indessen ist die Zersezung nicht
                              vollstaͤndig, selbst wenn man in eine Losung von chlorigsaurem Kalk mehrere
                              Stunden Kohlensaͤure streichen laͤßt. Waͤhrend dieser
                              Einwirkung bemerkt man, daß die ungefaͤrbte Fluͤssigkeit sich von der
                              frei werdenden chlorigen Saͤure faͤrbt. Diese Erscheinung endigt aber sogleich, wenn das
                              Einstroͤmen von Kohlensaͤure lange genug gedauert hat und die
                              gefaͤrbte Fluͤssigkeit wird farblos; spaͤter wirkt die
                              Kohlensaͤure auf die Fluͤssigkeit nicht mehr ein, so daß man sie
                              vollstaͤndig zersezt glaubt; man sieht aber leicht ein, daß sie in diesem
                              Zustande noch viel chlorige Saͤure enthaͤlt, weil
                              Schwefelsaͤure sie gelb faͤrbt und viel chlorige Saͤure
                              entwikelt. Es scheint demnach, daß die Kohlensaͤure die neutralen Chlorite
                              nur in basische oder in kohlensaure Chlorite verwandeln kann.
                           Die neutralen Chlorite bleichen sehr stark; sie sind, wie das Chlor und die
                              Oxydchloride im Stande, Koͤrper zu oxydiren und das Schwefelblei
                              augenbliklich in schwefelsaures Bleioxyd umzuwandeln. Unterwirft man sie bei der
                              Siedhize der Destillation, so geben sie wenig chlorige Saͤure aus, und der
                              Ruͤkstand enthaͤlt Chlorat und Chlormetall; derselbe zeigt wegen
                              Entweichung der chlorigen Saͤure eine alkalische Reaction, oder vielleicht
                              auch deßwegen, weil die Fluͤssigkeit vorher noch etwas alkalisch war, was
                              vielleicht durch das Lakmuspapier nicht entdekt werden konnte.
                           Eine Mischung von Chlorit mit Chlormetall entbindet nur auf Zusaz von Saͤuren
                              chlorigsaures Gas; dieß beweist, daß die Oxydchloride
                              (wie der Chlorkalk), welche unter denselben
                              Umstaͤnden nur Chlor entbinden, keineswegs als Gemenge
                                 von Chloriten mit Chlormetallen betrachtet werden koͤnnen, wie man
                              fruͤher glaubte.
                           
                        
                           III. Ueber die unterchlorigsauren
                                 Salze.
                           Die Unterchlorite, welche Balard entdekte, haben viel
                              Uebereinstimmendes mit den Chloriten, entfaͤrben wie diese und haben eine
                              eben so große oxydirende Kraft. Bei einem Ueberschuß an Basis, also wenn sie
                              alkalisch reagiren, sind sie ziemlich bestaͤndig und koͤnnen ohne
                              Zersezung abgedampft werden; die neutralen Salze aber haben nur eine kurze Dauer.
                              Eine geringe Erhoͤhung der Temperatur oder die Concentration der
                              Loͤsung veranlaßt bei lezteren die Zersezung in chlorsaures Salz und
                              Chlormetall, wobei sich gewoͤhnlich nach Balard
                              auch Sauerstoffgas entbindet.
                           Die Chlorite lassen sich von den Unterchloriten sehr leicht dadurch unterscheiden,
                              daß leztere auf Zusaz einer Saͤure nur unterchlorige Saͤure allein
                              oder mit Chlor gemischt entbinden, und daß, wenn ein vorher mit einem Chlormetall
                              gemischtes Unterchlorit mit Saͤure versezt wird, dasselbe nur reines Chlor
                              entwikelt; dieß ruͤhrt ohne Zweifel daher, daß durch die Einwirkung der
                              Chlorwasserstoffsaͤure auf die unterchlorige Saͤure des Unterchlorits
                              nur Chlor gebildet wird.
