| Titel: | Ueber die Raschheit der Bewegung der Eisenbahnwagen und über die Zeit, welche beim zeitweisen Anhalten der Wagenzüge auf der Liverpool-Manchester-Eisenbahn verstreicht. Von Hrn. Edward Sang Esq., Lehrer der Physik in Edinburgh. | 
| Fundstelle: | Band 71, Jahrgang 1839, Nr. II., S. 15 | 
| Download: | XML | 
                     
                        II.
                        Ueber die Raschheit der Bewegung der
                           Eisenbahnwagen und uͤber die Zeit, welche beim zeitweisen Anhalten der
                           Wagenzuͤge auf der Liverpool-Manchester-Eisenbahn verstreicht. Von
                           Hrn. Edward Sang Esq.,
                           Lehrer der Physik in Edinburgh.
                        Aus dem Edinburgh New philosophical Journal.
                              Jan.-April 1838, S. 384.
                        Sang, uͤber die Raschheit der Bewegung auf der
                           Liverpool-Manchester-Eisenbahn etc.
                        
                     
                        
                           Wenn Jemand vor einem Jahrhundert behauptet haͤtte, daß das ganze Jahr
                              uͤber zwischen London und Edinburgh Wagen mit einem Duzend Passagieren 12
                              engl. Meilen Weges in einer Zeitstunde zuruͤklegen wuͤrden,
                              wuͤrde man ihn als einen von Unmoͤglichkeiten Traͤumenden
                              verlacht haben. Ebenso unwahrscheinlich schien noch vor 10 Jahren eine Fahrt mit
                              einer Geschwindigkeit von 20 bis 30 engl. Meilen in der Zeitstunde; und doch ist
                              diese Geschwindigkeit nicht nur bereits erreicht, sondern man hofft vielmehr schon
                              es noch weiter bringen zu koͤnnen. Da man dermalen schon mit einem Zuge von
                              10 bis 13 Wagen, von denen jeder 20 bis 24 Passagiere faßt, 25 engl. Meilen in der
                              Zeitstunde zuruͤklegt, so ist auch als gewiß anzunehmen, daß auf einer gut gelegten Bahn mit
                              Locomotiven eine noch groͤßere Geschwindigkeit zu erzielen ist. Die Frage ist
                              demnach nicht, ob eine Geschwindigkeit von 40 bis 50 engl. Meilen z.B.
                              moͤglich ist; sondern ob man bei einer solchen die Maschinerie in seiner
                              Gewalt behaͤlt, und ob der groͤßere Kostenaufwand nicht allenfalls die
                              aus der groͤßeren Geschwindigkeit erwachsenden Vortheile aufwiegt.
                           Ich mußte vergangenen Sommer woͤchentlich zweimal von Liverpool nach
                              Manchester und zuruͤk fahren, so daß ich ungefaͤhr 800 engl. Meilen
                              auf der Bahn zuruͤklegte. Anfangs erzeugte die Raschheit, womit die an der
                              Bahn gelegenen Gegenstaͤnde an mir voruͤberflogen, und die anscheinend
                              rotirende Bewegung, welche selbst entfernteren Gegenstaͤnden eigen schien,
                              ein unangenehmes Gefuͤhl, welches ich dadurch beseitigte, daß ich meine Augen
                              auf Theile des Wagenzuges selbst, oder auf Gegenstaͤnde, die mehrere Meilen
                              entfernt waren, heftete. Nach ein Paar Fahrten hatte sich mein Auge jedoch schon so
                              sehr hieran gewoͤhnt, daß das Gefuͤhl von Geschwindigkeit, welches uns
                              beim Fahren in einer Kutsche beinahe nie verlaͤßt, gaͤnzlich
                              verschwand, und daß ich mir nur mehr dadurch, daß ich die voruͤberfliegenden
                              Gegenstaͤnde beachtete, oder meine Aufmerksamkeit auf das Geraͤusch
                              des Dampfes richtete, eine Vorstellung von der Geschwindigkeit machen konnte.
