| Titel: | Bericht des Hrn. Coriolis über die articulirten Räderfuhrwerke des Hrn. Dietz d. Vaters. | 
| Fundstelle: | Band 69, Jahrgang 1838, Nr. VI., S. 9 | 
| Download: | XML | 
                     
                        VI.
                        Bericht des Hrn. Coriolis uͤber die articulirten
                           Raͤderfuhrwerke des Hrn. Dietz d. Vaters.Dieser Bericht ward in der Sizung der Pariser Akademie vom 26. Maͤrz l. J.
                                 vorgetragen. A. d. R.
                           
                        Aus dem Echo du monde savant. No. 12.
                              1838.
                        Ueber Dietz's articulirten Raͤderfuhrwerke.
                        
                     
                        
                           Die von Hrn. Dietz gebauten Wagen sind
                              hauptsaͤchlich fuͤr gewoͤhnliche Landstraßen bestimmt, und
                              sollen entweder von Pferden oder von einem Dampfkarren gezogen werden. Sie haben 6
                              Raͤder und folglich drei Radachsen, von denen die mittlere gegen die Achse
                              des Kastens immer eine senkrechte Richtung beibehaͤlt, waͤhrend die
                              vordere und Hintere mittelst Stangen und Articulationen auf solche Weise miteinander
                              verbunden sind, daß, wenn die Zugkraft in schiefer Richtung wirkt, und also die
                              Achse des Vordergestelles zwingt von der senkrechten Stellung gegen die Kastenachse
                              abzuweichen und mithin mit der mittleren Radachse einen Winkel zu bilden, die
                              Hintere Radachse gleichzeitig um denselben Winkel abweichen muß, so daß die
                              Directionen aller drei Radachsen gegen einen und denselben Punkt convergiren, und
                              daß dieser Punkt der Mittelpunkt des Kreises wird, den der Wagen zu beschreiben
                              strebt.
                           Der Kasten ruht mittelst doppelten Zangenfedern von bedeutender Elasticitaͤt
                              an vier Punkten auf den drei Gestellen. Will man mehrere solche Wagen durch eine und
                              dieselbe Triebkraft fortschaffen, so hakt man die an dem Vordergestell befindliche
                              Deichsel an eine Eisenstange, welche in der Richtung der Achse des ersten
                              Kutschenkastens mit diesem verbunden, um eben so viel uͤber das Hintergestell
                              hinausragt als die Deichsel uͤber das Vordergestell. Auf diese Weise
                              laͤßt sich eine beliebige Anzahl von Wagen miteinander verbinden; wir sahen
                              einen Zug von dreien, an deren vorderstem drei Pferde angespannt waren.
                           Das Wesentliche der Idee des Hrn. Dietz besteht in der
                              Anwendung eines Mechanismus, der die beiden Endachsen zwingt, mit der mittleren immer gleiche
                              Winkel zu bilden. Diese Idee ist nicht neu; denn schon vor 20 Jahren nahm Admiral
                              Sidney Smith ein Patent auf einen Mechanismus dieser Art,
                              den er an einem vierraͤderigen Wagen angebracht hatte. Dieser Mechanismus war
                              sehr einfach, und beruhte auf einer solchen Verbindung der entgegengesezten
                              Achsenenden mit Ketten oder Stangen, daß das eine dieser Enden nach Innen gezogen
                              wurde, wenn das andere nach Außen gezogen ward. Auf diese Weise wird jedoch die
                              Gleichheit der Winkel der Achsen nicht genau erhalten; auch reichte dieses System in
                              der Anwendung nur so lange aus, als die Winkel ziemlich klein waren. Das System des
                              Hrn. Dietz ist ganz analog; denn es besteht aus Stangen,
                              welche von den Enden der vorderen Radachse ausgehend, und vor ihrer Ankunft an der
                              mittleren Radachse sich kreuzend, daselbst die Enden zweier kleiner, horizontaler
                              Hebel, die ihren Drehpunkt an dieser mittleren Achse haben, nach entgegengesezter
                              Richtung aus der Stelle treiben. Die Bewegung dieser Hebel wird mittelst einer
                              Stangenvorrichtung beinahe parallel auf die Hintere Radachse
                              uͤbergetragen.
                           Hr. Dietz bedient sich auch noch einer anderen
                              Vorrichtung, welche demselben Systeme angehoͤrt. Er bringt naͤmlich an
                              der mittleren Radachse eine Art falscher Achse an, die sich von der eigentlichen
                              Achse unabhaͤngig um ihren Mittelpunkt drehen kann. Diese Drehung wird ihr
                              von der vorderen Radachse her mittelst einer beweglichen Verbindung mitgetheilt,
                              welche zwischen diesen Achsen durch zwei im rechten Winkel gebogene Stangen
                              vermittelt ist. Diese Stangen sind in gleichen Entfernungen von den Gestellen durch
                              einen Bolzen verbunden, der eine geringe Streke weit laͤngs der einen dieser
                              Stangen laufen kann. Die Bewegung der falschen Achse wird dann mittelst einer
                              Parallelogrammen Vorrichtung parallel auf die Hintere Radachse uͤbergetragen.
                              Diese Anordnung bedingt gleich der zuerst erwaͤhnten nur bis auf einen
                              gewissen Grad eine Gleichheit der Abweichungswinkel der beiden Achsen. Beide Systeme
                              sind hierin den Parallelogrammen, die man an den Dampfmaschinen anwendet, um der
