| Titel: | Behandlung der rohen Seide beim Entschälen und Bleichen; vom Professor F. Jähkel in Dresden. | 
| Fundstelle: | Band 71, Jahrgang 1839, Nr. LXII., S. 323 | 
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                        LXII.
                        Behandlung der rohen Seide beim
                           Entschaͤlen und Bleichen; vom Professor F. Jaͤhkel in Dresden.
                        Jaͤhkel, uͤber Behandlung der rohen Seide beim
                           Entschaͤlen und Bleichen.
                        
                     
                        
                           Die Bevoͤlkerung von Lyon, der zweiten Hauptstadt Frankreichs, von 200,000
                              Einwohnern, beschaͤftigt sich lediglich mit der Seidenmanufactur. Mehr denn
                              24,000 Webestuͤhle sind taͤglich in Bewegung, um aus dem zarten Gewebe
                              der Seidenraupen die festesten Stoffe zur Bekleidung, zugleich aber auch die
                              brillantesten zur Befriedigung des Luxus zu fertigen. Vervollstaͤndigt aber
                              wird die Idee von dem Umfange dieses Gewerbzweiges, wenn man weiß, daß
                              jaͤhrlich an rohem Materials fuͤr 45 Million Fr. und daruͤber
                              verarbeitet, durch die Fabrication selbst aber 157 Mill. Fr. verdient werden. So
                              großartig sich einerseits der Betrieb der Lyoner Fabriken zeigt, so rationell und
                              zwekmaͤßig erscheint er auch in der Ausfuͤhrung der einzelnen
                              Operationen. Es darf daher nicht wundern, wenn jezt diese großen und mannigfaltigen,
                              seit Jahrhunderten nach einem und demselben Ziele strebenden Kraͤfte Producte
                              liefern, die mit Recht als Glanzpunkte der franzoͤsischen Industrie zu
                              betrachten sind.
                           Auch saͤchsische und Fabriken in anderen Laͤndern wissen Producte zu
                              erzeugen, an denen uns jene einfache Eleganz entgegentritt, die, je weniger sie auf
                              Kosten der Soliditaͤt im Ganzen vorherrscht, uͤberall gefallt, wo sie
                              sich auch zeigen mag, und gewiß verdienen diese Leistungen eine um so
                              groͤßere Anerkennung, je schwieriger die aͤußeren Verhaͤltnisse
                              waren und es zum Theil noch sind, denen zur Erreichung solcher Zweke
                              entgegengearbeitet werden mußte.
                           Staͤnde es dem inlaͤndischen Fabrikanten frei, so wie dieß bei dem
                              Lyoner der Fall ist, seine rohen Stoffe durch fast eben so viele
                              Meisterhaͤnde vollenden zu lassen, als derselbe uͤberhaupt
                              Veraͤnderungen zulaͤßt, und koͤnnte er sich die vom Luxus und
                              der Mode vorgeschriebenen Nuͤancirungen seines Materials eben so leicht und
                              mit Auswahl am Orte seines Wirkungskreises selbst erzeugen, wer wollte dann noch zweifeln, daß er in
                              Allem seinen Lyoner Vorgaͤngern gleichkommen wuͤrde.
                           Wenn er aber statt dessen genoͤthigt ist, die Bearbeitung des rohen Stoffes
                              durch Bleiche und Faͤrbung zum Theil dem Auslande zu uͤberlassen, dann
                              muß ihm jeder Versuch willkommen seyn, der dahin abzwekt, sey es auch nur einen
                              einzelnen Theil seines Gewerbes zu beleuchten, oder die specieller dabei
                              Betheiligten mit den Erfahrungen des Auslandes bekannt zu machen. In lezterer und
                              keiner anderen Absicht ersah sich auch der Verfasser die Behandlung der rohen Seide
                              als Gegenstand dieses Aufsazes, in welchem er uͤbrigens vieles in Lyon selbst
                              Beobachtetes, theils daselbst in Erfahrung Gebrachtes niederlegt.
                           Das Verfahren, wodurch der rohen Seide derjenige Grad von Reinheit gegeben wird, der
                              sie zur Fabrication weißer Artikel, oder zur Aufnahme Heller und reiner Farben
                              geschikt macht, zerfaͤllt in drei Hauptoperationen: 1) das Entschalen, 2) das
                              Kochen und 3) das Schwefeln.
                           