                           Ich konnte bei einer Geschwindigkeit von 25 engl. Meilen in der Zeitstunde, und
                              selbst wenn ich hiebei der freien Luft ausgesezt gewesen, auch nicht das Geringste
                              bemerken, aus dem ich haͤtte schließen koͤnnen, daß eine vier bis
                              fuͤnf mal groͤßere Geschwindigkeit den Maschinisten an der
                              vollkommenen Dirigirung des Wagenzuges hindern wuͤrde. Dieß war das Resultat
                              meiner Beobachtungen, welches durch die Erfahrung anderer bestaͤtigt wird.
                              Ich will nur zwei Beispiele hiefuͤr anfuͤhren.
                           Wenn der Wagenzug am Fuße einer der schiefen Flaͤchen anlangt, so folgt eine
                              Maschine nach, um Aushuͤlfe zu leisten. Man sollte meinen, daß, um die neue
                              Maschine anzuhaͤngen, der Wagenzug zum Stillstehen gebracht werden
                              muͤßte, oder daß, wenn dieß nicht geschaͤhe, eine
                              Erschuͤtterung Statt finden wuͤrde. Die Maschinen sind aber so
                              vollkommen in der Gewalt der Maschinisten und werden von diesen auch mit solcher
                              Gewandtheit dirigirt, daß ein Reisender, welcher nicht vorher in Kenntniß gesezt
                              ist, von dem ganzen Vorgange gar nichts merkt. Ich habe oft auf die ganze Operation
                              Acht gegeben und konnte auch nicht die geringste Erschuͤtterung hiebei
                              bemerken, selbst wenn ich mich in einem der lezten Wagen befand. Alles, was sich mir
                              bei solchen Gelegenheiten darbot, war, daß die Federn, welche die Wagen von einander entfernt
                              erhalten, comprimirt wurden, und daß sich die Schatten der Wagen einander
                              annaͤherten. In einem Falle, wo die Huͤlfsmaschine vor uns auf der
                              schiefen Flaͤche lief, und wo es also viel schwerer war dieselbe an den
                              Wagenzug zu haken, beobachtete ich den Vorgang mit aller Aufmerksamkeit. Wir fuhren
                              naͤmlich mit einer Geschwindigkeit von vollen 25 engl. Meilen, und da die
                              Huͤlfsmaschine noch rascher lief, so maͤßigte man deren Lauf
                              allmaͤhlich, bis der Wagenzug sie eingeholt hatte, wo man dann nach
                              vollbrachtem Einhaͤngen mehr Dampf wirken ließ, so daß wir, ohne auch nur die
                              geringste Erschuͤtterung erlitten zu haben, mit Huͤlfe beider
                              Maschinen weiter fuhren. Diese Thatsachen genuͤgen, um zu beweisen, daß, was
                              die Dirigirung und die Handhabung der Maschinerie anbelangt, eine groͤßere
                              Geschwindigkeit vollkommen thunlich ist.
                           Was die Geschwindigkeit selbst betrifft, so machte ich gleichfalls einige
                              Beobachtungen, denen gemaͤß ich versichern kann, daß die Bewegung wirklich
                              nicht so gar rasch ist, wenn man 25 engl. Meilen in einer Zeitstunde
                              zuruͤklegt; denn Fliegen und Bienen umschwaͤrmen bei einer solchen die
                              Wagen, und koͤnnen ihnen mit Leichtigkeit folgen. Laͤnger fortgeseztes
                              Fahren auf der Eisenbahn erzeugte in mir einen vollkommenen Widerwillen gegen das
                              Fahren mit dem Eilwagen. Man glaubt still zu stehen oder sich wie, eine Schneke zu
                              bewegen, wenn man aus dem Dampfwagen in einen Eilwagen steigt; und ich fuͤr
                              meinen Theil gehe lieber zu Fuß von den Stationen weg, als daß ich mich in einen
                              Omnibus seze.