                              Diese Erscheinung, welche man nicht bei den mit Chlormetallen gemengten Chloriten
                              beobachtet, weil eben die Salzsaͤure keine Einwirkung auf die chlorige
                              Saͤure zeigt, ist vollkommen der gleich, welche eine Saͤure von
                              hinreichender Staͤrke auf ein Gemenge eines chlorsaureen Salzes mit einem
                              Chlormetalle ausuͤbt; es entweicht in der Kaͤlte unter Aufbrausen nur
                              chlorige Saͤure, mit einem gleichen Volum Chlor gemischt, wie es mich die
                              Erfahrung lehrte. Die Reaction, welche, wie man allgemein sagt, in der Kaͤlte
                              nur Chlor und Wasser erzeugt, bringt naͤmlich nach meinen Versuchen immer
                              eine starke Entbindung von chloriger Saͤure, mit Chlor gemengt, hervor. Diese
                              Reaction erleichtert auch besonders die Zersezung der Chlorate und Chlormetalle
                              durch die Saͤure; denn ich habe gefunden, daß mit ihrem gleichen Volum Wasser
                              verduͤnnte Schwefelsaͤure, welche bei gewoͤhnlicher Temperatur
                              keine besondere Einwirkung, weder auf chlorsaures Kali noch auf Chlorkalium zeigt,
                              dieselben dennoch zersezt, wenn sie vereinigt sind, und daraus sehr lebhaft chlorige
                              Saͤure und Chlor zu gleichen Volumen entbindet. Nach denselben Gesezen wird
                              Iodkalium und jodsaures Kali im gemischten Zustande, selbst durch eine schwache
                              Saͤure zersezt; sogar die Kohlensaͤure thut dieß nach Gay-Lussac mit Ausscheidung von Jod. Jodsaͤure und
                              Jodwasserstoffsaͤure geben naͤmlich, sich gegenseitig zersezend,
                              Wasser und Jod.
                           Die Eigenschaft der Unterchlorite, aus Zusaz einer schwachen Saͤure Chlor zu
                              entwikeln, wenn sie vorher mit einem Chlormetalle gemischt sind, eine Eigenschaft,
                              die sie mit den Oxydchloriden gemein haben, hat nicht wenig dazu beigetragen, uns
                              glauben zu machen, daß leztere nichts Anderes seyen, als Gemische von Chlormetallen
                              mit Unterchloriten und daß leztere ihnen ihre Grundeigenschaften und Bleichkraft
                              ertheilen. Allein diese Umstaͤnde koͤnnen uns eben so wenig
                              veranlassen, die bleichenden Chloralkalien als Gemische von Unterchloriten mit
                              Chlormetallen zu betrachten, als die Faͤllung von Jod aus einem Gemenge von
                              Iodkalium und jodsaurem Kali durch eine schwache Saͤure uns berechtigt, mit
                              diesen ungefaͤrbten aufgeloͤsten Mischungen ein Oxydjodid, wobei die
                              Farbe schon allein, abgesehen von den andern Eigenschaften, zur Unterscheidung
                              hinreicht, fuͤr analog zu halten.
                           Die Unterchlorite, selbst wenn sie mit Chlormetallen gemischt sind, unterscheiden
                              sich dennoch von den Oxydchloriden (Chloralkalien), weil eine geringe
                              Temperaturerhoͤhung sie stets zersezt und dabei nach Balard gewoͤhnlich auch Sauerstoff aus ihnen entbunden wird
                              (polytechn. Journal, Bd. LV. S. 365);
                              waͤhrend diese Sauerstoffentbindung sich nach meiner Erfahrung niemals
                              einstellt, wenn man Chlorkali kochen laͤßt. Lezteres widersteht einer Temperatur von
                              50–60° C. ohne sich zu zersezen, und wenn kein Ueberschuß von Chlor
                              vorhanden ist, kann man es selbst bis 80° C. ohne Zersezung erhizen. Die
                              Unterchlorite sind sehr wenig bestaͤndige Salze und zersezen sich im Sommer
                              von selbst in wenigen Tagen; Chlorkali und Chlornatron halten sich hingegen sehr
                              lange, wenn sie vor Luft und Licht geschuͤzt sind.