                              Kolbenstange eine geradlinige Bewegung zu sichern, analog. Sie erfuͤllen
                              gleich diesem Mechanismus mir hinreichender Genauigkeit die Bedingungen der Aufgabe
                              im ganzen Umfange der noͤthigen Bewegung. Wir sahen in der That einen Zug von
                              drei sehr langen Wagen, und die 9 Raͤder desselben liefen bis auf einige
                              Centimeter in einer und derselben Spur, so daß man ohne alle Schwierigkeit und ohne
                              alle Gefahr sehr kurz damit umwenden konnte.
                           Man kann behaupten, daß das System des Hrn. Dietz
                              unumgaͤnglich wird, so bald man 6 Raͤder an einem Kasten anwenden will; denn ohne diesen
                              Mechanismus wuͤrde beim Umwenden an dem Hintergestelle ein solches Glitschen
                              nach der Quere eintreten, daß der Lauf des Wagens sehr gehindert waͤre, und
                              daß außerdem eine sehr rasche Abnuͤzung der Reifen der Hinteren Raͤder
                              eintreten muͤßte. Mit dieser Vorrichtung koͤnnen die Wagen mit drei
                              Gestellen selbst mit groͤßerer Genauigkeit umwenden, als solche mit zwei
                              Gestellen: ein Vorzug, der, wenn er auch fuͤr einzelne Wagen nicht von großem
                              Belange ist, doch eine große Wichtigkeit erlangt, wenn man auf den Landstraßen
                              mehrere aneinander gehaͤngte Wagen mittelst eines einzigen Motors
                              fortschaffen will. Abgesehen von dieser Leichtigkeit im Umwenden verdient aber die
                              Anwendung von 6 Raͤdern auch noch in anderer Beziehung die Aufmerksamkeit der
                              Wagenbauer. Allerdings kommt dieses System etwas theuer zu stehen, so wie es denn
                              auch mit der Anwendung eines Mechanismus verbunden ist, der haͤufige
                              Reparaturen erheischen kann; allein es gibt auch den langen Kutschenkasten mehr
                              Stabilitaͤt, und vermindert die Erschuͤtterungen sowohl als die Gefahr
                              des Umwerfens in Folge des Abgehens oder Bruches eines Rades oder selbst einer
                              Achse.
                           Die Raͤder der Dietz'schen Wagen scheinen uns einen
                              etwas kleinen Durchmesser zu haben; allein es duͤrfte wohl nicht
                              unmoͤglich seyn, sie auf die Groͤße der gewoͤhnlichen
                              Wagenraͤder zu bringen. Dann koͤnnte man sagen, daß das System mit 6
                              Raͤdern die Zugkraft nicht beeintraͤchtigt; wenigstens erhoͤht
                              es dieselbe nicht, indem es durch die schlagendsten Versuche hergestellt ist, daß
                              die Arbeit, welche jedes Rad von Seite des Motors fordert, bei gleichem Durchmesser
                              mit dem auf den Boden ausgeuͤbten Druke im Verhaͤltnisse steht. Da
                              demnach die Theorie hier als Ersaz fuͤr einige Nachtheile wesentliche
                              Vortheile nachweist, so ist es sehr zu empfehlen, daß man die gebrochene Bahn weiter
                              verfolge; denn es waͤre dem Publicum ein großer Dienst geleistet, wenn es
                              hiedurch zu Eilwagen kaͤme, die sich sanfter fahren, die nicht so leicht
                              umwerfen, und deren man allenfalls mehrere an einander haͤngen
                              koͤnnte, ohne daß sich dadurch beim Wenden Schwierigkeiten
                              ergaͤben.
                           Was die Anwendung von Locomotiven zum Fortschaffen der Wagen auf den Landstraßen
                              betrifft, so glauben wir nicht, daß, ob, schon das System des Hrn. Dietz manche Schwierigkeiten beseitigt, diese Art des
                              Transportes gelingen koͤnne. Die Eroͤrterung dieser Frage liegt jedoch
                              nicht in unserer Aufgabe, weßhalb es denn auch genuͤgen wird, wenn wir
                              anerkennen, daß deren Loͤsung durch die Erfindung des Hrn. Dietz einen Schritt vorwaͤrts machte. Was die
                              Eisenbahnen betrifft, so scheint es uns nicht, daß das neue System auf diesen
                              dieselben Vortheile gewahre wie auf den Landstraßen; es vermindert zwar allerdings die
                              Gefahr des Umwerfens im Falle des Bruches einer Achse; allein die Wagen bekommen in
                              Folge der Art und Weise, auf welche sie an einander gehaͤngt sind, beim
                              Eintritte in die Curven eine Neigung die Schienen zu verlassen, woraus große
                              Nachtheile entstehen muͤßten. Ueberdieß kann auf den Eisenbahnen der
                              Vortheil, der auf den Landstraßen daraus erwaͤchst, daß bei der Anwendung von
                              6 Raͤdern die durch Unebenheit des Bodens bedingte Gefahr des Umwerfens und
                              die fuͤr die Reisenden so laͤstigen Erschuͤtterungen vermindert
                              werden, nicht in Anschlag kommen, indem diese Uebelstaͤnde an ihnen ohnedieß
                              nur in geringem Grade vorhanden sind.
                           Die Commission erklaͤrt schließlich, daß Hr. Dietz
                              sich bei seinen Versuchen zur Anwendung und Einfuͤhrung
                              sechsraͤderiger Wagen auf gutem Wege befinde; und daß man ihm zu den bereits
                              erzielten Resultaten Gluͤk wuͤnschen, so wie auch ihn zum weiteren
                              Verfolgen derselben aufmuntern muͤsse.