                           Wenn eine Eisenbahn bloß als ein Communicationsmittel zwischen zwei Staͤdten
                              zu betrachten ist, so nehme ich keinen Anstand zu behaupten, daß eine
                              Geschwindigkeit von selbst mehr als 100 engl. Meilen in der Zeitstunde ohne alle
                              Gefahr fuͤr die Reisenden erreicht werden kann. Anders verhaͤlt sich
                              die Sache jedoch, wenn auch an den Zwischenstationen Passagiere abgesezt werden
                              sollen; denn dann kommen die Muͤhe und die Kosten des Haltmachens in
                              Anschlag.
                           Ich notirte mir, um mir eine richtige Idee hievon zu machen, waͤhrend zwei
                              Fahrten die Ankunft an jedem Viertelmeilensteine, den Augenblik der Abfahrt, des
                              Dampfauslassens und des Anhaltens. Es ergab sich mir hiebei, daß von dem Momente, in
                              welchem der Dampf ausgelassen wurde, bis zum Stillstehen des Wagens 60 bis 152
                              Secunden verstrichen, so daß man im mittleren Durchschnitte 90 Secunden und
                              fuͤr jedes Haltmachen einen Zeitverlust von 45 Secunden annehmen kann. Dazu
                              kommt, daß der Wagenzug gegen 150 Secunden braucht, ehe er, nachdem er abgefahren,
                              seine volle Geschwindigkeit erreicht; ja ich fand sogar, daß die Geschwindigkeit oft selbst
                              nach Zuruͤklegung von 1 1/2 und 2 engl. Meilen noch zunahm. Dieß gibt also
                              abermals einen Zeitverlust von 75 Secunden, welcher zu obigen 45 gerechnet
                              fuͤr jedes Haltmachen, ganz abgesehen von der Zeit, die der Wagenzug wirklich
                              stillsteht, einen Zeitverlust von 2 Minuten gibt. Im Ganzen duͤrfte man im
                              mittleren Durchschnitte auf jedes Haltmachen 3 Minuten rechnen koͤnnen.
                              Wiederholt sich dieses Haltmachen oft, so ist die Maschine nicht im Stande, den
                              Wagenzug in den Zwischenzeiten auf die volle Geschwindigkeit zu bringen, und der
                              Verzug wird im Verhaͤltnisse fuͤhlbarer. Bei groͤßerer
                              Geschwindigkeit waͤchst auch nothwendig der Zeitverlust beim Haltmachen. Aus
                              diesen Gruͤnden scheint es mir, daß sehr große Geschwindigkeiten nicht wohl
                              geeignet sind, wenn auch an den zwischen den Kohks- und Wasserstationen
                              gelegenen Orten Passagiere abgesezt und aufgenommen werden sollen; ausgenommen es
                              wuͤrde ein Mittel ausfindig gemacht, womit dieß geschehen koͤnnte,
                              ohne daß man den Wagenzug anzuhalten brauchte. Erzielen ließe sich dieß zum Theil,
                              indem man die an einem bestimmten Orte abzusezenden Passagiere in Einen Wagen
                              braͤchte, und diesen dann eine halbe oder Viertelmeile vor der Ankunft an
                              seinem Bestimmungsorte von dem Zuge losmachte. Man haͤtte freilich die
                              Muͤhe, diese so zu sagen verlornen Wagen spaͤter wieder zu sammeln,
                              und uͤberdieß waͤre es nicht moͤglich, auf solche Art
                              Passagiere aufzunehmen. Wenn einmal eine groͤßere Menge von Eisenbahnen
                              bestehen wird, und man nach groͤßerer Geschwindigkeit trachten wird,
                              duͤrfte dieß ein Gegenstand von hoher Wichtigkeit werden; dermalen
                              duͤrfte allen Anforderungen Genuͤge geleistet seyn, wenn man zwischen
                              groͤßeren Orten fuͤr einen Wagenzug erster Classe sorgt, welcher ohne
                              anzuhalten laͤuft, und fuͤr einen zweiter Classe, welcher an
                              Zwischenorten Halt macht.