                           Das Chlorkali und Chlornatron mit Ueberschuß von Chlor,
                              wie man sie auf directem Wege bereitet, d.h. dadurch, daß man in eine Loͤsung
                              des aͤzenden Alkalis so lange Chlor streichen laͤßt, als es noch von
                              derselben aufgenommen wird, zeigen uns eine sehr beachtenswerthe, noch nicht
                              bekannte Eigenschaft, die nicht durch die Annahme erklaͤrt werden kann, daß
                              diese Verbindungen Gemenge von Chlormetallen und Unterchloriten seyen. Diese
                              Eigenschaft, welche ich sorgfaͤltig gepruͤft habe, besteht darin, daß
                              wenn man sie in einer mit Vorlage versehenen Retorte destillirt, sie sich beim
                              Sieden zersezen, ohne weder Sauerstoff zu entwikeln, noch eine bemerkbare Menge
                              Chlor; es entsteht unterchlorige Saͤure, welche sich mit dem Wasserdampfe in
                              der Vorlage verdichtet. Diese Fluͤssigkeit zeigt alle Eigenschaften der Balard'schen unterchlorigen Saͤure; sie hat
                              denselben Geruch, bleicht wie jene, zersezt gerade so in der Kaͤlte die
                              Oxalsaͤure mit Aufbrausen von Kohlensaͤure, entwikelt eben so Chlor
                              aus dem Chlornatrium, und uͤbt auch dieselbe Einwirkung auf Eisenfeile aus,
                              nur langsamer wegen ihrer Verduͤnnung. Theilt man die Producte der
                              Destillation, so findet man, daß das erste Destillat etwas freies Chlor
                              enthaͤlt, was man durch den Geruch findet, die Fluͤssigkeit aber hat
                              alle Eigenschaften der unterchlorigen Saͤure. Man muß die Destillation
                              unterbrechen, wenn die Haͤlfte der Fluͤssigkeit uͤbergegangen
                              ist, weil die zuruͤkbleibende dann beinahe ganz zersezt ist und nur noch
                              Chlorkalium oder Chlornatrium enthaͤlt, gemischt mit etwas chlorsaurem Salze,
                              dessen Bildung eine unwesentliche zu seyn scheint.
                           Wenn man anstatt der mit Chlor uͤbersaͤttigten Chloralkalien, neutrale, wie man sie durch Zersezung des Chlorkalks
                              erhaͤlt oder wenn man Chlorkalk selbst destillirt, so besteht das Destillat
                              bloß aus Wasser mit schwachen Spuren von unterchloriger Saͤure oder Chlor.
                              Ohne freies Chlor waͤre es unmoͤglich, Rechenschaft von der Bildung
                              der unterchlorigen Saͤure unter diesen Umstaͤnden zu geben, wenn man
                              nicht annehmen wollte, daß der Ruͤkstand von der Destillation alkalisch
                              waͤre, was indessen nicht der Fall ist.
                           Das Ergebniß dieser Destillation des mit Chlor uͤbersaͤttigten Chloralkalis
                              waͤre nicht erklaͤrbar nach der Balard'schen Hypothese uͤber die Zusammensezung der Chloralkalien, weil
                              dann das uͤberfluͤssige Chlor das Unterchlorit zersezen und
                              augenbliklich auf das freie Oxyd wirken muͤßte, um naͤmlich mit
                              demselben noch unterchlorige Saͤure, welche sich entwikelt und ein neutrales
                              Chlormetall, welches zuruͤkbleibt, zu bilden; eine Reaction, die sehr
                              complicirt und wenig wahrscheinlich ist. – Man weiß auch, daß die
                              fluͤssige unterchlorige Saͤure, wenn man sie auf ein Chlorid eines
                              Alkali- oder Erdmetalles gießt, sich mit Entbindung von Chlor zersezt, und daß man
                              als Ruͤkstand eine Verbindung erhaͤlt, die sich gar nicht von dem auf
                              gewoͤhnlichem Wege erhaltenen bleichenden Chlornatron unterscheidet.
                              Diejenigen nun, welche die Chloralkalien fuͤr Gemenge von Chloriden mit
                              unterchlorigsauren Salzen halten, muͤssen nach Balard auch annehmen, daß die unterchlorige Saͤure zum Theil die
                              Chloride der Alkalimetalle zersezt, wobei sich ein Gemeng von Chlormetall mit
                              unterchlorigsaurem Salz bildet; es ist aber gar nicht wahrscheinlich, daß die
                              unterchlorige Saͤure ein Chlormetall zersezen kann und eine so
                              bestaͤndige Verbindung in eine so unhaltbare zu verwandeln vermag.