                        
                           1. Das Entschaͤlen der rohen
                                 Seide.
                           Hiezu fertige man sich ein Seifenbad von ungefaͤhr 1500 Liter Wasser und
                              weißer venetianischer Seife in der Menge, daß jedes Pfund zu entschalender Seide 1/4
                              Pfd. Seife erhaͤlt. Sodann erhize man die Fluͤssigkeit bis zum
                              Kochpunkte, wobei sich die Seife ziemlich gut loͤst. Nach erfolgter
                              Loͤsung vermindere man die Temperatur des Bades dergestalt, daß sie
                              ungefaͤhr auf 72° R. zu stehen kommt, bringe die auf Staͤbe
                              gereiheten Straͤhnen uͤber den Kessel, tauche sie in die
                              Fluͤssigkeit so weit ein, daß sie fast ganz darinnen baden, und fuͤhre
                              sie zur bessern Durchdringung mit Seifenlauge mehrmals von der Rechten zur Linken in
                              derselben herum, wobei von Zeit zu Zeit der Fortgang der Entschaͤlung zu
                              beobachten ist. Der aͤußere, firnißartige, glaͤnzende Ueberzug der
                              rohen Seide, faͤlschlich Gummi genannt, welcher theils harziger, theils
                              animalisch-schleimiger Natur ist, wird durch die warme Seifenloͤsung
                              aufgelokert und zum Theil gelbst. Haben nun die mit Feuchtigkeit durchdrungenen
                              Enden der Straͤhne den beabsichtigten Grad der Entschaͤlung erreicht,
                              so kehrt man sie dergestalt um, daß der unterste, vorher badende Theil der oberste
                              wird, und erwartet dieselbe Veraͤnderung unter Beibehaltung derselben
                              Manipulationen. Auf diese Weise werden saͤmmtliche Straͤhnen von der
                              Rechten zur Linken nach und nach durchgearbeitet. Gewoͤhnlich ist nach
                              Verlauf einer halben Stunde die Entschaͤlung zu Ende; jedoch entscheidet
                              hieruͤber der Takt und das Auge des Faͤrbers besser, als die Zeit.
                              Waͤhrend der ganzen Operation hat man sorgfaͤltig darauf zu achten, daß die Hize des
                              Bades nicht bis zum Kochpunkte steige. Sollte sich dieses jedoch ereignen, so
                              frische man das Bad mit kaltem Wasser an und erseze uͤberhaupt denjenigen
                              Theil Fluͤssigkeit, welcher verdampft oder von der Seide aufgenommen worden
                              ist. Nach hinlaͤnglich erfolgter Entschaͤlung wird die aus dem Bade
                              entfernte Seide auf einen hoͤlzernen Rost zum Abtroͤpfeln hingelegt
                              oder auch gelinde ausgepreßt. Ueberhaupt ist es rathsam, das Seifenwalser, womit sie
                              durchdrungen ist, so vollstaͤndig als moͤglich zu entfernen, weil der
                              darin aufgeloͤste gelbe Farbstoff sich von Neuem fixiren wuͤrde,
                              sobald er darauf erkalten und troknen koͤnnte.
                           Das beim Auspressen abfließende Seifenwasser bringt man, wenn seine
                              aufloͤsende Kraft noch nicht erschoͤpft ist, in das erstgedachte
                              Seifenbad, um es zum Entschaͤlen neuer Partien Seide zu verwenden. Man
                              schwenkt die Straͤhne bei der Degummirung nur ein Mal. Da sich das
                              Seifenwasser durch mechanischen Druk nur dann vollkommen entfernen laͤßt,
                              wenn dieser Druk stark genug ist, ein starker Druk aber, namentlich bei starker
                              Drehung und Windung der Straͤhne der Seide nachtheilig ist, so hat man
                              anstatt der gewoͤhnlichen Manipulation des Auswindens, welche
                              uͤbrigens auch viel Aufmerksamkeit und Geschiklichkeit erfordert, das
                              Durchziehen der feuchten Straͤhne zwischen zwei an einander gedruͤkte
                              Leisten empfohlen, wobei sie noch außerdem abwechselnd in laues Wasser getaucht
                              werden.
                           Viele Faͤrber behandeln nun ihre ausgewundene Seide noch vor dem Kochen in
                              einer besonders zubereiteten Seifenlauge. Dieß Verfahren ist als ein fortgesezter
                              Entschaͤlungsproceß anzusehen, den man mit einer Seifenlauge von 6° B.
                              ausfuͤhrt, indem man die Temperatur auf 72° R. oder wenige Grade
                              daruͤber erhaͤlt, keineswegs aber bis zum Kochpunkte steigert. Wie
                              uͤberall, so auch bei dieser zweiten Operation, muͤssen die
                              fuͤr Weiß bestimmten Partien zuerst durchpassiren, ihnen folgen sodann die
                              fuͤr helle Farben zugerichteten Straͤhnen, insgesammt auf
                              Staͤbe gereihet und – aufgedreht, falls sie bei einer der
                              vorangehenden Operationen durchs Auswinden die gestrekte Lage veraͤndert
                              haͤtten.
                           In mehreren Werkstaͤtten, wo man viele zarte und helle Farben, namentlich auch
                              viel Weiß fertigt, nimmt man die Seide wohl auch durch eine dritte, jedoch
                              schwaͤchere, mit 5 Proc. Seife versezte Lauge, ehe sie gekocht wird.
                           