                           Endlich beobachtete Balard, daß die unterchlorige
                              Saͤure sich nicht mit dem Eisenoxyde vereinigen koͤnne, wiewohl Grouvelle uns eine bleichende loͤsliche
                              Eisenoxydverbindung kennen gelehrt hat; dieß kommt daher, weil Balard eben diese bleichende Verbindung als ein Gemisch von unterchloriger
                              Saͤure mit Eisenchlorid betrachtet und so erklaͤrt, wie diese
                              Verbindung bei der Destillation unterchlorige Saͤure geben kann. Aber das
                              Chlorkali, auf directem Wege bereitet und mit Chlor uͤbersaͤttigt,
                              gibt ebenfalls bei der Destillation unterchlorige Saͤure und Chlorkalium,
                              woraus man auf eine analoge Zusammensezung des Eisenoxydchlorids schließen muß.
                           Ich glaube sogar, daß die Bereitung der unterchlorigen Saͤure nach dem Balard'schen Verfahren mit Queksilberoxyd, von der
                              Bildung eines bleichenden Queksilber-Oxydchlorids abhaͤngt; denn bringt man
                              mit Wasser geschlaͤmmtes und feuchtes rothes Queksilberoxyd in eine Flasche
                              mit Chlorgas und schuͤttelt diese, so sieht man dasselbe sich voͤllig
                              aufloͤsen, wenn man nur nicht zu viel Oxyd und zu wenig Wasser anwandte und
                              augenbliklich bildet sich ein sehr stark bleichendes Queksilber-Oxydchlorid, welches
                              alles Queksilberoxyd aufgeloͤst enthaͤlt. Wird dieses Oxydchlorid
                              destillirt, so muß es nothwendig unterchlorige Saͤure geben, selbst wenn kein
                              uͤberschuͤssiges Chlor vorhanden ist, und es dient folglich besser als
                              alle anderen Oxydchloride zur Bereitung der unterchlorigen Saͤure. 2 Aeq.
                              Chlor-Queksilberoxyd (aus gleichen Aeq. Chlor und Queksilberoxyd zusammengesezt) sind naͤmlich = 1
                              Aeq. unterchloriger Saͤure + 1 Aeq. basischem Queksilberchlorid (aus 1 Aeq.
                              Queksilberchlorid + 1 Aeq. Queksilberoxyd bestehend).
                           Da das basische Queksilberchlorid sehr wenig
                                 loͤslich ist, so begreift man, daß wenn man behufs der Bereitung von
                              Oxydchlorid, in einer Flasche rothes Queksilberoxyd mit Chlor und Wasser
                              schuͤttelt und dabei genug Queksilberoxyd anwendet, um alles Chlor zu
                              neutralisiren, hingegen wenig Wasser, daß dann das gebildete Queksilber-Oxydchlorid
                              sich wenigstens zum Theil zersezen kann, wobei einerseits
                              unterchlorige Saͤure mit ein wenig Queksilberoxyd verbunden in der
                              Loͤsung bleiben, andererseits aber basisches Queksilberchlorid wie bei Balard's Bereitungsart sich niederschlagen wird. Hienach
                              sieht man leicht ein, daß das Oxydchlorid des Queksilbers, besonders wenn es in sehr
                              concentrirter Loͤsung angewandt wird, so daß es sich freiwillig in
                              unterchlorige Saͤure und in unaufloͤsliches basisches
                              Queksilberchlorid zersezt, eine viel concentrirtere unterchlorige Saͤure liefern koͤnnen muß, als das Chlorkali
                              oder Chlornatron, welche keiner aͤhnlichen Zersezung faͤhig sind und
                              uͤberdieß einen Ueberschuß von Chlor enthalten muͤssen, um durch ihre
                              Zersezung diese Saͤure zu erzeugen.
                           Wenn man die bleichenden Oxydchloride des Zinks und Kupfers (die man nach Grouvelle erhaͤlt, wenn man die Hydrate der Oxyde
                              mit Wasser in eine mit Chlorgas gefuͤllte Flasche bringt) destillirt, so
                              bekoͤmmt man dieselben Producte wie beim Queksilber-Oxydchlorid; es scheint
                              also die Reaction in allen diesen Faͤllen analog zu seyn.
                           Daß das Queksilber- und Zinkoxyd mit dem Chlor sehr loͤsliche Oxydchloride
                              bilden, ist ohne Zweifel auch der Grund, daß ihre Salze nicht durch die neutralen
                              Oxydchloride der Alkalien und alkalischen Erden gefaͤllt werden; dieß gibt
                              auch ein vortreffliches Mittel an die Hand, um zu erfahren, ob eine Kali- oder
                              Natronloͤsung mit Chlor gesaͤttigt ist, denn wenn dieß der Fall ist,
                              faͤllt sie die Queksilbersublimatloͤsung nicht mehr.
                           Balard fuͤhrt als Beweis fuͤr die
                              Identitaͤt der unterchlorigsauren Salze mit den loͤslichen
                              Oxydchloriden besonders an, daß jene in so hohem Grade bleichen und oxydiren. Wie
                              leztere, sagt er, verwandeln sie die frisch gefaͤllten Schwefelmetalle in
                              schwefelsaure Salze und koͤnnen eben so gut wie das oxydirte Wasser zur
                              Wiederherstellung von Gemaͤlden benuzt werden, worauf sich das Bleiweiß
                              geschwaͤrzt hat; aber die chlorigsauren Salze bringen ebenfalls durchaus
                              dieselbe Wirkung hervor, wovon ich mich oͤfters uͤberzeugte; sie
                              bleichen vollkommen so gut wie die unterchlorigsauren, wenn sie keine uͤberschuͤssige
                              Basis enthalten, und doch kann man sie nicht mit den Oxydchloriden fuͤr
                              identisch halten.
                           Man hat zu Gunsten der Ansicht von Berzelius uͤber
                              die Zusammensetzung der Oxydchloride auch die Einwirkung des neutralen
                              salpetersauren Silberoxyds auf diese Verbindungen angefuͤhrt. Es bildet sich
                              nach Balard durch die Vermischung beider
                              Aufloͤsungen ein Niederschlag von Chlorsilber und die uͤberstehende
                              Fluͤssigkeit ist waͤhrend einiger Augenblike sehr bleichend; bald aber
                              zersezt und truͤbt sie sich. Dieß zeigt, sagt man, daß eine Bildung von
                              Chlorsilber und Silberchlorit oder Unterchlorit Statt fand, das dann in der
                              Aufloͤsung einige Zeit ohne Zersezung blieb; dieß wuͤrde nun beweisen,
                              daß die bleichende Verbindung ein Gemisch von Chlorsilber und Silberchlorit ist;
                              aber es ist natuͤrlicher anzunehmen, daß bei Einwirkung des salpetersauren
                              Silberoxyds auf Chlorkalk oder Chlorkali sich eine bleichende Silberoxydverbindung
                              bildet, und daß diese leztere kaum gebildet oder im Augenblike der Bildung sich
                              augenbliklich in Chlormetall oder chlorsaures Silberoxyd, wegen
                              Unloͤslichkeit des ersteren verwandelt; wir sehen dasselbe bei einer starken
                              Loͤsung des Chlorkalis, welches sich in Folge der Schwerloͤslichkeit
                              des chlorsauren Kalis in dieses und Chlorkalium zersezt.
                           Nichts beweist also bis jezt, daß die Chloralkalien und der
                                 Chlorkalk Gemische von unterchlorigsauren Salzen mit Chlormetallen sind; alle
                                 Thatsachen stimmen im Gegentheil sehr gut uͤberein, wenn man sie als
                                 schwache Verbindungen von Chlor mit einem basischen Oxyd betrachtet. Nichts
                              endlich weist die Annahme der Existenz solcher Verbindungen zuruͤk, denn es
                              scheint noch nicht bewiesen, daß der Schwefel bei seiner Einwirkung auf die Oxyde
                              der Hypothese von Berzelius Bestaͤtigung
                              fuͤr die bleichenden Oxydchloride gibt; kann er sich nicht unter gewissen
                              Umstaͤnden vollkommen mit den Oxyden als solchen verbinden und Oxydsulfuride
                              bilden? Besonders das berechtigt uns dieß zu glauben, daß der niedergeschlagene
                              (hoͤchst zertheilte) Schwefel sich bei wenig erhoͤhter Temperatur
                              (10–20° C.) in einer Kali- oder Natronloͤsung aufloͤst,
                              welche sich nach den ersten Portionen des aufgeloͤsten Schwefels
                              faͤrbt, und daß die Aufloͤsung mit Chlorwasserstoffsaͤure nur
                              einen Niederschlag von Schwefel ohne Schwefelmetall und Schwefelwasserstoff gibt.
                              Ich vermuthe, daß alle alkalischen auf nassem Wege bereitete Sulfuride einen Antheil
                              Schwefel bloß mit dem Oxyd verbunden enthalten.