                        
                           2. Das Kochen der rohen
                                 Seide.
                           Die nach Anwendung von zwei oder drei Seifenlaugen theilweise entschaͤlte,
                              jedoch immer noch mit dem groͤßten Theile ihres gelben Farbstoffes versehene Seide,
                              wird nun Straͤhne an Straͤhne auf dike Schnuͤre gereiht,
                              festgeknuͤpft und zu je 30 Pfd. in Saͤke, die mit einer langen
                              Oeffnung versehen sind, eingenaͤht. Dann taucht man sie in die frisch
                              bereitete concentrirte Seifenloͤsung, aus 1/4 Pfd. Seife an 1 Pfd. zu
                              kochender Seide bereitet, und laͤßt sie darin 201/2 Stunden kochen.
                              waͤhrend dieser Zeit wende man die Saͤke mehrmals, und lege sie
                              uͤberhaupt so, daß sie den Boden des Kessels nicht beruͤhren, weil sie
                              außerdem Beschaͤdigung durch Anbrennen erleiden koͤnnten. Nach Verlauf
                              oben gedachter Zeit entfernt man die Saͤke aus der Lauge, laͤßt die
                              Fluͤssigkeit ablaufen oder druͤkt sie gelinde aus, und spuͤlt
                              die Seide in einer Wanne ein bis zwei mal in reines, jedoch nicht kaltes, sondern
                              lauwarmes Wasser. Von leztgedachtem Verfahren weichen indeß einige Faͤrber in
                              so fern ab, indem sie zum Spuͤlen anstatt des reinen ein schwach alkalisches,
                              durch kohlensaures Natron bereitetes Wasser verwenden, weil solches die
                              oͤhligen und fetten Bestandtheile der Seife weit vollkommener aus der Seide
                              entfernt, sie besser reinigt, außerdem aber die Erfahrung gelehrt hat, daß eine auf
                              solche Weise behandelte Seide bei der darauf folgende Schwefelung sich weißer und
                              schoͤner bleicht.
                           Das leztgedachte Verfahren erfordert indessen einige Vorsicht, indem der
                              Gewichtsverlust der Seide durch starke alkalische Laugen sehr bedeutend werden
                              kann.
                           Um die Seife zur zweiten Operation zu sparen, sind auch statt der
                              gewoͤhnlichen, hiezu noͤthigen Seifenlaugen, Natronlaugen angewendet
                              worden, die nur den achten Theil des sonst noͤthigen Seifenquantums
                              enthalten. Allein die Praxis fand die Anwendung dieser Fluͤssigkeiten bei der
                              dazu erforderlichen hoͤheren Temperatur zu gefaͤhrlich.
                           Endlich muß das Abschaͤumen aller durch Kochen gebildeten Seifenlaugen noch
                              besonders empfohlen werden, weil nur dadurch die unloͤsliche Kalkseife, so
                              wie einige andere unloͤsliche Verbindungen des harzigen Pigments entfernt
                              werden koͤnnen, die außerdem, sobald sie Gelegenheit erhielten, sich auf der
                              Seide festzusezen, dieselbe hin und wieder flekig und das Blauen an solchen Stellen
                              unmoͤglich, machen wuͤrden.
                           
                        
                           3. Das Schwefeln und
                                 Entschwefeln.
                           Nur diejenige Seide, welche ein vollkommenes WeißAuch diejenige Seide, welche bestimmt ist, mit Indigo oder Cochenille,
                                    gefaͤrbt zu werden, unterwirft man der Wirkung der schwefligen
                                    Saͤure, und betrachtet dieselbe gleichsam als eine Beize fuͤr
                                    diese zwei Farben. erhalten soll, wird geschwefelt oder der Wirkung der schwefligen
                              Saͤure in besonders dazu eingerichteten Kammern ausgesezt. Zu diesem Ende haͤngt man sie an
                              Staͤbe gereiht frei darin auf. Zur Erzeugung der schwefligen Saͤure
                              bedient man sich irdener, mit einem Thonkranze umgebener Gefaͤße, in welchen
                              der Schwefel durchs Verbrennen die gedachte Saͤure erzeugt.
                              Gewoͤhnlich laͤßt man die Seide zwei, selbst drei mal 24 Stunden in
                              dem schwefligsauren Dampfe baden, wobei Sorge zu tragen ist, daß waͤhrend
                              dieser Zeit die schwefligsauren Daͤmpfe niemals mangeln.
                           Hierauf gelangt die Seide in eine daneben befindliche zweite Kammer, wo sie zur
                              Entfernung der Feuchtigkeit, so wie der uͤberfluͤssigen schwefligen
                              Saͤure, auf einem Gitter von Holz gleichfoͤrmig ausgebreitet und gut
                              bedekt, einer Temperatur von 40–48° R. ausgesezt wird. Nach zwei mal
                              24 Stunden schreitet man zur Entschwefelung, d.h. man spuͤlt sie mehrmals in
                              reinem oder mit feiner Kreide gemischtem Wasser. Das Entschwefeln sollte jederzeit
                              mit groͤßter Sorgfalt vorgenommen werden, weil sonst die mit der Seide in
                              Beruͤhrung bleibende schweflige Saͤure zu Schwefelsaͤure sich
                              umgestaltet, sobald die atmosphaͤrische Luft Gelegenheit hat, laͤngere
                              Zeit darauf einzuwirken. Welchen nachtheiligen Einfluß die leztgedachte
                              Saͤure aber auf alle organischen Substanzen hat, ist zur Genuͤge
                              bekannt. (Gewerbeblatt
                                    fuͤr Sachsen, 3. Jahrg., S. 392.)