                           ––––––––––
                           Nachdem ich diese Abhandlung schon beendigt hatte, wollte ich es noch vollends außer
                              Zweifel sezen, daß die Bildung des chlorsauren Kalis bei Absorption des Chlors durch eine
                              Kaliloͤsung, einzig und allein die Folge der Zersezung des vorher gebildeten
                              Chlorkalis ist und daß diese Zersezung nur die Folge der Schwerloͤslichkeit
                              des chlorsauren Kalis, unabhaͤngig von der Hize, die sich waͤhrend der
                              Absorption erzeugt, ist, wie naͤmlich Morin meint.
                              Ich ließ Chlor durch eine siedende Loͤsung von einem Theile Kali in 4 Theilen
                              Wasser streichen; das Chlor wurde in großer Menge aufgenommen, wie wenn die
                              Aufloͤsung kalt gewesen waͤre, und es bildete sich nur ein sehr stark bleichendes Oxydchlorid, ohne daß sich
                              chlorsaures Kali absezte. Nachdem die Loͤsung mit Chlor gesaͤttigt war
                              (was ich daran erkannte, daß dieselbe nicht durch Queksilbersublimat gefaͤllt
                              wurde), ließ ich sie erkalten und bald bildete sich ein Niederschlag von chlor
                              saurem Kali; die Loͤsung verlor fast voͤllig ihre bleichende
                              Eigenschaft, so daß ein Streifen geroͤthetes Lakmuspapier, welches in der
                              heißen Loͤsung augenbliklich weiß wurde, mehrere Minuten in der kalten
                              Fluͤssigkeit ungebleicht blieb. Dieß beweist, daß die kalte
                              Fluͤssigkeit weit weniger Chlorkali enthaͤlt, als die heiße;
                              uͤbrigens erhielt ich bei diesem Versuche eben so viel chlorsaures Kali, als
                              wenn ich ihn in der Kaͤlte angestellt haͤtte.
                           Dieser Versuch scheint mir noch einen starken Beweis gegen die Meinung derjenigen zu
                              liefern, welche die Oxydchloride mit den unterchlorigsauren Salzen fuͤr
                              identisch halten. Leztere Salze, welche sehr wenig bestaͤndig sind, zersezen
                              sich naͤmlich nach Balard bei geringer
                              Temperaturerhoͤhung und es ist unmoͤglich anzunehmen, daß beim
                              Durchstreichen des Chlors durch eine siedende Loͤsung von Kali, sich ein
                              Unterchlorit bilden kann, und doch erhaͤlt man eine sehr bleichende, mit dem
                              Chlorkali ganz identische Fluͤssigkeit. Leztere ist also eine
                              Fluͤssigkeit von ganz anderer Natur, als die durch Saͤttigung eines
                              Alkalis mit unterchloriger Saͤure bereiteten Unterchlorite. Chlorkali und
                              Chlornatron, die nicht mit Chlor uͤbersaͤttigt sind (wie man sie z.B.
                              durch Zersezung des Chlorkalks erhaͤlt), kann man lange im Sieden erhalten,
                              ohne daß sie von ihrer Bleichkraft verlieren und sie zersezen sich erst dann, wenn
                              ihre Loͤsungen durch Eindampfen so concentrirt worden sind, daß ein in der
                              uͤbrig gebliebenen Fluͤssigkeit unaufloͤsliches Chlorat
                              entstehen kann.
                           Aus dem Vorhergehenden folgt, daß wenn man aus einer Chlorkaliloͤsung, die
                              keinen Ueberschuß von Chlor enthaͤlt, chlorsaures Kali erhalten will, man sie
                              ohne Verlust an Chlorat bei der Siedhize einengen kann; enthaͤlt das
                              Chlorkali aber uͤberschuͤssiges Chlor (wie dieß gewoͤhnlich bei
                              dem der Fall ist, welches man bereitet, indem man in eine Aezkaliloͤsung bis
                              zur Saͤttigung Chlorgas leitet), so darf man, um moͤglichst viel
                              chlorsaures Kali zu erhalten, die Bleichfluͤssigkeit nicht bei der Siedhize
                              concentriren, weil sie sich sonst, wie wir oben gesehen haben, zum Theil in
                              unterchlorigsaures Gas und Chlorkalium zersezen wuͤrde. Man muß also in
                              diesem Falle die Aufloͤsung des Oxydchlorids bei hoͤchstens
                              50–60° C. eindampfen, damit kein Chlorkalium ohne eine entsprechende
                              Menge chlorsauren Kalis entstehen kann.